- Anmerkungen zum Text
Dies ist der erste Teil eines neuen Projekts von mir. Die Geschichte an sich ist in sich abgeschlossen und dient vorwiegend dazu, die Hauptfigur Harold Boiled zu beschreiben und kennen zu lernen (auch für mich als Autor). Ich würde gerne mehr Geschichten über diesen Detektiv schreiben und habe bereits einige Ideen, um die Welt in der er lebt zu gestalten.
Das eifersüchtige Ehepaar
Es ist kaum zu fassen. Nein, ich hänge hier nicht ab. Ich kämpfe um mein Leben. Versuche nicht abzustürzen. Achso, stimmt ja. Das ist kein verdammter Film. Das ist so ein Ramschbuch, das du in der Hand hast. Dass sich überhaupt noch jemand so was durchliest. Na gut, dann versuch dir mal Folgendes vorzustellen:
Es regnet wie aus Kübeln. Auf 'nem Dach mitten in der Stadt steht ein mieser Drecksack und ich hänge ungefähr einhundert Meter über dem Asphalt an der Kante. Jetzt dauerts auch nicht mehr lange, bis er mir den Rest gibt.
Aber jetzt willst du sicher wissen, wie ich hier gelandet bin. Oder es ist dir egal, dann leg' das Buch weg. Und? Noch da? Ja? Na gut. Selber schuld.
Also dann sollte ich mich wohl erst mal vorstellen, oder? Ich bin Harold. Harold Boiled. 'N paar Leute haben mir den Spitznamen „Hard Boiled“ gegeben. Is' mir recht. Mit meinem Ruf gibt es immerhin weniger Trottel, die sich mit mir anlegen wollen. Außerdem stärkt so ein Name auch das Vertrauen meiner Klienten. Ach ja, ich bin übrigens Privatdetektiv.
Vor ein paar Tagen hab ich 'nen Auftrag bekommen. Eine junge Frau kam in mein Büro. Sie war sehr zögerlich, hat zuerst nicht einmal die Zähne auseinander bekommen. Auf ihre Weise war sie ein echter Hingucker, sie war voller jugendlicher Schönheit, wirkte unschuldig und freundlich. Umso verblüffter war ich über die Bitte, die sie dann formulierte: »Bitte Mister Boiled, beschatten Sie meinen Mann. Ich glaube, er betrügt mich!«
Ich werde nicht oft von meinen Klienten überrascht, aber dass eine junge Frau, mit so gutgläubigem Blick vermutet, dass ihr Mann fremdgeht, das war neu. Und es weckte meine Aufmerksamkeit. Also versprach ich ihr, herauszufinden, ob etwas an ihrer Vermutung dran war.
Abends saß ich auf dem Dach eines Gebäudes, von dem aus ich das Büro ihres Mannes observieren konnte. Während es auf mich runterpisste, war ich einerseits froh, dass ich meinen Hut und Regenmantel trug, andererseits war ich sauer auf den Autor. Muss dieser Drecksregen sein, nur weil du 'ne düstere Stimmung haben willst?1
Ich verfluchte das Wetter und musste niesen. Ich meine, ernsthaft? Deinetwegen erkälte ich mich jetzt auch noch!2
Wie aus dem Nichts sprang die Tür zum Treppenhaus hinter mir auf und dieser Typ, von dem ich Anfangs erzählt habe, stürmte auf mich zu. Ohne Vorwarnung griff er mich an. Ich hatte kaum genug Zeit, um zu reagieren. Durch den Überraschungsmoment konnte er mich überwältigen und über die Dachkante stoßen. Durch reines Glück bekam ich die Kante zu fassen und hielt mich fest.
Du ahnst sicher schon, dass das hier jetzt die Ausgangssituation vom Anfang ist, richtig? Tja, da hast du völlig Recht.
Da hing ich also, dieser Typ stand auf dem Dach und blickte auf mich runter. Dann hob er seinen Fuß und trat mir auf die Finger. Ich stürzte.
Glücklicherweise konnte ich mich an dem Fenstersims ein Stockwerk tiefer festhalten und mich durch das offene Fenster hereinziehen. Das war echt viel Glück auf einmal!3
Nachdem ich mich von dem Schock erholt hatte, brauchte ich 'nen Drink. Außerdem wollte ich mich auf der Straße umhören, ob jemand etwas über diesen Verrückten wusste.
Wenn man sich auf der Straße umhören will, dann sollte man in eine Kneipe gehen. Ja ja, schon klar. Streng genommen ist man dann ja nicht mehr auf der Straße, sondern in einem Gebäude. Klugscheißer. Und ich meine nicht, man muss in irgendeine Kneipe, sondern in die eine Kneipe gehen. Kein Scherz. Der Besitzer hat das Ding wirklich »eine Kneipe« genannt. Er erzählt immer, das wäre im Vollsuff gewesen, aber ich bin mir sicher, das hat der Typ gemacht, weil er das tatsächlich lustig findet. Naja, immer noch besser, als irgend so ein dämliches Wortspiel. Wunder-Bar, Liefer-Bar, Sonder-Bar oder so ein Schwachsinn. Was auch immer sich diese pseudowitzigen Möchtegerne ausdenken. Die ganze Stadt geht Tag für Tag den Bach runter, aber Hauptsache ich hab meinem Laden einen lustigen Namen gegeben. Ich würde drüber lachen, wenn das nicht so erbärmlich wäre.
In der Kneipe ging ich direkt zum Barkeeper und bestellte mir einen doppelten Whisky. Der Barkeeper heißt Jimmy. Ein guter Mann. Er hört viel, ist immer 'ne brauchbare Quelle.
Leider konnte er mir dieses Mal nicht weiterhelfen und ich ging nach Hause, meinen Rausch ausschlafen.
Am nächsten Morgen betrat Mr. Fynn selbst mein Büro, in dem ich auch wohne.
»Mister Boiled, ich brauche ihre Hilfe. Sie müssen meine Frau beschatten, denn ich glaube, sie betrügt mich. Wissen Sie, ich mache in letzter Zeit viele Überstunden und ich denke, sie nutzt diese Zeit, die ich außer Haus bin. Gestern hatte sie sogar jemanden geschickt, der mich überwacht hat. Sicher nur deshalb, damit er sie rechtzeitig warnen könnte, wenn ich nach Hause komme. Mein Leibwächter konnte ihn vertreiben, aber ich muss wissen, ob sich mein Verdacht bestätigt.«
Es traf mich wie ein … ein … ein Baseballschläger eine Piñata. Diese beiden jungen Menschen, dieses frisch verheiratete Paar ... war total dämlich! Anstatt miteinander zu reden, verdächtigen sie sich gegenseitig sich zu betrügen. Irgendwie hatten die das doch verdient, dass ich ihr Geld nehme, oder?
Ich versprach Fynn, dass ich das am Abend überprüfen würde und schickte ihn raus.
Während ich später das Gebäude verließ dachte ich: Diese verdammte Stadt. Sie zwingt brave Bürger sich gegenseitig zu misstrauen und macht Verbrecher aus den einfachen Leuten. Ich brauch 'nen Whisky.
Ach ja. Falls du dich fragst, weshalb ich nach der Szene auf dem Dach nicht die Erzählzeit geändert habe... du glaubst doch nicht, dass ich diesen Text geschrieben habe, während ich an dem Vorsprung gehangen bin, oder? Natürlich war die Anfangsszene nur dazu da, um Spannung aufzubauen.4
1 Anmerkung des Autors: Ja.
2 Anmerkung des Autors: Halt die Klappe und mach weiter.
3 Anmerkung des Autors: Ich kann meinen Protagonisten doch nicht auf halbem Wege sterben lassen, oder?
4 Anmerkung des Autors: Ich glaub das haben die auch so kapiert.