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Das Ende von Eden
Alles war perfekt!
Endlich.
Ich war durch die Hölle gegangen. Ich hatte unzählige Tränen vergossen. Hab' gezweifelt, geschrien, doch das lag nun alles hinter mir.
Es war vorbei!
Endlich war ich angekommen.
Mein Blick ging aus dem großen Fenster und betrachtete das saftig, grüne Blätterdach des Ahornbaumes, der im Hof stand. Die Zweige neigten sich leicht in der lauen Brise. Es war ein herrlicher Tag. Der Sommer war meine liebste Jahreszeit. Alles war einfach perfekt.
Ich hätte mir mein Leben nicht besser erträumen können. All das, wofür ich gekämpft hatte war es wert gewesen. Nun war ich glücklich und vollends zufrieden. Es war ein tolles Gefühl, so ausgeglichen zu sein und sich so geborgen zu fühlen. Ich freute mich auf jeden einzelnen Tag, der vor mir lag. Freute mich auf jeden Moment, den ich meiner eigenen, kleinen Familie widmen konnte.
Franziskas schrilles Lachen, schmerzte fast in den Ohren, bevor es in ein gackerndes Kichern unterging. Ich riss mich vom fabelhaften Anblick los, der hinter dem Fenster lag und widmete meine Aufmerksamkeit unserm kleinen Mädchen.
Dieses lag schreiend vor Vergnügen und wild strampelnd auf dem Boden und versuchte dem riesigen Mann zu entkommen, der wie ein Hüne über ihr thronte.
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber ich wusste, dass er ebenso ein breites Lachen auf dem Gesicht hatte, wie das Mädchen, das er gerade kitzelte. Seine großen Hände machten auf dem ersten Blick den Eindruck, als könnten sie die feinen Gliedmaßen der Dreijährige mit Leichtigkeit zerdrücken und doch, ich wusste, es konnte gar keinen besseren Vater geben.
Er liebte sie abgöttisch, so wie er mich liebte.
Ich hätte vor all dem Glück, dass mich erfüllte weinen können, während ich den beiden lächelnd zusah. Ich konnte nicht in Worte fassen, wie ich mich fühlte. Es gab keine Worte, die es beschreiben konnten.
Ich war in Eden.
„MAMAAA!“ Franziska schrie mehrmals nach mir, als sie sich meiner Anwesenheit bewusst wurde, zwischen dem unendlichen Gekicher. „MAMAAAAA!“
„Machst du das noch einmal!“, fragte Christian mit seiner tiefen Stimme und gespielter Ernsthaftigkeit.
„NEIN!“, keuchte die Kleine zwischen ihren Lachen hindurch. „NEEEEEIN! PAPAAAA! HÖR AUF!“
Der Große lächelte triumphierend und gewährte ihr diesen Wunsch. Er hob das Mädchen mit Leichtigkeit hoch, während er sich aufrichtete, hielt sie auf Augenhöhe und küsste sie liebevoll, bevor er Franzi auf seinem Arm absetzte.
Die Dreijährige verzog das Gesicht, als wischte sich mit der Hand über die Wange, an der der Bart ihres Vaters sie gekitzelt hatte.
Ohne Umwege, kam Christian schlendernd und mit diesem unverschämt, charmantem Grinsen zu mir herüber, beugte sich herab und gab auch mir einen Kuss auf die Stirn.
Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, doch ich genoss diesen Augenblick in vollen Zügen, während mir ganz warm ums Herz wurde.
Nein, es gab keine Worte, um mein Glück zu beschreiben.
„Was für ein herrlicher Tag, draußen!“, sagte Christian und stellte Franzi auf der Fensterbank ab, um mit ihr gemeinsam aus dem Fenster zu sehen.
Ich strich dem Mädchen die blonden Locken aus dem Gesicht und seufzte bestätigend.
„Sollen wir noch ein wenig 'raus gehen, mit der Kleinen?“
„Es gibt bestimmt bald essen!“, meinte ich verneinend, weil ich es unangebracht fand, nach einer Einladung meiner Oma mich mit ihrer Urenkelin zu verdrücken.
„Nein, das Essen dauert doch noch“, widersprach Chris, der nicht gemerkt hatte, worauf ich wirklich hinaus wollte, „oder Helga?“ Er hatte die Stimme erhoben, dass auch meine Großmutter, die auf der Terrasse Kartoffeln schälte ihn hören konnte.
„Ihr könnt ruhig noch Spazieren gehen!“, meinte meine Oma heiter und spielte Christian den Ball zu.
„Na siehst du!“, sagte er strahlend, setzte sich die quietschende Franzi auf die Schultern, und griff mit der Linken nach meiner Hand, „dann kannst du mir mal zeigen, wo du dich hier früher so herumgetrieben hast.“
Ich konnte und wollte ihm gar nicht widersprechen. Natürlich, mein Gewissen hatte mich zurückgehalten, doch an diesem wunderschönen Sommertag trieb es auch mich hinaus und so ließ ich mich von Christian hinter herziehen.
Dieser musste sich bücken, um mit Franziska zusammen durch den Türrahmen zu passen. Er musste schon ohne die Dreijährige auf den Schultern zu haben, den Kopf einziehen, doch nun ging er fast in die Hocke.
Ich unterdrückte ein Kichern und folgte ihm anschließend die Terrassentreppe hinab auf die Wiese hinterm Haus. Christian legte seinen freien Arm um mich und zog mich naher heran. Ich umarmte ihn liebevoll, schmiegte mich an seinen Körper und sog seinen vertrauten Duft ein.
Wie sehr ich diesen Mann liebte!
„Wär' ja auch eine Schande, diesen Tag ungenutzt verstreichen zu lassen“, sagte er, nahm Franzi sein Basecap ab und setzte es sich wieder auf den Kopf. „Wer weiß, wie viele solche Tage uns noch bleiben vor der Tour.”
Meine Stimmung verfinsterte sich ein wenig. Kaum mehr zwei Wochen und ich würde Christian wieder missen müssen.
Er war Musiker, mittlerweile sogar national erfolgreich und verbrachte viel Zeit mit seiner Band. Während er weg war, war ich immer mit der Bekämpfung meiner eigenen Dämonen beschäftigt. Christian mit anderen teilen zu müssen, ihn mit anderen Frauen teilen zu müssen, gefiel mir nicht.
Ich zweifelte keinen Moment, an seiner Treue oder Loyalität. Doch die dunklen Schatten waren immer hinter mir, auch wenn mir die Wahrheit noch so bewusst war.
Ich hatte gelernt mich an das Gefühl zu gewöhnen. Es war einer der vielen Kompromisse, die ich eingehen musste um mein Eden zu erreichen. Kein Paradies, der Welt war umsonst. Es kostete Zeit, es kostete Schweiß, Blut und Tränen.
Doch wir hatten es erreicht, gemeinsam erreicht.
Zweifellos, war seine Popularität und die Beliebtheit beim anderen Geschlecht nicht das Einzige Hindernis gewesen. Ich war Christian in seine Heimat gefolgt. Hatte meine Freunde, meine Familie, alles was mir lieb war aufgegeben, weil er es aus beruflichen Gründen nicht konnte.
Ich hatte ihn verteidigt, vor allen, die meinten eine Beziehung mit einem siebzehn Jahre älteren Mann würde nicht funktionieren. Ich hatte ihre Schandmäuler geschlossen, denn nun waren wir glücklich – seit vier Jahren schon.
Ich war angekommen: in Eden.
Er riss mich aus den Gedanken, als er sich von mir löste, um Franzi von den Schultern zu nehmen. Er setzte unsere kleine Tochter behutsam auf dem Boden ab, nahm ihr erneut sein Basecap aus den Händen, um es sich verkehrt herum auf den kahlen Schädel zu setzten, und forderte Franzi auf Blumen für mich zu pflücken.
Die Dreijährige klatschte erfreut in die Hände und begann die Köpfe von Margeriten von den Stängeln zu sammeln, während ich sie lächelnd beobachtete. Christian tat es mir gleich, einen Moment lang, dann kam er verführerisch zwinkernd auf mich zu und zog mich in seine Arme.
„Hier war ich als Kind oft“, erklärte ich ihm und sah zu ihm hinauf, „an dem kleinen Bach dort hinten, haben wir immer Kaulquappen gefangen.“
„Hach, das Leben auf dem Land muss herrlich sein“, sagte er theatralisch und drückte mich liebevoll.
„Das ist es! Und es ist...“ Ich kam nicht dazu, meinen Satz zu beenden, weil sich seine Lippen zärtlich auf meine legten und ich mich nicht dagegen wehrte.
Ich genoss seine Liebe und die Sanftheit, die man ihm nicht direkt ansah, erwiderte seine Zärtlichkeit und vergaß für einen Moment lang die Welt um mich herum.
Es gab nur ihn, Franzi und mich: meine kleine Familie.
Franziska schrie laut und stapfte mit den Füßen auf. Ich löste mich lachend, von dem Mann, den ich liebte um amüsierte mich über den wütenden Blick unserer Tochter. Schon seit einiger Zeit, benahm sie sich eifersüchtig, wenn sie sah, dass wir uns küssten. Es war eine Phase, die keiner von uns beiden wirklich ernst nahm.
Christian riss die Augen auf, spitzte die Lippen und näherte sich mir, ohne den Blick von Franziska abzuwenden. Die Dreijährige kreischte ohrenbetäubend, versuchte sich zwischen uns zu drängen und brachte somit mich, wie auch Christian zum Lachen.
Er ließ mich los und begann Franzi abermals zu kitzeln, bis diese erschöpft ins Gras sank und ließ sich dann neben sie plumpsen. Franziska nutze die Gelegenheit und setzte sich tollpatschig auf Christians Bauch, der ein schmerzhaftes Ächzen von sich gab. Dann begann sie damit, erbarmungslos die weißen Blütenblätter von den gesammelten Margeritenköpfen zu zupfen.
Sie beide gaben einen göttlichen Anblick ab.
Christian streckte den Arm aus und forderte mich mit einem Nicken auf, darin Platz zu nehmen. Darum musste er mich nicht zweimal bitten. Ich kuschelte mich in seine Arme und schloss die Augen vor dem grellen Sonnenlicht und lauschte ihren Stimmen.
„Nicht so“, sagte die tiefe Stimme meines Mannes. „Eines nach dem anderen... Genau. Sie... Nein, er liebt dich – von Herzen – mit Schmerzen – ein Wenig – oder gar nicht. Er liebt dich – von Herzen“
„Meinst du nicht, dafür ist sie noch ein bisschen klein?“, fragte ich Christian amüsiert, als Franziska versuchte ihm nachzubrabbeln.
„Damit kann man nie früh genug anfangen!“, versuchte er zu kontern und lehnte sich zurück.
„Ich erinnere dich daran, wenn sie mit ihrem ersten Freund nach Hause kommt!“
Sein tiefes Brummen, quittierte seinen Unmut und ich lachte leise darüber.
Die Sonnte schien auf uns herab und machte mich träge und schläfrig. Ich hörte Franzis leises Singen, während sie mit den Blüten spielte. Es wurde begleitet von dem Zwitschern der Vögel und dem Zirpen der Grillen. Ein sanfter Wind wehte über die Wiese und machte das Bad in der Sonne erst richtig angenehm. Es war ein Paradies auf Erden. Ich war wahrlich in Eden...
„Franziska!“
Christian schreckte aus dem Schlaf und sprang so plötzlich auf die Füße, dass er auch mich aus dem weckte. Einen Augenblick lang war ich zu verwirrt und geistig noch zu fern, um das hier und jetzt zu erfassen.
„Franzi?!?“
Ich setzte mich auf, ließ meinen Blick über die sonnenbeschienene Wiese gleiten und da kam die Erinnerung zurück.
„Franzi?!?“ Die Panik in Christians Stimme jagte mir Angst ein, als ich begriff, dass auch er weggenickt sein musste.
„Franziska?!?“
Als ich mich erhob, war er schon einige Meter von mir entfernt, und begann die Böschung hinaufzulaufen, die zum Haus meiner Großmutter führte.
Ich war wie gelähmt vor Angst, konnte kaum meinen eigenen Herzschlag fühlen, sondern nahm nur das plötzliche Zittern meiner Hände wahr, während ich den Atem anhielt und darauf hoffte, dass Christian sich umwenden und 'Alles ok', rufen würde. Doch wenige Augenblicke später war er aus meiner Sichtweite entfernt. Aus der Ferne konnte ich noch seine Rufe hören, während ich meinen Blick ängstlich über das kniehohe Gras schweifen ließ.
Und da war sie: eine Spur.
Ich musste all meinen Mut zusammennehmen um ihr zu folgen und ich war nur wenige Meter gegangen, als meine Schritte langsamer wurden. Ich wusste, wohin sie mich führen würde und ich betete darum, dass es die Fährte eines Tieres war, das vielleicht vor uns hier lang gelaufen war.
Plötzlich war es still um mich herum. Zumindest drang kein Laut mehr an mein Ohr. Ich hörte nur noch das Rauschen meines eigenen Blutes, das schnelle Herzklopfen in meiner Brust und mein Atem, der stoßweise ging. Mit jedem weiteren Schritt, begann mein Körper mehr zu zittern, bis er fast gänzlich aus Angst bebte.
Vor meinen Augen lichtete sich das Gras, gab den Blick auf einen Graben frei, der kaum breiter, als Christians Schultern war. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich auf dem Wasser wie Diamanten. Glänzten fast so sehr, wie die goldenen Locken, die reglos auf der Wasseroberfläche trieben.
Mein Herz schlägt, doch es lebt nicht mehr.[1]
Dies war das Ende von Eden.
[1] Eiszeit – Eisbrecher, Album: „Eiszeit“