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Das Experiment
Guten Abend, Herr Dr. Göbel.
Ich freue mich, Sie in unserer kleinen Reihe SUBERIUS` LITERARISCHES EXPERIMENT begrüßen zu dürfen. Und, so viel sei verraten, liebe Freunde der erhabenen Buchstabenkombinationen: Herr Dr. Göbel hat uns etwas ganz besonderes mitgebracht.
Herr Dr. Göbel?
Ja, ich danke Ihnen, Herr Suberius, für die freundlichen Worte, welche Sie zum Anlass meines heutigen Erscheinens hier gerade verloren haben ...
Oh, darf ich da gleich mal in aller Höflichkeit intervenieren? Meinen Sie wirklich, Herr Dr. Göbel, dass ich jene Worte verlor? Oder habe ich Sie Ihnen nicht vielmehr gegeben, sacht hinüber geworfen, vielleicht sogar im Bestreben, Sie Ihnen darzureichen, als Geschenk?
Nun, wenn Sie mir gestatten würden, diese Ihre Fragen zunächst einmal im Raume stehen zu lassen, damit ich meinen einleitenden Gedanken zu Ende führen kann ... also, vielen Dank und ja, sehr richtig, ich habe heute etwas dabei - um es zu spezifizieren: ein Buch. Es befindet sich hier in der Innentasche meiner Jacke und ...
... stopp, Herr Dr. Göbel, bitte achten Sie auf die Dramaturgie des Abends, wie wir sie vor dieser Sendung durchgesprochen hatten. Meine angeblich verlorenen Worte liegen und die dies bezügliche Frage steht hier zudem noch herum, und ich bitte doch sehr um die Sorgfalt und Seriosität eines sich sauber entwickelnden Ablaufes. Dass sich in Ihrer Jackentasche ein Buch befindet, ist spannend, ist eine klare Ansage und außerdem ein Tatbestand, der hier und heute noch eine bedeutende Rolle spielen wird, wenn wir dann zum Experiment gelangt sind. Lassen Sie uns nicht vorgreifen und damit fortfahren, die sich hier aufgestaut habenden Fragen zu erörtern.
So sei es, Herr Suberius, wenn´s Ihnen denn ein Anliegen ist.
Ihre eingangs geäußerten Worte sind de facto verloren. Es wird Ihnen zwar gelingen weiterhin welche zu finden - den Beweis haben Sie ja bereits erbracht - doch es wird sich nicht mehr um genau diese Worte handeln können. Versuchen Sie sich vorzustellen, Sie würden sich erbrechen. Natürlich könnten Sie, selbst wenn es Ihnen gelänge, sich das Erbrochene erneut einzuverleiben, denselben Vorgang nicht wiederholen. Ihr Erbrochenes wäre gleichsam verloren, verstehen Sie? Wäre es nun so gewesen, dass Ihr Erbrochenes mir gegolten hätte, Sie mich also volksmundartlich "angekotzt" hätten, so wäre es selbstredend an mir, hinsichtlich dieses Ereignisses eine Wertung vorzunehmen. Ich bezweifle allerdings, ob ich ein solches als Geschenk wahrnähme.
Danke, das ist einleuchtend genug und, geneigte Freunde der gehobenen Literaturizität, dieser kleinen Reihe des geistigen Austausches fraglos in vollem Umfang angemessen.
Gelangen wir jetzt aber zum kapitalen Kapitel des Abends, Herrn Dr. Göbel, dessen Buch und dem Experiment. Bitte erläutern Sie ...
Wie bereits erwähnt, habe ich ein Buch bei mir, man könnte es seiner Gestalt wegen auch als Büchlein bezeichnen, und dieses Buch wird im Mittelpunkt eines Selbstversuches stehen, welchen ich hier heute Abend unternehmen werde.
Es handelt sich im übrigen um folgendes Werk: ISBN 9783150071113.
Ich werde es jetzt aus der Innentasche meiner Jacke nehmen und im Rahmen der Versuchsanordnung auf diesen Beistelltisch an einer eigens entwickelten Vertikal-Buchhaltevorrichtung befestigen, wobei es dortselbst in einen aufgeschlagenen Zustand versetzt wird. In einer Entfernung von sieben Metern zum Tisch habe ich eine Markierungslinie auf den Boden gezeichnet. Eine weitere befindet sich auf dem Tisch selber, der Abstand zum Werk beträgt hier zehn Zentimeter.
Das ist sehr beeindruckend, Herr Dr. Göbel - aber welches Ziel liegt diesem Experiment denn eigentlich zu Grunde? Und: Haben Sie weitere Hilfsmittel? Ist es gefährlich?
Ich erhoffe mir von diesem "Versuch am Buch" ...
... wunderbar! ...
... genaueren Aufschluss zum Verständnis des Werkes an sich. Auch die offene Frage, ob eine gehörige Distanz zum Werk hierbei hilfreich sei oder die Herstellung beträchtlicher Nähe diesem Zweck dienliche Effekte zeitigte, harrt noch einer schlüssigen Antwort. Die einzig ferner benötigten Anordnungen sind meine Augen und, mit Verlaub, mein Gehirn. Und "gefährlich"? Nun, ich gestehe, ich wäre erleichtert, wenn der Versuch der Super-Distanz sich so erfolgreich gestaltete, dass sich weitere erübrigen würden ...
Wahrlich, das sind spannende, wichtige Fragen und, verehrte Rezipienten nachhaltiger Kulturkost, ich greife sicher nicht zu hoch, wenn ich ankündigen darf, dass genau diese Rätsel-Nüsse am heutigen Abend auf ihren Rätsel-Nussknacker, Herrn Dr. Göbel, treffen werden. Ich sag´ mal salopp: Legen Sie los!
Ich werde mich nun zunächst an der sieben Meter-Markierung positionieren und das Buch fest in den Blick nehmen ...
... und, was sehen Sie? Sehen Sie etwas?
Moment, Herr Suberius, Moment ...
- Ja, ich sehe das Werk dort hinten auf dem Tisch. Ich vermag allerdings nicht zu entziffern, was dort geschrieben steht. Ich schließe daraus, dass eine solch großzügig gewählte Distanz zum Werk dessen Verständnis nicht förderlich ist.
Damit ist es schon eine Frage weniger ...
Genau. Und nun bewege ich mich buchwärts zur anderen Marke hin. Jetzt erfolgt die Betrachtung aus einer Entfernung von zehn Zentimetern ...
Und ... Herr Dr. Göbel?
...
... Herr Göbel? ...
... nein. Nein. Es ist nicht möglich. Ich sehe Buchstaben, Wörter, doch in einem Maße unscharf, dass ich sie nicht lesen kann. Sie schwimmen. Sie tanzen! Ich ...
Herr Dr. Göbel, sehen Sie etwas?
Ich sagte doch schon - es ist nicht möglich. ... Bei dieser Nähe. Unfassbar!
Meine Freunde der Bücher und ihrer Staben, es ist unglaublich! Das Werk entzieht sich weiterhin des Verständnisses und das, obwohl Herr Dr. Göbel die Anordnung gewissermaßen sogar umgekehrt hat. Was für ein Buch!
Herr Dr. Göbel - ist das Experiment damit gescheitert, ist es vorüber?
Nein, Herr Suberius, wo denken Sie hin?
Es folgt nun ein dritter, letzter, radikaler Schritt innerhalb dieses Experimentes. Ich werde mir jetzt das Werk unmittelbar ins Gesicht pressen. ....
Herr Dr. Göbel ?! ...
Ja! Jaaahhhhh! - Es ist unglaublich ...!