Das fiebernde Kind
Das fiebernde Kind
Ein Prinz spazierte eines Tages durch seine Ländereien, ohne bestimmtes Ziel, nur, seine Sinne zu lüften und die frische Luft zu genießen.
Da fand er am Wegesrand ein Kind, kaum älter als drei Jahre alt, das ihn aus fiebrigen Augen anblickte, schwach, doch voller Willen, in einer Art, dass der Prinz nicht anders konnte, als es aufzuheben, ohne auch nur zu fragen, wie es hierher gekommen sei. Er spürte, dass das Kind auf dem Weg war in die Ferne, und dass diese Begegnung kein Zufall sein konnte. Er, der Prinz, war berufen, das Kind zu begleiten, ja viel mehr noch: es zu tragen, bis es wieder bei Kräften wäre. So hob er es auf, barg es in seinem Umhang und stellte fest, dass es eine leichte Last war, die gerade einem Vögelchen glich, und das Kind schlummerte in seinem Arm sofort ein.
Der Prinz folgte nun dem Weg, auf dem er das Kind gefunden hatte. Der führte hinaus aus den königlichen Ländereien, weiter und weiter, über Berge und Höhen, durch Wälder und vorbei an Seen, wo der Prinz sich nicht mehr auskannte. Da das Kind meistens schlief und, wenn es wach war, keine Auskunft gab, sondern ihn nur aus großen Augen weiterhin fiebernd ansah, vertraute er auf die Richtigkeit seiner Schritte, und das selbst, als der immer gerade Weg in der Wildnis endete. Da folgte der Prinz der Richtung und schlug sich durchs Gebüsch. Es wurde ihm mühsam, doch er hielt das Kind an seinem Leibe sicher und geborgen. Um jedem Preis sollte es gesunden und heile ankommen, wo auch immer das sein mochte. Mit der Zeit meinte der Prinz das Kind zu kennen, als wäre es sein eigenes, und in ähnlicher Weise hatte er es auch lieb gewonnen.
Nach vielen Stunden Wanderung durch Dunkelheit und helles Tageslicht, durch Nebel und Regen, durch Wind und Sonnenschein, durch eine Schlucht, in der die Geister sangen, und zuletzt nach der Durchquerung eines breiten Flusses, den der Prinz im Wasser watend überwand, indem er das Kind über seinem Kopf hielt, regte dieses sich und schaute ihn an. Lippen und Wangen hatten eine frische Farbe bekommen, der Blick war munterer und die kleine Stirn kühler geworden. Auch sah es nicht mehr aus wie dreijährig, eher wie um zwei Jahre gewachsen. Nun sprang es ihm vom Arm, und dem Prinzen tat es im Herzen weh. Er verstand, dass er nun hier stehen bleiben mußte und seine Aufgabe erfüllt war. Nur ein paar Minuten währte der Abschied. Das Kind entfernte sich nun, die ersten Schritte ging es mit dem Rücken voran und ließ dabei den Prinzen nicht aus den Augen, dann winkte es ihm noch einmal zu, um sich schließlich abzuwenden und erst langsam, dann immer rascher dem Horizont entgegen zu laufen.
Als der Prinz sich umdrehte, stand er inmitten seiner Ländereien, unweit seines Schlosses. Von der Wildnis und dem Kind war keine Spur. Nachdenklich schritt er nach Hause.