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- 31.08.2008
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Das Ende der Flucht
Willem ließ die Pütz ins Wasser fallen, holte sie an der Leine ein, betrachtete sein Spiegelbild in dem dunklen Eimer. Es gefiel ihm nicht. Missmutig ging er nach achtern zum Eingang der Kajüte, holte heißes Wasser in einem Messingkessel und schüttete davon in die Pütz. Er ging noch einmal zurück und kam mit Rasierutensilien wieder. Er tauchte Seife und Pinsel in das warme Wasser, bewegte ihn in der Seife, bis sich Schaum bildete und seifte sich ein. Bedächtig setzte er das Messer an und rasierte sich. Die Morgensonne war schon über die Brücke geklettert und beschien jetzt die ganze Gracht. Willem stand mit freiem Oberkörper an der Reling seines Stahlschiffes und schabte mit der Klinge seine Wangen mit einem harten, kratzenden Geräusch. Schließlich schüttete er sich den Rest des Wassers über Hals und Oberkörper, griff zu einem schmutzigen, nassen Handtuch und trocknete sich ab. Er genoss die Sonnenstrahlen auf seinem Körper, tapste zum Bug, um dort in der erhöhten Position etwas bessere Aussicht zu haben. Das Wasser lag , bis auf die Wellen einiger über die Gracht ziehenden Enten, spiegelglatt vor ihm.
Willem arbeitete nicht, trotzdem genoss er das Wochenende wegen der Ruhe auf der Gracht, so ganz ohne den Lärm des sonst üblichen Berufsverkehrs; das ließ ihn an dem Rhythmus von Arbeitstagen und Wochenenden teilhaben. Zufrieden drehte er sich um und ging nach achtern. Auf dem Weg stutzte er. Vor ihm, am Mast neben der Kajütwand, lag zusammengekauert in einem grünen Parka eine Frau. Er bückte sich, nahm vorsichtig die Kapuze zur Seite. Blonde Haare, ein Gesicht, angsterfüllte Augen starrten ihn an. „Willst `nen Pott Kaffee?“, fragte er. Ihre aufgerissenen Augen reagierten nicht.
Willem machte sich auf den Weg zur Kombüse, setzte noch einmal Wasser auf. Als der Kessel sang, goss er Kaffee auf. Erst ein Schuss, damit er quellen konnte. Dann mehr, dazu mit einem Teelöffel den Kaffee im Filter umrühren. Während der Rest durchlief, kramte er im Regal nach einem zweiten großen Becher. Seinen hatte er immer bereitstehen. Schließlich gab er Rohrzucker, Sahne und Kaffee in die zwei Becher, rührte um und ging damit zurück an Deck. Das olivgrüne Bündel hatte sich hervorgewagt; das Gesicht war frei und betrachtete die Gracht. Eine Hand streckte sich seiner entgegen und nahm den Pott. Willem sah ein schönes Gesicht, verunstaltet durch Blutergüsse an einer Wange und um ein Auge. Er setzte sich und schaute in die Sonne. Langsam schlürften beide den Kaffee in stillem Einvernehmen. „Komm unter Deck, da gibt `s Frühstück!“, sagte Willem. Die Frau stand mit ihm auf, hatte aber Mühe zu gehen. Sie humpelte, ihr Gesicht zeigte Schmerzen. Willem half ihr, über die steile Treppe in die Kajüte zu klettern. Er forderte sie mit einer Geste auf, an dem Mahagonitisch Platz zu nehmen. Sie nahm dankbar an. Willem kramte nach Brot, Butter, Marmelade, Käse, sogar ein paar Weintrauben hatte er noch. Sie bediente sich sofort und aß. Gerade, als Willem sich ihr gegenübersetzen wollte, gab es ein Signal in der Parkatasche. Augenblicklich erstarrte ihr Gesicht. Reglos saß sie da, während in ihrer Tasche das Handy klingelte. Willem ging zu ihr, nahm das Handy aus der Tasche, tippte unglaublich schnell darauf herum. „Er weiß jetzt, wo Du bist“, grummelte er. Ärgerlich öffnete er das Handy, nahm Sim-Karte und Akku heraus, warf dann alles wütend in eine Ecke. Kauend schlürfte er noch von dem Kaffee; dann stieg er die Treppe hoch an Deck. Das Schiff vibrierte, als er die Maschine anließ. Er warf zuerst die Vorleinen, dann die Achterleinen los und legte ab. Langsam glitt das schwere Schiff in das Fahrwasser.
Noch ein paar Brücken, dann weiter zur Mündung. Amsterdam lag hinter ihnen. Die Frau kam an Deck. Bei Ijmuiden empfing die beiden ein frischer Wind. Die Nordsee lag friedlich vor ihnen in der Sonne. Willem stellte den Kurs ein und begab sich unter Deck, setzte noch einmal Wasser auf, kramte das Frühstück auf ein Tablett und reichte es in das Cockpit. Sie sprachen nicht.