Das Föck
„Weshalb sehen Frauen sich Pornofilme eigentlich immer bis zum Schluss an?“ Dieter blickte mit erhobenen Augenbrauen auf Kai, der mit ihm den verdienten Feierabend in der Eckkneipe teilte.
Kai ahnte, was kommen würde und verfiel in Duldungsstarre.
„Nun,“zögerte Dieter die Pointe heraus „, weil Frauen glauben, dass am Ende geheiratet wird!“ Er lachte wiehernd. Seine kleinen Augen verzogen sich zu Schlitzen, verschwammen in Tränen und sein dicker Bauch vollführte eruptionsartige Bewegungen. Kai lachte mit, weniger über den ausgetretenen Scherz, mehr über die mitreißende Lache seines Stammtischbruders. Schenkelklopfen hätte noch im Repertoire gefehlt. Dazu kam es nicht, denn Johannes betrat die Kneipe.
„Erpel“ hieß die Gaststätte, die nicht zu den typischen Altherren-Kneipen zählte. Das bunte Gemisch aus Menschen und Menschinnen des Hamburger Stadtteils Altona spiegelte sich in den Gästen wieder. Vom gepflegten Herrn mittleren Alters, vom ewigen Studenten, von der müden Prostituierten bis zum verliebten Teenagerpärchen war alles vertreten. Gelebte Toleranz an rustikalen Tischen und Stühlen, eingehüllt in Rauch und Rockmusik.
Auch der Donnerstags-Stammtisch hielt hier seine Treffen ab. Drei Männer, drei Schicksale, drei Scheidungen. Resultat: Schwatzen, Saufen, Siegen. Genau in dieser Reihenfolge - jeden Donnerstagabend.
Johannes war schon lange geschieden. Er war einer vom Typ ‚leidender Zyniker’. Sein Geld verdiente er als Standesbeamter. Geschiedener Standesbeamter. Mehr Schizophrenie kann in zwei Worten kaum untergebracht werden.
Johannes wandte sich sofort zum Tresen, um einen Blick von Moni zu erhaschen. Moni, wie könnte eine Bedienung auch anders heißen, machte gerade ihre Blickrunde. Sie sah seinen erhobenen Daumen und ein großes, kühles Jever Pilsener war nonverbal bestellt. Johannes lächelte. Die Kneipenwelt funktionierte so herrlich einfach. Daumen hoch, Frau versteht und dient. Signalisieren, erkennen, ausführen. Ein Männerparadies.
Kai arbeitete als Automechaniker und Moni gefiel ihm. Sie war blond und drall, also genau seine Kragenweite. „Ein richtiger Feger“, dachte er und seine Gedanken wurden sportlich. Sehr sportlich. Aber noch schmerzten die frischen Wunden seiner Scheidung zu sehr und er ließ von weiteren gedanklichen Ausschweifungen ab.
Handelsvertreter Dieter sah die Welt entspannter. Geschieden ja - Kostverächter nein!
Sein Beruf brachte ihm besondere Einblicke in die Welt der Damen. Baumaschinen, Computer, Autoersatzteile - Dieter hatte schon in vielen Bereichen gearbeitet. Er war der geborene Verkäufer. Momentan machte Dieter in Unterwäsche. Damenunterwäsche. Seine Dessouspartys erwiesen sich als Renner. Zunächst berührte ihn eigenartig, wenn halb nackte Frauen um ihn herumhüpften. Leider hatten die meisten Kundinnen Dieters Dessous bitter nötig. Nachts träumte er oft von Dörrobst. Später ließ das nach.
Johannes schlürfte versonnen am Blumenrand seines dritten Biers.
„Wisst ihr was, Männer?“ Der Standesbeamte in ihm nahm zögernd sprachlichen Anlauf.
„Morgen soll ich eine Partnerschaft zwischen zwei Männern besiegeln." Johannes atmete schwer aus und nahm einen großen Betäubungsschluck zu sich. Er sah fragend in die Runde.
„Zwei Kerle?“ Kais Automechanikermentalität schlug durch. Ungläubig schaute er Johannes an. „Zwei Tucken?“ Er überlegte einen Moment. „Igitt!“
Dieter machte große Augen. „Kai, du nimmst mir das Wort aus dem Mund.“ Er schüttelte sich. Dachte nach und wiegte dann seine Hand langsam hin und her.
„Andererseits, bei zwei hübschen Mädchen, jung, willig und lesbisch ...“
Johannes lächelte in sich hinein. Im Grunde seines Herzens sah er die Angelegenheit liberal, gepaart mit einem Schuss Unsicherheit. „Das ist eine ungewohnte Situation. Ich bin seit zwanzig Jahren Standesbeamter und nun passiert so etwas! Es gibt,“ sinnierte er weiter, „für die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft noch nicht einmal einen Begriff. Wenn man die Ehe eingeht, ist man verheiratet. Aber - was sind zwei Männer in Partnerschaft?“
Dieter kratzte sich gedankenverloren am Kinn, winkte dann Moni mit dem Daumencode zu. Alkohol desinfiziert. Dieters Schalk im Nacken gebar einen Geistesblitz. „Ich habe einen Vorschlag: Zwei Gleichgeschlechtliche in Partnerschaft sind einfach: Föck“.
„Föck?“ Johannes schüttelte den Kopf.
„Ja, einfach föck. Also A schließt das Föck mit B. Und A ist föck oder verföckt mit B. Bei dir im Amt heißt es dann auch nicht, ein Paar verheiraten, sondern logischerweise verföcken.“ Dieter grinste: „Eingetragen wird dieses Föck nicht ins Heiratsbuch, sondern ins neu zu erstellende Föckbuch. Die Partner sagen dann auch nicht „das ist mein Mann“ oder „das ist meine Frau“, sie sagen einfach: Das ist mein Föck! Und am linken Ringfinger tragen beide einen Föckring.“ Dieter fabulierte weiter. „Für Jungverföckte würde es von der Wohnungsbaukreditanstalt ein Jungverföcktendarlehen geben. Eine Scheidung würde dann „Deföckierung“ heißen oder auch „Deföckation“. Geschiedene Schwule hätten dann den Familienstand „deföckt“.“
Dieter wieherte vor Freude und zischte sich einen ordentlichen Schluck vom frisch gezapften Bier hinein. Gut gelaunt prosteten die Männer einander zu.
„Nein“, sagte Johannes ernst, „Föck wäre sicherlich diskriminierend“. Obwohl sich seine innere Stimme fragte, ob ein nicht existierendes Fantasiewort wie ‚Föck’ jemanden diskriminieren konnte.
Der Männerabend näherte sich dem Ende. Kalte, klare Novemberluft schlug Johannes entgegen, als er nach den anderen die Kneipe verließ. Er dachte an den kommenden Tag. An das Föck. In Gedanken sah er sich von einem Fettnäpfchen ins nächste tapsen.
Eine merkwürdige Zeit, in der wir leben, brütete er. Männer heiraten Männer, Frauen heiraten Frauen. Normale Ehen werden geschlossen und zumeist wieder geschieden. Dennoch wollen alle verheiratet sein. Sogar Homosexuelle wollen die gleiche Chance zur Deföckation haben. Eine Grenze zu überschreiten, bedeutet nicht unbedingt, die Freiheit oder das Glück hinter dieser Linie zu finden.
Johannes bemerkte, wie „Whisky“, der Westhighlandterrier seiner Nachbarin, um die Häuserecke auf ihn zulief. „Hallo Whisky!“ begrüßte er den schwanzwedelnden Hund. Bald, dachte Johannes, werden vermutlich Menschen und Menschinnen sogar ihre Haustiere heiraten können. Oder eben Föcken.
„Whisky, willst du das Föck mit mir eingehen?“, fragte Johannes, noch leicht alkoholbenebelt, und beugte sich herunter. In diesem Augenblick kam auch Whiskys Frauchen um die Ecke und hatte die Frage sehr wohl gehört. Entsetzt erkannte sie ihren Nachbarn, der „Whisky“ liebevoll kraulte. Sie sagte nichts.
So ein Unhold, dachte sie aber, und so etwas darf Standesbeamter sein ...