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Das finale Casting

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15.09.2003
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Das finale Casting

„Willkommen zurück bei SCAR-MANIA!“
Applaus und Jubelschreie vom Tonband.
„Ich freue mich herzlich sie wieder begrüßen zu dürfen.“
Totalaufnahme des Gesichts der Moderatorin. Die Kamera fährt zurück, zeigt ihr Outfit. Nur ein dünner Ledergürtel um ihre Hüften. Ihre Silikonbrüste glänzen im Scheinwerferlicht.
„Jetzt kommt, worauf wir alle gewartet haben.“
Wieder Tonband.
„Das Publikum zu Hause hat sich entschieden. Der Sieger steht fest. Doch bevor wir das Ergebnis bekannt geben, wird der Leiter unserer Jury die Leistungen unserer beiden Finalisten noch einmal für sie zusammenfassen. Dazu bitte ich die beiden auf die Bühne: Hier sind Rene und Janina.“
Kamerafahrt über den Kopf der Moderatorin. Rotes Licht erhellt den Hintergrund. Rene und Janina kommen auf die Bühne. Sie winken der Kamera zu. Janina stolpert beinahe über einen amputierten Fuß, der am Boden liegt.
Eine elektronische Stimme aus dem Off: „Jetzt zu einem Mann, den ich eigentlich nicht vorzustellen brauche. Er schrieb Bücher über seinen Aufstieg, die Rolling Stones widmeten ihm ehrfürchtig einen Song. Er hatte seinen Durchbruch, als er zu den inneren Organen einer blonden Studentin vordrang. Er kaute an ihrer Zunge, nachdem er sie herausgeschnitten hatte. Die junge Frau war sein größter, sein einziger Erfolg, den er gründlich ausgeschlachtet hat und von dem er heute noch zehrt. Begrüßen sie: Issei Sagawa.“
Licht auf Sagawa.
„Also, ich möchte mich nicht mit langen Vorreden aufhalten. Aus Hunderten von Kandidaten habt ihr euch als die beiden würdigsten hervorgetan. Sie haben nicht das Talent oder die amoralische Gesinnung besessen, die nötig ist. Viele von ihnen sitzen heute wieder vor ihrem Fernsehgerät als Teil der gesichtslosen Masse. Beim Geschmack von Menschenfleisch haben sie sich erbrochen und hatten Skrupel wehrlose Menschen umzubringen. Wie bedauernswert sie doch sind.
Ihr beide seid die Ausnahmen. Ich persönlich fände es schwer, mich für einen von euch entscheiden zu müssen.
Rene, du weißt wir hatten Startschwierigkeiten. Ich habe dich für einen verkorksten Anhänger von Ed Gein gehalten. Schon allein wegen deines Aussehens und deiner Art. Der Junge von nebenan, ach bitte. Schüchtern, schlaksig und tölpelhaft. Fanatische religiöse Vorstellungen sind doch auch längst passe. Deine ersten Auftritte haben mich nicht vom Hocker gerissen. Ich meine, wer zahlt heute noch dafür, eine Leichenschändung zu sehen.
Als du deiner Mutter die Haut abgezogen hast, habe ich die Hoffnung beinahe aufgegeben. Du musst zugeben, dass deine Maske stümperhaft zusammengenäht war. Und außerdem ... aus dem Gesicht der eigenen Mutter ... was für ein Klischee.
Doch schließlich bist du mit diesem Jugendlichen aufgetaucht.
Eine erfolgreiche Lobotomie.
Dahmer wäre stolz gewesen.
Von da an ging es nur bergauf. Beim Amoklauf-Contest hast du nicht nur die meisten, sondern auch die schmerzhaftesten Tode verursacht. Wo fantasielose Jungspunde zur Pumpgun greifen, benutzt du einen Flammenwerfer.
Bravo!
Du konntest mich immer wieder überraschen. Für mich hast du jetzt schon einen Platz in der Hall of Fame der Serienmörder.“
Rene verbeugt sich.
„Nun zu dir Janina. Ohne deinen Förderer, den guten Charlie hier ...“
Manson winkt aus dem Halbdunkel.
„ ... hätte ich deine Talente wahrscheinlich auch verkannt. Das ist sicher eine Geschmacksfrage, aber ich war nie ein Freund von Kastrationen. Doch mir wurde klar, dass jeder Künstler einen eigenen Stil besitzt. Frauen töten nun mal aus anderen Gründen und mit anderen Methoden als Männer. Das erklärt vielleicht auch ihre geringe Präsenz in unserem Business. Du hast bewiesen, dass auch das weibliche Geschlecht hier eine Chance hat. Du könntest die nächste Ilse Koch werden.
Wenn du folterst, wird einem so richtig schön übel. Deine Verwendung von glühenden Nadeln und Säure ... schlicht Präzisionsarbeit. Keine tierische Raserei mit einer Axt, sondern Folter auf höchstem Niveau. Das ist wohl das feminine Kalkül, das vielen von uns Männern gut tun würde.
Du solltest aber mehr aus dir herausgehen. Du hättest das Aussehen, um dich als männermordender Vamp zu bewähren. Deine langen roten Haare und dein beachtlich proportionierter Körper würden dir bestimmt dienlich sein. Sagen wir es so, wenn mir jemand ein gebratenes Stück von dir anbietet, würde ich nicht nein sagen.“
Janina nickt wohlwollend mit dem Kopf. Die Moderatorin ist zu ihnen auf die Bühne gekommen.
„Und jetzt ... Die Entscheidung.“
Ein Diagramm.
Schreie begleiten die sich verlängernden Balken.
„Rene hat gewonnen. Er ist der SCAR-MANIAC! Wie sie sehen kann er es kaum fassen. Denn jetzt ist es Zeit für ...“
Geschrei vom Band „... den heißen Stuhl.“
Die Bühnenwand öffnet sich. Ein Stuhl mit Hand- und Fußfesseln erscheint im Licht. Daneben ein Tisch mit medizinischen Instrumenten. Rene geht mit Janina darauf zu. Er setzt sich, sie schnallt ihn an den Füßen fest.
„Wie fühlt man sich als Gewinner?“
Die Moderatorin hält Rene das Mikrofon hin. Bevor er antwortet, blickt sie auf einen Punkt hinter der Kamera. Eine Regieanweisung. Sie steckt sich das Mikrofon zwischen die Beine und beginnt zu masturbieren.
„Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden.“
Janina wendet sich zum Tisch. Sie kann ihre Enttäuschung bei Renes Worten kaum verbergen.
„Wenn ich mir vorstelle, wie viele Menschen alleine in ihrem Bett sterben müssen. Auf natürliche Weise und vielleicht auch noch ohne Zuschauer. Und dann denke ich an das Millionenpublikum, das jetzt bei meinem Tod zusieht. Ich könnte weinen.“
Janina reicht ihm eine elektrische Knochensäge.
Er setzt sie an seinem Oberschenkel an.
Die Moderatorin stöhnt.
Die Kamera zoomt auf den ersten Schnitt.

 

Zusätzliche Bemerkung:

SCAR-Mania leitet sich von STAR-Mania ab, so nennt sich der Casting-Wahnsinn hier in Österreich.

 

Hi Markus,
was für eine abgefahrene story, die aber mehr amüsant als verängstigend herüber kommt. Mir hat vor allem das Bild der Moderatorin gefallen. Ich hatte die ganze Zeit die Hunziger vor Augen, was natürlich gen Ende besonders interessant wurde ;)
Auch das Bild des aus dem Hintergrund winkenden Manson....Herrlich!!!
Mir hat die Geschichte auf jeden Fall gefallen. Eigentlich ziemlich abartig...aber, hmm, wen störts....

Grüße...
Morti

 

Hallo Markus,

tatsächlich abartig, aber wenn man sich ansieht, was wir heutzutage alles im Fernsehen vorgesetzt bekommen...

Auf jeden Fall flüssig geschrieben, ließ sich gut lesen.

Liebe Grüße,
gori

 

Hi!
Du triffst den Nagel auf den Kopf, deine Geschichte drückt genau das aus, was ich auch gerne mal sagen würde, und du schaffst es das alles gleichermaßen augenzwinkernd und erschreckend zu erzählen. Ich finde die Geschichte absolut klasse, weil jedes Detail stimmt und kann nur hoffen, dass kein Fernsehmensch die Story liest und in die Tat umsetzt!

 

Erst einmal Danke für die positiven Kommentare. Es scheint, dass der Text, obwohl Fingerübung und in kaum einer Stunde geschrieben, so verstanden wird, wie ich es beabsichtigt habe.

Ich war mir kurz unsicher, in welche Rubrik "Das finale Casting" am ehesten passen würde. Satire oder Horror. Da mir dieses überdrehte Szenario eher Angst macht und mich weniger zum Lachen bringt, habe ich mich für Horror entschieden.

Den Impuls dazu hatte ich eines schönen Morgens, als ich um 0530 aufstehen musste.
( :dagegen: Bundesheer :bonk: )

Um diese Zeit sind wohl die wenigsten Menschen besonders nachdenklich oder geistesgegenwärtig. Aber vermutlich bin ich der einzige Mensch, dessen erster Gedanke sich an diesem Morgen um die Frage gedreht hat:

Wie würde eine Casting-Show für Serienmörder aussehen?

Diese Menschen genießen immerhin ein Maß an Berühmtheit, von der manche Quotenschlampe des Pop-Business :xxlmad: nur träumen kann. Bedenklich ist schon mal, dass vielleicht tatsächlich einige dieser zukünftigen "Stars" sich einen solchgearteten Bekanntheitsgrad herbeisehnen, falls ihnen ihr Mangel an Talent in die Quere kommt.

Bestimmt keine bahnbrechende Erkenntnis, aber: Die Medien profitieren von Serienmördern. Ich nehme mich als Konsument dieser Berichte, Romane, Interviews und Filme nicht aus. In meiner Bibliothek stehen Bücher über Ed Gein und Charles Manson. Die trendigen Direct-to-video Produktionen (Ed Gein, Gacey, Dahmer) über die bekanntesten Serienmörder habe ich gesehen. Ihre kühle dokumentarische Art gefällt mir.

Sogar im schulischen Bereich bin ich (freiwillig) auf sie gestoßen. Als ich vor einem Jahr meine Abschlussarbeit in Biologie über "Kannibalismus bei Mensch und Tier" :rolleyes: geschrieben habe, ist mir der Name Issei Sagawa zum ersten Mal untergekommen. Für mich ist er der Dieter Bohlen unter den Kannibalen. Dieser Mensch wurde in Japan auf einem Gourmetmagazin abgebildet, er wollte aus dem Mord an einer Freundin ein Comic-Buch machen. Er hat sogar eine eigene Internetseite mit seiner persönlichen Philosophie ...

Aber genug dazu, ich muss mich unterbrechen: das waren nur ein paar Gedanken, die mir in den Sinn kommen, wenn ich meinen Text und die Kommentare dazu lese.

 

Hallo Herr Grundtner!

Dieser Text hinterließ bei mir...tja, ich weiß nicht. Ich sollte wohl eine Gänsehaut bekommen, weils alles so schlimm ist. War aber nicht, ich musste eher schmunzeln. Ich glaube schon, dass er in der Rubrik Satire besser aufgehoben wäre.

Dein Stil ist recht professionell, du bist geübt, das tut gut fürs Auge und fürs Gemüt. Allerdings kann man dies vielen in diesem Forum bescheinigen, sie können schreiben.
Du gibst zu, dass du dich nicht länger mit dem Thema beschäftigt hast, eine Stunde hast du benötigt, das Stück niederzuschreiben. Deshalb kann mir der Inhalt nichts neues bieten, im Gegenteil, die dargestellte Form des Castings ist ziemlich drastisch und ohne Differenzierungen. Eine Fingerübung, mehr nicht, doch die ist dir gelungen.

Du kannst nicht ernsthaft annehmen, dass unsere Gesellschaft einmal so enden wird, vielleicht in dieser Richtung, aber es gibt immer noch Scham, Anstand, Würde, Moral. Du kannst mich mit Recht fragen, wo sie sind, aber ich bin überzeugt, dass wir nicht so enden werden. Allein die Diskussion um eine vergleichsweise harmlose Sendung (blöd ja, aber nicht gefährlich) wie "Dschungelcamp" zeigt, dass man sich Sorgen macht. Schaut man nach Japan, sieh das anders aus.

Nichtsdestotrotz hat mir die Geschichte gefallen, es war eher eine Freak-Show, die du da aufgebaut hast, aber gekonnt eben.
Ein Happen für zwischendurch.

Bis zum nächsten Mal!

Viele Grüße von hier!

 

Hallo,
danke für das Lob.

Es freut mich aus zweierlei Gründen.

Erstens versuche ich mit meinen Satiren/Horrorstorys immer wieder den Leser zum Nachdenken zu bringen. Mir gefällt außerdem, dass ich mit diesem kurzen Text polarisieren konnte. Mich faszinieren die unterschiedlichen Reaktionen darauf. (unterhaltsam, kontrovers, furchteinflössend, ...)

Zweitens scheint sich mein Stil verbessert zu haben. Ich entferne mich merklich von komplizierten Satzkonstruktionen, die bislang immer kritisiert worden sind. Und das zu Recht, wie ich eingesehen habe.

mfg,
mg

 

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