Das Ende der Nacht
Die Schlacht war endlich vorbei. Der Kampf hatte viele Stunden über erbittert getobt, die Luft knisterte noch und die letzten Blitze zuckten über den Himmel. Die Hitze hatte die spärliche Grasdecke auf dem Plateau versengt und viele Felsen waren von den Spuren des Kampfes gezeichnet. Nach vielen hundert Jahren Dunkelheit begann es zu dämmern und das Licht der Sonne wurde zum ersten Mal seit langem wieder am Horizont sichtbar.
Tarjan saß müde an einen Felsen gelehnt am Rande des Plateaus und wartete darauf, dass die Sonne aufgehen und das Licht ihm wieder neue Kraft geben würde. Er, Tarjan, hatte es geschafft die Schwingen der Nacht zu besiegen, die die Sonne so lange von den Wäldern ferngehalten hatten. Die Elfen hatten lange Zeit selbst versucht die Schwingen zu vertreiben, doch aus eigener Kraft war es Ihnen nicht gelungen. Vor vielen Monden war der Alte Elf auf die Idee gekommen einen Menschen zu sich zu holen und mit der gemeinsamen Hilfe von Menschen- und Elfenwissen gegen die Schwingen zu kämpfen. Und die Idee einen Menschen in den Kampf zu schicken hatte Erfolg gehabt!
Ein Rascheln in den Büschen lies Tarjan aufspringen und seine schmerzenden Muskeln spannten sich wieder zum Angriff. Seine Augen suchten angestrengt nach der Ursache des Geräusches, doch er sah nur die Nebelschleier und den Dunst. Nach einigen Momenten Stille erklang neben ihm eine klare Stimme: „Tarjan, da bist du ja! Endlich habe ich Dich gefunden! Das ganze Dorf sucht Dich seit Stunden! Aber auf dem Plateau hatten wir dich nicht vermutet.“ Die Luft neben ihm schien zu schmelzen und scheinbar aus dem Nichts gewannen die Konturen einer schmalen, hochgewachsenen Gestalt an Festigkeitkeit. Blaue und weiße Funken sprühten auf, als die Gestalt vollständig sichtbar wurde. In den feinen Zügen der Waldelfe Tira-La spiegelten sich Erleichterung und Wut. „Wir hatten Dir doch strengstens verboten, Dich vor dem Ende Deiner Ausbildung dem Plateau zu nähern! Wie konntest Du nur! Du hast Dich und das Dorf einer unglaublichen Gefahr ausgesetzt.“
Tarjan konnte es nicht glauben, das also war der Dank dafür, dass er die Schwingen der Nacht in die Flucht geschlagen hatte! „Ich habe mich seit vielen Monden intensiv mit Eurer Hilfe vorbereitet und wusste, dass ich bereit sein würde um die Schwingen zu vertreiben. Und wie Du siehst ist es mir gelungen, oder spürst Du die Gegenwart der Schwingen etwa noch?“, rief er ihr wütend zu.
„Dass Du den Kampf gewonnen hast, war nichts als ein Zufall und wäre es nicht so gewesen, hätte das Dunkle Wesen Deine Spur zum Dorf zurückverfolgt, uns überrascht und vernichtet!“ Im nächsten Moment geriet die Luft auf dem Plateau in Bewegung und überall sprühten Funken, als mehrere Dutzend Elfen materialisierten und sich ihre Gestalten aus der Luft lösten.
Als Tarjan gerade alle freudig begrüßen wollte, tauchte vor ihm mit einem Windstoß und einem Donnerschlag der Alte Elf auf. In seinen dunklen Augen blitzten Wut und Enttäuschung, aber viel mehr noch Sorge: „Tarjan, über Dein gedankenloses Verhalten werden wir uns noch unterhalten. Viel wichtiger ist jetzt jedoch den Schaden einzudämmen, den die Schwingen an deinem Körper angerichtet haben.“ Der Alte Elf deutete auf den Arm von Tarjan. Ein erschrecktes Flüstern ging durch die Menge und die Elfen traten von Tarjan zurück. An Tarjans Arm floß schwarzes Blut herab und an der Stelle, wo ihn die Schwingen der Nacht gestreift hatten war auch die Haut bereits schwarz geworden. Tarjan stellte erschreckt fest, dass er nicht einmal gemerkt hatte, wie ihn die Schwingen berührt hatten.
Als er seine Gedanken nach innen richtete, um das Ausmaß der Verletzung zu erfassen, stellte er fest, dass die Dunkelheit sich bereits weit in seinem Inneren ausgebreitet hatte. Doch bevor er den Alten Elf warnen konnte, verlor er die Kontrolle über seinen Körper und die Dunklen Schwingen in ihm verschlangen sein Bewußtsein, ohne dass er noch etwas hätte dagegen tun können.
Der Alte Elf trat auf Tarjan zu, um mit seinen heilenden Kräften die Dunkelheit aus der Wunde zu vertreiben. Im nächsten Moment jedoch, bevor er überhaupt reagieren konnte, löste sich Tarjans Körper auf und an seiner Stelle blieb nichts als pure Dunkelheit zurück und der Himmel verfinsterte sich schlagartig wieder.
Die Schwingen hatten sich in Tarjan selbst verborgen und nur auf die Ankunft des Alten Elfen gewartet. Bevor der Alte Elf auch nur reagieren konnte hatten die Schwingen ihn ausgelöscht und nichts als schwarzen Nebel zurückgelassen. Die anderen Elfen versuchten zu fliehen, doch nur wenigen von ihnen gelang es, das Plateau zu verlassen, bevor die Schwingen sie berührten und sie zu dunklem Nebel zerfallen ließen. Dunkelheit breitete sich wieder über dem Plateau und den Wäldern aus.
Die Waldelfen hielten seit diesem Ereignis einen gebührenden Abstand von den Menschen, die, wie sich gezeigt hatte, so schwach der Dunkelheit gegenüber waren. Viele Zeitalter sollten vergehen, bevor die Menschen und die Waldelfen wieder gemeinsam den Kampf gegen die Dunklen Schwingen aufnehmen würden.