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Das Ende der Schönheit

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31.01.2003
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Das Ende der Schönheit

Das Ende der Schönheit


Ich genieße die Abende, an denen der Schnee an meinen Fenster vorüberzieht und mich einlädt die Formen seiner weißen Pracht zu erspähen. Ich erfreue mich an den Bäumen, die er neu zu schmücken weiß, an der Landschaft, die er einfärbt wie ein Künstler, der mit loderndem Herz die Kälte dieser Zeit einfängt und ihre Schönheit offenbart. Viel Ruhe bringt er mit sich, der Winter, viel Kraft die in seinen starren Armen schläft um zu späterer Stunde neu zu erwachen.
Ich mag diese besinnliche Zeit in der innerer Frieden erwächst und die Gedanken in die Täler der harmonisch klingenden Phantasie schweifen. Sie erblüht wie die Eisblumen an meinem Fenster, prasselt vor sich hin, wie das Feuer in meinem Kamin. Dort sitze ich, lasse mich in andere Welten entführen, die Menschen mit geübter Hand für mich erschufen. Ich lese ihre Worte, betrachte die Bilder, die sie zeichnen und wenn das Buch sich schließt, schaue ich auf die Welt dort draußen, die nicht minder fesselnd ist.
So verbringe ich den Abend wie unzählige zuvor in der beschaulichen Heimat meiner Träume. Und als sich meine Augen schließen, steige ich hinab in die farbenreiche Welt des Unbewussten.

Sanftes Dämmerlicht strömt durch die Lider und zerteilt zärtlich den Nebel, der unter ihnen schwang. Ganz langsam erhebe ich mich aus den Wogen die eben noch in meinen Innern tanzten und widme mich den Alltäglichen Ritualen, die mich vorübergehend aus dem Glanz der Sinnlichkeit entreißen.
Mag die Notwendigkeit gewisser Dinge auch farblos erscheinen, so ist sie doch gleichzeitig fester Bestandteil des höchsten Gutes namens Leben. Dieses zu bereichern ist der Antrieb, der sämtliche Unannehmlichkeit vergessen lässt.
Deshalb macht es mir nichts aus in der klirrenden Kälte das Holz zu hacken, das mir wohlige Wärme spendet, einen Hasen zu töten um mich zu nähren oder meine Hütte auszubessern, wenn die Zeit sie zerstört.
Irgendwann ist die Arbeit beendet und der Tag ruft lächelnd nach dem Licht meiner Seele. Jetzt schwelge ich in seiner Umarmung und spaziere leichten Schrittes durch die winterliche Stille des Waldes, der mir seinen Frieden schenkt, während anderswo die Arroganz des Krieges sprießt.
Damals war ich Teil davon, Teil von ihrem Spiel der Macht und Gewalt. Noch heute sehen meine Augen die Schrecken der Vergangenheit, erklingen in meinen Ohren die Schreie der Gefallenen. So viele Freunde, so viele Feinde, von anderen dazu bestimmt.
Irgendwann entbrannte der Krieg in meinen Innern und ließ mich ruhelos in seinem Sturm treiben, der alles in Frage stellte was ich einst bereitwillig getan hatte. Ich, der Bauer, verließ das Brett und andere nahmen meinen Platz ein, bis ihre Opferung nach neuen Figuren verlangte.
Immerwährend kämpfen Schwarz und Weiß um die Ausdehnung ihrer Herrschaft, immerwährend rollen Tränen, schwingt Unrecht seine Klinge, doch ich floh vor dem Einfluss der Hirne verschlingt.
Wenn meine Gedanken über große Entfernungen schweben, sichten sie das ewige Verlangen nach Ruhm und Macht. Und wenn ungebrochenes Schweigen mich umhüllt, wird der Krieg weiter toben, so lange bis das Schweigen aller ihn verstummen lässt.

Weit davon entfernt gehe ich unter den stummen Blicken hölzerner Giganten, auf den Pfaden unberührter Natur und nehme begierig jedes Detail in mir auf, als wäre es sättigender als das köstlichste Mahl.
Ich löse mich von der Trauer, betäube die Vergangenheit und blicke wieder nach vorn, dort wo meine Fantasie die Schönheit erschafft.
Abseits des Weges begegnet mir der altvertraute Fluss, der damals mein Kommen begrüßte, als ich mich entschloss meinen Lebensabend in den Tiefen melodischer Natur zu verbringen. Ich beobachte gebannt die vollkommene Ruhe in der er fließt, die Schneeflocken, die sich tanzend mit ihm vereinen, die gekräuselte Oberfläche, wenn der Wind streichelnd darüber fährt. Wie unergründlich er mir scheint.
Welch’ verborgene Ländereien mögen sich auf seinem Grund befinden?
Ein Meer aus Pflanzen, die neugierig den Geschichten des Stromes lauschen. Schwärme von Fischen, ihre Neuigkeiten vom Festland in die Weiten des Ozeans tragend. Winzige Gebirge steinerne Paläste, errichtet vom Wasser selbst, um die eigene Heimat mit seiner Schöpfung zu schmücken.
Mein träumender Verstand füllt die Leere des Himmels, spielt mit den lebhaften Phantasien die meinem Geist entströmen.
Ein Geräusch lässt mich zur Seite blicken und da sehe ich voller Erstaunen eine Eule, die mich mit großen Augen neugierig mustert. Erhaben sitzt sie auf einen schneebedeckten Ast, gekleidet in ihr braunes Federkleid und weise wirkend wie ein altehrwürdiger Gelehrter, der meinen Lebensweg nach den Maßstäben seines gehobenen Geistes beurteilt. Gerade will ich weitergehen, doch die Eule breitet ihre Schwingen aus, ein Warnzeichen das ich nicht recht zu deuten vermag. Dennoch setze ich meinen Weg fort und schaue neue, alte Wunder: Der Baum, mein Baum, an dem ich schon so oft vorüberschritt, setzt mich immer noch in Erstaunen. So riesig ist die Eiche, so ausladend ihr verzweigtes Geäst, das mein Verstand nicht ausreicht ihre vollkommene Form zu erfassen. In meiner Vorstellungswelt bin ich das Wasser, das von der Wurzel bis in Krone ihrer Herrlichkeit dringt.
In der Ferne ragt ein Berg empor, verziert mit Wolken, die freudig lachend seine Hänge erklimmen und malerisch die Schönheit vervollständigen, die er würdevoll vertritt. Das Licht der Sonne steigt strahlend auf den Gipfel, wie eine transparente Säule aus Gold die sich in blaue Höhen reckt.
Losgelöst und tief befriedigt tragen mich meine Füße von allein immer tiefer in den Wald, auf einen kaum zu erkennenden Pfad, der bisher nur sehr selten meine Schritte spürte.
Der Schnee ist mein Begleiter, setzt sich sanft auf meinen Körper, um mitgetragen zu werden, in die fürstlichen Gemächer, wie sie nur die Natur hervorbringen kann. Hier ist nur sie der Baumeister. Hier bin ich zu Hause.
Und wieder lässt mich ein Geräusch Ausschau halten nach natürlicher Pracht. Doch dieses Wunder ist mir schon vor kurzer Zeit begegnet und ich beginne mich zu fragen ob ich ein und dasselbe Wesen erblicke oder ob der Zufall nur die gleiche Art mir präsentiert.
Der Gelehrte allein kennt die Antwort und in seinen wissenden Augen spiegelt sich ein seltsam unheilvoller Ausdruck wider. Das Ende der Schönheit beginnt...

Als ich weiter schreite beginnt das Unbehagen zu keimen und all die Pracht verblasst langsam in den schauerlichen Gefühlen, die sonst nur selten in mir aufsteigen, in den schwarzen Gewändern der Nacht. Bedrohlich zieht die Landschaft vorüber, ihre Farben erscheinen plötzlich kalt und düster.
Die Bäume, einst rein und gut, werden böse dreinblickende Gesellen, die nur darauf warten ihre Zweige um meinen Hals zu schlingen.
Das Licht ist fahl und trostlos, beleuchtet mit letzter Kraft eine sterbende Welt, die im Strudel der Gewalt bitterlich ertrunken ist. In mir ist seltsames am Werk. Meine Gedanken erscheinen fremd und meine Bewegungen wie die eines anderen. Mir ist als hätte ich diesen Teil des Waldes noch nie zuvor erblickt, als würde ich ungefragt das Heim eines Unbekannten betreten. Und doch heißt er mich willkommen, verlangt und schreit nach mir, so wie ein zutiefst Verzweifelter es tun würde.
Beinahe glaube ich einen stummen Ruf im Wind zu vernehmen, glaube das Wimmern zu hören, das unter Tränen in dunklen Orten ohne Hoffnung ausgestoßen wird.
Dann wird alles ziellos und ungelenk: Ich bin ein Betrunkener, der im Rausch den Stimmen seines Wahnsinns lauscht, sich ihnen nicht entziehen kann und kurz davor ist zu zerbrechen. Jemand schreit nach Hilfe und etwas anderes verwehrt sie. Jemand leidet und ein anderer zeigt den Schmerz. Jetzt schreien beide, einer stumm und einer laut, bis mein Verstand erbebt.
Ich falle auf die Knie und wir schreien zusammen bis unsere Stimmen heiser sind und der Atem restlos verbraucht ist. Ganz deutlich weht der Tod zu mir heran, schenkt Erleichterung und Frieden. Gott sei dank! Erleichterung und Frieden. Die Klarheit kehrt zurück.

Ich richte mich auf, atme schwer, beobachte hektische Wolken die meinem Mund entweichen. Der Schleier vor meinen Augen zerreißt, enthüllt die Umgebung und lässt meinen Blick auf ängstliches Getier gleiten. Ein Reh hängt in einem Eisen, das wohl eher für einen Bären bestimmt war. Ich kann die Vorstellungen nicht fassen, die mich quälen und doch- Mein Blick ist scharf, meine Sinne deutlich und unverfälscht. Ich sehe wie es versucht sich zu befreien und immer kraftloser wird, sehe das nackte Fleisch und seine roten Tränen, die es auf weißem Boden hinterlässt.
Mein Herz zerspringt bei diesem Anblick, so dass mir im Moment nichts wichtiger erscheint als herbeizueilen und das Tier zu befreien, das ahnungslos Opfer menschlicher Werkzeuge wurde. Voller Panik zerrt es noch mehr, reißt die Wunde tiefer. Meine beruhigenden Worte vermögen es nicht die Angst zu vertreiben, die vom Mensch so herzlos vertieft wird.
Nur die Bestien die nicht aus Hunger töten sind die wahren Bestien, nur der, der das Leben mit Gleichgültigkeit und Missachtung straft ist ein wahrer Diener des Todes.
Mit zitternden Armen treibe ich die hungrigen Zähne des Eisens auseinander und beweise das ich nur mir selbst diene, das ich ein Mensch bin der am Leben ist.
Das Reh flieht hinkend in den schwindenden Tag und hinterlässt das traurige Wissen um seinen Tod. Jedoch erscheint mir das Sterben in Freiheit angemessener, als das Ende in eiserner Menschenhand.

Ich drehe mich herum, suche die Richtung aus der ich gekommen bin und blicke geradewegs in gelbglänzende Augen, die mich erneut nachdenklich mustern. Auf einem herabhängenden Ast sitzt der Gelehrte, den Kopf schräg zur Seite geneigt, so als wolle er meinen Geist ergründen. Diesmal bin ich es der tiefe Angst empfindet. Zweifel nagt an mir. Ich beginne mich zu fragen ob ich schon zu lange hier draußen lebe, ob die Einsamkeit den Verstand zerfrisst. Unbeeindruckt starrt er weiter bis in die Gründe meiner Gedanken hinein. Ich spüre sein Eindringen wie eine glühende Nadel, die sich in meinen Schädel bohrt. Mit ihr spielt er alte Erinnerungen ab, als würden sie von einer Schallplatte an seine Ohren getragen. Er durchforstet meinen Geist in rasender Schnelle, blättert wie wild in meinem staubigen Buch.
Es macht mich wahnsinnig.
Ich halte es nicht mehr aus und haste, seinem Zugriff entfliehend, blind umher. Nur weg von ihm. Weg von seinem wissenden Blick und dem fremden Einfluss, den er verbreitet.
Wie oft muss ich noch davor fliehen? Wie viele Wesen gibt es, die an den Fäden ihrer Marionetten ziehen? Ist die Ruhe selbst hier gewichen?

Ich renne über schneebedeckte Erde, in der das letzte Tageslicht seinen glanzvollen Schimmer sendet. Stolpernd suche ich den Ausgang aus diesem bösen Traum, beachte weder Stock noch Stein. Die Panik verhindert den klaren Gedankengang, der mich in die Sicherheit getragen hätte, blockiert die Wärme in meinen Körper und treibt mich zitternd voran. Dann schnappt etwas nach mir, lässt mich zu Boden stürzen, dem endlosen Weiß entgegen.
Des Jägers Falle greift nach seinesgleichen, fängt Mensch statt Tier.
Schmerz gesellt sich zu Kälte, Verzweiflung zu Angst. Meine Tränen füttern den Schnee, meine Schreie die Luft. Ich sehe das Gebiss aus Eisen, das seine Zähne tief in mein Fleisch gräbt, voller Gier daran nagt und kratzt. Unbarmherzig dringt es mit jeder Bewegung weiter ein, bis ich glaube es würde meinen Knochen durchtrennen. Mein Leib wälzt durch frostige Täler, kriecht wie Gewürm der Dunkelheit entgegen, doch es gibt kein Entrinnen, keine rettende Hand. Zum ersten Mal flehe ich nach Tod.
Dann gibt der Boden nach, vergrößert das Loch, in dem die Finsternis herrscht. Das Gewürm hat sein Ziel erreicht, die Dunkelheit ist nahe. Endlich Erlösung, endlich Frieden. Und dann... nichts mehr.

Meine Lunge zerschellt, speit widerliche Brocken aus zähem Schleim. Meine Haut ist aus Eis, zerfroren und merkwürdig taub. Der Geist ist gelähmt, nur stumpfe Trägheit sickert an die verschmutzte Oberfläche. Meine Augen sind blind, nur Schwärze sehend.
Nein. Zaghafte Lichtstrahlen erhellen das Loch. Ich bin nicht tot, aber kurz davor.
Der Sturz war so tief wie das Gewölbe, in dem das Leben schmachtend zu verrinnen beginnt. Ich spüre das es noch nicht lange frei liegt, das die oberste Schicht, einst unter Schnee verborgen, von unvorsichtigen Füßen durchstoßen wurde. Füße die vor mir über dunklen Abgrund wandelten.
Aufflackernde Bilder werden mir zugetragen, zeigen den Fallensteller, wie er sein Werkzeug spannt, zeigen wie er weiterläuft und überrascht ausschreit, als das Gewölbe ihn zu sich ruft. Es ist nicht natürlichen Ursprungs, es wurde von Sklaven errichtet, von Bauern die dem schwarzen König dienten. Der Gelehrte ist in mir und erzählt von einem Meister des Grauens.
Seine Verzweiflung hallte in meinen Kopf, ließ mich wankend durch den Schnee gehen. Sein stummer Schrei erwachte und trieb mich ungewollt hierher.

Als ich mich rege erinnert der Schmerz an das Eisen, das erbarmungslos weiter kaut. Wimmernde Laute entfahren mir und Tränen erstarren auf meinen Wangen, vereinen sich mit Blut und kaltem Schweiß. Mir scheint das Leid nimmt kein Ende, in dunklen Orten ohne Hoffnung. Ich gehe in mich und entfessele die letzte Reserve, das letzte was mich noch retten kann ist der unbändige Wille zu Überleben. Triebe tief in uns errichten den Mut, treiben uns voran, wenn sonst alles düster und leer erscheint. Das Ureigenste erhebt meinen Körper wie von selbst, egal mit welcher Intensität das Leid vom Körper zehrt. Solange ich noch einen Hauch von Leben spüre verweigere ich mich den Tod.
Mir ist egal was hier haust. Die seltsamen, unnatürlichen Dinge entlocken mehr Angst als Neugier, so das die Flucht das einzige Mittel ist um in mein normales Leben zurückzufinden.
Doch die Öffnung ist zu hoch, unerreichbar für mich. Verzweifelt schwirren meine Blicke ins Halbdunkel hinein und saugen an den Überresten vergangenen Lebens. Blutige Knochen lehnen an dunkler Wand, zerfetztes Fleisch verunziert den Boden, quälender Unglauben steigt aus zerstörtem Leib. Abscheulich wirken die abgetrennten Beine, der angefressene Brustkorb auf dem ein Schädel schläft, der Arm aus dem ein bleicher Knochen ragt, aber ich kann mich nicht davon lösen, muss unmenschliche Schrecken schauen. Eine verkrampfte Hand hält hilfesuchend ein Eisen, das Ebenbild meiner schmerzenden Last. Der Jäger, der Wilderer. Der, der dem Tod diente ist nun endgültig gestorben. Die Gründe seiner fragwürdigen Jagd mit ihm.

Geräusche, immer lauter werdend, lassen erahnen das der eigentliche Schrecken erst noch kommen mag. Ich fürchte mich davor den Unmensch zu erblicken, der diese Tat begangen hat. Der Meister des Grauens naht, sein schlurfender Gang jagt Schauer über Schauer auf erblühte Gänsehaut.
Außer der Wand im Rücken gibt es keinen Halt. Das Schlagen meines Herzens erklingt widerhallend in Ohren, die besser taub geblieben wären. Meine Augen wünschen Blindheit im Angesicht der Bestie.
Noch steht er nur da, wartet auf meine Regung, starrt mit Augen in denen weißer Schimmer brennt.
Nun kommt er auf mich zu, streckt erwartungsvoll angekaute Finger aus. Zärtlich tasten sie nach mir, streicheln meine Haut, fühlen das weiche Fleisch nach dem er sich sehnt. Seine Zunge, mit schwarzem Geschwür übersät, leckt speicheltriefend meine Wange. Faulige Zähne versinken in mir, bis sie die Meinigen berühren. Mit einem heftigen Ruck reißt er die Nahrung heraus und hinterlässt seine blutige Spur. Verschwommen wird die Welt, wandelt sich gnadenvoll zu Ohnmachtland.

Ich verfluche den Tag meiner Widergeburt, der Moment in dem ich spürte das sein Gift in meinen Adern disharmonisch schwang. Mein Herz hat aufgehört zu schlagen, meine Wunden bluten nicht, senden keinen Schmerz. Alles ist stumpf und bedeutungslos, meine Gedanken sind kalt und ohne Leben. Mein Geist stimmt ein, in das Lied des Schlächters.
Als er am Hals des Jägers kaut, ertönen gurgelnde Worte- Wahrscheinlich die letzten, die er noch fähig ist hervorzubringen, bevor seine Stimmbänder verzehrt sind, bevor sich der Schlächter über sein Gehirn hermacht.
Nicht mal das feuchte Schmatzen, die roten Fäden an seinen Mundwinkeln, wenn er das rohe Fleisch herauszerrt, erzeugen noch Ekel. Der winzige, menschliche Funken in meinen Innern schreit zu leise, als das ich ihn hören könnte und mit der Zeit wird er endgültig erloschen sein. Er lässt ab von seinem zuckenden Mahl und schaut zu mir herüber. Irgendetwas geht in ihm vor, aber wer weiß schon was ein Seelenloser empfindet. Dann wird mir bewusst das ich ihm angehöre, doch der Fluss aus Tränen ist ausgetrocknet. Meine Gefühle verkümmern in seiner Liebe.
Er packt den verstümmelten Arm des Jägers, dreht ihn herum, immer wieder, so als würde man einen Ast von einem Baum trennen wollen. Stille Qual gerinnt auf seinen Lippen.
Wieder blickt er mich an und wirft den ausgerissenen Arm zu mir herüber, bevor er nach und nach den Rest verschlingt. Sein Geschenk liegt vor mir, doch noch ist etwas übrig, dass mich davon abhält es anzunehmen. Ich bete darum das es erhalten bleibt.

Die Nacht ist hereingebrochen, doch die Dunkelheit hat nichts tröstendes an sich, denn ich sehe als wäre es heller Tag, sehe den Kadaver und den Seelenlosen der davor sitzt und weiter in meine Richtung starrt, die ganze Zeit. Inzwischen weiß ich warum er meine Knochen nicht gebrochen hat, warum mein Leib noch in einem Stück ist: Er ist einsam hier unten, in dem Ort ohne Hoffnung. Aber ich ahne das er mich nicht lange verschonen wird, sein Hunger ist mächtiger als die Sehnsucht nach Gesellschaft.
Noch genießt er das gemeinsame Schweigen, das geteilte Leid, doch eine Bestie bleibt eine Bestie, selbst in dem Wunsch nach Zweisamkeit. Wer ihn wohl dazu gemacht hat? , frage ich mich und als würde er meine Gedanken verstehen zieht er los, um mir die Antwort zu beschaffen.
Er kehrt wieder mit einem zerfledderten Buch in der Hand und wirft es achtlos vor meine Füße. Ich nutzte die Neugier bevor sie verblasst und beginne mit Mühe die Worte zu lesen, die er einst schrieb. Es fällt wahrlich schwer, da mein Verstand in einem trüben Sumpf versickert, der alles hinabträgt in seine schwammigen Tiefen. Doch allmählich erfahre ich von alten Ritualen, von dem Wunsch dem Tod zu trotzen, mit allen Mitteln. Selbst die Gewalt war Bestandteil seines kalten Strebens, seinem Wunsch nach Macht und mir scheint das er ihn bitter bezahlt hat, als er den Geist rief, der ihn letztendlich betrog.
Während ich mich mit seiner Vergangenheit befasse, befasst er sich mit meinem Fleisch. Ich blättere und er durchwühlt, ich lese und er verschlingt. Ein kurzes Zucken, als er meinen Darm in sich hinein schlürft, ein kurzes Schaudern, als sein Kopf halb in meinem Leib verschwunden ist, aber sonst nichts, kein Gefühl. Solange der Schmerz ausbleibt nehme ich gleichgültig hin was er tut, denn ich kann ihm nicht das verwehren was ihm gehört.


Die letzten Einträge geben mir Aufschluss über die Motive seiner kranken Person:

Heute ist ein großartiger Tag! Ich habe das Ritual vollendet, fast alle Sklaven geopfert um den Geist zu rufen, der mir das geben wird nach dem es mich verlangt: Ewiges Leben.
Ich werde meine Menschlichkeit zurücklassen damit kühler Verstand das Wissen ergründen kann, das bis jetzt noch nicht bekannt ist. Ich werde es freilegen, werde Magie entfesseln, Macht erringen und wenn es soweit ist, wird meine Herrschaft allgegenwärtig sein.
Was nützen die Kriegsherren dieser Welt, die immer ihrem menschlichen, weltlichen Dasein erlegen sein werden, wenn ich über diesen Dingen stehe? Mein Triumph über sie ist die Erkenntnis derer, die immer noch an die Einfachheit des Lebens glauben.
Schon bald wird der Rest der Welt von den Geheimnissen des Übernatürlichen überzeugt sein, die mich eines Tages zum Göttlichen erheben. Oh ja, nichts geringeres strebe ich an, denn ich weiß das es möglich ist, solange mich nur die Zeit nicht aufhält.
Der Mensch schafft sich seine Götter selbst und erliegt leicht der Verführung, wenn sie nur überzeugend genug an ihn herangetragen wird. Und was könnte überzeugender sein als Angst vor Grausamkeit, Angst vor dem Unbekannten?
Nicht zuletzt die Macht der Magie wird ihre Gesinnung brechen, sie gefügig machen und an leere Versprechungen glauben lassen. Ich allein weiß das es meine Bestimmung ist ihre Schritte zu lenken, die Welt nach meinen Bedürfnissen zu gestalten, die flüsternden Stimmen aus anderen Sphären erzählen mir jetzt ständig davon.

Es gab mir Gelegenheit zum Nachdenken, verließ mich obwohl ich nach ihm schrie. Es hat seine Abmachung noch nicht erfüllt doch es wird zurückkehren, das gab es mir zu verstehen. Es ist unserer Sprache nicht mächtig, spricht durch Bilder, ist Licht und Dunkelheit zugleich. So alt und geheimnisvoll erscheint es mir, denn ich sah seine Anwesenheit auf vielen Welten, zu vielen Zeiten.
Seine gelben Augen durchstreifen die Nacht und erkunden die Umgebung. Es liebt die Gestalt des Tieres und die Freiheit, die es verheißt. Oh wie fasziniert ich von ihm bin. Schon morgen ist mein Neubeginn. Schon morgen.

Es hat mich betrogen! Dieses widerwärtige Geschöpf hat mich meines Geistes beraubt! Jedes Wort kostet unendliche Mühe, jeder Gedanke, jede magische Handlung ist ein Gewicht aus schwerstem Blei. Alles versinkt träge im schweigenden Morast. Die Stimmen formen keine Worte mehr, nur noch keifendes Gelächter. Ich bin Opfer meiner eigenen Wünsche. Gestern verzehrte ich das rohe Fleisch eines Sklaven, war wie von Sinnen. Das Tageslicht schmerzt, tut der Finsternis in meinem Verstand weh. Mein Herz schlägt nicht mehr, mein Fleisch ist kalt. Ich bin der wandelnde Tod, ein eisiges Wesen auf der Suche nach warmen Leben.

Heute versank mein Heim in tiefem Schlamm. Meine prunkvollen Gemächer haben allen Glanz verloren. Alles verformte sich in dunkles Höhlenreich, glich sich den Überresten meines Geistes, meines Wirkens an. Meine Herrschaft ist nur auf diesen Bereich begrenzt, spiegelt sich wider in kühlen, schimmligen Gestein. Jedes Wort dauert Minuten. Ich bin unfähig noch länger zu schreiben.


Ich blicke auf und lege das Buch beiseite, das von unmenschlicher Handlung durchzogen ist. Ich schaue zu wie er frisst und dabei schmatzt, jenseits seiner Herrlichkeit schwelgt. Die Krankheit hat ihn nun endgültig verschlungen und der Wahn seinen Verstand verdaut. Mit neuer Gestalt kauert er vor meinem Körper und stillt das einzige Verlangen, das ihn noch beherrscht.
Die letzte Zeile ist gelesen, das letzte Stückchen Fleisch von meinem Becken genagt. Jetzt labt er sich an meinem Bein, das zuckend mit dem Mondlicht zu tanzen beginnt. Grell scheint es auf meine bleichen Knochen, tanzt unbeirrt weiter, den Reigen fahlen Lichterglanzes.
Dann schwebt ein Schatten herab. Unendlich langsam, bedachtvoll und erhaben, tragen ihn braune Flügelschwingen, den fauligen Gestank zerteilend, zu unser beider Siechtum, das von gelben Augen beleuchtet unsere finstere Verderbtheit blendet.
Mein Meister scheint überrascht und erschrocken. Ich bleibe teilnahmslos.
Die frostige Erde wabert als er sich hernieder lässt, die Zeit erstarrt als er sich aufrichtet, wächst und seine wahre Größe offenbart. Seine Hülle zerfließt, die Federn verschwinden im pulsierenden Licht, das aus ihm strömt und neue Formen bildet. Einzigartig ist seine Gestalt, die geisterhaft und fleischlich zugleich erscheint. Ein schwarzer Schatten aus dem helles Licht entflieht, ein Schemen der seine Farben schillernd ändert, wie ein Chamäleon, das mit seiner Umgebung verschmilzt. Nun schießt ein schmaler Arm hervor, dessen riesige, dornige Klaue den Kopf meines Meisters umschließt und ihn zu Boden reißt. Sein wesender Leib verschwindet nach und nach in ausgestreckter Dunkelmacht.
Alles was von ihm übrig bleibt spiegelt sich in gelben Eulenaugen, in denen nebliger Schleier dampfend wuchert, bevor er, sich zurückziehend, in bunte Finsternis verfällt.
Der Meister des Grauens wurde verbannt und an seine Stelle treten neue Welten, die ich unmöglich durchschauen kann.
Was bleibt ist die Ungewissheit. Die Frage ob der Ehrwürdige, der so viele Dinge kennt, der weder gut noch böse ist, die Macht hat Erlösung zu gewähren, mir mein altes Leben wiederzuschenken oder mich stattdessen in seine schwarze Leere stoßen wird.
Der Gelehrte und ich- Zwei Wesen die jenseits allen Lebens stehen, blicken in die unergründlichen Tiefen, die hinter unseren Augen lauern, inmitten eines Ortes, in dem die Hoffnung wiederauferstanden ist- So will ich glauben.

 

Hallo, gollum!

Freut mich, dass du die Geschichte überarbeitet hast. Ich hab sie jetzt noch mal gelesen, und auch wenn sie nach wie vor mehr Fragen offen lässt als beantwortet, bin ich einfach völlig erstarrt über diese bildgewaltige Sprache, die finstere namenlose Mysterien lebendig werden lässt.
Einfach nur genial.

Liebe Grüsse
Arry

 

Hi Arya!

Immer noch unersichtlich? *Schluchz*
Was soll's. Ich lass das jetzt so.

Aber welche Fragen sind denn nun offen?

in tiefstem Zweifel

gollum

 

Wer wird denn gleich weinen, hihi.
Ne also die Geschichte ist natürlich schon viel klarer als sie vorher war. Ich weiss jetzt die Bedeutung der Eule, und dass sie es war, die den Oberzombie "verführt" hat.
Die Frage ist halt nur, warum tut die Eule das, und warum wird am Ende "wegdiskutiert", dass sie böse und betrügerisch ist?
Versteh mich aber bitte nicht falsch, ich bin gar nicht drauf aus, alles haarklein erklärt zu bekommen. Wenn also eine Geschichte etwas "verwaschen-mystisch" ist (den Ausdruck hab ich gerade erfunden), ist das durchaus okay.

Liebe Grüsse
Arry

 

Hi Arya!

Die Frage ist halt nur, warum tut die Eule das, und warum wird am Ende "wegdiskutiert", dass sie böse und betrügerisch ist?

Die Eule, die eigentlich keine ist, wurde durch den Magier beschworen. Dieser wollte, wie in seinem Tagebuch erwähnt, ewiges Leben besitzen.

Aus meiner Geschichte:

Es gab mir Gelegenheit zum Nachdenken, verließ mich obwohl ich nach ihm schrie.

Damit wollte zum Ausdruck bringen, dass der Magier noch einmal die Gelegenheit bekam über sein Vorhaben nachzudenken, also sich seiner Fehler bewußt zu werden.

Es ist unserer Sprache nicht mächtig, spricht durch Bilder, ist Licht und Dunkelheit zugleich.
Die Frage ob der Ehrwürdige, der so viele Dinge kennt, der weder gut noch böse ist,

Hiermit sollte deutlich werden, dass die Eule beide Eigenschaften besitzt und keineswegs nur böse und betrügerisch ist.
Sie handelt nach ihren eigenen Maßstäben und hat zum Schluß entschieden, die Gefahr, die der Zombie darstellt, auf ihre Weise zu beseitigen.
Zumindest hatte ich mir das so gedacht.

Nun gut.
Ich hoffe etwas Licht ins Dunkel gebracht zu haben.

gollum

 

Hallo Gollum!

Deine Geschichte gefällt mir so sehr gut. Hier hast du das richtige Mittel gefunden zwischen dem, was du erklärst und dem 'verschleierten'. Der eingefügte Teil mit dem Buch und dem Drang nach Macht erklärt vieles und ist interessant.
Deine Sprache ist herrlich - wie schon bei der alten Fassung erwähnt und auf 'Kleinigkeiten' bin ich nicht gestossen.
Besonders stark sind die bildhaften Beschreibungen vor dem 'Ende der Schönheit', z.B. die winterliche Atmosphäre und das Fliessen des kleinen Baches.

Dass der Gelehrte weder gut noch böse ist war mir auch klar. Hier hast du es allerdings verdeutlicht.

Jedenfalls hat es sich gelohnt auch diese Fassung zu lesen.

Viele Grüsse,

Van

 

Hi Van!

Freut mich dass es dir gefallen hat und danke für das Lob! Wenn es sich für einen Leser lohnt meine Geschichte gelesen zu haben, ist das natürlich sehr aufbauend. Also nochmals: Danke!

Viele Grüße

gollum

 

Mir hat die Geschichte auch gefallen. Insbesondere der Sprachstil ist dermaßen herausragend, daß es mich erschauert. Ich erwäge fast, dir ein Jobangebot als Ghostwriter zu machen.

Trotzdem hab ich was zu mosern: Deine Geschichte weiß nicht so recht, was sie will. Sie beginnt als Geschichte eines Wald-Einsiedlers mit "Vietnamtrauma", der in eine Bärenfalle gerät. Soweit so gut.
Dann fällt er ins Loch und plötzlich wird eine Zombiegeschichte daraus.
In der Rückblende des Tagebuches dann wird es eine Alchimistenstrory.
Das alles wird nur notdürftig zusammengehalten vom unheimlichen "Gelehrten".

Na gut, das mit dem Tagebuch kommt handlungsmäßig hin und erklärt die Situation, da bin ich nicht grundsätzlich gegen. Vielleicht würde eine geringere Ausführlichkeit bereits Wunder wirken. Der Text ist ja überwiegend auf Erzählung aufgebaut, praktisch keine wörtliche Rede.

Ansonsten hätte ich zwei dringende Verbesserungsvorschläge:
1. Streich das mit der Bärenfalle, es paßt nicht in die Geschichte. Guter Stoff für eine andere.
2. Der Prot. sollte nicht zufällig ins Zombieloch stolpern sondern dadurch hineingeraten, daß er neugierig ist und dieser Eule folgt. Die führt ihn dann da hin.

r

 

Hi Rel!

Oh Mann. Dein Beitrag gibt meinem angeschlagenen Selbstbewusstsein Auftrieb.

Zitat:
Ich erwäge fast, dir ein Jobangebot als Ghostwriter zu machen.

Als ob du einen Ghostwriter nötig hättest!

Das mit der geringeren Ausführlichkeit ist so eine Sache. Ich kürze äußerst ungern, kann mich nur schwerlich von Dingen trennen, die ich einmal als „gut“ befunden habe. Andererseits hatte ich beim Schreiben des Tagebuchs auch den Gedanken nicht allzu langatmig zu werden, da das sonst der Geschichte etwas abträglich sein könnte.

Noch schwerer wird’s bei deinen Verbesserungsvorschlägen. Die sind wirklich interessant, was es mir nicht gerade einfacher macht. Insbesondere weil ich die Geschichte zu den „Erledigt- Stoß“ packen wollte. Das Hauptproblem ist, dass ich Teile der Handlung wieder ummodeln müsste. Und ausgerechnet meine herzallerliebste Bärenfalle! (An dieser Stelle bitte lautes Wehklagen, Gewimmer und Geschrei vorstellen) Wieso passt das nicht in die Geschichte?
Der zweite Punkt klingt, nach einigem Grübeln, in der Tat verlockend und vor allem plausibel. *Seufz* Habe ich schon erwähnt, dass du es mir nicht gerade leicht machst? Ja? Ich kann das nicht oft genug tun.

Also gut. Ich werde noch ein bisschen drüber brüten und dann sehen was schlüpft. Falls ich etwas ändere, werde ich aber nur editieren und nicht schon wieder eine separate Version posten.

Man liest sich!

grübelnder gollum

 

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