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Das erste Fenster
>12.04.2153 21:23<
>Vorort von Danville, Ohio<
„Macht euch bereit, Männer!“
Die letzte Überprüfung der Ausrüstung, nervöses Schauen auf die Uhr, ein angespannter Scherz zwischendurch – diese Dinge gehörten für Brian zu einem Einsatz dazu. Es war wie ein Ritual, das Unglück fernhielt. Und es hat sich bisher bewährt.
Neben Brian saßen noch sechs weitere Männer im gepanzerten Polizeibus. Seine Kameraden, mit denen Brian so einige heikle Situationen überlebt hatte. Sie waren seit langem aufeinander abgestimmt und haben schon mehrmals ihre Leben füreinander aufs Spiel gesetzt. Besonders Sergeant Baker hielt immer zu seinen Männern, sowohl im Gefecht, als auch im Papierkrieg mit seinen Vorgesetzten.
„Also, - sagte er in die Runde – die Lage sieht aus wie folgt. Einige Geistesgestörte haben sich auf einer Farm eingegraben, nachdem sie dort ein paar Leute aus einem angrenzenden Städtchen ermordet haben. Die Mistkerle sind mit Flinten und Pistolen bewaffnet und weigern sich hartnäckig aufzugeben. Die Kollegen vor Ort vermuten, dass sie einige Geiseln haben und erbaten Verstärkung. Primäre Mission: Rettung der Geiseln. Sekundäre: Festnahme oder Eliminierung der Geiselnehmer. Alles klar soweit?“
„Warte, Sarge. - Slasher hob mit fragendem Gesichtsausdruck die Hand – Sollen wir sie nun festnehmen oder umnieten?“
„Die, die sich wehren, werden erschossen, die die sich sofort ergeben, werden festgenommen.“ - erklärte Sergeant Baker geduldig.
Ein erleichtertes Grinsen erschien auf Slashers Gesicht.
„Jetzt hab ich es verstanden!“ - sagte er froh.
Keiner, nicht mal Mike mit seiner großen Fresse, wagte einen Kommentar von sich zu geben. Sie wussten längst, der zwei Meter große Slasher reagiert allergisch auf alle Kommentare, wenn er eine Frage hat. Dabei war er in Kampfsituationen manchmal unersetzbar.
„Chon, du wirst zu einer Scheune gebracht, knapp 150 Meter von unserer Farm entfernt. Leg dich da auf die Lauer und stelle sicher, dass uns niemand während der Aktion abhaut.“ - fuhr Baker fort.
Der Angesprochene, ein gebürtiger Koreaner, nickte und streichelte den Lauf seines M66 Scharfschützengewehrs.
„Es gibt nur zwei Ein- und Ausgänge im Hauptgebäude, wo die Action ist. Wir teilen uns auf, Slasher und Barn, ihr greift gemeinsam mit mir die Haupttür an; Mike, Brian und Thompson, ihr werdet durch die Hintertür vorstoßen. Wir reiben sie von zwei Seiten auf, so verhindern wir, dass sie sich noch tiefer eingraben.“
Plötzlich hielt er die Hand ans Ohr und lauschte seinem Kommlink. Dann sah er wieder zu seinen Männern.
„Synchronisiert eure Komms, bleibt ständig in Verbindung, aber müllt den Kanal nicht zu. Es geht gleich los. Chon, wir setzen dich gleich ab. Gesell dich zu den anderen beiden Scharfschützen, die da bereits auf Position sind, wie ich grad gehört habe. Eure Aufgaben sind die gleichen.“
Chon nickte stumm, sein Gesicht zeigte keinerlei Regungen.
„Dann viel Glück und bis bald.“ - Baker hob die Fingerspitzen an die Schläfe und öffnete eine der Doppeltüren im Hinteren Teil des Busses. Behände und schnell sprang Chon hinaus und machte sich auf den Weg. Sofort schloss Baker die Tür wieder und der Bus setzte sich wieder in Bewegung.
Es blieben kaum mehr als 5 Minuten bis zum Einsatz. Brian hielt nervös seine Euromatic Maschinenpistole umklammert, tastete unsicher zu den beiden Colt 2101 an seinen Oberschenkeln, als fürchtete er, sie wären verloren gegangen. Der Gurt mit den Ersatzmagazinen und dem Messer war fest, der Helm und die schusssichere Weste saßen bequem – ein guter Anfang für einen Einsatz.
Kurz darauf hielt der Bus erneut und Baker riss die Doppeltüren weit auf.
„Viel Glück uns allen!“ - hallte seine Stimme Brian und seinen Kameraden in den Ohren.
Slasher und Barn rannten hinter Baker her, während Brian und Mike Thompson zur Rückseite des großen Farmgebäudes folgten. Hinten auf den Rückseiten ihrer Sicherheitswesten prahlten stolz die Buchstaben: S.W.A.T.
Das ganze Areal war von Steifenfahrzeugen umzingelt. Polizisten bewachten die Eingänge und die Fenster, das Gebäude war von ihren Scheinwerfern hell erleuchtet. Und hin und wieder sah man drinnen einen Schatten vorbeihuschen. Sowohl am Haus als auch an einigen Polizeifahrzeugen sah man Einschusslöcher, es hat also bereits einen Schusswechsel gegeben. Dann dürften die Geiselnehmer ja schon warm geworden sein...
Brian und seine Kameraden postierten sich an der Hintertür. Er und Mike flankierten die Tür und Thompson stellte sich mit der hydraulischen Ramme davor.
„In Position!“ - meldeten sie über Funk.
„Verstanden! - hörten sie Bakers Stimme – Zugriff auf mein Kommando!“
Es folgten einige schrecklich lange Sekunden, in denen die Zeit selbst zu gefrieren schien, bis Baker endlich den Befehl zum Zugriff gab.
Thompson schlug mit der Ramme hart gegen die Tür, die widerspruchslos nachgab. Mike und Brian stürmten die entstandene Öffnung, dicht gefolgt von Thompson, der die Ramme einfach fallen ließ. Sie standen in einem Korridor, der in ein Treppenhaus mündete und 2 Türen, je eine links und rechts, hatte. Mike sicherte den Raum hinter der ersten linken Tür und Brian rückte vor. „Gesichert!“ - hörte er Mikes Stimme über Kom, als er die Tür aufstieß und prompt auf zwei Männer mit Jagdgewehren in den Händen stieß, die erschrocken von den Fenstern herumwirbelten. Brian spannte seine Muskeln an und ging in die Hocke, die Mündung seiner Euromatic zeigte auf die Männer. „Keine Bewegung! - schrie er – Waffen sofort auf den Boden!“
Doch anstatt zu antworten hoben die Männer ihre Gewehre und feuerten. Brian war darauf gefasst, dass ihm Kugeln um den Kopf flogen und blieb ruhig. Dann feuerte er je eine Salve auf die Männer ab. Keine der Kugeln verfehlte, die Männer waren tot noch bevor sie am Boden aufschlugen.
„Zwei bestätigte Abschüsse. - meldete Thompson über das Komm – Ich wiederhole: Zwei bestätigte Abschüsse.“
„Wir brauchen Unterstützung im großen Wohnzimmer! - hörten sie Baker rufen – Hier ist es ganz schön ungemütlich! Kommt her, sonst verpasst ihr die Party!“
Tatsächlich hörte Brian ganz in der Nähe zahlreiche Schüsse: Pistolen, Gewehre, Maschinenpistolen, alles war dabei.
„Verstanden, Sarge. - sagte Thompson – Wir rücken vor.“
Aus dem Raum führte ein Gang mit einer Biegung. Gefahr war keine zu erkennen, aber als Brian vorstoßen wollte, tauchte hinter der Biegung plötzlich ein älterer Mann auf, der aus beiden Rohren seiner doppelläufigen Schrotflinte feuerte. Brian, der vorging, hatte keinerlei Deckung und bekam die volle Ladung ab. Gleichzeitig hatte er Mike und Thompson geschützt. Brian wurde zurückgeschleudert und schlug hart auf dem Boden auf. Mike hob routiniert seine Euromatic und jagte eine Salve durch den Angreifer, der daraufhin tot zusammenbrach. Thompson ging neben Brian in die Hocke, während Mike weiterhin den Gang sicherte.
Brian bekam es nicht wirklich mit, seine Brust schmerzte unglaublich und das Atmen fiel ihm schwer. Er konnte sich nur mit Mühe beruhigen, um nicht krampfhaft nach Luft zu schnappen. Thompson sagte etwas zu ihm, aber es klang dumpf, als befände er sich in einem anderen Raum.
„Was.. - brachte er mühsam hervor, während Thompson an den Verschüssen seiner Panzerweste herumfummelte – Was zur Hölle tust du da?“
„Warte. - sagte Thompson – Dich hat's voll erwischt, aber die Panzerweste hat fast alles abgefangen. Nur ist sie jetzt im Arsch und du blutest. Ich kleb' da nen Pflaster drauf, verpasse dir Schmerzstiller und ne Dosis Stims und dann verblutest du nicht, bis das Theater hier vorbei ist, und kannst sogar noch mitmachen.“
Mit einem Mal konnte Brian schon viel besser atmen und das Gewicht, das auf seine Lunge drückte, wurde weniger. Lediglich die Brust schmerzte noch etwas, aber das war erträglich. Thompson versorgte die Wunde und half Brian auf die Beine.
„Du kannst dich später ausruhen, wir müssen weiter!“ - sagte er.
Brian nickte mit einem etwas schmerzverzerrten Gesichtsausdruck und hob seine MP. Gemeinsam rückten sie vor. Die Schüsse wurden lauter.
„Wo zum Teufel bleibt ihr!?! - drang Bakers Stimme aus dem Kom – Wir haben hier verdammt große Probleme.“
„Wir wurden aufgehalten, sind nun aber auf dem Weg.“ - meldete Thompson.
Sie gingen um eine weitere Biegung und sahen plötzlich einer Barrikade entgegen, hinter der sich drei mit Pistolen bewaffnete Jugendliche verschanzten. Es waren fast noch Kinder, aber sie zögerten nicht ihre Waffen zu heben und das Feuer auf die Polizisten zu eröffnen. Schnell zogen sie sich hinter die Biegung zurück.
„Sarge, wir werden durch eine Barrikade aufgehalten! - rief Thompson, während Mike die besagte Barrikade unter Feuer nahm – Haltet noch etwas durch!“
Bakers Antwort war kurz.
„Beeilt euch!“
Etwas an seiner Stimme verriet ihnen, dass es um seine Lage verdammt schlimm stand.
Mike ging in die Knie und zielte um die Ecke. Die Jugendlichen wagten sich wieder aus der Deckung und feuerten, zum Glück äußerst schlecht. Mike nahm sie unter massives Feuer. Er pumpte einfach sein ganzes Magazin in die Barrikade. Die Kugeln durchschlugen die einfachen Holzbänke, -schränke und -tische mit Leichtigkeit. Die drei Teenager wurden förmlich durchsiebt. Selbst von der Barrikade war nicht viel übrig geblieben.
Die Männer rückten vor, stockten aber an den Leichen der Teenager. Was brachte diese Kinder dazu, andere zu töten? Was lief auf dieser gottverlassenen Farm ab?
Sie eilten weiter, denn die Schüsse wurden immer weniger. Brian beschleunigte noch weiter, obwohl er wusste, dass übertriebener Hast ein oftmals tödlicher Fehler war. Dennoch, er konnte nicht anders. Er musste seine Kameraden retten, die für ihn so etwas wie seine Familie darstellten. Mike und Thompson dachten wohl genauso. Die MPs im Anschlag rückten sie hastig vor.
Sie landeten in einem großen Hauptraum, wo sie viele Leichen und noch mehr Barrikaden vorfanden. Etwa fünf Männer mit Gewehren und Pistolen näherten sich vorsichtig einer Ansammlung von Kisten und verschiedenen Möbelstücken. Weitere zwei bewachten zwei Treppen, von denen eine nach oben und eine nach unten führte. Am oberen Ende der Treppe ins Obergeschoss standen auch zwei Männer mit Jagdbüchsen und visierten ebenfalls die Ansammlung der Kisten an.
„Sarge, bleiben Sie unten, wir greifen sie von der Seite an!“ - flüsterte Thompson ins Kom.
Es kam keine Antwort.
Thompson deutete per Handzeichen, dass er die Meute im Raum angreift, während Mike die Wachen an den Treppen und Brian die Männer im Obergeschoss ausschalten sollen. Auf ein Nicken hin eröffneten sie gleichzeitig das Feuer. Brian schaltete seine Ziele schnell und sauber aus, ebenso Mike. Thompson hatte dagegen mehr Ziele. Er konnte drei erschießen, als die anderen sich umdrehten und schon die drei Beamten anvisieren wollten, als plötzlich Barn von hinter einer Kiste hervortauchte und die Männer mit wenigen Schüssen aus seiner Pistole erschoss.
Brian und Mike sicherten den großen Raum. Abgesehen von ihnen und den Leichen war der Raum nun leer. Hinter den Kisten hoben sich nun Slasher und Barn empor. Sergeant Baker wurde von Slasher gestützt und blutete am Bein. Alle sahen sehr mitgenommen aus. Keiner hat mit so einem Blutbad gerechnet.
„Wir sollten den Einsatz abbrechen und uns neu formieren, bevor es zu spät ist.“ - schlug Mike energisch vor, während Thompson Bakers Wunde behandelte.
„Keine Chance! - schnitt Baker mit zusammengepressten Zähnen ab – Wenn wir uns jetzt zurückziehen, sind die Geiseln tot! Also werden wir den Einsatz nun zu Ende bringen!“
„Aber wir müssen Verstärkung holen! - sagte Mike eindringlich – Das ist kein Polizeieinsatz, das erinnert mich eher an einen Krieg!“
„Warst du schon mal im Krieg, Mike? - fragte Baker. Mike schüttelte den Kopf. - Ich dagegen schon. 115tes Infanterieregiment, Antarktis. Also belehre mich nicht über den Krieg, im Vergleich dazu spielen wir gerade im Sandkasten!“
„Also, können wir weiter?“ - fuhr Baker nach einer kurzen Pause fort.
„Kommt ganz auf Sie an, Sarge. - sagte Thompson – Können Sie laufen?“
„Ich werde laufen, mach dir da keine Sorgen, Thompson.“ - grinste Baker zurück und versuchte aufzustehen. Der Schmerz verzerrte sein Grinsen grotesk, aber Baker konnte selbstständig stehen. Mehr noch, er humpelte beim Gehen kaum.
„Weiter geht’s! - bellte Baker – Brian, Thompson, ihr sichert das Obergeschoss. Der Rest geht mit mir in den Keller!“
Brian und Thompson zögerten keine Sekunde und rannten jeder eine Treppe hinauf. Gleichzeitig näherte sich Slasher bedrohlich einer Barrikade, die eine Treppe nach unten versperrte. Kurze Zeit später waren von der Barrikade nur noch Erinnerungen übrig und der Weg in den Keller war frei. Brian sah das allerdings nicht, vielmehr erriet er es anhand des fürchterlichen Knirschens und des Geräusches von brechendem Holz. Er selbst rannte hinauf und sicherte mit Thompson einen Raum nach dem anderen: Schlafzimmer, Gästezimmer, Bad, alles leer. Im zweiten Schlafzimmer entdeckten sie eine Leiter zum Dachboden. Thompson ging vor, weil Brian keine Weste mehr hatte. Vorsichtig sah er sich auf dem Dachboden um. Wegen der engen Leiter konnte Brian nicht sofort nachfolgen und musste kurz unten warten.
„Verflucht, hier steht so viel Zeug rum, dass sich hier unser gesamtes Revier verstecken könnte. - zischte Thompson – Ich muss überprüfen, ob hier jemand ist.“
Langsam rückte er vor. Brian folgte ihm mit erhobener Waffe auf den Dachboden.
Plötzlich, wie aus dem Nichts, traf etwas Brian hart in die Seite. Er stürzte mit einem eher überraschten Aufschrei in einen Stapel Kisten. Thompson wirbelte herum, um zu sehen, wie ein stämmiger Kerl sich gerade vom Boden aufrappelte, nachdem er Brian mit voller Wucht in die Seite gerast war. Er hob seine MP, um den Angreifer niederzustrecken, aber ein anderer Mann schlich sich an ihn heran und schlug mit einem Baseballschläger hart gegen seinen Kopf. Der Helm beschützte Thompson vor dem Schlimmsten, aber er war einen Moment lang total desorientiert. Dem Angreifer reichte diese Zeitspanne, um Thompson nochmal mit einem schweren Schlag am Kopf zu erwischen. Rein instinktiv sprang er vom Angreifer weg und versuchte, seinen Verstand zu zwingen, ihm eine Strategie einfallen zu lassen. Seine Wahrnehmung klärte sich gerade schnell genug, um zu sehen, dass der Angreifer ihm mit zum Schlag erhobenem Schläger nachsetzte. Ein seit langem geübter Reflex ließ die Muskeln der rechten Hand verkrampfen, automatisch richtete er die MP auf den Mann und feuerte. Schlaff wie ein nasser Sack fiel der Mann neben Thompson auf den staubigen Boden.
Brian hatte es nicht viel leichter. Der Kerl, der ihn gerammt hatte, kam schneller wieder auf die Beine und stürzte sich sofort auf ihn. Wahrhaftig riesige Hände schlugen seine Waffe beiseite und griffen ihm an die Gurgel. Kurzzeitig blieb Brian die Luft weg. Aber er kannte ein paar nette Griffe, um sich aus einem Würgegriff des Gegners schnell und wirksam zu befreien. Schnell griff er dem Mann an die Handgelenke und drückte an bestimmten Punkten zu. Sofort lockerte sich der Griff und der Mann schrie auf. Mehr aus Zorn, denn aus Schmerz. Brian nutzte sofort seine neu gewonnene Freiheit, zog die Beine an und rammte sie seinem Gegenüber in die Brust. Der Effekt wäre der gleiche gewesen, wenn Brian ihm einen Vorschlaghammer gegen den Brustkorb geschlagen hätte. Er segelte quer durch den Raum und blieb auf einer uralten und halb verschimmelten Decke liegen. Obwohl Brian seine MP wieder aufgehoben hatte und auf den Mann richtete, sprang er wieder auf die Beine und versuchte sich wild knurrend wieder auf ihn zu stürzen. Eine Salve aus Brians Maschinenpistole gab ihm den Rest.
Schwer atmend wandte sich Thompson Brian zu.
„Was soll diese ganze Scheiße? - fragte er laut – Es kann doch nicht sein, dass nun alle in diesem Haus verrückt geworden sind! Die schlagen mit wirklich allem auf uns ein, was sie haben, als ob sie keine Angst vor dem Tod hätten! Als ob es ihre oberste Aufgabe wäre, uns umzubringen!“
„Ich habe genauso viel Ahnung, wie du. - sagte Brian. Er bemerkte auf einmal, dass seine Hände unkontrollierbar zitterten. Nur verständlich: er hatte im Verlauf der letzten Viertelstunde mehr Menschen getötet als im Verlauf seines ganzen Lebens. - Wir sollten zu den anderen im Keller stoßen. Vielleicht sind da ja noch mehr dieser Fanatiker.“
Thompson lud klickend seine Euromatic nach und schaute Brian grimmig an.
„Gehen wir!“
Gemeinsam stiegen sie wieder die Treppe runter in den Raum, wo ihre Kameraden so schwer unter Beschuss geraten sind. Auf Funksprüche reagierte niemand, aber irgendwie hatte Brian mit so etwas gerechnet. Sie folgten hastig der Treppe in den Keller. Der Keller bestand aus einem einzigen Raum, mit einer Waschküche und einer mit Gerümpel vollgestellten Ecke. Das große Loch im Boden und der selbst gegrabene Gang darunter gehörten wohl nicht zur Standard-Architektur eines Farmhauses. Brian und Thompson wechselten besorgte Blicke und dann sprang Thompson als erster in den knapp 1,30m hohen Tunnel. Brian folgte ihm sofort. Der Tunnel war dunkel, also ließ Thompson seine MP am Gurt hängen und zog einen Colt 2101 mit einer Taschenlampe. Ihr Schein war für den engen Tunnel vollkommen ausreichend. Brian behielt die Euromatic, aber wegen der Enge konnte er Thompson nicht helfen, falls es mal brenzlig werden sollte. Zumindest müsste Thompson sich dafür flach auf den Boden legen. Aber glücklicherweise interessierte sich niemand für sie. Und etwa nach einem Dutzend Metern mündete der Tunnel in eine große Kammer.
Es war kaum zu glauben, dass diese Menschen sich die unglaubliche Mühe machten, diesen Tunnel und den dazugehörigen Raum zu graben. Aber es war eher das, was sich in dem Raum befand, das den beiden Polizisten das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Überall verstreut lagen Leichen. Viele mit grotesk verzerrten Gesichtern, die Panik und Schmerz wiederspiegelten, verdrehten Gliedmaßen und einige auch mit Schussverletzungen. In der Mitte des Raums lagen zwölf Leichen in einem exakten Kreis um eine Art Altar herum. An ihren Köpfen lagen zwölf blutbeschmierte Steine, wo ganz klar war, welchem Zweck sie gedient haben. Auf dem Altar lag ein junges Mädchen, vielleicht 16 oder 17 Jahre alt. Ein antiker Dolch mit seltsamen Verzierungen steckte in ihrer Brust und Blut tropfte vom Altar. An der gegenüber liegenden Wand war ein Bild zu sehen. Es zeigte Berge aus Lava, Menschen, die einem Dämon mit einem weißen Banner folgten und gierig danach griffen, einen anderen Dämon, der über ein dunkles Meer in einem Boot fuhr, um weitere weinende und klagende Menschen vom brennenden Ufer an ein anderes zu bringen. Die Hölle.
Unter den Leichen waren auch die restlichen Mitglieder des S.W.A.T.-Teams, mit scheußlichen Wunden. Mike lag mit aufgeschlitzter Kehle da, Slasher und Barn schienen mit langen scharfen Waffen zerfetzt worden zu sein. Baker lag mit dem Gesicht nach unten und wies keine Wunden auf. Sofort drehte Thompson ihn auf den Rücken und fühlte seinen Puls, wandte sich aber kurz darauf wieder von ihm ab. Baker war tot..
Brian unterdrückte den Bruchreiz und sah zu Thompson. Er war genauso geschockt und bleich wie ein Leichentuch. Brian war sich sicher, dass er nicht anders aussah. Er war wie paralysiert, unfähig seinen Blick von dem grauenvollen Schauplatz abzuwenden. Erst nach einer Weile war es Thompson, der wieder etwas tat: er aktivierte sein Komm und rief mit brüchiger Stimme nach Verstärkung.
„Basis, hier spricht Officer Thompson! Officer am Boden, ich wiederhole Officer am Boden! Wir brauchen dringend Verstärkung und medizinisches Personal! So schnell wie möglich!!!“
„Wiederholen Sie, Officer. - sagte eine ruhige Stimme auch in Davids Komm – Ihr Signal ist sehr schwach, wiederholen Sie Ihren letzten Funkspruch.“
„Officer am Boden! - rief Thompson ins Komm. - Können Sie mich hören, Basis?“
„Ich kann Sie nicht hören, Officer. - sagte jemand am anderen Ende der Leitung – Die Verbindung bricht zusammen! ...“
„Antworten Sie mir, verdammt!!!“ - brüllte Thompson ins Komm, aber niemand tat es. Das Komm empfing nur Rauschen.
Während Thompson Brian einen verzweifelten Blick zuwarf, hörten sie auf einmal ein Geräusch. Zuerst wirbelten sie herum und hoben ihre Waffen, aber als ihnen klar wurde, was sie da hörten, konnten sie kaum die Panik in sich unterdrücken.
Das Mädchen auf dem Altar, das tot zu sein schien, bewegte sich. Ihre Finger strichen über den rauen Stein, auf dem sie lag. Ihr Kopf rollte an die Seite und hing seitlich vom Altar herunter. Ihre toten Augen starrten die Polizisten an, die direkt vor ihr standen. Ihr blutüberströmter Mund öffnete sich und sie...
... lachte.
Ein tiefes kehliges Lachen drang aus ihrem einst zierlichem Mund und wurde immer lauter, bis es wie Donner durch die Kaverne polterte und die Polizisten beinahe ihre Waffen sinken ließen.
Und dann sprach sie.
„Euer Ende kommt! Das Ritual der Dreizehn Seelen wurde vollzogen und die Ordnung eurer Welt ist am Abgrund. Wie ein Wassertropfen sich langsam seinen Weg durch Tausend Jahre altes Gestein bohren kann, so war dieses Ritual der erste Tropfen, der die erste Bresche in die Mauer aus Licht schlug. Noch viele werden folgen und irgendwann wird die Mauer bersten. Mord und Totschlag, Wahn und Verblendung, Habgier und Sadismus weniger werden das Ende aller herbeiführen. Die Rechtschaffenen werden kämpfen, doch werden sie damit das Ende nur beschleunigen. Ihr Kampf ist sinnlos, denn sie werden leiden. Ihr Leiden ist sinnlos, denn sie werden sterben. Ihr Tod ist sinnlos, denn sie werden vergessen werden.
Jeder Tod eines Kindes Gottes bringt die Herrschaft der Kinder des Unheiligen näher. Jeder Gefallene wird auferstehen und seine Kameraden töten. Sie werden aufstehen und andere töten. Und so wird es weitergehen, bis die Welt sich rot färbt vor Blut. Und es wird keine Unschuldigen geben, denn alle werden Schuld auf sich laden.
Dreizehn Fenster in die Welt hinter der Mauer werden sich öffnen, ehe das Ende kommt. Die Menschen werden sehen, was sie erwartet, und sie werden sich fürchten. Sie werden schreien, weinen und wehklagen und nach ihrem Gott rufen, doch er wird nicht da sein. Und nachdem das Dreizehnte Fenster sich geöffnet hat, werden sie die Wahrheit erkennen, um kurz darauf in den Feuern der Hölle zu verenden. Und die Wahrheit wird mit ihnen sterben.“
Das Bild hinter ihr erwachte plötzlich zum Leben. Die Menschen wanden sich vor Schmerzen und die Polizisten konnten ihre Schreie hören, die das schrecklichste waren, was sie jemals gehört haben. Der Dämon mit dem Banner wedelte damit und lachte laut. Die Menschen hinter ihm folgten verblendet dem weißen Tuch, stießen einander zur Seite, liefen über Gestürzte einfach drüber, schlugen sich, zogen sich an den Haaren. Und jeder von ihnen schrie:
„Ich, ich habe es verdient!!! Es gehört mir!!!“
Eine ungeheure Hitze ging von dem Bildnis auf. Die Lava floss in Flüssen und Schweiß rann den beiden Männern in Sturzbächern herunter. Der Dämon im Boot ließ gerade wieder Menschen einsteigen und lächelte sie hämisch an. Dann legte er ab und fuhr auf die andere Seite des Meeres, wo es seltsam ruhig aussah. Am Ufer blieben die Menschen zurück, die verzweifelt um die Überfahrt flehten und bettelten. Gemächlich paddelte der Dämon mit seinem Boot über das Wasser und die Menschen in dem Boot freuten sich, als wären sie gerettet. Doch dann, in der Mitte des Gewässers, schwebte der Dämon mit seinen Flügeln in die Höhe, packte das Boot und schüttelte die Menschen heraus ins Wasser, wie man Kakerlaken aus einer alten Dose schüttelt. Die Menschen schrien und flehten um Gnade, doch der Dämon lachte nur. Dann, als die Menschen elendig ertranken oder mit letzter Kraft ans Ufer schwammen, jedoch nur um von den verzweifelten Massen wieder ins Wasser gestoßen zu werden, brachte der Dämon sein Boot wieder zu Wasser und paddelte wieder zurück. Und es ging von vorne los.
Wie gebannt starrten die beiden Männer das Bild an, das mittlerweile zu einem Film geworden war. Und langsam dämmerte es ihnen, was sie da vor sich sahen: die Hölle. Die Unterwelt. Die andere Seite. Und damit die logische Schlussfolgerung:
Das erste Fenster war geöffnet!
Und das Mädchen sprach weiter:
„Kain hatte seinen Bruder umgebracht und genauso wie er werden seine Kinder morden und totschlagen. Nicht nur ihre Brüder, sondern jeden, der sich ihnen in den Weg stellt und danach die, die es aus Furcht oder Selbstsucht nicht gewagt haben. So wie Kain der erste Mörder war, werden Kains Kinder die letzten Mörder auf der Welt der Menschen sein.“
Eine dunkle Gestalt mit breiten Flügeln erschien auf einmal am Rand des Bildes. Sie wurde immer größer, bis sie die ganze Wand ausfüllte. Brian und Thompson rochen den schweren Gestank nach Tod und Verwesung. Dann begann die Gestalt mit krallenbewehrten Händen aus der Wand zu klettern.
Thompson reagierte als erster. Er hob seine MP und feuerte im Dauerfeuer auf die Gestalt, schrie und fluchte laut. Auch Brian griff zu seiner MP und feuerte. Ein Kugelhagel regnete auf die Gestalt nieder, doch sie ließ sich nicht stören. Die Kugeln drangen in sie ein, hinterließen aber keine Schäden oder überhaupt Spuren. Sie schob nun ihre ebenfalls klauenbewehrten Beine durch das Fenster und stellte sich vor die Polizisten, mit ihrer breiten Gestalt das Fenster hinter sich verdeckend. Thompson hatte nachgeladen und pumpte nun das zweite Magazin in dieses dämonische Biest rein. Auch Brian schoss weiter, doch begann er nun langsam zurückzuweichen. Er hoffte inständig, dass Thompson klug genug sein würde, nun zu verschwinden. Das heißt, falls es überhaupt noch möglich war.
Die Gestalt sprang auf einmal auf Thompson zu. Klauen blitzten kurz auf und im nächsten Moment spritzte Blut. Thompson stand mit aufgeschlitzter Kehle da und rang schrecklich gurgelnd nach Luft. Mit schnellen Schlägen trennte der Dämon ihm noch die Arme ab, dann griff er den noch lebenden Thompson und schleuderte ihn durch das Fenster hinter sich. Er nahm dann seine Arme und warf sie ihm einfach hinterher.
Die ganze Zeit hatte Brian nicht aufgehört zu schießen. Als er die MP leergefeuert hatte, nahm er seine Pistolen, doch bald waren ihre Magazine auch leer. Er entschied sich nicht nachzuladen, ließ sie fallen und zog sein Kampfmesser. Doch der Dämon war schneller. Sein Angriff war wie eine fließende Bewegung in den Schatten. Brian hat ihn nicht mal gesehen. Er fühlte bloß die Kälte, die sich mit einem Mal in seinem Bauch ausbreitete. Erst dann realisierte er, dass die Klaue des Dämons tief in seiner Bauchdecke steckte und sein Blut ihm den Arm herunter rann. Dann setzte der Schmerz ein. Brian schrie auf, ließ das Messer fallen und griff sich an den Bauch. Doch der Dämon ließ ihm keine Ruhe. Er riss seine Klaue mit Fleischfetzen aus Brians Bauch und schlug ihn ins Gesicht. Etwas knackte fürchterlich. Weitere Schläge folgten, bis Brian dem Tode nahe auf dem Boden lag. Doch kurz bevor der Dämon zum letzten Schlag ausholte, hörte er etwas und hielt inne. Auch Brian hörte es. Stimmen hallten durch den Tunnel, Lichtstrahlen von Taschenlampen durchbrachen die Dunkelheit. Ein zweites Team hatte den Tunnel im Keller entdeckt und eilte ihnen zu Hilfe. Trotz des nahenden Todes und der Schmerzen kämpfte Brian sich ein triumphierendes Lächeln ab. Doch der Dämon war keineswegs eingeschüchtert. Er grinste Brian böse an und dann begann sein Körper sich zu verändern. Die Flügeln und die Klauen verschwanden, seine Gestalt wurde kleiner, Haare wuchsen ihm, Kleidung erschien aus dem Nichts. Nur wenige Augenblicke später sah er haargenau aus wie....Thompson!
Nun konnte Brian sehen, dass das Bild hinter ihm zum Stillstand gekommen ist. Das Fenster war wieder verschlossen. Dann sah er das Gesicht des falschen Thompson über ihm knien. Er hielt den Ritualdolch in der Hand. Dann packte er einen toten Kultisten, drückte den Dolch in seine Hand, zog seine Pistole und feuert mehrmals auf seinen Kopf.
„Officer am Boden!“ - schrie er mit Thompsons Stimme, aber Brian erkannte, dass es nicht der Thompson war, den er kannte.
Dann warf er Brian einen allerletzten Blick zu, voller Bosheit und Hass, bevor gnädige Dunkelheit diesen umschlang und den Schmerz dämpfte. Er spürte nichts mehr, hörte nichts mehr. Nur Stille und Dunkelheit, die ihn umringten.