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Das Dachgeschoss
"Wir alle haben im Dachgeschoss der Seele ein Geheimnis unter Verschluss. Das hier ist das meine." so beginnt Óskar Drai seine Erzählung in Carlos Ruíz Zafon´s Marina.
Dieses Geheimnis kann alles mögliche bedeuten und jeder wird an dieser Stelle wohl - bewusst oder unbewusst - nach dem kleinen Geheimnis in der eigenen Seele suchen. Mancher wird nichts finden - er möge sich glücklich schätzen! Ein anderer wird mehrere kleine Geheimnisse finden, alle zusammengenommen immernoch klein und nicht der Rede wert. Auch er möge sich glücklich schätzen, denn was für ein ruhiges Leben muss das sein, wenn die Seele so frei von Schuld und Zweifel ist?
Dem Rest geht es wie mir .
Das Dachgeschoss nimmt sofort Formen an, Staub wirbelt durch die hereinfallenden Sonnenstrahlen, Holzdielen knarren und der typische Geruch von Dachboden steigt direkt in die Nase. Es ist warm, vielleicht sogar stickig, aber es fühlt sich gut an.
Hier ist das Geheimnis sicher; sorgfältig verstaut - an einem trockenen und warmen Ort.
Es geht ihm gut hier, so gut sogar, dass es beginnt zu wachsen. Dieses klitzekleine aufregende Geheimnis hat sein Dasein satt, will sich ausbreiten und der ganzen Welt zeigen, wie einzigartig und bezaubernd es ist. Alle würden ihm zu Füßen liegen - wäre da nicht diese unüberwindbare Hürde auf dem Weg nach draußen... Dieses aufgeräumte Geschoss, in dem alles seinen festen Platz hat, umgeben von nichts als Ordnung. Wer diese Ordnung vorgibt ist dem Geheimnis nicht klar, doch kennt es den Raum und weiß um seine Gefahren. Immer wird er ihm im Weg stehen, ihm ohne müde zu werden erkären, dass ein Geheimnis, besonders wenn es immer größer wird, nicht vorbei kann, nicht raus darf!
Das Geheimnis wird ihm niemals glauben, dass dies sein Ende wäre.
Sicher, es gäbe da schon ein paar Unannehmlichkeiten zu bewältigen. Aber wen stört das, wenn das große Glück ruft, das große Abenteuer lockt?
Und so beginnt ein Kampf zwischen dem absoluten Chaos im Dachgeschoss der Seele und dieser verdammten Vernunft.
Ein ständiges Tauziehen der Gefühle, das selbst nachts, wenn die Sonnenstrahlen im Dachgeschoss schon längst verschwunden sind, nicht aufhören will. Mal dringt die Vernunft in den Dachboden vor, gesteuert und magisch angezogen vom Chaos. Die Folgen sind immer Schmerz und Zweifel - und atemberaubendes Herzrasen. Manchmal schafft es dann aber doch auch das Chaos in die Welt der Vernunft und auch dieser Kampf geht nicht ohne Angst und Schuldgefühl aus.
Man sollte doch meinen, dass irgendwann einer der beiden aufgibt, einsieht, dass er unterlegen ist. Doch wie lang dauert das und passiert es überhaupt irgendwann? So ganz von allein?
Der Kampf zermürbt, gefährdet alles andere und lässt sich trotzdem nicht abbrechen. Es ist nicht möglich - er muss ausgefochten werden. Ganz tief, im Dachgeschoss der Seele... denn nur dort kann er endgültig enden. Wird er im Geschoss der Vernunft und Ordnung ausgetragen, ist eines ganz klar - über kurz oder lang, wird im Dachgeschoss wieder ein kleines Geheimnis verwahrt - und es wird sich wohlfühlen!