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Das Ente- Schild
Der nächste fuhr wie ein Walross, dem plötzlich Räder gewachsen waren; doch das machte keinen Unterschied.
Ich schickte ihm Nummer sechs entgegen, und er zögerte nicht, sie gemessen in Empfang zu nehmen.
„Gemessen“- das heißt nicht etwa gewöhnlich oder irgendwie langweilig...normal; denn so war es nicht.
Es war nicht normal.
Die Nummer sechs, die letzte von allen, freundete sich mit dem Wind an, und lauschte seinen Ratschlägen.
Erst dachte ich, sie wolle stiften gehen, wolle sich in einer nicht nachvollziehbaren und wirren Kurve verliehren, ohne jemals wieder gesehen zu werden.
Doch das war falsch.
Sie ließ sich vom Wind nehmen und ließ sich von ihm verwirrende Flausen in den Kopf setzen, letztenendes erreichte sie dann doch das Ziel, nach dem ich sie geschickt habe.
Damit meine ich, natürlich, das Walross, dem plötzlich Räder gewachsen waren.
Bevor meine Nummer sechs seinen Kapriolen ein Ende setzte, schien er mit der Lenkstange zu ringen, wie mit einer wild gewordenen Boa.
Er riss sie hin und her.
Das lag wohl am weichen Boden, den ich zwecks der Glaubwürdigkeit mit allerlei Zutaten gewürzt habe, die eine verlassene Seitenstraße durch den Wald, für gewöhnlich ausmachen:
Laub, Dreck, Scheiße.
Am Straßenrand (sollte jemand mal behaupten, das Ding sei ‘ne Straße- ich würd ihn erst auslachen, dann abknallen) hatte ich alle paar zehn Meter einen Pflock in die Erde getrieben, und daran je ein Schild befestigt.
Jedes dieser Ente- Schilder sollte dafür sorgen, dass sich meine kleinen Freunde nicht als das fühlten, was nämlich angemessen wäre:
Naive Frischluft- Deppatte, die schon ‘nen Hautausschlag bekommen, wenn sie auch nur ein grünes Bild sehen.
Damit meine ich natürlich: Trottel aus der Stadt.
Wie dem auch sei; die Schilder taten ihren Dienst, und sorgten dafür, dass alle paar Tage mal jemand bei mir vorbeischaute, dem ich dann nach Herzenslust ‘ne Kugel zum Gruß entgegen schicken konnte.
So saß ich also auf meiner Veranda, inhaliere das Zeug, das ich mir selbst im Garten anbaue, und wartete auf den nächsten Deppen, der auf meine präparierte Straße hereinfiel.
Sie schauen immer recht verblüfft, wenn sie in meinen Garten reinfahren; in etwa so wie jemand, der bemerkt, dass Schokoladeneis in Wirklichkeit bloß gefrorene Scheiße ist.
Nachdem ich das fahrende Walroß abgeknallt hatte, fühlte ich mich irgendwie schwermütig.
Ich fühlte tief in mich rein, um sicher zu gehen, ob es nicht doch Gewissensbisse waren.
Ich sah nach dem fremden Jungen, der in meinem Garten lag, zwischen all den Blüten und Pflanzen; wie ein bizarres Gewächs.
Die Lenkstange hielt er noch im Tod umklammert, die Kette war so rostig- braun, wie frische Blumenerde.
Die Gliedmaßen lagen einfach so herum, als hätte man ihm die Fäden durchgeschnitten; das war die unmißverständliche Optik des Todes.
Nummer sechs hatte ganze Arbeit geleistet.
Da viel es mir ein- Nummer sechs!
Ich musste aufstehen, und neue Kugeln holen, für die leere Trommel meiner alten Kanone.