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Das Ende der Straße

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11.05.2014
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Das Ende der Straße

Auch ist das vielleicht nicht eigentlich Liebe, wenn ich sage, daß Du mir das Liebste bist;
Liebe ist, daß Du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle.

- Franz Kafka​

-I-​

„Ich möchte mich auf eine Wiese legen, mitten in der Nacht, mitten im Nirgendwo. Keine Häuser, keine Menschen, einfach nur ich und die Wiese“, sagte Anna. „Ich will, dass das Gras mir in den Nacken piekt und meine Jeans grün wird. Dann blicke ich nach oben und sehe die Sterne. So richtig intensiv, weißt du, so wie es nur in der Natur möglich ist; und wenn ich ihn kommen sehe, dann schließe ich die Augen, warte einfach. Das Gras riecht nach Sommer und die Brise streichelt mir über die Wange. Ich verschränke die Arme hinter dem Kopf und lausche den Grillen. Ich liebe ihr Zirpen. Wenn ich das Zirpen höre, dann habe ich nie das Gefühl, allein zu sein. Und du bist auch da. Ich höre deinen Atem, rieche dein billiges Aftershave. Ich sage zwar immer, ich hasse es, aber eigentlich mag ich es, denn es erinnert mich an dich, sagt mir, dass du bei mir bist. Und dann warten wir, wir und die Grillen. Ja, das würde ich wollen.“
Es war Sommer, der heißeste seit Jahren, so ein Sommer, in dem alles flimmerte und verschwommen war, die Menschen, die Häuser, die Autos. Doch oben, auf dem Dach eines Berliner Wohnblocks, wo eine Brise die Hitze erträglich machte und der warme Asphalt der Straßen weit entfernt war, gab es kein Flirren der Luft. Hier gab es nur sie und ihn. Hier war alles real.
„Das hört sich sehr schön an“, sagte Nick und lächelte. Anna liebte es, wenn er lächelte. Dann glaubte sie, all seine Gefühle erkennen zu können. Seine Liebe zu ihr und seine Unsicherheiten. „Wenn ich an das Feuer denke und an die Hitze, da hab ich Angst. Aber die Wiese und die Grillen … denke ich daran, dann fürchte ich mich nicht vor dem Meteoriten“, sagte Anna.
Nick nahm ihre Hand. Sie fühlte seine schwielige Handfläche – Klempnerhände nannte er sie - und erinnerte sich daran, wie Anna ihn zum ersten Mal gesehen hatte, damals, als sie in ihre erste Wohnung gezogen war.
Anna hatte die Wohnung betreten und alles hatte so neu gerochen, aufregend, nach Zukunft. Sie hatte sich auf den Laminatboden gelegt und an die weiße Zimmerdecke gestarrt. Anna hatte zuvor beim Klempner angerufen, weil der Wasserhahn in der Küche tropfte. Sie würden jemanden vorbeischicken, hieß es. Dann war Anna aufgestanden, hatte ihre Musik angemacht und war durch den Raum getanzt. Sie hatte sich zu Taylor Swift im Kreis gedreht und gedankenverloren aus dem Fenster geblickt, als sie Beethoven gehört hatte. Es war ihre erste Wohnung, ihr eigenes Reich, doch die Freude wurde unterbrochen von den Bildern in ihrem Kopf. Bilder aus der Vergangenheit, von dem Unfall ihrer Mutter und den Trümmern. Sie hatte ihren Laptop eingeschaltet, nur um auf andere Gedanken zukommen, und dann hatte sie die Meldungen gelesen, von Feuer und dem Tod aus dem All. Dann war Nick gekommen. Als es geklingelt hatte, öffnete Anna ihm die Tür. Nick war der erste Mensch gewesen, den sie nach der Meldung vom Meteoriten gesehen hatte. Und er war geblieben, als er gesehen hatte, dass sie weinte.

„Wir sollten nach Frankreich fahren“, sagte Nick. „Der Meteorit wird östlich von Bordeaux einschlagen, sagen die Wissenschaftler. Wir fahren runter, zu den Weinbergen und den Wiesen; und dann legen wir uns ins Gras. So einfach ist das. Ich weiß nicht, ob es wehtun wird, aber wir werden uns nicht mit Verbrennungen rumquälen und nicht im Staub ums Überleben kämpfen müssen.“
Anna senkte den Blick, schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass ich nicht mitkommen könnte.“
Sie sahen sich schweigend an. Seine stahlblauen Augen hatten etwas Beruhigendes. Sie waren wie tiefe Brunnen, die beängstigend wirken konnten, aber wenn man erstmal hinabstieg, die anfängliche Zurückhaltung überwand, dann fand man auf dem Grund Geborgenheit. Und diese Augen hatten Annas Mutter gesehen, die Schläuche, das Beatmungsgerät. „Wenn das Ende kommt, werde ich bei meiner Mutter am Krankenbett sein“, sagte Anna.
„Ich weiß.“ Er küsste sie. Ganz sanft, wie er es immer tat, so als wäre sie etwas Zerbrechliches. Sie wusste, er verstand sie, würde ihren Wunsch respektieren. Sie spürte, wie seine Bartstoppeln über ihre Haut kitzelten und sie roch sein billiges Aftershave. Anna musste kichern, noch während ihre Lippen sich berührten.


-II-​

Es fiel Nick schwer, Schlaf zu finden. In der Stille seiner Wohnung, wenn Anna nicht bei ihm war, starrte er auf die Digitalanzeige seines Weckers, auf das Blinken der Doppelpunkte zwischen Stunden und Minuten. Er lag allein da und streckte sich. Wenn Anna nackt auf seinem Bett lag und ihre Haut im Licht glänzte, ihre blonden Haare auf dem Kopfkissen ausgebreitet und ihre rehbraunen Augen auf seine gerichtet waren, da hatte sie gesagt, das Rascheln der Bettdecke erinnere sie an das Meer, an Urlaub und Freiheit, doch in Nick weckte es Erinnerungen. Erinnerungen an den Geruch von altem Holz und Staub; und an die Zeit, als Nick im Wohnzimmer seines Elternhauses mit den Dinos gespielt hatte und ins Schlafzimmer blicken konnte.
Seine Mutter hatte auf die Uhrzeiger im Schlafzimmer gestarrt und vor sich hin geflüstert. Nick hatte mit ihr spielen wollen, mit ihr und dem T-Rex und den Velociraptoren. Doch sie saß nur auf dem Bett und sagte, sie würde später mit ihm spielen. Die Schatten im Zimmer wurden länger und das Sonnenlicht verließ das Wohnzimmer. Aber Nick ging nicht schlafen, wollte bei seiner Mutter sein. Als Scheinwerferlicht durch das Fenster fiel und das Ersterben eines Motors in der Einfahrt zu hören war, dann hatte Nick gewusst, dass seine Mutter bald weinen würde. Er erinnerte sich noch gut daran, an den Geruch von Bourbon, den Nick damals nicht hatte zuordnen können, und an die rauchige Stimme seines Vaters. Er hatte Nick die immer gleiche Frage gestellt, warum er noch wach sei. Er sei ein verzogenes Gör, er gehöre bestraft, hatte sein Vater gesagt. Nick hatte das traurige Gesicht seiner Mutter gesehen und dann die Schwärze der Abstellkammer, in die sein Vater ihn gesperrt hatte.
Nick erinnerte sich an die langen Stunden, die er in der Abstellkammer verbracht hatte, während seine Mutter weinte und sein Vater brüllte. Dann hatte er auf den Spalt unter der Tür geblickt, der einzigen Lichtquelle im Raum, die morgens grell wurde, Nick blendete. Er hatte die Tränen auf seinen Wangen gespürt; und wenn das Licht hell genug gewesen war, konnte er die Zinnsoldaten seines Großvaters erkennen, die auf einem Regal standen. Er hatte in ihre ausdruckslosen Gesichter gesehen und ihre Konturen mit seinen Fingern nachgezeichnet. Er hatte jede Wölbung und Vertiefung gefühlt, und sich gewünscht, sie wären echt und könnten für seine Mutter da sein.

Wenn er nicht schlafen konnte, ging Nick spazieren. Er atmete die frische Nachtluft, beobachtete die Schatten der Bäume und Häuser und das Wasser der Spree. Die Sterne und die Lichter der Stadt spiegelten sich auf der Oberfläche. Nick setzte sich auf eine Bank am Ufer und ließ seinen Blick über den Nachthimmel schweifen, über den Mond und die unzähligen Sonnen zwischen hier und der Unendlichkeit. Er fragte sich, ob man ihn sehen konnte, irgendwo zwischen den Sternen. Eine kleine Bewegung - wenige Millimeter pro Tag -, die den Meteoriten ankündigte. Nur ein schwaches Licht, mit dem bloßen Auge kaum erkennbar. Vielleicht könnte Nick Anna überzeugen, mit nach Frankreich zu kommen, aber Anna würde ihre Mutter nie zurücklassen. In das Krankenhaus zu Anna und ihrer Mutter wollte er nicht gehen, nicht jetzt und nicht, wenn es soweit war. Er wollte nicht in das ausdruckslose Gesicht der Komapatientin sehen, nicht das Rascheln der Bettdecke hören und nicht den Geruch des Krankenhauses wahrnehmen, der ihn an Alkohol erinnerte. Aber er wollte nicht brennen, wollte nicht, dass Anna brannte. Der Aufprall würde Wärmestrahlung über Europa jagen. Die Kleidung würde Feuer fangen, die Haut würde Blasen werfen und zischen wie Fleisch in einer Bratpfanne. Gebäude würden über ihren Köpfen zusammenstürzen. Das könnte er nicht ertragen, das Leid und den Schmerz auf Annas Gesicht. Er wusste, er würde alleine sterben. In seiner Wohnung oder hier am Ufer der Spree oder in irgendeiner Seitengasse. Und wenn er nicht stürbe und am gesamten Körper Verbrennungen hätte, dann würde er nachhelfen, sich von einem Gebäude stürzen. Vielleicht von dem Dach, auf dem Anna und er so viele gemeinsame Stunden verbracht hatten. Er könnte über die Stadt blicken, die fensterlosen Häuser sehen, den eingestürzten Fernsehturm und die Rauchschwaden, die über der Stadt hingen. Aber er würde nicht wissen, ob Anna lebte oder wie es ihr ging. Er könnte sie nicht vor Schaden bewahren. Er hatte wieder die Tür vor Augen, die Tür und die Dunkelheit der Abstellkammer. Die Zinnsoldaten grinsten und zielten mit ihren Gewehren auf seine Brust.


-III-​

Anna saß in ihrer Wohnung, hockte im Halbdunkel und wusste nicht, was sie tun könne, wohin sie hätte gehen sollen, um zu vergessen und den Kopf freizukriegen, als ihr Handy klingelte. Mit leiser Stimme, kaum lauter als ein Flüstern, hauchte Anna ein Hallo in den Hörer.
Eine fremde Stimme antwortete. Sie redete über ihre Mutter und über ihren Zustand, den Rest der Worte vernahm Anna nur undeutlich. Sie sprang auf, rannte aus ihrer Wohnung, setzte sich auf ihr Fahrrad und fuhr Richtung Krankenhaus. Jenes sterile Gebäude, das vor zwei Jahren ihr zweites Zuhause geworden war.
Das maschinelle Piepen war fort, zusammen mit dem Zischen des Beatmungsgeräts und der Farbe im Gesicht ihrer Mutter. Sie lag einfach da, eigentlich wie immer, und doch wusste Anna, dass sie tot war.
„Ihr Herz hat einfach aufgehört zu schlagen.“ Die Stimme des Arztes klang gelangweilt, als solle Anna froh sein, dass das Leiden ihrer Mutter endlich vorbei sei, sie den Meteoriten nicht erleben müsse. Anna schenkte ihm keine Beachtung, starrte auf die weiße Bettdecke, die sich nie mehr heben würde. Sie hörte Schritte hinter sich - der Arzt verließ den Raum -, doch Anna blieb reglos stehen, den Blick weiter auf die Brust ihrer Mutter geheftet. Sie wollte nicht erneut in ihr Gesicht sehen, jenes Gesicht, das einst so lebensfroh gewesen war. Sie hatte Angst, nur diese kalte Fratze zu sehen, wenn sie ihre Augen schloss und an ihre Mutter dachte; und nicht das lebendige und lächelnde Gesicht aus besseren Tagen. Tagen vor der Sommernacht, vor dem Regen und vor dem Unfall und den Trümmern. Doch die Stimme ihrer Mutter war lange fort. Die Erinnerungen an ihren Klang waren bereits verblasst.
„Ich liebe dich. Es tut mir leid.“ Anna berührte die Bettdecke, fühlte den dürren Oberschenkel darunter und dann verließ sie den Raum. Ohne sich umzudrehen, ohne in das Gesicht ihrer Mutter zu blicken.
Sie setzte sich wieder auf ihr Fahrrad und radelte durch die Stadt. Ziellos, gedankenlos, sie wollte nur die Brise spüren und den warmen Asphalt riechen. Die Straßen waren leer, keine Menschen, keine Autos, kein Leben. Sie war allein in einer Großstadt, die noch vor wenigen Monaten pulsiert hatte, lebendig war, voller Bewegung. Und dann verschwammen die Konturen der Häuser und Straßen. Alles wurde grau und undeutlich und Anna spürte Tränen auf ihren Wangen, hörte sich schluchzen. Vor einem Kiosk hielt sie an.
Die Fenster waren eingeschlagen und das, was einst voller Ordnung und Struktur die Regale gefüllt hatte, lag nun verstreut auf dem Boden. Alte Zeitschriften, Süßigkeiten, Zigarettenschachteln. Anna atmete durch. Sie wusste nicht, wie weit sie gefahren war. Sie wollte nur weg vom Krankenhaus, weg von der fröhlichen Vergangenheit, hinein in die Stille. Hier draußen hörte sie nichts. Kein Hupen, kein Rattern von Zügen, keine Stimmen. Sie war allein. Sie war so allein, wie ihre Mutter in ihren letzten Momenten gewesen war. Damals im Auto und heute.
„Reiß dich zusammen“, sagte sie zu sich. Aber die Tränen versiegten nicht, auch dann nicht, als sie ihr Handy nahm und Nicks Nummer wählte. Ein Piepen, noch eins, dann hörte sie seine Stimme, tief und beruhigend.
„Hey Schatz, was ist denn los?“
„Wir tun es. Wir fahren.“
Nick schwieg eine Weile, sie hörte nur das weiße Rauschen der Verbindung. „Okay“, sagte er.


-IV-​

„Warum gehst du nicht an dein Telefon?“, fragte Nick. Er musste brüllen, um gehört zu werden. Die Musik im Club war laut, laut und pulsierend. Scheinwerfer warfen bunte Lichter über die Menschenmenge, fingen sie in einem Netz aus Musik, Tanz, Alkohol und dem Vergessen. Die Luft vibrierte von der Bewegung, dem Schweiß, dem Lachen von Mädchen und dem Geruch der Menschenmenge. Sie sprangen, rissen die Arme nach oben, tobten wie ein Meer inmitten eines Sturms. Hier gab es keine Leere, keinen Meteoriten, nur das Hier und Jetzt und den nächsten Beat.
„Hab's weggeschmissen“, sagte Sven. Nick und Sven waren Kollegen gewesen, vor dem Meteoriten und der Erkenntnis, dass niemand mehr Klempner bräuchte.
„Warum?“
„Es ist das letzte Wochenende. Dienstag ist es soweit!“, rief Sven und riss seinen Arm in die Luft, ein Shotglas in der Hand. Die Umstehenden jubelten, prosteten ihm zu. Nick roch Schweiß, die Hitze und den Alkohol. „Wat willste denn?“, fragte Sven. Seine schulterlangen Haare klebten in seinem verschwitzten Gesicht.
„Ich brauche dein Auto.“
„Wat?“
„Dein Auto.“
„Das hab ich schon verstanden, aber warum?“
„Ich will wegfahren.“
„No shit, Sherlock! Wohin?“
„Frankreich.“
Sven sah ihn an, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nickte. „Weißte warum wir hier feiern?“ Er streckte den Zeigefinger in die Luft und kreiste damit. „Wir feiern, damit wir nicht an den Scheiß denken müssen, Mann. Und dann kommst du und erinnerst mich daran. Keeper, Whiskey! Zwei Gläser!“
Der Keeper nickte, Nick hob die Hand. „Für mich nicht.“
„Komm, mach dich locker. Warum willste denn da runter fahren? Da ist's bald vorbei. Ich meine, so richtig, für immer. Du bist doch ein gut aussehender Typ, warum bleibste nich hier? Trinkst und vögelst, bis dir das Dach auf den Kopf fällt?“
Nick ließ den Blick über die Menge schweifen, sah hübsche Frauen, leicht bekleidet. Eine Brünette tanzte direkt vor seiner Nase. Sie hatte die Augen geschlossen, fühlte den Rhythmus und lies die Hüften kreisen. Sie trug ein weißes Tanktop, vom Schweiß durchnässt. Er konnte ihre Brustwarzen sehen. Dunkle Kreise unter weißem Stoff. Etwas Animalisches regte sich in ihm, es kribbelte in seinem Schritt bei der Vorstellung, sich in die Menge zu stürzen, sich treiben zu lassen, diese Unbekannte zu küssen, zu berühren. Sie öffnete die Augen, sah ihn, kam näher. „Hey, Süßer.“ Sie streichelte seine Schulter, lächelte unsicher. Er blickte ihr in die Augen. Sie waren giftgrün. „Bock zu ficken bis die Erde brennt?“, fragte sie.
Nick konnte Svens Lachen hören und ihr Lächeln sehen. Ein Mädchen-von-nebenan-Lächeln. „Nein, aber danke für das Angebot.“
„Schade. Aber vielleicht überlegst du es dir noch anders?“
„Vielleicht.“
Als sie ging, streifte sie mit den Fingerspitzen seinen Oberschenkel. Sie schlenderte zurück zur Tanzfläche, begann wieder zu tanzen und das Leben zu spüren, das noch in ihr steckte. Es spielte Stadtaffe von Peter Fox. Affen feiern auch, wenn sie traurig sind.
„Gott, wie kannst du da nein sagen?“, fragte Sven.
Rehbraune Augen, blonde Haare. „Ist doch egal. Also, was ist mit deinem Auto?“
„Warum meins? Klau dir doch eins!“
Nick starrte ihn an.
„Oh, Mister Gesetze-gelten-selbst-wenn-die-Welt-untergeht. Schön, hier isser.“ Sven warf den Schlüssel auf die Theke. „Brauch ich eh nicht mehr.“
Nick nahm den Schlüssel und klopfte Sven auf die Schulter. „Danke, wirklich.“
„Trinkste wenigstens was mit mir?“, fragte Sven.
„Nein, ich trinke nicht, weißt du doch.“
„Warum nicht? Ideale? Scheiß doch drauf! Meine Ex war Vegetarierin, bis zu der Nachricht. Dann hat sie Fleisch gefressen wie nix Gutes, war ihr voll egal. Komisch, diese Ideale.“
Altes Holz, Dunkelheit, Zinnsoldaten. „Das ist nicht der Grund.“
„Whatever. Schon komisch, was der Meteorit alles verändert hat. Kannst dich noch an die Nachricht erinnern?“
„Sicher.“
„Tod aus dem Kuiper-Gürtel haben sie es genannt. Als ob das ne Sau interessiert. Ich will gar nicht wissen, wie groß das Ding ist oder ob der Feuerball einen Durchmesser von vierhundert Kilometern hat. Ich meine, wenn dir jemand ne Knarre an den Schädel hält, fragst du dich ja auch nicht, wie das Teil funktioniert. Du hast einfach Schiss und weißt, dass irgendein Mist passieren wird.“ Er trommelte mit den Fingern auf der Theke.
„Hast du was genommen?“, fragte Nick.
„Sicher, ist ja nicht so, als ob das noch irgendwen interessiert, die Bullen nich und meiner Gesundheit erst recht nich. Is doch alles egal. Ob ich mir das H drücke oder Pillen einwerfe, es is so oder so bald vorbei. Es ist wie die Regierung gesagte hatte, kurz bevor man nichts mehr von ihr hörte. Keine Panik, keine Hektik, wir überstehen das. Nun, letzteres war ne Lüge, klar, aber keine Panik, da bin ich dabei. Ich meine, was bringt es denn, nach Afrika oder Asien zu flüchten? Die Leute da, die leben wie die Legehennen, seitdem immer mehr Flüchtlinge eintreffen. Ich sage dir, wenn erstmal der Staub kommt, dann gibt's da nur Mord und Totschlag, das is sicher. So wie es hier war, bevor die Leute gechekt haben, dass das sinnlos ist und abgehauen sind.“
Sie schwiegen eine Weile, lauschten der Musik und der Menge. „Mach‘s gut. Pass auf dich auf, hörst du?“, sagte Nick schließlich.
Sie nickten sich zu und Nick ging. Vorbei an halbnackten Frauen, vorbei an apathischen und fröhlichen Gesichter und vorbei an der Möglichkeit, die Zeit zu vergessen.
„War ein schönes Leben!“, rief Sven und hob das Whiskeyglas in die Höhe, das ihm der Barkeeper gebracht hatte.


-V-​

Anna spürte die glatte Oberfläche der Scheibe und die sanfte Vibration des Autos. Es war später Nachmittag, sie musste eingeschlafen sein.
„Na, endlich wach?“ Nick saß am Steuer und lächelte. „Wir haben Deutschland verlassen. Willkommen in Belgien.“
Trauer erfasste Anna, tief in ihrem Innern. Sie hatten Deutschland verlassen. Für immer. Ihre Heimat lag hinter ihr. Berlin mit seinen Bewohnern und ihrer Wohnung und die Lausitz, in der sie aufgewachsen war. Morgen wäre es soweit, das Ende des Sommers. Anna wollte weinen, aber sie konnte nicht. Sie lehnte sich wieder mit der Stirn an das Fenster, sah Wiesen und Wälder, Teiche und kleine Bauernhöfe. Und die Leitplanke. Sie zog sich durch ihr Blickfeld wie ein graues Band. „Können wir über Land fahren?“, fragte sie.
Sie spürte Nicks Blick auf ihrem Hinterkopf. „Es ist die Leitplanke, nicht wahr? Sie erinnert dich an den Unfall.“

Es war ein schwüler Abend gewesen, an dem man das aufziehende Sommergewitter förmlich hatte riechen können. Die bunten Windräder, die ihre Mutter in die Blumentöpfe gesteckt hatte, drehten langsam ihre Kreise. Spatzen saßen auf den Gartenmöbeln, zwitscherten und zuckten mit den Köpfen. Die Gänseblümchen hatten den Rasen in einen Teppich aus weiß und grün verwandelt. Anna hatte auf einer Decke gelegen und in den Himmel gestarrt. Wolken waren vorbeigezogen, wurden zahlreicher und grauer. Anna war aufgestanden und hatte sich wieder angezogen. Das Bräunen hatte sich nicht gelohnt, keine Ablenkung gebracht. In der Küche hatte sie das Telefon genommen und ihre Mutter auf der Arbeit angerufen.
„Ja?“
„Mama?“
„Anna, was ist denn?“
„Heiko hat mit mir Schluss gemacht.“ Die Gedanken daran taten weh.
„Was? Warum denn?“
„Er hat eine andere.“
„Oh Schatz, das tut mir leid.“
„Könntest du heute früher Feierabend machen? Ich brauch wen zum Reden, bitte. Mir geht's echt beschissen.“
Eine Weile herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Wir haben hier echt noch zu tun, haben einen Auftrag reinbekommen“, sagte Annas Mutter schließlich.
„Bitte, Mama.“
„Okay, der Chef hat noch was bei mir gut, da kann ich sicher mal zwei Stunden früher gehen.“
„Danke, ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch, bis gleich.“
Anna hatte aufgelegt und in den Garten geblickt. Der Himmel war dunkelgrau geworden, fast schwarz. Und als sie den Fernseher anmachte, hatte es angefangen zu regnen. Schwere Tropfen prallten auf die Fenster und die Windräder im Garten drehten sich so schnell, dass sie fast abhoben. Es saßen keine Spatzen mehr im Garten, die Gänseblümchen waren nicht mehr schön und Annas Leben hatte sich verändert.

„Möchtest du was essen?“, fragte Nick.
„Nein.“ Belgien zog vorbei. Die Sonne ging unter. Sie waren auf einer Landstraße. Anna konnte kleine Dörfer sehen, weit entfernt. Sie wirkten wie Ansammlungen von Puppenhäusern, zerbrechlich und unwichtig. „Was ist aus deinen Eltern geworden?“, fragte Anna. „Ich meine, du weißt von meiner Mutter, aber du hast mir nie erzählt, was mit deinen Eltern ist.“
Nick blickte auf die Straße. „Sie sind beide tot“, sagte er leise.
„Wie sind sie gestorben?“
Nick schenkte Anna einen flüchtigen Blick. „Mein Vater hat gerne Bourbon getrunken, weißt du. Eines Tages war es zu viel für ihn.“
„Und was war mit deiner Mutter?“
„Ich war noch klein, ich weiß es nicht genau. Sie ist vom Balkon gestürzt. Starb im Krankenhaus. Ich kann mich noch an die Gerüche erinnern und an ihr Gesicht. Es war ganz blau und angeschwollen.“

Sie fuhren von einem Dorf ins nächste, sahen keine Menschenseele, keine Fahrzeuge. Es gab nur sie, Getreideäcker und die Straße. Anna klappte die Sonnenblende herunter und blickte in den Spiegel. Sie sah müde aus, abgekämpft, als hätte sie tagelang nicht geschlafen. In der rechten Ecke des Spiegels hing ein Bild. „Wer ist das?“, fragte sie.
„Emily, Svens Ex.“
„Sie ist hübsch.“
„Ich frage mich, warum er noch ein Bild von ihr hat.“
„Vielleicht liebt er sie noch.“
Nick zuckte mit den Schultern. „Möglich.“
„Warum haben sie sich getrennt?“
„Nun, genau weiß ich es nicht, aber Menschen verändern sich, wenn sie wissen, dass sie bald sterben werden.“
„Oder das Wissen bringt nur etwas zum Vorschein, was schon lange da ist.“
Nick blickte weiter auf die Straße und antwortete nicht.

Es war Nacht und sie hielten an. Sie waren schon in Frankreich, nur noch wenige Stunden trennten sie von ihrem Ziel. Aber Anna wollte die letzte Nacht nicht im Auto verbringen, mit nichts außer dem Lichtkegel der Scheinwerfer vor Augen. Sie hatte Nick gefragt, ob er anhalten könne, ob er mit ihr die Nacht verbringen wolle, nur sie und er unter dem Sternenhimmel. Er hatte zugesagt.
Sie lagen im Wald, über ihnen Baumkronen und die Sterne zwischen den Blättern. Anna legte den Kopf auf Nicks Brust, spürte wie sein Körper sich bei jeden Atemzug hob und senkte. Sie blickte in den Nachthimmel, sah das Meer aus leuchtenden Punkten und fragte sich, welcher der Meteorit wäre. Vielleicht der blinkende, vielleicht der rötliche, vielleicht keiner. Im Endeffekt änderte es nichts. Sie lag mitten im Wald und könnte nichts dagegen tun, so wie sie nichts gegen den Unfall ihrer Mutter hätte tun können oder gegen ihren Tod. Sie blickte in die Unendlichkeit des Universums und fragte sich, warum das Schicksal so spielte wie es spielte. „Was meinst du, gibt es da oben jemanden?“, fragte sie.
„Meinst du sowas wie Gott oder Aliens?“
„Kann doch sein, dass da mehr ist.“
„Mehr als was?“
„Mehr als Zeit und Schicksal und Vergänglichkeit.“
„Vielleicht, vielleicht nicht. Wir werden es nie erfahren, fürchte ich.“
„Weißt du, manchmal denke ich nach, vor allem seit dem Unfall. Ich sehe häufig nach oben und denke, es gibt so vieles, das wir nicht begreifen können.“
„Was denn zum Beispiel?“
„Das Schicksal. Glaubst du an Seelenwanderung?“
„Sowas wie Wiedergeburt? Dass meine Seele nie stirbt und ich als ein anderes Lebewesen weiterlebe?“
„Genau. Was wäre, wenn es irgendwo da draußen Leben gibt und unsere Seele zu den Sternen wandert, nicht nur auf der Erde verweilt? Und es gibt die perfekte Anzahl an Seelen im Universum, keine zu viel, keine zu wenig. Was wäre, wenn das Schicksal nur ein natürlicher Mechanismus ist, der das Gleichgewicht der Seelen im Universum bewahrt? Vielleicht müssen wir ja sterben, damit irgendwo da draußen etwas Neues entstehen kann … Ich finde, das ist ein tröstlicher Gedanke.“
Sie schwiegen eine Weile.
„Ich bin nur ein Klempner, was weiß ich schon von Seelen und Schicksal und den Sternen“, sagte Nick. „Wer kann sowas wissen? Alles, was ich weiß, ist, dass diese Nacht uns gehört. Morgen werden wir uns auf eine Wiese legen, nur wir zwei, und auf ihn warten. Ich liebe dich, weißt du das?“
Anna hörte seinen Herzschlag, roch sein Aftershave und lächelte. „Ich dich auch.“
Sie küssten sich und Anna streichelte über seinen Bauch. Der Wind raschelte in den Bäumen, der Ruf einer Eule hallte durch den Wald und Grillen zirpten ihr Lied. Als Anna Nicks Atem in ihrem Nacken und seine Hände auf ihren Brüsten spürte, war das Schicksal unwichtig und es zählte nur der Moment.


-VI-​

Die Tür der Abstellkammer war aufgegangen und das helle Licht des Tages hatte Nick geblendet. „Hast du Hunger?“, hatte seine Mutter mit sanfter Stimme gefragt.
Nick hatte schnell geblinzelt und versucht, seine Augen an das Licht zu gewöhnen. „Nein.“
„Hast du wieder Pipi gemacht?“
„Ja.“
Er hatte die Hand seiner Mutter auf seinem Kopf gespürt. „Nicht schlimm, Schatz. Komm, wir gehen in dein Zimmer und ziehen dir was Frisches an. Und dann spiel ich mit dir und den Dinos, okay?“
„Okay.“

Der Brontosaurus hatte auf dem Kopf eines T-Rex herumgekaut, als seine Mutter Nick Cornflakes brachte. „Hier, versuch ein bisschen was zu essen.“
Er hatte den Löffel genommen und gelbe Inseln in einem weißen See gesehen. Er stockte. „Mami, warum gibt es keine Dinos mehr?“
„Das weiß man nicht genau, aber es sehr wahrscheinlich, dass ein Meteorit sie tot gemacht hat.“
„Was ist ein Meteorit?“
„Das ist ein riesiger Stein, der vom Himmel fällt.“
„Und warum ausgerechnet auf die Dinos?“
„Das weiß ich nicht.“ Sie hatte gelächelt, gelächelt wie ein gefallener Engel, voller Trauer und dem Wunsch nach besseren Zeiten. „Aber sie sind nicht wirklich weg, oder?“, hatte sie gesagt. „Du hast deine Spielsachen, die dir sagen, wie sie ausgesehen haben. Es gibt Filme und Bücher und Knochen unter der Erde. Ich glaube, etwas verschwindet nie vollständig. Etwas bleibt immer zurück. Man muss es nur finden, irgendwo, irgendwann; und wenn du es gefunden hast, wirst du es nie vergessen, es bleibt immer in deinen Erinnerungen.“
Dann hatte sie nicht mehr gelächelt, sondern Nick traurig angeblickt, als hätte sie damals schon gewusst, dass sie bald nur noch eine Erinnerung sein würde. Sie hatte sich ihre blonden Haare aus dem Gesicht gewischt und aus ihren rehbraunen Augen waren Tränen gekullert.

Nick trat auf die Bremse. „Wir sind da, das Ende der Straße.“
„Es sind so viele“, sagte Anna. Die Autobahn erstreckte sich bis zum Horizont und eine endlose Schlange von Fahrzeugen mit ihr. „Wie viele Kilometer sind es denn noch bis nach Bordeaux?“, fragte sie.
„Laut Navi knapp zweihundert.“
Anna starrte ihn fassungslos an, Nick starrte zurück. „Sie sind alle gekommen, um hier zu sterben“, flüsterte sie.

Sie gingen über den Asphalt, die Fahrzeuge flirrten in der Sommerhitze. Nick sah in die Fenster von Autos aller Formen und Farben und mit den verschiedensten Kennzeichen. Er sah Handys, Portemonnaies und Taschen. Kein Auto war abgeschlossen. Nick hörte seinen Atem und spürte, wie ihm der Schweiß von der Stirn lief. Er hörte Stimmen.
Ein Tal erstreckte sich vor ihnen, jenseits der Autobahn. Unzählige Menschen standen auf den Wiesen, in den Wäldern, in kleinen Städten. Es war wie ein Feld aus schwarzen Punkten, das ständig in Bewegung war. Dennoch war es ruhig, die Brise trug nur vereinzelte Stimmen zu ihnen. Italienische, englische, französische. Nick nahm Annas Hand, spürte ihre sanfte Haut und ihren Schweiß. „Lass uns runtergehen.“
Die untergehende Sonne tauchte die Welt in Orange. Anna und Nick wanderten durch die Menge, sahen Greise, Liebende und Familien mit Kindern. Mittlerweile war die Menge in Schweigen verfallen. Hundertausende blickten andächtig zu Boden oder starrten voller Erwartung in den Himmel. Nur der Wind war zu hören. Er raschelte durch die Bäume.
Nick und Anna blieben stehen. Ein kleines Mädchen mit rosafarbenen T-Shirt weinte leise neben ihnen und eine schwangere Frau murmelte vor sich hin, legte dabei ihre Hand auf den Bauch. Die Menge stand still, keiner bewegte sich, keiner sprach. Eine letzte Schweigeminute. Liebende hielten sich die Hände, und Eltern pressten ihre Kinder fest an sich, gaben ihnen Trost. Nick sah, dass Anna bei diesem Anblick die Tränen zu kommen drohten. Er wusste, dass sie an ihre Mutter dachte und sich Vorwürfe machte, weil niemand bei ihr gewesen war, als sie starb.
Zu gerne hätte er ihr die Wahrheit erzählt, ihr erzählt, dass er die Hand ihrer Mutter gehalten hatte, während er ihr die Spritze gegeben hatte. Die Erlösung, ihre und seine. Er hatte im Internet recherchiert, war in das Krankenhaus gegangen und hatte den Medikamentenschrank unbeaufsichtigt und aufgeschlossen vorgefunden. Nick hatte Annas Mutter angesehen, während er ihr die Spritze gab. Er hatte keine Reaktion vernommen und doch wusste er, dass sich etwas verändert hatte. Er glaubte, gesehen zu haben, wie das Leben aus ihr wich. Er hatte das lange Piepen des EKGs gehört, das Geräusch des Todes. Keiner war gekommen, um nachzusehen, keinen hatte es gekümmert.

Niemand zückte ein Handy oder ein Fotoapparat, als der rote Schweif am Horizont auftauchte. Es gab keinen Grund. Sie blickten nur andächtig gen Himmel, verfolgten das stille Schauspiel.
„Er ist früh dran“, sagte Anna.
Nick drückte ihre Hand fester und sah ihr Profil, ihre Haare und ihre Augen. Nick lächelte, während der Meteorit die Erdatmosphäre hinter sich brachte und für wenige Sekunden am Himmel sichtbar wurde. Pechschwarz und unförmig. Ein letztes Aufatmen, ein letzter Blick in die untergehende Sonne und dann schloss Nick die Augen. Er sah keine Abstellkammer, keine Zinnsoldaten, nur die rehbraunen Augen seiner Mutter, die Annas so ähnlich waren. Die Hitze prickelte auf seiner Haut und die Luft roch anders, nach Tau und Morgenröte, als wäre ein neuer Tag angebrochen.

 
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Hallo gibberish

Scheisse, du hast mich voll erwischt, ich habe beinahe Tränen in den Augen. Eines ist sicher, wenn der Komet kommt, werde ich auch dorhin fahren, wo er einschlägt.
Der Text ist so verdammt gut, ich habe ihn atemlos durchgelesen. Du überschreitest nie die Grenze zum Kitsch, finde ich, und der Text erinnert diesbezüglich an Cormac McCarthys The Road. Aber McCarthy vermeidet Kirsch u.a. durch Brutalität. Du schaffst es ohne.
Man könnte meinen, der Weltuntergang sei Thema genug, aber wie es dir gelingt, durch die Kinsheitserinnerungen, durch den Unfall von Annas Mutter und ihrem Tod im Krankenhaus - Dinge, die nie nebensächlich werden, auch nicht einen Tag vor dem Tod - eine zusätzliche Tiefe zu verleihen, das ist wirklich grandios.

Sie liebte ihn, wenn er lächelte.

Sie liebte es, wenn er lächelte, gefiele mir besser.

auf die Zimmerdecke

an die Zimmerdecke

Bilder von ihrer Mutter und den Trümmern. Sie hatte ihren Laptop eingeschaltet, nur um auf andere Gedanken zukommen, und dann hatte sie die Meldungen gelesen, von Feuer und Staub und dem Tod. Und dann war er gekommen.

Danach war ich eine Weile verwirrt, da ich - in Unkenntnis dessen, was noch kommt - Mutter, Trümmer und Komet gedanklich zusammenzog. Vielleicht kannst du das woanders platzieren.

„Das Leben ist kein Wunschkonzert. Ich weiß, das ist so eine abgedroschene Phrase, aber es stimmt doch irgendwie.

Das war mir zu flockig in diesem Kontext. Und die Phrase ist wirklich abgedroschen. Kann man m.E. ohne Verlust streichen.

Er erinnerte sich noch gut daran, an den Geruch von Bourbon, den Nick damals noch nicht gekannt hatte.

Ich bin gestolpert. Mein Problem ist, dass Nick Bourbon eben doch kannte - nämlich seinen Geruch. Vielleicht: "dessen Name Nick damals noch nicht gekannt hatte". Aber das ist etwas umständlich.

Es war vermutlich auf den Weg nach Amerika oder Japan, an einen Ort, den die Schockwelle und die Hitze des Aufpralls nicht erreichen würden.

...würde.

Anna saß im großen Hörsaal der Universität, in dem Hunderte Studenten Platz fanden. Sie wusste nicht, wohin sie sonst hätte gehen sollen. Als ihr Handy klingelte, schauten die drei Kommilitonen, die sich mit ihr in dem Raum befanden und aus den Fenstern starrten, nicht auf und der Dozent unterbrach seine Rede nicht.

Zunächst dachte ich: unplausibel. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Eines schaffst du auf alle Fälle: Ich denke darüber nach, was ich tun würde - bevor ich zum Einschlagsort fahren würde. Weiterleben wie immer? Sex and Drugs? Ich weiss es nicht. Und daher wage ich auch nicht zu urteilen, ob ein Vorlesungssaal mit drei Studis und einem Dozenten plausibel ist.

Ich bin nicht schwul oder so

Sven ist vielleicht nicht der Hellste. Aber das finde ich jetzt etwas gar doof.

"Sie sind beide tot."

Ich würde "beide" streichen.

"Sind so alleine gestorben?"

Die Frage habe ich nicht verstanden. Aber vielleicht stehe ich auf dem Schlauch.

gibberish, du hast einen Fan gewonnen!

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 

Hey Peeperkorn,

Scheisse, du hast mich voll erwischt, ich habe beinahe Tränen in den Augen.

Wow, also dass mein Text solche Emotionen hervorrufen könnte, ja, das hätte ich nicht zu träumen gewagt. Das freut mich wirklich unglaublich.

Der Text ist so verdammt gut, ich habe ihn atemlos durchgelesen. Du überschreitest nie die Grenze zum Kitsch, finde ich, und der Text erinnert diesbezüglich an Cormac McCarthys The Road. Aber McCarthy vermeidet Kirsch u.a. durch Brutalität. Du schaffst es ohne.

Ich kann nicht oft genug danke sagen, wirklich. Das war schon verdammt schwer, das Ding zu schreiben. Der Meteorit läd ja förmlich dazu ein, in die Klischeekiste zu greifen, und die Romantik wird auch schnell kitschig. Da die Balance zu finden, da musste ich einige Nächte drüber nachdenken. Umso erfreulicher, dass du das so gelungen findest. Da fällt mir ein Stein vom Herzen. Und ich habe dank dir auch gleich etwas, das ich auf meine to-read-Liste setzen werde. ;)

Man könnte meinen, der Weltuntergang sei Thema genug, aber wie es dir gelingt, durch die Kinsheitserinnerungen, durch den Unfall von Annas Mutter und ihrem Tod im Krankenhaus - Dinge, die nie nebensächlich werden, auch nicht einen Tag vor dem Tod - eine zusätzliche Tiefe zu verleihen, das ist wirklich grandios.

Und das lass ich jetzt erstmal auf mich wirken und freu mich wie ein Kleinkind an Weihnachten über dein Lob.

Und daher wage ich auch nicht zu urteilen, ob ein Vorlesungssaal mit drei Studis und einem Dozenten plausibel ist.

Also ich glaube, dass es schon Studis und Dozenten geben würde, die da hingehen, einfach um an was anderes denken zu können, etwas Normalität zu bewahren. Vielleicht wäre ich auch einer davon. Daher würde ich das ungern streichen.

Die restlichen Anmerkungen habe ich beherzigt und den Text überarbeitet. Die meisten habe ich übernommen und versucht, Unklarheiten zu bereinigen. ;)

gibberish, du hast einen Fan gewonnen!

Ich verneige mich in riesiger Dankbarkeit.

Vielen vielen Dank für deinen Kommentar,
gibberish

 

Hola Gibberish,

Das fängt ja gut an:

... Liebe ist, daß Du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle.

Das ist Bullshit, auch wenn’s der Kafka gesagt hat. Na und?

Manch einer hat’s schwer auf der Welt, mit der Welt, oft auch mit sich.
Ich sollte den Mund wieder schließen.
Seit wir in Kontakt sind, mag ich Dich sehr. Du bist unglaublich sensibel und liebenswürdig.
Desto mehr schmerzt es mich, der ich hier meine Leseeindrücke zu einem großen Lob bündeln wollte, das nicht zu Ende bringen zu können.

Hier sind ein paar Fliegendrecker, die Du nicht ernst nehmen solltest:

... aus dem Fenster geblickt, als Beethoven spielte.
Vielleicht etwas unglücklich formuliert.

... ihre blonden Haare wie eine Krone auf dem Kopfkissen ausgebreitet ...
Eine Krone auszubreiten kann ich mir nicht vorstellen.

... ihre rehbraunen Augen ...
Es wäre gut, sie gegen andere auszutauschen. Besonders, weil sie fünfmal auftauchen. Die sind zu oft benutzt worden, in schlechten Texten.

... da hatte sie gesagt, das Rascheln der Bettdecke erinnere sie an das Meer, an Urlaub und Freiheit, doch in Nick weckten sie Erinnerungen.
Wer sind „sie“?

... T-Rex und den Velociraptoren.
Da kann ich Dir nicht folgen. Bedenke bitte, dass nicht alle Mitglieder Dein Jahrgang sind. Selbstverständlich könnte ich’s ergoogeln, aber ich halte viel von flüssigem Lesen. Gefühlsmäßig finde ich die beiden Begriffe störend in einer philosophisch-romantischen Geschichte.


Aber Nick ging nicht schlafen, wollte bei seiner Mutter sein, wenn er kam.
Beim ersten Lesen fand ich das befremdlich.

Und wenn das Licht hell genug gewesen war, konnte er die Zinnsoldaten seines Großvaters erkennen, die auf einem Regal standen, und sah in ihre Gesichter, ausdruckslos, farblos. Er verfolgte ihre Konturen mit seinen Fingern, fühlte jede Wölbung, jede Vertiefung und wünschte sich, sie wären echt und könnten für ihn tun, wozu er nicht imstande gewesen war.
Gibberish – das ist gelungen! Kompliment – auch für’s zweite Mal, wenn die wieder auftauchen.

Doch ich muss pausieren. Sacken lassen.
Aber von wegen! Da kommt noch richtig was auf mich als Leser zu.
Lieber Himmel – das hört ja gar nicht auf. Als altes Küchenmonster muss ich an ein Rezept mit vierundvierzig Zutaten denken.
Das ist mir zu viel. Ich kapituliere. Ich finde das wirklich sehr schade, denn Du bist mit Haut und Haaren im Schreibmetier. Wie habe ich Deine „Kreise“ genossen! Diese Geschichte werde ich nie vergessen. Einfach perfekt war die – egal, von welcher Seite man sie betrachtete: das war eine Meisterleistung! Und sie ist für mich Vorbild. So muss eine KG marschieren. Yeah, verdammt!
In der Zwischenzeit hast Du meine Texte sehr freundlich beurteilt – und natürlich stand ich in der Pflicht, Gutes mit Gutem zu vergelten. Die Sache mit den schleimigen Knochen sprach mich weniger an, aber ich kann ja warten.
Aber jetzt – mit der Meteoren-Geschichte – werde ich mich revanchieren!
Aber, Sack Zement, ich kann es nicht. Da ist nix mit sorry – wir alle stecken viel Sorgfalt in unsere Texte, doch, Gibberish, verzeih’s mir, ich kann Dich für diese sehr sehr lange KG nicht loben. Als Kurzgeschichten-Leser fühle ich mich überfordert.
Ich könnte mein unmögliches Verhalten noch wortreich erklären – aber vielleicht sollten wir zusammen weinen. Soviel Arbeit, so viele Bedenken, Änderungen, Verbesserungen, Zweifel, berauschende Gefühle der Selbstüberschätzung und Gichtschmerzen im Kopf – nur wegen dieser gottverdammten Schreiberei! Junkie zu sein ist Scheiße.
José

 

Tja, Mister gibberish, da werden Männer zu heulenden Klümpchen.
Aber zum Glück gibt es ja auch noch Frauen.

Mir gefällt deine Geschichte außerordentlich gut. ich hab sie nicht nur sehr genossen, sie ist einfach sehr berührend Und sie ist sehr professionell geschrieben.
Ja, hat sich das nicht schon jeder mal gefragt, wie das wohl ausehen würde, wenn man nur noch wenig Zeit hat? Worauf legt man Wert? Schaut man dem Tod ins Auge oder lässt man sich von ihm überraschen, so handelnd, als sei alles normal. Wie sieht das aus, seine persönlichen oder emotionalen Listen noch abzuhaken?
Du hast diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, dem Bedürfnis, sich mit sich selbst und den offenen Rechnungen auseinanderzusetzen in eine Art Endzeitszenarium gekleidet. Der Meteor, der sich über die Erde hermacht.
Gefallen hat mir, wie du die Emotionen zwischen den beiden Liebenden mit ihren Erinnerungen und ihren Familiengeschichten verbunden hast. Und sprachlich und von den Details her sowieso.

Es gibt allerdings eine Sache, die ich dir zu bedenken geben will: Ich kann mir heutzutage kein Szenarium irgendeiner Art vorstellen, das nicht auf die eine oder andere Weise mit der Politik oder mit staatlichem Regelungsbedarf verknüpft ist. Und diese Komponente, die fehlt hier so völlig. Da ist auch ansonsten alles völlig ruhig. Keiner flippt aus oder versucht in einem Massentreck zu entkommen. Es gibt keine Entgleisungen außer einem Kiosk mit eingeschlagenen Fenstern und Durcheinander und dem Hinweis des Freundes, dass man sich ja auch ein Auto klauen kann. Alle leben in deiner Geschichte mehr oder weniger normal weiter oder feiern eben. Keine Massenpanik, keine Fluchtbewegungen, keine oder sehr wenig Gewalt, kein Wort darüber, wie fremde Regierungen plötzlich mit dem Problem umgehen, dass massenweise Europäer zu ihnen flüchten. Das wär mal eine Umdrehung, wenn die Rechten von Heidenau in Afghanistan um Schutz ersuchen müssten. Also ich will jetzt nicht das Spinnen anfangen. Aber vielleicht verstehst du, was ich meine. Ich finde das einfach komisch - und halt so ein bisschen unglaubwürdig, dass so ganz bewusst alles ausgeblendet ist, was einem normalerweise bei Katastrophen solchen Ausmaßes sofort einfallen würde. Aber in deinem Geschichtenkosmos existieren nur Menschen, die sich alle auf ihre Weise sehr ähnlich verhalten, sehr ruhig und ergeben. Der Hintergrund kommt nur sehr angedeutet vor wie so ein in Pastellfarben hingehuschtes Bild. Und falls du sagen willst, dass das halt die letzte Stufe des Abfindens mit dem eigenen Tod ist, dann finde ich das zwar okay, aber mir fehlt dann halt trotzdem irgendein Hinweis darauf. Dieser Kiosk allein genügt da nicht.
Also was mir halt aufstößt, das ist, dass die Realität in Form von Gesellschaft, Staat, Massenverhalten so völlig ausgeblendet ist, das aber in einer Geschichte, die allein durch die von dir gesetzten Rahmenbedingungen schon danach schreit, dass da die ein oder andere Information kommt. Du hast so eine Art Käseglocke gebildet um deine beiden Helden und ihre Familiengeschichten herum. Das ist zwar einerseits gut, aber aus meiner Sicht zumindest einfach nicht in dem richtigen Gleichgewicht.

Trotz des Kritikpunktes, hab ich deinen Text wahnsinnig genossen. Hat mir wirlich sehr gefallen. Schon gleich das erste Bild (bzw. der Wunschtraum) im Gras zu liegen, wie du das beschreibst. Auch die Andeutung dann, ohne den Meteoriten zu nennen, dass er kommt. Genreleser wissen da gleich. Er kommt eben, der Sausack von Meteorit.


Anbei aufgeschnappt:

Und dann verschwommen die Konturen der Häuser und Straßen.
verschwammen muss es heißen.

Seine Mutter hatte auf die Uhrzeiger im Schlafzimmer gestarrt und vor sich her geflüstert. Nick hatte mit ihr spielen wollen, mit ihr und dem T-Rex und den Velociraptoren. Doch sie saß nur auf dem Bett und sagte, sie würde später mit ihm spielen. Und dann wurden die Schatten länger und das Sonnenlicht verließ das Wohnzimmer. Aber Nick ging nicht schlafen, wollte bei seiner Mutter sein, wenn er kam.
irgendwie denk ich mir, das müsste vor sich hin flüstern heißen. Grund: her bedeutet ja, dass etwas zu mir von einem anderen Punkt aus her kommt. Wie soll das beim Flüstern gehen. Das trennt sich ja nicht von deinem Mund ab und schwirrt mal eine Zeit lang im Zimmer rum und kommt dann wieder her zu dir.
Den T-Rex und die Velociraptoren find ich klasse. Das sind so Details, die ich meine, dass da dann auch so eine Art von verbindung zwischen den Gummisauriern und der eigentlichen story hergestellt wird.
Und das zweite "wenn er kam" find ich hier nicht gut, der Leser weiß ja, dass es nicht der Meteor sein kann. Man kommt schon auf den Vater, aber ich weiß nicht, warum diese artifizielle Ähnlichkeit zum Meteor hier. ich finde, das bringt gar nichts und klingt nur komisch. Ich würd den saufenden Vater da schneller einsetzen.

So - und jetzt mach ich mal lieber wieder Schluss.
Ich wünsch dir was und bis die Tage
Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber josefelipe,

Manch einer hat’s schwer auf der Welt, mit der Welt, oft auch mit sich.
Ich sollte den Mund wieder schließen.
Seit wir in Kontakt sind, mag ich Dich sehr. Du bist unglaublich sensibel und liebenswürdig.
Desto mehr schmerzt es mich, der ich hier meine Leseeindrücke zu einem großen Lob bündeln wollte, das nicht zu Ende bringen zu können.

Ach ja, das Leben ist für so manchen schon nicht einfach, da muss man sich nur mal ein bisschen mit Kafka beschäftigen, dem armen Tropf. Aber du bist geradeheraus und direkt, das ist eine gute Charaktereigenschaft, da freue ich mich natürlich auch über deine ehrliche Meinung. Aber keine Sorge, ich bin nicht Kafka und mir geht's blendend. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. :D Ich finde einfach, das Zitat passt gut zur Geschichte. ;) Und so traurig die Geschichte ist, so ist doch irgendwo was Tröstliches und Hoffnungsvolles in ihr. Das sehe ich zumindest so.

Lieber Himmel – das hört ja gar nicht auf. Als altes Küchenmonster muss ich an ein Rezept mit vierundvierzig Zutaten denken.
Das ist mir zu viel. Ich kapituliere. Ich finde das wirklich sehr schade, denn Du bist mit Haut und Haaren im Schreibmetier. Wie habe ich Deine „Kreise“ genossen! Diese Geschichte werde ich nie vergessen. Einfach perfekt war die – egal, von welcher Seite man sie betrachtete: das war eine Meisterleistung! Und sie ist für mich Vorbild. So muss eine KG marschieren. Yeah, verdammt!

Das gibt mir schon zu denken, ist doch klar, zumal Kreise länger ist. Nicht wesentlich, aber immerhin. Gut, das Sujet ist ein anderes, die Charaktere sind wesentlich jünger und die Zielgruppe eine andere, auch wenn das Motiv des Einsam-Sterbens hier wieder Einzug erhält. Gut, die Geschichte konnte dich einfach nicht fesseln, das finde ich wirklich schade, aber es gibt immer ein nächstes Mal. ;)

Als Kurzgeschichten-Leser fühle ich mich überfordert.

Da frage ich mich, woran es lag. Am Sujet, am Stil, an den Figuren, an der Atmosphäre? Vielleicht muss ich nochmal Kreise lesen, um das klarer nachvollziehen zu können, das letze Mal ist schon lange her.

Deine Anmerkungen habe ich umgesetzt, vielen vielen Dank. Aber die Dinos und die Augen bleiben drin, tut mir leid. Die sind mir zu wichtig für die spätere Handlung, aber einmal rehbraun habe ich gestrichen. ;)

Soviel Arbeit, so viele Bedenken, Änderungen, Verbesserungen, Zweifel, berauschende Gefühle der Selbstüberschätzung und Gichtschmerzen im Kopf – nur wegen dieser gottverdammten Schreiberei! Junkie zu sein ist Scheiße.

Da sagst du was, lieber josefelipe. Das war eine verdammt intensive Woche, die ich mit dem Schreiben dieses Textes verbracht habe. Wäre nicht vorlesungsfreie Zeit, ich wüsste nicht, ob ich das Ding nicht mangels Zeit und Konzentrationsfähigkeit frühzeitig in die Tonne getreten hätte. Schreiben ist nicht einfach, absolut nicht.

Ich nehm's dir absolut nicht übel, Gott bewahre, und bedanke mich stattdessen, dass du dir dennoch die Zeit genommen hast, den Text zu kommentieren.

Die besten Grüße und bis bald,
gibberish

--

Liebe Novak,

verdammt, wieder kommentierst du eine meiner Geschichten und ich habe den Gefallen bisher noch nicht erwidert. Immer wenn ich dazu komme, deine Geschichten zu lesen, haben sie bereits 30-40 Kommentare, da denke ich mir, was könnte ich ihr denn schon Neues erzählen. Aber deine nächste, die kommentier ich, so wahr mir Gott helfe. ;)

Mir gefällt deine Geschichte außerordentlich gut. ich hab sie nicht nur sehr genossen, sie ist einfach sehr berührend Und sie ist sehr professionell geschrieben.

Danke, danke, danke. Das bedeutet mir so viel. Es freut mich, dass du das Lesen genossen hast.

Ich kann mir heutzutage kein Szenarium irgendeiner Art vorstellen, das nicht auf die eine oder andere Weise mit der Politik oder mit staatlichem Regelungsbedarf verknüpft ist. Und diese Komponente, die fehlt hier so völlig. Da ist auch ansonsten alles völlig ruhig. Keiner flippt aus oder versucht in einem Massentreck zu entkommen.

Das ist ein gutes Argument. Ich habe bewusst auf sowas verzichtet, ebenso wie auf großartiges Erklären des Meteoriten, um den Konflikt nicht zu verwässern. Und die letzten Tage, die ich hier versuche zu beschreiben, ja, ich glaube, da hat die Regierung nicht mehr viel zu melden. Wer soll die Menschen davon abhalten, nach Afghanistan u.ä. zu reisen, wenn Grenzpolizisten bei ihren Familien sein wollen und Politiker sowieso nichts mehr ändern können. Aber du hast recht, wenn du sagst, dass da so ein bisschen was fehlt, so eine Erklärung, warum die Straßen leer sind und keiner durchdreht. Ich denke, ich werde noch ein paar Sätze bezüglich der "Völkerwanderung" und dem Regierungsapparat schreiben, aber nicht wirklich ausführlich, fürchte ich. Ich denke, das Gespräch mit Sven im Club böte sich da an.

Genau das ist auch eigentlich das, was mich an Endzeitstorys so stört, dieses Verwässern. Ich meine, da ist so viel Potenzial auf zwischenmenschlicher Ebene und dann wird das einfach weggeworfen, indem ein Bruce Willis in selbstmörderischer Absicht den Meteoriten in die Luft jagt oder die US-Regierung mit der NASA stundenlang Pläne austüftelt, Technikgequatsche mitinbegriffen und die Regierung irgendwelche Bunker baut und Politiker und die gehobene Gesellschaft da unterbringen will. Ich habe neulich Melancholia von Lars von Trier gesehen, und da dachte ich mir, so stelle ich mir Endzeitfilme vor. Da war der Planet, der in die Erde kracht, auch nur ein Aufhänger, um etwas anderes zu zeigen, und am Ende hatte man nicht das Gefühl, einen Endzeitfilm gesehen zu haben. So ähnlich wollte ich hier vorgehen. Aber ich denke, dass ein paar erklärende Sätze, wie von dir angemerkt, nicht schaden könnten. ;)

EDIT: Ich habe jetzt ein paar Sätze dazu eingefügt, aber wirklich nur ein paar. Vielen Dank für die Anregungen. ;)

Die angemerkten Fehler sind selbstverständlich beseitigt.

Vielen vielen Dank für deinen Kommentar.

Ich wünsche dir einen schönen Tag und man sieht sich,
gibberish

 

Hallo gibberish

Die Ausgangslage finde ich sehr spannend. Ein Komet rast auf die Erde zu, und der Großteil der Menschen (oder vielleicht auch alle) hat nur noch ein paar Tage zu leben. Von dieser Ausgangsposition kann man in ganz viele Richtungen gehen. Bislang habe ich von dir glaube ich nur Texte aus dem Horror-Bereich gelesen, und in die Richtung hättest du auch hier wieder gehen können (Stichwort Apokalypse). Du wählst allerdings ein anderes Thema diesmal, konzentrierst dich auf eine junge Liebesgeschichte und das Schicksal zweier Menschen, die beide mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen haben.

Ich starte mal mit dem Fazit: Ich finde es gut umgesetzt und hatte Spaß beim Lesen. Zum Schluss übertreibst du es aber für mich, da sind zu viele Elemente, wo ich als Leser das Gefühl habe, der Autor möchte mich betroffen machen. Es ist wie bei einem Essen, in dem zu viele Gewürze sind - jedes für sich würde gut schmecken, aber alle zusammen - das ist zu viel. So kam mir der Text am Ende vor. Da sind tolle Ideen und Ansätze, aber weil du vieles davon unterbringen willst, kannst du an einigen Stellen nicht richtig in die Tiefe gehen, und es fügt sich nicht sauber zu einem Ganzen zusammen - besser wäre es gewesen, auf bestimmte Handlungsstränge zu verzichten und dich dafür auf andere mehr zu konzentrieren.

Aber gut, mal der Reihe nach:

Es war Sommer, der heißeste seit Jahren, so ein Sommer, in dem alles flimmerte und verschwommen zu sein schien, die Menschen, die Häuser, die Autos.

Was grundsätzliches zum Stil: Ich finde den Text überwiegend sauber und ordentlich geschrieben ohne größere Stolpersteine. Vieles von dem, was ich jetzt bringe, ist mir auch erst beim zweiten Lesen aufgefallen, wo ich auf solche Dinge aufmerksamer geachtet habe. Ich finde, du hast unheimlich viele Wortwiederholungen drin, vielleicht zitiere ich noch die eine oder andere Stelle. Das ist natürlich nicht per se schlecht (hier zum Beispiel finde ich das 2x Sommer ok), manchmal lockert es den Text auf und bringt einen plaudernden Ton hinein, gerade auch bei der wörtlichen Rede. Aber ich bin nicht sicher, ob du es immer absichtlich gemacht hast :).

Warum ich obige Stelle eigentlich zitiert habe: "zu sein schien" - klingt nicht gut, ist auch sinngemäß falsch. Die Dinge scheinen ja nicht verschwommen zu sein, sie sind es aufgrund der heißen Luft tatsächlich. Aber eigentlich sagt das "flimmern" schon alles aus, also brauchst du den Zusatz mit dem "verschwommen" überhaupt?

Als wäre die Welt eine einzige Fata Morgana.

Braucht es auch nicht, hast du bereits erklärt.

„Wenn ich an das Feuer denke und an die Hitze, da hab ich Angst. Aber die Wiese und die Grillen … denke ich daran, dann habe ich keine Angst vor dem Meteoriten“, sagte Anna.

Tja ... also Novak hat da einen sehr guten Punkt angesprochen. Diese Ruhe der Protagonisten vor dem unausweichlichen Ende ist erstaunlich. Ich meine, die wissen, dass sie kurz davor sind, in einem Feuerball zu verenden, und Anna denkt an die Wiese und Grillen. Dass nicht jeder Mensch panisch wird, verstehe ich (obwohl es die meisten wären, meiner Meinung nach, und das totale Chaos ausbrechen würde), und ich akzeptiere auch deinen Punkt, dass es dir gar nicht so sehr um den Weltuntergang geht, sondern um das Zusammenspiel von Nick und Anna.

Aber ich denke auch, dass du es dir hier etwas zu leicht machst. Du hast dich entschieden, ein so zentrales und bedeutendes Element wie die Kollision einzuführen - da kannst du die Konsequenzen nicht einfach ausblenden. Das ist mir einfach an zu vielen Stellen aufgefallen, auch später, wenn von funktionierender Infrastruktur die Rede ist, vom Krankenhausbetrieb, der - zumindest in Teilen - aufrecht erhalten wird, von Flugzeugen, die noch regulär fliegen, von Barkeepern, die noch ihrer Arbeit nachgehen - nee, das funktioniert dann nicht mehr für mich. Auch die zitierte Stelle, das ist so kitschig-verklärt; die werden in einem Feuerball umkommen, aber so lange da Wiesen und Grillen um einen herum sind, ist das schon ok. Das nehme ich der Figur nicht ab, und das sind dann so Stellen, wie ich in meinem vorgezogenen Fazit meinte, da hab ich das Gefühl, der Autor will mich betroffen machen - weil du bestimmte Aspekte betonst, andere aber komplett ignorierst. Also dass da Menschen an diese Stelle fahren, um dort zu sterben, sich dieses (bestimmt imposante) Naturschauspiel kurz vor dem Tod noch anschauen wollen - das glaube ich sofort. Aber solche Sätze wie oben, mit denen hab ich dann Schwierigkeiten.

und dann hatte sie die Meldungen gelesen, von Feuer und Staub und dem Tod. Und dann war er gekommen.

Da bin ich gestolpert, weil ich dachte, "er" im zweiten Satz bezieht sich auf den Tod. Das ist so ein bisschen das Problem zu Beginn, dass du selten die Namen erwähnst. Das ist mir auch zu Beginn des Absatzes aufgefallen:

Sie hatte sie betreten und alles hatte so neu gerochen, aufregend, nach Zukunft. Sie hatte sich auf den Laminatboden gelegt und an die Zimmerdecke gestarrt. Weiß, unberührt. Sie hatte zuvor beim Klempner angerufen, weil der Wasserhahn in der Küche tropfte. Sie würden jemanden vorbeischicken, hieß es. Dann war sie aufgestanden, hatte ihre Musik angemacht und war durch den Raum getanzt. Sie hatte sich zu Taylor Swift im Kreis gedreht und gedankenverloren aus dem Fenster geblickt, als sie Beethoven gehört hatte.

Es schadet nicht, hier anstelle der ganzen "sie" auch mal den Namen zu schreiben, gerade zu Beginn der Geschichte, wenn man die Figuren noch nicht so gut kennt.

die anfängliche Zurückhaltung überwand, dann fand man auf dem Grund Geborgenheit und das Gefühl von Wärme, innerer Wärme.

Das hast du oft, die angesprochene Wortwiederholung, und dass du ans Ende eines Satzes nochmal so ein Anhängsel hinhängst, das Gesagte nochmal präzisierst. Mir persönlich gefällt das nicht so gut, oder zumindest nicht in der Häufigkeit, wie ich es hier im Text gesehen habe. "Gefühl von Wärme" würde eigentlich schon reichen, wobei die Formulierung auch schwammig ist. Warum nicht einfach: "... dann fand man auf dem Grund Geborgenheit und Wärme." Ich finde die knapperen Formulierungen meist treffender.

Bei jedem Blinken verging eine Sekunde, aber nie wusste man, wie viele Sekunden genau vergangen waren und wann die nächste Minute anbräche.

Ist "anbräche" korrekt hier? Oder nicht "anbrach"? Kam mir komisch vor beim Lesen. Auch hier brauchst du den Teil nach dem "und" aber nicht (du sagst im Prinzip dasselbe zweimal), mir gefällt der Satz besser, wenn er nach dem "waren" endet.

Wie damals, als Nick im Wohnzimmer seines Elternhauses mit den Dinos gespielt hatte und ins Schlafzimmer blicken konnte.

Mit der Geschichte von Nick bin ich nicht so glücklich. Ich finde den Teil von Anna viel interessanter, ihre Schuldgefühle, und dann natürlich die Rolle von Nick, wenn er sich entschließt, ihre Mutter zu töten. Dass du Nick jetzt auch noch ein so schweres Schicksal mit auf den Weg gibst, finde ich eben zu viel des Guten, das braucht die Geschichte nicht. Da hätte ich es viel interessanter gefunden, Nicks Entscheidung Annas Mutter betreffend noch mehr zu beleuchten. Ich weiß, du magst die Stelle mit den Dinos, und ja, der Teil hat was, aber dass jetzt sowohl Nick als auch Anna solch eine schwere Vergangenheit mit sich herumschleppen - also eigentlich könntest du jedes Schicksal einzeln nehmen und darum eine gute Geschichte stricken.
Hier haben wir jetzt den Unfall von Annas Mutter, Annas Schuldgefühle, Nicks schwere Kindheit, Nicks Entscheidung, Annas Mutter zu töten und dann natürlich noch den Kometen. Natürlich hängen diese Dinge teilweise zusammen, aber in meinen Augen willst du hier zu viel, und am ehesten kannst du an Nicks Storyline schrauben (zumal der Teil später auch ziemlich kitschig wird).

in die sein Vater ihn gesperrt hatte, immer wenn er so roch

Kleinigkeit vielleicht, aber hier schwankst du in der Perspektive, finde ich. Der Satz ist aus Sicht eines Kindes geschrieben, das hier eben sagt: Mein Vater macht das, wenn er so riecht. Anstatt von: Mein Vater macht das, wenn er betrunken ist. Weil ein Kind Ursache und Wirkung hier vielleicht nicht kennt. Aber dann hast du im selben Absatz auch Begriffe wie Neonleuchten oder Bourbon (von dem du sogar schreibst, Nick konnte ihn "damals" nicht zuordnen). Also das passt noch nicht so ganz - ist es jetzt eine Rückblende aus Nicks heutiger Sicht, oder beschreibst du die Szene, wie Nick sie als Kind erlebt hat?

Dann hatte er auf den Spalt unter der Tür geblickt, der einzigen Lichtquelle im Raum, die morgens grell wie eine Neonleuchte wurde

Lass die Neonleuchte doch einfach weg. Warum wird es unter dem Türspalt den so hell? Es reicht ja schon ein Schimmer Tageslicht, dass die Soldaten erkennbar werden.

Er verfolgte ihre Konturen mit seinen Fingern, fühlte jede Wölbung, jede Vertiefung und wünschte sich, sie wären echt und könnten für ihn tun, wozu er nicht imstande gewesen war.

Benenne das doch. "... und wünschte sich, sie wären echt und könnten für ihn kämpfen." Warum drumherum reden?

Doch alles, was sich am Nachthimmel bewegte, waren die Lichter eines Flugzeugs. Es war vermutlich auf den Weg nach Amerika oder Japan, an einen Ort, den die Schockwelle und die Hitze des Aufpralls nicht erreichen würde.

Hab ich vorhin erwähnt - ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass da noch regulärer Flugbetrieb herrscht. Die Leute würden doch alle den Flughafen überrennen und sich um Plätze prügeln, um da wegzukommen.

Und die Zinnsoldaten grinsten höhnisch und lachten und zielten mit ihren Gewehren auf seine Brust.

"höhnisch grinsen" ist eine unglückliche Formulierung, finde ich. Mir ist nicht aufgefallen, dass der Text viele unnötige Adjektive hat, dieses ist so eins, weil es halt so eine 08/15-Formulierung auch ist. Ich finde den Satz besser wenn du auch hier verknappst: "Und die Zinnsoldaten grinsten und zielten mit ihren Gewehren auf seine Brust". (das ... "und lachten" kannst du weglassen, weil es das Grinsen, welches in dem Zusammenhang viel besser ist, überdeckt).

Das Piepen war fort. Das maschinelle Piepen, das bedeutete, dass ihre Mutter am Leben war.

Lass doch den zweiten Satz weg, das ist so ein überflüssiger Erklärsatz.

Anna konnte ihr die Kälte ansehen, die in ihr wohnte.

Der Satz klingt nicht gut, ist mir auch zu viel Pathos.

Anna schenkte ihm keine Beachtung, starrte auf die weiße Bettdecke, die sich nicht mehr hob, nie mehr heben würde.

Ich weiß nicht - wird der Satz durch das "nie mehr heben würde" besser? Oder ist er ohne besser? Braucht es immer wieder diese Zusätze? Denn es ist doch eigentlich klar, oder?

Wie erwähnt gibberish - das sind viele Dinge jetzt, die vielleicht kleinlich erscheinen, und viele davon sind mir auch beim ersten Lesen nicht aufgefallen. Also das ist, wenn du so willst, "jammern" auf hohem Niveau. Ich hänge auch oft an solchen Stellen, und man muss abwägen dann. Ich will dir nur zeigen, wo man in dem Text sprachlich meiner Meinung nach noch ansetzen könnte, um ihm noch einen extra Feinschliff zu geben vielleicht.

Der Keeper nickte, Nick hob die Hand.

Hier haben wir den Barkeeper. Überall halbnackte, willige Mädels, und der Typ schenkt noch aus? Der DJ spielt noch Musik? Na ja. Den Teil nehme ich dir noch eher ab als die Flugzeuge, heutzutage gäbe es vielleicht wirklich solche "Weltuntergangs"-Partys.

„Oh, Mister Gesetze-gelten-selbst-wenn-die-Welt-untergeht. Schön, hier isser. Karre is vollgetankt.“

Wie praktisch :) Auch hier wieder: Gibt es noch Benzin an den Tankstellen? Für uns ist das natürlich alles selbstverständlich, aber wie oft denkst du, würden die Zapfsäulen noch aufgefüllt, wenn in zwei Wochen alle Lichter ausgehen? Denkst du nicht, dass die Leute sich für Benzin umbringen würden, nur damit sie wegkommen (oder vielleicht ein letztes Mal ihre Liebsten sehen können, die an entfernten Orten wohnen)? Und warum tankt der Typ sein Auto auf, wenn er gar nicht vorhat, es zu benutzen? An solchen Stellen machst du es dir halt dann schon ein bisschen einfach.

Und glaubst du nicht, dass die Straßen alle verstopft wären? Also auch die in Richtung des Kometen, denn irgendwann spielt es ja keine Rolle mehr, auf welcher Seite man fährt, Hauptsache man kommt weg vom Einschlag.

„Warum nicht? Ideale? Scheiß doch drauf! Meine Ex war Vegetarierin, bis zu der Nachricht. Dann hat sie Fleisch gefressen wie nix Gutes, war ihr dann voll egal. Komisch, diese Ideale.“

Finde ich noch einen interessanten Gedanken. Davon würde mich mehr interessieren, aber ich weiß, es war nicht deine Absicht, zu intensiv auf die gesellschaftlichen Auswirkungen einzugehen.

Ein merkwürdiges Gefühl der Trauer erfasste sie, tief in ihrem Innern.

"merkwürdiges Gefühl der Trauer" - warum schreibst du hier nicht einfach: "Trauer erfasste sie." Wäre dir das zu knapp, findest du, da geht was verloren?

von meinem Vater, der sich ein schönes Leben in Amerika macht und von dem ich nur Überweisungen zu sehen kriege.

Finde ich zum Leser gesprochen (weil Nick ja schon von ihm weiß). Den Vater braucht es doch nicht, warum hier erwähnen?

„Nun, genau weiß ich es nicht, aber Menschen verändern sich, wenn sie wissen, dass sie bald sterben werden.“
„Oder das Wissen bringt nur etwas zum Vorschein, was schon lange da ist.“
Nick blickte weiter auf die Straße und antwortete nicht.

Hat mir auch gut gefallen der Gedanke. Brauchtest du deshalb die Vorgeschichte von Nick?

Etwas bleibt immer zurück. Man muss es nur finden, irgendwo, irgendwann. Wissen über das, was vorher war. Und wenn du dieses Wissen gefunden hast, wirst du es nie vergessen, es bleibt immer in dir drin. Du musst dich nur daran erinnern.

Finde ich schon bisschen schwülstig die Stelle. Sie wirkt aufgesetzt auf mich.
Also du siehst, ich bin mit der Vorgeschichte von Nick nicht so glücklich, sehe auch nicht, dass du sie für deine Haupthandlung brauchst. Ich wäre dafür, sie rauszunehmen und eher die anderen Teile noch einen Deut mehr zu beleuchten.

Gut - also insgesamt finde ich, du machst vieles richtig in der Geschichte. Du hast ein Auge fürs Detail, du denkst dir interessante Figuren aus, hast gute Konflikte und lässt deine Figuren nachvollziehbar damit umgehen. Das sind schon wirklich gute Voraussetzungen. Ich würde noch ein wenig an der Gewichtung arbeiten. Überlegen, ob es nicht wert ist, an der einen oder anderen Stelle noch mehr in die Tiefe zu gehen und dafür auf einen Handlungsstrang, der nicht ganz so wichtig ist für den Text, zu verzichten.
Sonst haben wir halt den Teil mit dem Kometen, was auch Novak schon angesprochen hat. Ich denke, der Text würde nicht verlieren, wenn du die Auswirkungen noch mehr berücksichtigen würdest, ohne dass sie die Haupthandlung überdecken.

Alles in allem hab ich das aber sehr gern gelesen, gibberish.

Viele Grüsse,
Schwups

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Schwups,

wow, erstmal vielen Dank für den ausführlichen Kommentar, da hast du dir echt viel Arbeit gemacht, um mir weiterzuhelfen. Das weiß ich zu schätzen. Und wieder muss ich die ganze Geschichte nochmal überdenken. ;)

Da sind tolle Ideen und Ansätze, aber weil du vieles davon unterbringen willst, kannst du an einigen Stellen nicht richtig in die Tiefe gehen, und es fügt sich nicht sauber zu einem Ganzen zusammen - besser wäre es gewesen, auf bestimmte Handlungsstränge zu verzichten und dich dafür auf andere mehr zu konzentrieren.

Ja, ich hatte befürchtet, dass das zu viel Stoff für eine Kurzgeschichte ist, diese zwei Hintergrundstorys und dann noch der Meteorit und die Reise. Würde definitiv für einen Roman reichen. Warum ich das trotzdem in eine Kurzgeschichte gequetscht habe? Weil ich weiß, dass ich nicht das Durchhaltevermögen habe, etwas Längeres zu schreiben. Aber die Ideen waren da und mussten raus. Sind vielleicht tatsächlich zu viel Handlungsstränge geworden.

Hier haben wir jetzt den Unfall von Annas Mutter, Annas Schuldgefühle, Nicks schwere Kindheit, Nicks Entscheidung, Annas Mutter zu töten und dann natürlich noch den Kometen. Natürlich hängen diese Dinge teilweise zusammen, aber in meinen Augen willst du hier zu viel, und am ehesten kannst du an Nicks Storyline schrauben (zumal der Teil später auch ziemlich kitschig wird).

Danke für den Gedankenanstoß. Gibt mir schon zu denken, dass Nicks Hintergrund als streichbar eingestuft wird, hatte eher das Gefühl, Annas Story wäre kürzbar. Die Notwendigkeit von Nicks Beziehung zu seiner Mutter kommt im vorletzten Absatz zum Tragen, mit Annas Aussehen und dem Bewahren vor Leid. Aber du hast sicher recht, wenn du sagst, dass man da kürzen kann/muss. Ich weiß nur nicht, wo anfangen. Da muss ich drüber nachdenken, ich weiß nicht, ob ich zum Zerhacken dieser Geschichte in der Lage bin. Muss ich drüber schlafen.

Diese Ruhe der Protagonisten vor dem unausweichlichen Ende ist erstaunlich. Ich meine, die wissen, dass sie kurz davor sind, in einem Feuerball zu verenden, und Anna denkt an die Wiese und Grillen. Dass nicht jeder Mensch panisch wird, verstehe ich (obwohl es die meisten wären, meiner Meinung nach, und das totale Chaos ausbrechen würde), und ich akzeptiere auch deinen Punkt, dass es dir gar nicht so sehr um den Weltuntergang geht, sondern um das Zusammenspiel von Nick und Anna.

Du hast dich entschieden, ein so zentrales und bedeutendes Element wie die Kollision einzuführen - da kannst du die Konsequenzen nicht einfach ausblenden. Das ist mir einfach an zu vielen Stellen aufgefallen, auch später, wenn von funktionierender Infrastruktur die Rede ist, vom Krankenhausbetrieb, der - zumindest in Teilen - aufrecht erhalten wird, von Flugzeugen, die noch regulär fliegen, von Barkeepern, die noch ihrer Arbeit nachgehen - nee, das funktioniert dann nicht mehr für mich.

Ich denke, irgendwann kommt - auch in einer solchen Situation - der Punkt, an dem die Panik der Akzeptanz weicht. Ich meine, man kann es ja nicht ändern, da kann man noch so ausrasten und seine Nachbarn meucheln. So hab ich auch beim Dozenten, dem Krankenhaus und dem Barkeeper gedacht. Irgendwie muss es ja weitergehen, vielleicht mit Verdrängung auch, das war jedenfalls meine Intention. Der Dozent vergisst den Weltuntergang beim Vortragen, der Barkeeper bei dröhnender Musik und Alkohol. Also Verdrängung und Akzeptanz anstelle von Panik und Wut, so hatte ich mir das gedacht. Schade, dass es nicht funktioniert. Ärgere mich grad ein bisschen darüber, dass ich das anscheinend verhauen habe, aber hilft ja nix, auch da muss ich nochmal drübergehen, Konsequenzen einfügen und Auswirkungen näher beleuchten. Mein Kopf raucht jetzt schon. Aber das Flugzeug, das hab ich schon mal gestrichen. ;)

Was grundsätzliches zum Stil: Ich finde den Text überwiegend sauber und ordentlich geschrieben ohne größere Stolpersteine. Vieles von dem, was ich jetzt bringe, ist mir auch erst beim zweiten Lesen aufgefallen, wo ich auf solche Dinge aufmerksamer geachtet habe. Ich finde, du hast unheimlich viele Wortwiederholungen drin, vielleicht zitiere ich noch die eine oder andere Stelle. Das ist natürlich nicht per se schlecht (hier zum Beispiel finde ich das 2x Sommer ok), manchmal lockert es den Text auf und bringt einen plaudernden Ton hinein, gerade auch bei der wörtlichen Rede. Aber ich bin nicht sicher, ob du es immer absichtlich gemacht hast.

Zunächst einmal freut es mich, dass ich dich beim Lesen kaum ins Stolpern gebracht habe. Und ja, die Wiederholungen waren tatsächlich Absicht. Ich wollte mal ein bisschen mit dem Stil experimentieren, das mal versuchen, sehen wie weit ich damit gehen kann. Hab's wohl übertrieben. Einige Stellen habe ich entschärft und Wiederholungen entfernt. Danke auch für deine weiteren Anmerkungen, ich habe glaub ich alle soweit übernommen.

Der Schwulst am Ende, ja, der war schon so gewollt. Aber dass jetzt bei dir der Holzhammer draus geworden ist, das gibt mir auch zu denken, klar. Denn wenn der Leser denkt, der Autor will ihn unbedingt betroffen machen, funktioniert der Text nicht. Und das kann man ja nicht wollen. Generell ist die Resonanz zu dieser Geschichte ganz komisch irgendwie. Bei den Leuten, denen ich meine Geschichten schicke, und auch hier. Der eine findet es berührend, den anderen stimmt es nachdenklich, wieder andere finden sie schnulzig oder einfach nur romantisch. Weiß auch nicht, wie ich damit umgehen soll. Verwirrend alles. Deswegen weiß ich auch nicht, wo ich den Rotstift ansetzten soll und ob ich überhaupt drastisch verändern sollte, oder ob ich die Geschichte damit nicht kaputt schneide irgendwann. Wie gesagt, da muss ich nochmal drüber nachdenken.

Auf jeden Fall vielen Dank für das zweimalige Lesen und das Zerpflücken. Denn deshalb bin ich schließlich hier. Auch wenn ich jetzt erstmal einen Kaffee brauche. :D

Liebe Grüße und danke für deine Zeit und Mühe,
gibberish

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi gibberish!

Novak schrieb:

Keiner flippt aus oder versucht in einem Massentreck zu entkommen. Es gibt keine Entgleisungen außer einem Kiosk mit eingeschlagenen Fenstern und Durcheinander und dem Hinweis des Freundes, dass man sich ja auch ein Auto klauen kann. Alle leben in deiner Geschichte mehr oder weniger normal weiter oder feiern eben. Keine Massenpanik, keine Fluchtbewegungen, keine oder sehr wenig Gewalt, kein Wort darüber, wie fremde Regierungen plötzlich mit dem Problem umgehen, dass massenweise Europäer zu ihnen flüchten. Das wär mal eine Umdrehung, wenn die Rechten von Heidenau in Afghanistan um Schutz ersuchen müssten.
und dem kann ich mich anschließen. Ich sehe das als den großen Kritikpunkt in dieser Geschichte - du stellst ein wahnsinnig spannendes Szenario auf, ein Komet rast auf die Erde zu, und jedes einzelne Individuum auf diesem Planeten ist plötzlich damit konfrontiert, bald zu sterben. Und die Konsequenz daraus müsste extrem wichtig und authentisch sein: Wie geht die Menschheit damit um? Das hat mich so ein bisschen an Melancholia von Trier erinnert, da ist es ja ein ähnliches Szenario - aber bei dir läuft einfach alles so weiter wie bisher. Barkeeper machen ihren Job, Leute im Gesundheitsfaktor auch ... das ist ein Spannungskiller. Selbst wenn es so sein könnte - lass das die Menschen in deiner Geschichte nicht machen! Da steckt so viel Konfliktpotential und Spannungspotential drin, gleichzeitig kommt mir das als Leser sehr unauthentisch vor, dass die Menschen mehr oder weniger ihr Leben einfach weiterleben, gut, einen über den Durst trinken, sich was schmeißen, aber dann gehen noch welche arbeiten ... nee. Das würde in der Realität nicht so sein. Ich würde den Text hier evtl. als Version 1 betrachten, und versuchen, das alles noch mal neu aufzurollen. Die Figuren hast du und die Story und die Konstellation und den Grundkonflikt auch. Versteh mich nicht falsch - du kannst schreiben, deine Sprache ist toll, das liest sich weg, aber du verschenkst hier viel Spannungspotential und lässt mich als Leser ein bisschen enttäuscht zurück, indem einfach nichts Aufregendes mit der Welt passiert, wenn dieser Komet kommt. Klar, wenn ein Komet kommenw ird, dann gibt es sicherlich diejenigen, die nur bei ihrer Familie sein wollen, Ruhe, aber das werden bei Weitem nicht alle sein. Die Welt müsste völlig aus den Fugen geraten in deiner Story, die Versorgung bricht zusammen, der Gesundheitssektor auch, die Regierung will Ruhe suggerieren und Paniken vorbeugen, aber selbst der Großteil der Polizisten erscheinen nicht zum Dienst, weil sie bei ihren Familien sein wollen oder vergewaltigen und sich volldröhnen. Überrasche deine Leser mit guten Ideen, was da passieren könnte. Es gibt z.B. Pläne, Kometen mit Nuklearraketen die Laufbahn verändern zu wollen, oder es gibt auch Pläne, mit Satelliten Kometen an einer Seite mit weißer Farbe anzufärben, damit sie die Sonne stärker bestrahlt,dadurch das Gas der Kometen austritt und so den Kometen von seinem Kurs ablenkt.
Zweiter großer Kritikpunkt: Deine Figuren beschäftigen sich nicht mit dem Tod. Zumindest nicht genug. Ich stelle mir vor, dass ich oder Leute die ich kenne, wenn so ein Komet im Anflug wäre, ich würde mir auf jeden Fall Gedanken darüber machen, was danach kommt. Habe ich mein Leben richtig gelebt? Gibt es einen Gott? Ein Jenseits? Ist der Komet Bestrafung, ein Wachrütteln, ein Neuanfang? Hat er eine Bedeutung? Sind die Menschen selbst daran Schuld? Mir hat da ein bisschen der "philosophische" Tiefgang gefehlt, aber vllt ist das auch nur mein persönlicher Geschmack, vllt hätte ich persönlich das einfach gerne so gelesen. Mir hätte da eben als männlichen Part eine Figur gefallen, die neue, originelle Gedanken zum Thema Leben und Tod hat - so eine ganz eigene Philosophie dem Ganzen gegenüber ... ich habe mir gerade True Detective angesehen, keine Ahnung, ob du das auch gesehen hast, aber der Prot, heilige Scheiße, der hat so verworrene und geniale Gedankengänge über das Leben und den Tod und wie das mit dem Universum zusammenhängt - klar, das ist Königsliga, HBO-Produktion, aber so die Richtung hätte ich genial gefunden. Aber wie gesagt, nur mein persönlicher Geschmack, nur so als Anregung.

Hoffe, du kannst was mit meinem Kommentar anfangen. Ich hab's übrigens gern gelesen.

Viele Grüße,
zigga

 

Hey zigga,

Ich sehe das als den großen Kritikpunkt in dieser Geschichte - du stellst ein wahnsinnig spannendes Szenario auf, ein Komet rast auf die Erde zu, und jedes einzelne Individuum auf diesem Planeten ist plötzlich damit konfrontiert, bald zu sterben. Und die Konsequenz daraus müsste extrem wichtig und authentisch sein: Wie geht die Menschheit damit um? Das hat mich so ein bisschen an Melancholia von Trier erinnert, da ist es ja ein ähnliches Szenario - aber bei dir läuft einfach alles so weiter wie bisher. Barkeeper machen ihren Job, Leute im Gesundheitsfaktor auch ... das ist ein Spannungskiller.

Du bist die dritte Person, die das sagt, und langsam sehe ich ein, dass das so, wie ich den Text geschrieben habe, nicht geht. Ich will mich da nicht querstellen, um Gottes Willen, und deine und auch die anderen Anmerkungen sind unglaublich hilfreich, aber ich kenne mich, ein bisschen zumindest. Ich glaube nicht, dass ich das alles in einer Kurzgeschichte vermitteln kann. Gibt ja hier Meister der Verknappung, die unglaublich viel mit zwei Absätzen sagen können, aber das kann ich nicht, und das ist auch nicht Jedermanns Sache, rein vom Stil her. Ich müsste weiter ausholen.
josefelipe war es ja schon zu viel für eine Kurzgeschichte und ich sehe das mittlerweile ähnlich, vor allem nach euren tollen Anmerkungen. Was ich mit dem Text sagen will und was ich für die Authentizität brauche, das ist zu viel Stoff, fürchte ich. Da müsste ich was Längeres schreiben. Lust und Motivation dafür habe ich definitiv, dank eurer Rückmeldungen, aber habe ich auch das Durchhaltevermögen, daraus einen Roman zu machen? Denn, zigga, du sagst, es wäre eine Version 1, und da kann ich nur nicken, denn da ist noch so viel mehr zu tun, viel mehr zu sagen und zu arbeiten, das würde dauern.

Ich will aber nicht, dass ihr denkt, ich nähme mir die Kritik nicht zu Herzen, indem ich sage, ich mach vielleicht einen Roman draus, mal sehen. Nein, ich bin nur ehrlich. Wer weiß, vielleicht sind diese KG und eure motivierenden Kritiken ja der Anfang von etwas Tollem, aber vielleicht auch nicht. Ausflüge in die Romanrubrik in der Vergangenheit haben gezeigt, dass ich vielleicht noch nicht bereit dafür bin, monatelang, vielleicht sogar länger, an einem Text zu arbeiten. Aber ich werde es versuchen, mehr kann ich nicht versprechen. Aber eure Kritiken, die sind beileibe nicht vergebens. Nur das, was das Sujet erfordert, sprengt den Rahmen einer Kurzgeschichte, zumindest in meinen Augen. Gut, ich könnte viel streichen, quasi einen ganz anderen Text schreiben, aber weit ausholen müsste ich dennoch. Finde ich schwierig.

Aber wirklich ein dickes Dankeschön für deine Mühe und deine Anregungen. Die Räder in meinem Kopf rattern schon und ich werde versuchen, mehr aus dieser Version 1 rauszuholen. Auch wenn das lange dauern wird.

Und ja, ich bin ein Lars von Trier-Fan (keine Sau will verstehen wieso) und Melancholia war die Haupt-Inspirationsquelle für diesen Text. Schön, dass dich das daran erinnert hat. ;)

Beste Grüße,
gibberish

 

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