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Das Ei
Als wir noch Kinder waren, betrieben unsere Eltern und Großeltern eine kleine Landwirtschaft. Der tierische Teil bestand aus drei Kühen, zwei Schweinen, einer Katze und einigen Hühnern.
Nachschub für alte oder kranke Hühner brachte immer der „Hühnermann“. Zu unserem Bedauern kauften die Eltern immer nur schon fast ausgewachsene Hühner und nicht die niedlichen kleinen gelben Küken, die wir uns wünschten. Nach einem dieser Fehlkäufe beschlossen mein Bruder und ich, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Unsere Hühnerzucht begann sehr klein. In exakten Zahlen ausgedrückt: Mit genau einem Ei. Das stibizten wir aus dem Hühnerstall. In der Scheune hatten wir aus Heu liebevoll ein Nest für unser Ei gebaut. Das Ei wickelten wir sorgfältig in weiche und kuschelige Tücher, bevor wir es behutsam in sein Nest betteten. So glaubten wir, alles Nötige getan zu haben und erwarteten freudig unseren baldigen flauschigen, gelben Nachwuchs.
Seine Chance auf ein baldiges Schlüpfen war jedoch gering, denn uns war nicht klar, dass wir das kostbare Ei damit lediglich vor Kälte von außen schützten. Dass mehr Wärme nötig war, als unsere warmen und fürsorglichen Gedanken. Jedoch hätte auch mehr Wärme die Geburtschancen unseres Kükens wohl nicht in einen messbaren Bereich katapultiert, denn es sollte erwähnt werden, dass wir zu diesem Zeitpunkt gar keinen Hahn hatten. Uns störte das nicht weiter, denn Eier legen konnte ein Hahn sowieso nicht. Soviel wußten wir. Also war das in unseren Augen völlig wurst. Wir ahnten ja damals noch nicht, dass ein Hahn im Hühnerstall mehr tat, als nur gut auszusehen und morgens die Nachbarn wachzukrähen.
Schließlich stand ein drittes und ebenso sicheres Verhütungsmittel unserem Wunschküken entgegen. Die Geduld kleiner Kinder. Denn als nach gefühlten unendlichen eineinhalb Tagen noch immer nichts geschlüpft war, gaben wir unsere Hühnerzucht frustriert wieder auf.
Was uns blieb war ein stinknormales Ei und die Frage: Was hatten wir nur falsch gemacht?