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Das Buch
Als ich das Buch Die gruseligsten Geschichten aller Zeiten im Antiquariat der alten Frau Brunner erstand, konnte ich doch nicht ahnen, was mir bevorstehen würde. Man munkelte zwar, dass Frau Brunner eine Hexe sei – eine Voodoo-Priesterin gar - aber ich hielt mich immerhin für realistisch genug, um nicht an Hexen, Geister und dergleichen zu glauben.
„Hüten Sie sich wohl, dieses Werk nach Mitternacht zu lesen!“, hatte mir Frau Brunner als Warnung mit auf den Weg gegeben und mich dabei mit ihren wasserblauen Augen fixiert. Ich hatte bloß den Kopf geschüttelt, als die Ladentür hinter mir ins Schloss gefallen war. Was für ein Unsinn!
Selbstverständlich las ich Gruselgeschichten in der Nacht. Es war die schaurig-romantische Atmosphäre der finsteren Tageszeit, die ich brauchte, um bei dieser Art Literatur überhaupt auf meine Kosten zu kommen. Schon der Anfang der ersten Geschichte war spannend und bald war ich gefesselt von den bösartigen Kobolden, die heimlich Feuer legten oder kleine Bomben versteckten, um nichtsahnende Menschen grundlos in den Tod zu schicken. Während des Lesens kaute ich auf meinen Nägeln herum und konnte es kaum erwarten, zu erfahren, ob die wenigen Überlebenden die Schlacht gegen die Feuerkobolde gewinnen würden, oder nicht, als mir plötzlich ein eigenartiger Geruch in die Nase stieg.
Als ich irritiert den Kopf hob und in alle Richtungen schnupperte – es roch, als würde ein Kabel langsam verschmoren, bemerkte ich durch einen zufälligen Blick auf die große Wanduhr, dass es bereits nach Mitternacht war. Frau Brunners eindringliche Worte fielen mir ein. Ach was, dachte ich. Nichts als Einbildung. Ich beugte meinen Kopf wieder über das Buch, um weiterzulesen, doch nun schien der Brandgeruch nur noch intensiver zu werden und glühende Hitze schlug mir ins Gesicht. Es war, als würde das Papier in meinen Händen zu brennen beginnen, obwohl keine Flammen zu sehen waren. Ich bildete mir sogar ein, ein leises, hohes Lachen zu hören, nur konnte ich nicht ausmachen, woher es kam. Mit einem Satz sprang ich auf und ließ das glühend heiße Buch fallen. Doch es war zu spät. Ich konnte nur noch die Explosion hören und gleichzeitig spüren, wie mein Kopf vom Hals gerissen und gegen die Wand geschleudert wurde.