Das Ende des Sturms
Die Cadea wurde im Jahre 1122 zusammen mit ihrem Schwesterschiff Ardona erbaut. Wenige Jahre bevor Vilar Nemesh’s Stern zu sinken begann und mit ihm die ganze Firma in eine Krise schlitterte. Viele halten den Bau dieser beiden größten Passagierliner die das Imperium je gesehen hat für den Grund der Krise. Doch ich glaube das nicht, denn beide Schiffe warfen die ganze Zeit Gewinn ab. Das lag vor allem daran weil sie nicht nur Passagiere der 1. und 2. Klasse sicher befördern konnten, sondern auch der 3. und 4. (...) Der Mythos um die Cadea baute sich erst später auf, als sie das Wrack der Donner fand, was das Ende einer Angsterfüllten Zeit bedeutete.
- Aus ‚Die Rettung’ von Rinon LiKaremon
Die Brücke der Cadea war riesig. Viel geräumiger als bei Kriegsschiffen oder Frachtern. Nicht selten wurden Gäste heraufgeführt um zu sehen wie so ein Schiff funktionierte. Darum herrschte auch hier die barocke Pracht die sich durch das ganze Schiff zog. Wenn sie auch um einiges funktionaler gehalten war.
Derzeit gehörte das Schiff völlig Renor Mira Alanin. Es war ihre Schicht, Skip Jensin LiChakel schlief in seiner Kabine, wie auch die meisten Gäste. Sie befanden sich auf einem Routineflug von Uria, einer Kronwelt in der Nähe des Chrochtetats, nach Centrom und waren gut gefüllt. Für die 133 Lichtjahre die zwischen diesen beiden Welten lagen brauchte sie viereinhalb Tage. Zwei hatten sie bereits hinter sich gebracht. Es war der 3. Oktober des Jahres 1160 nach dem Fall der Menschheit.
Alanin lehnte sich in ihrem ziemlich bequemen Kommandantensessel zurück und entspannte sich. Sie liebte die Schichten auf der Brücke. Keine Berichte, die geschrieben werden mussten, keine repräsentativen Aufgaben. Sie musste einfach nur da sein. Für den Fall der Fälle.
Der Fall trat ein als der Alarm durch die Brücke schrillte.
„Was ist passiert?“, wollte Alanin wissen.
„Unser Schild ist plötzlich auf dreißig Prozent abgesackt, Renor“, sagte der Chefingenieur. Ein neuer Alarm gellte. „Zwanzig Prozent“, verbesserte er sich.
Entsetzt sank Alanin in ihrem Sessel zusammen. Das Schild der Cadea war stark. Das es so schnell runtergeholt wurde konnte nur den Einsatz sehr schwerer Waffensysteme bedeuten. Etwas in der Größenordnung eines EM-Geschützes und mehrerer Plasmastrahler. Auf jeden Fall nichts gegen das sie etwas entgegenzusetzen hatten.
„Den Schild senken“, befahl sie eine Handlung, die überall in der Galaxis als Zeichen der Kapitulation verstanden wurde. „Ruft den Skip.“
Kaum das sie die Worte gesprochen hatte betrat LiChakel schon die Brücke. Natürlich war der Alarm auch in seinem Quartier zu hören gewesen, aber nie und nimmer so schnell kommen können. Er musste den Angriff erwartet haben.
Ihm folgten ein Lotek-Söldner namens Nai Corron, der völlig unnötig eine Sonnenbrille trug, und Tanirja, dessen Mündel. Sie hatten sich vor ein paar Monaten auf der Cadea eingenistet und seither kaum ihre Suite verlassen. Umso überraschter war Alanin, dass die Beiden jetzt die Brücke betraten. Vor allem bei Tanirja. Sie war ein sechzehnjähriges unschuldiges Ding mit großen treuherzigen Augen. Sie sollte jetzt nicht auf der Brücke sein. Nicht bei dem was aller Voraussicht nach geschehen würde.
„Was ist geschehen?“, wollte LiChakel wissen.
Alanin erklärte es ihm.
„Wissen wir schon wer uns angreift?“, fragte er weiter.
„Wir haben die Signatur, aber in unseren Datenbanken findet sich kein Schiff dazu.“
„Zeigt mir das Schiff.“
Auf dem Hauptbildschirm baute sich das Bild auf. Das Schiff war aus den Teilen wiederverwerteter Wracks gebaut. Das Heck stammte von irgendeinem Kriegsschiff der Betsai. Der vierhundert Meter breite Hammerkopfbug eines imperialen Delta IV-Kreuzers bildete die Nase dieses Schiffes. Aber der Mittelteil war das Besondere. Kein bekanntes Volk baute noch Schiffe in diesem Design. Die Menschen hatten einst solche Schiffe gebaut. Vor dem Fall. Was auch immer es jetzt für eine Funktion hatte, einst war es der Hangar eines Superzerstörers der Baphometh-Klasse gewesen.
„Das ist die Donner“, sagte Corron. „Es ist soweit.“
„Warum rufen sie uns nicht?“, fragte LiChakel
„Das gehört zu seiner Taktik“, erwiderte Corron. „Wir sollen erst einen falschen Eindruck bekommen. Er ruft uns in drei, zwei, eins.“
„Wir werden gerufen“, meldete die Kommunikationsoffizierin und Corron lächelte.
„Auf den Schirm. Zeigt ihm nur mein Gesicht“, befahl LiChakel.
Das Bild der Donner machte dem Gesicht des Sturms platz. Er sah absolut nicht nach der größten Bedrohung für das Imperium aus. Vielmehr wirkte er wie der freundliche Nachbar von Nebenan. Ein Mensch dem man unter allen Umständen vertrauen wollte.
„Ich bin Skip ...“, begann LiChakel und wurde jäh vom Sturm unterbrochen.
„Komm schon Nai“, sagte dieser. „Zeig dich. Ich weiß das du da bist. Ich kann dich fühlen.“
LiChakel warf Corron einen fragenden Blick zu. Dieser Stellte sich vor Tanirja, dann gab er mit einem Nicken sein Einverständnis.
Der Sturm lächelte breit und freundlich als er seinen Erzfeind sah.
„Nai, Nai, Nai“, sagte er. „Wie lange versuchst du schon mich zu töten? Fünfundvierzig Jahre? Du hast mich unter anderem ins Vakuum gestoßen und deine letzte Tat war meine Fähre mit DL zu beschießen. Ein paar meiner besten Freunde bilden jetzt einen Wasserstoffnebel aber ich lebe immer noch!“ Während der ganzen Zeit sprach er freundlich und ruhig. Selbst seine Stimme flößte Vertrauen ein. „Und jetzt kommst du mit diesem lächerlichen Passagierschiff. Nenn mir bitte einen Grund warum ich es nicht in Staub verwandeln sollte.“ Selbst jetzt sprach er noch freundlich. Auch wenn eine leichte Schärfe in seiner Stimme lag.
„Wir haben eingesehen, dass du unsterblich bist“, sagte Corron. „Darum bin ich auch gekommen um mit dir zu sprechen und um dir ein Geschenk zu bringen.“ Mit diesen Worten trat der Lotek zur Seite und gab den Blick auf Tanirja frei.
Alanin sah rasch zu der Kleinen. Sie wirkte auf keinen Fall überrascht oder besorgt, noch nicht einmal gefasst. Sie wirkte ... freudig. Ja, sie freute sich darauf.
„Du beleidigst mich, Nai. Ich dachte du wüsstest, dass ich Sklaverei verabscheue.“
„Natürlich weiß ich das. Tanirja ist eine Heilerin, eine der Besten. Und sie kommt freiwillig.“
„Es ist mir eine Ehre dir helfen zu dürfen“, sagte Tanirja. Sie hatte eine ruhige, angenehme Stimme die nur ehrlich und aufrichtig sein konnte.
„Ihr habt sie dafür ausgebildet“, stellte der Sturm fest.
„Natürlich“, gestand Corron. „Ihr ganzes Leben lang.“ Der Lotek ging nach vorne auf den Hauptbildschirm zu. „Lass uns Klartext reden“, sagte er und nahm die Sonnenbrille ab. „Du hast gewonnen, Sturm. Wenn wir so weiter machen wie bisher dann in spätestens zwanzig Jahren. Vierzig wenn wir einen exzellenten Bokar finden. Darum wollen wir noch retten was zu retten ist. Darum haben wir ihr erlaubt zu dir zu kommen.“
„Du willst verhandeln, Nai. Nun, du kennst meine Bedingungen.“
„Zwar begrüße ich persönlich vieles von dem was du verlangst, aber so ein Wechsel würde diesen Teil der Galaxis für Jahrzehnte ins Chaos stürzen. Vielleicht lässt sich trotzdem ein Kompromiss finden.“ Während er diese Worte sprach sah Corron Tanirja an. Erst dann drehte er sich wieder zum Hauptbildschirm. „Lass uns auf dein Schiff kommen. Da können wir besser reden.“
„In Ordnung. Aber nimm den Skip mit. Meine Besatzung fühlt sich wohler wenn du auf zwei Menschen aufpassen musst.“
„Ganz wie du willst“, sagte Corron und die Verbindung wurde beendet.
Die Drei flogen mit einer Fähre zur Donner. Zwei Stunden später kehrten sie zurück. Alanin erwartete sie bereits im Hangar. LiChakel verließ als erstes den Hangar. Alanin erschrak als sie ihn sah. Er war der lebendige Tod, bleich und zitterte wie ein mendanischer Quallenrochen. Selbst seine Haare hatten alle Farbe verloren.
„Es ... es war schr-schrecklich“, stammelte er. „Sie ... sie haben sich ... sich die Augen ausgekratzt. Gegenseitig!“ Dann brach er zusammen und weinte. Das medizinische Personal kümmerte sich sofort um ihn.
Corron trug die bewusstlose Tanirja aus der Fähre. „Ihr fehlt nichts“, sagte er sofort zum medizinischen Personal. Dann wandte er sich an Alanin: „Sie können jetzt eine Priese rüberschicken, Renor. Es ist vorbei.“
„Was ist geschehen?“, wollte Alanin wissen.
„Tanirja hat den Sturm geheilt“, war alles was Corron dazu sagte. Mit dem Mädchen auf den Armen ging er ohne weitere Worte in sein Quartier. Sie verließen es erst als sie Centrom erreichten. Die Kleine war da noch immer bewusstlos.
Alanin ließ es sich nicht nehmen die Priese anzuführen. Sie wünschte sie hätte es nicht getan. Auf der Donner, immerhin ein stolzes über fünfhundert Meter langes Schiff, lebte nichts mehr. Auf den Anblick der Leichen war sie nicht vorbereitet. Es war ... Es verfolgte sie die nächsten Jahre durch den Schlaf.
Aber sie schien es besser getroffen zu haben als LiChakel. Nachdem sie Centrom erreicht hatten ging er in ein Sanatorium um zu vergessen. Es schien nicht viel gebracht zu haben, denn zwei Jahre später beförderte er sich selbst hinter den Kohlensack.