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Das Ende des Regenbogens
Das Tier. Er, das Tier. Mit seinen ertrunkenen Augen, benebelt von seiner Wut, von Alkohol und seinen wirren Gedanken, schaut er mich an, als ich morgens aufwache. Ständig schaut er mich an und jeder Blick widert mich an. Sein säuerlicher Schweiß, die Ausdünstungen des Schnapses. Früher habe ich Angst gehabt, große Angst, immer wenn er mich so angeschaut hat, wenn er mich an sich gerissen hat, mir den Rock hoch geschoben hat. Das Tier, das mich stieß und biss.
Jahrelang habe ich seine Wäsche gewaschen, sogar die Unterhosen habe ich ihm gebügelt, Gier vorgetäuscht, seine Träume im Bett erfüllt, geküsst, geschleckt und geschluckt. Irgendwann fing er an zu saufen. Bier, dann Schnaps und Whisky und Wodka. Ich habe die Flaschen versteckt, habe mit ihm geredet, geflennt, gefleht und geschrien. Er hat nicht aufgehört. Dann flog er aus dem Job im Lager raus und behauptete, dass er nur seinen Mund zu weit aufgemacht hätte. Seither säuft er, schaut aus dem Fenster oder glotzt auf den Laptop oder Fernseher und schreit so laut er nur kann, wenn ihm etwas nicht gefällt. Besonders die Jungs draußen und die jungen Mädchen haben es ihm angetan. Vielleicht fühlt er sich jung, wenn er sie beobachtet. Das Tier mit seiner Fantasie voller Schmutz kotzt sich manchmal voll, wenn er zu viel getrunken hat. Ich lasse ihn dann liegen und meistens schläft er auf der Couch. Wenn ich heim komme verkrieche ich mich, sobald es geht, im Bett und hoffe, dass er nicht zu mir kommt.
Es ist ein Sommertag und es wird Sturm geben. Schon türmen sich Wolken auf. Dennoch ist es warm. Dunkle Wolken, aber noch in der Ferne.
Das Tier schließt die Augen wieder, während ich aufstehe und mich für den Tag zurecht mache. Das Wasser läuft warm über meine trockene Haut und ich schließe die Augen, um noch Reste des Traums zu bewahren. Heiß und feucht war die Nacht.
Den Regenbogen habe ich im Traum gesehen und mich an das erinnert, was ich vor vielen Jahren von meiner Großmutter gehört habe.
„Am Ende des Regenbogens findest du Gold. Du musst nur so weit gehen, bis du das Ende findest.“
Seither warte ich auf den Regenbogen. Hinter dem Sturm, hinter den dunklen Wolken, wenn die Sonne die Wolken vertreibt, wird er sich mit seinen bunten Farben beugen. Wo soll ich das Gold suchen, am gelben, am roten Strahl ?
Seit einiger Zeit gehe ich arbeiten. Nichts Besonderes. Im Call-Center. Aber ich bin gern dort und mag die Atmosphäre. Wir kichern manchmal in den Pausen und ich habe sogar einen kennengelernt, der mich besonders mag. Mark heißt er. Vor zwei Tagen war ich Kaffee trinken mit ihm und zum Abschied hat er mich geküsst. Ich war glücklich an diesem Tag.
Als ich dann zu Hause war, muss er etwas bemerkt haben. Das Tier versucht mich anzufallen, mich zu greifen, mich zu schlagen und gibt mir eine krachende Ohrfeige. So laut war das Klatschen. Wie ein Peitschenknall. Früher hat er das oft gemacht und meistens ohne Grund. An diesem Abend habe ich das Pfefferspray genommen und ihm ins Gesicht gesprüht. Ich musste die Furcht unterdrücken und rammte ihm danach das Knie zwischen die Beine, so wütend war ich und erleichtert zugleich. Und das Tier fängt an zu heulen an und ich heule auch.
„Du blöde Kuh. Warum machst du das ? Ich liebe dich.“
Sprüche. Ich habe kein Mitleid, nur Angst, dass er es wieder probiert. Das ist jetzt zwei Tage her.
Arbeitslos, glücklos ist das Tier und keine seiner Versprechen hat er eingelöst. Keine Kinder, kein leichtes Leben, keine Reisen, keine Abende im Glück. Nicht einmal Freunde. Jetzt hockt er nur noch daheim, säuft und denkt bestenfalls noch ans Ficken. Manchmal läuft ihm der Schleim aus dem Mund und sein Blick wird noch leerer.
Heute ist ein schöner Tag. Anfangs verschwinden die Wolken weit am Horizont. Ich spreche mit all den Leuten am Telefon und lache sogar mit einigen. In der Mittagspause fragt mich Mark, ob ich mit ihm den Abend verbringen möchte und schaut mich mit seinen dunklen schönen Augen an.
„Morgen bin ich frei.“
Wieder dieses Glück. Am Nachmittag verdunkelt sich der Himmel. Donner, Blitze und der Regen prasselt schwer herab, als ich gerade das Bürogebäude verlasse. Aber dahinter, gar nicht so weit entfernt, sehe ich die Sonne. Und dann sehe ich ihn, den Regenbogen: Rot und gelb und orange. Ich muss doch schauen, ob ich das Ende des Regenbogens finde. Wenn man dort gräbt, findet man Gold, ich weiß es genau. Dann gehe ich los.