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Das Ende des Sommers
Trügerische Idylle
Trügerische Idylle
Ende September lag eine bedrückende Stille auf unserer Reihenhaussiedlung. Dabei hatte alles so schön angefangen. Dieser bilderbuchartige Sommer. Das rege Treiben in den Gärten. Die Kinder tollten auf dem Rasen und in den Planschbecken. Hunde und Katzen lagen friedlich nebeneinander. Wegen der Hitze waren sie zu faul, um sich gegenseitig zu jagen. An schattigen Plätzen unter Bäumen sah man die Erwachsenen vor sich hindösen. Alles schien wie immer. Auch unsere direkten Nachbarn, die Kleinschmidts, taten das, was sie immer taten, so sah es jedenfalls aus. Sie stellten ihre Liegestühle auf den akkurat gepflegten Rasen in die pralle Sonne und verbrachten dort den ganzen Nachmittag. Die Stühle standen immer so dicht nebeneinander, dass sich die Armlehnen berührten. Wenn Herr Kleinschmidt, er war Angestellter in einem kleinen mittelständischen Unternehmen, nach Hause kam, setzte sich das Ehepaar in ihre Liegestühle. Sie reichte ihm den Kaffee und ein Stück Kuchen, selbstgebackenen versteht sich. Den ganzen Nachmittag plauderten sie und tranken Kaffee. Dem Anschein nach waren die Kleinschmidts ein glückliches Paar, Mitte Fünfzig. Marlene Kleinschmidt, eine kleine etwas dickliche Person ging darin auf, das Haus und den Garten in Ordnung zu halten und für ihren Mann dazusein, wenn er erschöpft nach Hause kam. Sie umsorgte ihn rührend. Fritz Kleinschmidt war ein für sein Alter sehr gutaussehender und charmanter Mann. Er achtete sehr auf sein Äußeres und trieb regelmäßig Sport. Einmal in der Woche hatte Fritz Kleinschmidt einen sogenannten Männerabend. Jeden Dienstag ging er um Punkt 19.00 Uhr aus dem Haus und kam erst gegen Mitternacht wieder heim. Seine Frau erzählte mir einmal, dass er sich Dienstags immer mit seinen Freunden traf und zum Bowling ging.
Irgendwann, es war so Mitte des Sommers, änderte sich von einem auf den anderen Tag etwas. Unsere Nachbarin saß von nun an alleine in einem der Liegestühle. Der Platz neben ihr blieb leer. Zuerst wunderten wir uns nicht. Es kam manchmal vor, dass Fritz Kleinschmidt seine Schwester in Bayern besuchte oder auf Geschäftsreise war.
Nach einer Woche war er immer noch nicht zurück. Frau Kleinschmidt saß nach wie vor jeden Tag in ihrem Liegestuhl und schien das schöne Wetter zu genießen. . Ihren Mann hatte ich wohl seit fast zwei Wochen nicht mehr gesehen. Als ich mit ihr am Gartenzaun plauderte, fragte ich beiläufig, „Hallo Frau Kleinschmidt, ist alles in Ordnung bei ihnen, ich habe ihren Mann schon solange nicht mehr gesehen! „Ach wissen Sie, der ist auf einer längeren Geschäftsreise im Ausland und besucht anschließend noch seine Schwester in Bayern.“ Sie wirkte etwas fahrig und wechselte schnell das Thema: „Und sie, wann fahren sie denn in den Urlaub?“ In dem Moment hatte ich den Verdacht, dass Herr Kleinschmidt vielleicht gar nicht verreist war. Irgendetwas stimmte nicht, das spürte ich. Hatte er eine Freundin? Hatte er seine Frau verlassen, wegen einer Jüngeren? Ich sah Frau Kleinschmidt aufmerksam an und bemerkte, dass sie gestresst aussah. Na ja, was ging es mich an, so etwas kommt in den besten Familien vor.
Mich beschäftigten zu der Zeit auch ganz andere Dinge. Wir wollten zwei Tage später in den Urlaub fliegen und ich hatte noch einiges zu erledigen. Bis zum Antritt unserer Reise blieb der Stuhl neben Frau Kleinschmidt leer.
Als wir nach drei Wochen aus dem Italienurlaub zurück kamen, schien alles wie immer. Das heißt, nicht ganz, denn es war Nachmittag und beide Liegestühle der Kleinschmidts standen unbenutzt an ihrem Platz. Es war weit und breit nichts von Herrn oder Frau Kleinschmidt zu sehen. Das Haus umgab eine merkwürdige Stille. Der sonst so gepflegte Rasen schien lange nicht mehr gemäht worden zu sein. Alles wirkte wie ausgestorben. Was war da bloß passiert?„Ist dir die Stille drüben bei den Kleinschmidts auch aufgefallen,“ fragte ich meinen Mann. Der warf einen kurzen Blick aus dem Küchenfenster, zuckte mit den Schultern und meinte: „ Ja, wird wohl niemand Zuhause sein, sind bestimmt kurzfristig in den Urlaub gefahren.“ Ich dachte noch eine Weile über die Kleinschmidts nach und kam zu dem Schluss, dass mein Mann Recht hatte. „Bestimmt ist sie ihrem Mann zu seiner Schwester nachgereist und sie verbringen ein paar schöne Tage in Bayern! Rief ich meinem Mann hinterher, der schon fast wieder draußen war, um das restliche Gepäck reinzutragen.
Am nächsten Morgen holte ich wie immer die Zeitung aus dem Briefkasten, suchte meine Zigaretten und wollte mir gerade einen Kaffee eingießen, als ich das Bild auf der ersten Seite sah. Eine kleine dickliche Frau in einem lila Kleid, Mitte fünfzig wurde in Handschellen von der Polizei abgeführt. Das Gesicht konnte man nicht erkennen, es war mit einem schwarzen Balken verdeckt. Ich las die Überschrift und mir stockte der Atem: .
„Eifersuchtsdrama in Reihenhaussiedlung“:
„Ehefrau vergiftete ihren Mann mit einem Unkrautvernichtungsmittel. Die halbverweste Leiche wurde im Keller des gemeinsamen Hauses gefunden. Ein Klempner hatte sie hinter dem Heizungskessel in einem großen Plastikmüllsack entdeckt, als er die Heizung turnusmäßig kontrollieren wollte. Frau Marlene K. ist geständig und gab zu Protokoll, dass ihr Mann, Fritz K. sie seit Jahren betrog. Als er sie dann auch noch verlassen wollte, fasste sie den Entschluss ihn zu töten.“
Ich legte die Zeitung zur Seite. Fassungslos sah ich aus dem Fenster. Die Liegestühle standen immer noch mitten auf dem Rasen. So dicht nebeneinander, dass die Armlehnen der beiden Stühle sich sanft berührten.
Editiert von carrie am 28.01.2004 um 17:55 Uhr