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Das Chamäleon
Das Chamäleon
Es ist schon viele hundert Jahre her, als sich eines Tages die Tiere des Waldes versammelten, um einen König zu wählen.
Ihr neuer König sollte stark, mutig, intelligent und vor allen Dingen fürsorglich und sehr gerecht sein und sich für alle Tiere im Wald gleichermaßen einsetzen und sich auch verantwortlich fühlen. Zur Vorbereitung auf die Wahl des Königs trafen sich alle Tiere auf einer großen Lichtung im Wald und beratschlagten, welches Tier für die Wahl in Frage kommen könnte. Einige schlugen zum Beispiel die Giraffe, andere den Elefanten und wieder andere den Löwen als Kandidaten vor.
Bei der anschließenden Wahl erhielt der Löwe die meisten Wahlstimmen, denn die Mehrzahl der Wähler war der Meinung, der Löwe sei nicht nur mutig und stark, sondern auch sehr intelligent und bekannt für seine Gerechtigkeit. Alle akzeptierten sofort die Wahl des Löwen zum König des Waldes. Nur das Schwein weigerte sich, den Löwen als seinen König anzuerkennen, denn es hatte sein ganzes Leben lang davon geträumt, einmal König des Waldes zu werden. Verärgert über diese Wahl verließ es laut grunzend die Versammlung und verschwand im Dickicht.
Am folgenden Morgen begab sich der Löwe wieder auf die Waldlichtung und bestimmte einen Affen zu seinem persönlichen Diener. Da jeder König auch eine Krone besitzen sollte, erhielt der Affe den Auftrag, aus Sonnenblumenblüten eine Krone zu binden. Mit seiner leuchtend gelben Sonnenblumenkrone begab sich der König auf einen kleinen Felsen in der Mitte des Platzes und erklärte diese Lichtung ab sofort zu seinem königlichen Palast und den Felsen zu seinem Thron. Von seinem Thron aus rief er alle Tiere des Waldes zusammen, informierte sie über seine Pläne, Wünsche und Änderungen und wählte aus ihrer Mitte diejenigen aus, die ihn bei seiner Tätigkeit als König unterstützen sollten. Den schlauen Fuchs bestimmte er dabei zu seinem ständigen Berater und Begleiter.
Während der Löwe am nächsten Tag auf seinem Thron saß und seinen Regierungsgeschäften nachging, betrat das Schwein einfach frech die Lichtung und ignorierte völlig, dass es sich hierbei um den neuen Königspalast handelt. Es wühlte grunzend nach Wurzeln in der Erde, grub tiefe Löcher und warf dabei einen Erdhügel nach dem anderen auf. Dabei zerstörte es die schöne mit bunten Blumen übersäte Wiese. Der König war innerlich sehr empört über die Frechheit und Unhöflichkeit des Schweines, denn es hatte es nicht einmal für nötig gehalten, seinen König zu begrüßen und ihn um Erlaubnis zu bitten, den Palast zu betreten.
Der König unterdrückte jedoch seine Wut, blieb ruhig und wartete geduldig bis das Schwein wieder gegangen war. Dann erst rief er seinen Berater, den schlauen Fuchs, zu sich und sagte: „Diesmal habe ich es dem Schwein noch einmal verziehen, dass es ohne meine ausdrückliche Genehmigung meinen Palast betreten und ihn so verunstaltet hat. Sollte sich das allerdings noch einmal wiederholen, so werde ich darüber nachdenken, den Befehl zu geben, es zu töten.“
Der Fuchs antwortete dem König: „Eure Majestät, tötet das Schwein nicht. Du bestrafts es weit mehr, wenn du es einfach zukünftig nicht mehr beachtest und es ohne Würde und völlig bedeutungslos weiterleben läßt.“
„Recht hast du", entgegnete der König nach kurzer Überlegung, „denn jeder, der auf diese Weise leben muss, ist mehr bestraft als mit dem Tod. Aber wie können wir das Schwein zur Demut erziehen?“
„Du solltest ein Wettrennen veranstalten, an dem alle Tiere teilnehmen können", entgegnete der Fuchs, „und dabei solltest du unbedingt das Schwein zusammen mit dem Chamäleon in das Rennen schicken. Du wirst sehen, das Schwein wird unterliegen. Laß mich das mal machen.“
Von dieser Idee war der König sofort begeistert, und er forderte alle Tieren auf, zu einem Wettrennen an das nahe Flußufer zu kommen. Gazelle und Zebra starteten mit dem Rennen. Das Zebra rannte zwar sehr schnell, doch die Gazelle lief noch schneller und siegte. Als Zweite gingen der Elefant und das Nashorn ins Rennen. Unter grosser Anstrengung gewann das Nashorn, allerdings nur knapp. Jetzt meldete sich das Schwein zum Rennen und rief in die Runde: „Wer will von mir besiegt werden? Es gibt niemanden unter euch, der schneller ist als ich. Jeder, der versucht, es mit mir aufzunehmen, wird nur in’s Schwitzen geraten und müde werden, aber er wird nicht gewinnen!“
Der Fuchs gab dem Chamäleon das verabredete Zeichen. Daraufhin meldete es sich frech und rief dem Schwein zu: „Ich will mich mit dir messen!“
Laut lachte das Schwein und antwortete: „Das ist wohl ein Scherz. Wie willst du Winzling mich besiegen?“
„Hast du vergessen, dass die Griechen mich kleiner Löwe nennen?“ rief das Chamäleon dem Schwein zu. „Und wer in der Lage ist, so wie ich seine Augen unabhängig voneinander zu bewegen, der kann auch ein Schwein in einem Rennen besiegen. Kannst du denn etwa mit einem Auge nach vorne schauen, während das andere nach rechts schaut?“
„Papperlapp, papperlapp", grunste das Schwein, brachte seinen Ringelschwanz in Position und ging zusammen mit dem Chamäleon an den Start. An der Startlinie stellten sie sich nebeneinander. Das Schwein konnte vor Aufregung kaum ruhig stehen bleiben und schnaubte laut durch die Nase, während das Chamäleon völlig unbeweglich vor der weißen Linie auf den Startschuß wartete und dabei das Schwein mit einem Auge beobachete. Alle Zuschauer hielten den Atem an. Es herrschte Totenstille. Nur das Schnauben des Schweins war zu hören.
Dann zerriß plötzlich der laute Startschuß die angespannte Ruhe, und gleichzeitig mit dem Startschuß sprang das Chamäleon blitzschnell auf den Rücken des startenden Schweines und krallte sich in der Haut des Schweins fest. Jetzt tat es etwas, was eigentlich ein Geheimnis war und das nur der Fuchs kannte. Es wechselte nämlich seine Hautfarbe von braun in rosa, so dass es sich nicht mehr von der Hautfarbe des Schweines unterschied. Von all dem hatte das Schwein überhaupt nichts bemerkt. Siegessicher vermutete es das Chamäleon weit hinter sich. Kurz vor dem Ziel aber kletterte das Chamäleon flink auf den Kopf des Schweines, wechselte wieder zurück zu seiner ursprünglichen braunen Hautfarbe, sprang in einem hohen Bogen hinunter auf den Boden und erreichte auf diese Weise als Erster das Ziel.
Schnaubend und nach Luft ringend erreichte das Schwein das Ziel und blieb verblüfft vor dem Chamelion stehen, das schon an der Ziellinie wartete und noch nicht einmal Schweißtropfen auf der Stirn hatte.
„Da staunst du, was?" rief mit einem Lachen das Chamäleon dem Schwein zu. „Aber beruhige dich, du bist nicht das einzige starke Tier, dass von einem schwachen besiegt wurde.“
Das Schwein verstand die Welt nicht mehr, und es wurde sehr wütend. Agressionsgeladen rannte es wild umher und bewarf die vor Begeisterung klatschenden Zuschauer mit Erdbrocken.
Sofort schickte der Fuchs den Tiger und den Elefanten zur Berichterstattung zum Löwen. Sie erzählten dem König von dem verlorenen Rennen und dem skandalösen Verhalten des Schweins. Dem König rieten sie daher: „So geht das nicht weiter. Das Schwein muß endlich einen Dämpfer bekommen und bestraft werden. Du solltest ihm sofort verbieten, jemals wieder Fleisch oder Gras zu fressen. Es sollte nur noch von Abfällen und Unrat leben.“
Der König überlegte nicht lange. Er befolgte diesen Rat und verbot dem Schwein ab diesem Tag jemals wieder Fleisch oder Gras zu fressen.
Als der Fuchs von diesem Erlaß des Königs hörte, ging er zu ihm und sagte: „Eure Majestät, Ihr habt eine Entscheidung getroffen, die dem Schwein überhaupt nicht gefallen wird. Es wird das für ihn so beschämende Erlebnis mit dem Chamäleon niemals vergessen können. Ich befürchte, es wird sich an dem Chamäleon rächen wollen.“
„Ich verstehe“, entgegnete der Löwe. Gut, dass du mich darauf aufmerksam machst. Aber wie können wir das Chamäleon schützen?“
„Gib mit etwas Zeit zum Überlegen“, bat der Fuchs.
Am nächsten Morgen ging der Fuchs zum König und riet ihm folgendes: „Erteile dem Chamäleon die Erlaubnis, wann immer es sich in Gefahr befindet, zu seinem Schutz die Farbe seiner Haut verändern zu dürfen, so werden ihm das Schwein und auch andere Tiere nichts mehr anhaben können.
Der Löwe war sofort einverstanden und dachte, gut dass ich einen so intelligenten Berater habe, und er erteilte die Erlaubnis an das Chamäleon.
Seit dieser Zeit kann das Chamäleon nicht nur seine Augen unabhängig von einander bewegen, sondern auch noch bei Gefahr seine Hautfarbe ändern.