Das falsche Lachen
Ihr Lachen war zu laut, eindeutig zu unecht und sie fragte sich, warum niemandem dies aufzufallen schien. Sie nahm noch ein Glas von dem bereitgehaltenen Tablett und registrierte, dass sie schon mehr als genug getrunken hatte, doch sie wusste nicht, wie sie den Abend sonst überstehen sollte.
Es gab eine Zeit, in der hatten ihr diese Partys unendlich viel Spaß gemacht - All die Gespräche, die Blicke und Flirts und oft genug war sie mit ihrem Lachen und ihrer Lebensfreude Mittelpunkt des Abends gewesen, doch nun hatte alles, was sie sagte, was sie auch tat, einen schalen Beigeschmack bekommen. Sie hatte schon oft gehört, wie sehr man unter vielen Menschen einsam sein konnte, und jetzt verstand sie, was damit gemeint war. Wieso hatte das ausgerechnet ihr passieren können, ihr, die ihr Herz immer so sorgsam unter Verschluss hielt? - Vor langer, schon sehr langer Zeit, war sie einmal so tief verletzt worden und sie fasste damals den Beschluss, dass ihr das nie wieder in ihrem Leben geschehen sollte. Sie wollte diejenige sein, die Herzen brach, sie wollte die sein, die sich nahm, was sie brauchte und es gelang ihr eine ganze Weile sehr gut, so zu leben.
Ein Leben auf der Überholspur – ohne nachzudenken, einfach alles zu konsumieren, was sie bekommen konnte, kaum Fühlen, keine Rücksicht auf die Gefühle der Anderen – derer, die sie verletzt und allein zurückließ. Kein Gedanke daran, was in den Familien geschah, deren brave Väter sie mit ihren Blicken in den Bann gezogen hatte, die auf einmal die Illusion hatten, nur durch sie zu leben und die bereit waren ihr eigenes, lang aufgebautes Glück den kurzen Momenten der Lust, die sie ihnen gab, zu opfern. Sie hingen an ihren Lippen und verfolgten sie mit ihren Augen, wo immer sie sich auch befand auf dieser Party, doch sie ekelte sich vor diesen hungrigen Augen, verwünschte diese devoten und traurigen Blicke und begriff auf einmal, dass nun ausgerechnet sie sich mit eben diesen auf eine Stufe stellte.
Auch ihr Blick war devot geworden, ihre Augen traurig und ihre Sehnsucht unendlich. Wann immer sie sonst um Hilfe gebeten hatte, es gab jederzeit jemanden, der bereit war, das zu tun, was ihr gut tat, was die Unruhe in ihrer Seele ein wenig dämpfte, doch das, was sie jetzt empfand, war so tief, so schmerzlich, dass sie sich niemanden anvertrauen konnte. Niemand durfte wissen, niemand sollte wissen, dass diesmal sie, ausgerechnet sie dabei war, zu verlieren. Sie stürzte den Inhalt des Glases auf einmal hinunter und sah sich suchend nach einem neuen Getränk um, als ihr der Mann, der zurzeit zu ihr gehörte, das Gewünschte reichte. Er schien ihre Wünsche zu ahnen, immer war er zur Stelle, wenn sie ihn brauchte und sie sah ihn zornig an.
Warum machte er es ihr so schwer? – Warum konnte er nicht so ein winselnder Schwächling sein, wie all die anderen, die sie umschwirrten, wie die Motten das Licht? Nein, er war unantastbar! Er war so, wie sie sich immer ihren Traumprinzen vorgestellt hatte – ein perfekter Körper, ein fast schon edel zu nennender Charakter und eine Liebe zu ihr, die an Selbstaufgabe grenzte. Eine ganze Weile waren sie nun zusammen, seine Liebe zu ihr wurde immer größer und er hatte es tatsächlich über viele Monate hinweg geschafft, ihre Unrast zu dämpfen, ihr Halt zu geben und ihr durch seine tiefe Liebe für sie, ein warmes Gefühl in ihr zu erwecken, dass sie in den Momenten, in denen sie sich etwas vormachte, als Liebe bezeichnete- und dass sie sich etwas vormachte, das musste sie jetzt sehr schmerzlich feststellen.
Sie hatte noch einmal erfahren, wie sehr die Liebe schmerzen konnte und bereute es zutiefst, dass sie sich herabgelassen hatte, ihr Herz zu öffnen, doch es war einfach geschehen, ohne ihr zutun, ohne dass ihr Wille eine große Rolle dabei spielte. Das Herz war eben ein Organ aus Feuer. Ein Feuer, das brannte, und das verbrannte, wenn es zu intensiv wurde. Immer wieder waren heute ihre Gedanken und Gefühle bei ihm, der ihr so nah und doch so fern war und sie dachte daran, wie alles angefangen hatte.
Eines Tages, war er einfach da, trat in ihr Leben und füllte es aus. Tief in ihrem Innern schrillten alle Alarmglocken, sie spürte, dass da etwas anders lief, als bisher, und so wehrte sie sich gegen seine Liebe, die er ihr entgegen brachte. Er war bereit, ihr in seiner ersten Verliebtheit alles zu schenken, doch sie stieß es von sich – trotzig und ängstlich, denn auf einmal gab es jemanden, in dessen Macht es stand, das ganze, von ihr mühsam aufgebaute Gebäude ihres Lebens zu zerstören- Der ihren Lebenstraum platzen ließ, wie einen Luftballon, und der ihr zeigte, das alles, was sie bisher geschaffen hatte, nur auf sehr dünnen Fundamenten stand.
Unsicher war sie geworden und doch konnte sie ihn nicht mehr aus ihrem Leben lassen. Alle Versuche, ihn wieder zu streichen, ihn zu verlassen, so wie sie es früher immer und immer wieder gemacht hatte, scheiterten kläglich. Und dann ergab sie sich. Sie ließ es einfach zu, das Gefühl, zu lieben, und zu spüren und genoss es. Zum ersten Mal nach so langen Jahren spürte sie das wahre Leben und die Intensität, zu der sie fähig war.
Doch das Schicksal ist grausam, es wartet nicht immer, bis alle Protagonisten bereit sind, sich auf das Spiel namens Liebe einzulassen. Genau in dem Augenblick, als sie ihr Herz öffnete, begann er, seines zu verschließen. Er war so weit von ihr entfernt und wollte die Einsamkeit, und das Leben ohne sie, die von ihr propagierte Fernbeziehung nicht akzeptieren. Sie hatte ihn einmal zu oft verletzt und so suchte auch er nach Jemanden, der ihm die vielen Stunden, die er ohne sie und in dem Wissen, dass sie mit einem anderen war, verschönte. Er hatte sehr schnell eine Frau gefunden, die ihn vergötterte und so, sagte er ihr zwar noch jeden Tag dass er sie sehr lieben würde, doch, alles, was er sagte klang nicht mehr so überzeugend, seine Stimme nicht mehr so leidenschaftlich, wie am Anfang. Worte können unecht klingen, ebenso, wie das Lachen, einer Verlassenen. Diese Liebe tat ihr weh, so weh, dass sie den Tag verfluchte, an dem sie sich ihm geöffnet hatte. Seiner Liebe und ihrer Liebe nachgab, seiner Bitte, das Grübeln über die Schwierigkeiten, die sich ihnen in den Weg stellten, zu lassen und einfach zu genießen.
Dieses eine Mal hatte sie es zugelassen, und sich verloren – in seinen Blicken, in seinen Zärtlichkeiten und in ihren Gefühlen, ohne zu wissen, dass er zu dieser Zeit schon nicht mehr frei für sie war. Bitter, unendlich bitter war der Nachgeschmack, den es hinterließ und die Wellen des Schmerzes überkamen sie in regelmäßigen Abständen, ohne, dass sie sich gegen sie wehren konnte.
Die Musik wurde lauter, die Stimmen um sie herum gedämpfter, als sie mit einem Lachen auf die Tanzfläche ging und zu tanzen begann- zu tanzen, als gäbe es keim Morgen.
Neben der Tanzfläche sagte Jemand:“ Wenn sie wüsste, wie ich sie beneide!“