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Das Buch des Lebens

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19.12.2003
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Das Buch des Lebens

Es war einmal...
...vor langer, langer Zeit, da lebte in einem fernen Land ein Jüngling mittleren Alters, der auf den Namen Robin hörte. Seine Gestalt war groß, seine Haare pflegte er kurz zu tragen. Die Kleidung verriet nicht viel, außer vielleicht einen Hang zu körperlicher Ertüchtigung und Treue. Ja, ganz recht. Treue! Denn hatte er erst einmal ein schönes Teil in seinem Besitz, so schien es auch über Jahre nicht an Reiz in seinen Augen zu verlieren. Er hing offensichtlich an Dingen, die er einmal lieb gewonnen hatte. Er war ebenfalls stolzer Besitzer eines Rosses. Es war ein alter Klepper, aber er befriedigte die Bedürfnisse des jungen Robin sehr wohl. Das Pferd hörte auf den kurzen, jedoch pfiffigen Namen "Bu". Hier und da brauchte Bu eine Rast mehr als manch anderer seiner Artgenossen, um Wasser oder anderes Lebenselixier zu sich zu nehmen, aber auch das machte Robin nichts aus. Da er in dem Land, in dem er lebte, nicht der geschickteste mit den Händen war und mit seiner geistlichen Ausbildung noch längst nicht am Ende, musste er sich auf andere Art und Weise die nötigen Taler für sein täglich Brot verdienen. Durch verschiedene Tätigkeiten konnte er jedoch seinen Lebensunterhalt recht gut bestreiten. Zur selben Zeit lebte eine junge Dame von fern her in der selben Stadt, um dort ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, das Lehren, zu vervollständigen. Von großer Gestalt war sie ebenfalls, nur die Haare waren ein deutliches länger als die von Robin. Die Kleidung war bequem und den Augen wohlgefallen. Der eigene Geschmack wurde vermittelt, was gleichzeitig bewies, das sie welchen besaß. Die Eltern wollten dem Kind einen Namen geben, welcher schön, melodisch und gleichzeitig prägnant war; und so tauften sie das Mädchen auf den Namen „Olga“. Auch sie hatte die Möglichkeit, sich geschwind von Ort zu Ort zu bewegen. Olgas liebster Besitz war ein Esel. Er war zwar oftmals störrisch und hatte, wie das Esel nun mal so haben, einen eigenen Kopf. Aber geriet er erst einmal in Bewegung, vermochte ihn nichts und niemand mehr aufzuhalten. Yamca, so nannten ihn die Leute in der Stadt und näheren Umgebung, war aber nichts desto trotz ein wichtiger Bestandteil im Leben von Olga.

Zu jener Zeit, so hieß es, gab es ein Wesen, das die Gedanken und Handlungen eines jeden niederschrieb: „Das Buch des Lebens“. Niemand, nicht einmal in alten Sagen und Geschichten, die man sich abends am Feuer erzählte, hatte jemals dieses Wesen zu Gesicht bekommen.
Trolle, Gnome und andere Geister zogen in diesen Jahren durch das Land und verbreiteten viel Unheil. Alle paar Jahre machten sich diese Wesen einen Spaß daraus, aus ihren Löchern herauszukommen und den Menschen das Leben schwer zu machen. Der alte König hätte die Situation wohl recht schnell erledigt, da er nicht nur bei den Menschen, sondern bei allen Wesen im Reich ein hohes Ansehen genoss. Zu viele Schlachten wurden unter seinem Schwert geschlagen und Stille trat bei seinen Gegnern ein, erwähnte man nur seinen Namen. Respekt und Anerkennung gingen ihm voraus. Die Fabelwesen hielten sich zurück, und es gab ja auch durchaus Wesen, die den Menschen wohlgesonnen waren. Da waren zum Beispiel die Elfen oder die Einhörner, von den Feen ganz zu schweigen. So ging es nun hin und her zwischen den Menschen und den Fabelwesen. Wer zuerst da war, weiß wohl niemand. Der König jagte einen Fallag. Bei einem Fallag handelt es sich um ein übles Fabelwesen, welches die Eigenart besitzt, den Menschen die Entscheidungskraft, Motivation und Mut durch einen einzigen Blick zu entreißen. Fallags sind äußerst selten und Einzelgänger. Den eigenen Antrieb eines Fallags kannte niemand. Aber wer verstand schon die Fabelwesen? Warum erfüllt eine Fee drei Wünsche? Was hat sie davon? Die Fragen stellte sich niemand. Es war halt so. Fabelwesen sind halt so! Der Fallag hatte schon viel Unheil im Süden angerichtet. Ritter und Knappen hatten einfach keine Lust mehr, die Grenzen zu bewachen oder zu verteidigen. Bauern gingen nicht mehr hinaus aufs Feld, um die Ernte einzufahren, und Kinder wussten nichts mehr mit sich anzufangen. Würde es doch nur eine Technik geben, die im Haus für ein wenig Unterhaltung sorgen würde. Am Besten in Farbe und mit Ton. Aber so etwas gab es natürlich nicht. Der König wollte nun den Fallag jagen, um Schlimmeres zu verhindern. Nur ein Mann mit reinem Herzen und einer Willenskraft, die dem Fallag gleich ist, könnte den Fallag stellen und ihn zu einem Duell fordern. So machte der König sich gen Süden und traf nach Wochen auf den Fallag. Sein Gefolge erblickte den an die sechs Fuß hohen Hünen, und im selben Moment ließen sie ihre Lanzen, Schwerter und Bögen zu Boden sinken. Warum kämpfen? Gegen diesen Riesen? Nein, keiner erwies sich als Mann mit den nötigen Eigenschaften, um gegen diesen Fallag zu bestehen. Der König jedoch zögerte. Er ergriff sein Schwert und wollte gerade mit dem Kampf beginnen, als er plötzlich an seinen Füßen einen aufsteigenden Nebel beobachtete, der sich langsam um seine Beine zog. Eine Falle! Der Gedanke kam zu spät. Die bösen Geister planten schon lange, den König außer Gefecht zu setzen, und heute, so schien es, könnte es ein für alle Mal gelingen. Der Nebel, soviel war klar, war der Nebel von Undo. Der Nebel vermochte den Menschen nichts anhaben zu können außer ihn an der Stelle, wo er ihnen begegnete, festzuhalten. Durch die Berührung eines dem Opfer nahestehenden Menschen konnte der Zauber leicht gebrochen werden. Doch wer sollte dem König jetzt helfen? Der Fallag war da und niemand würde es wagen, sich dem König zu nähern. Der König hielt an seinem Schwert fest und wartete auf seinen Gegner. Dieser machte jedoch keine Anstalten, nach seinen Waffen zu greifen. Stattdessen setzte er sich in sicherer Entfernung auf einen großen Stein und starrte den König an. In den kommenden Tagen versuchten mehrere Ritter und andere tapfere Leute, den König aus seiner Situation zu befreien. Aber kaum erblickten sie den Fallag, liefen sie was die Beine hergaben. Der Hunger und zusätzlicher Schlafmangel nagten an ihm, und so kam nach vielen Tagen der Moment, in dem der König sich eingestehen musste, dass er keine Chance hatte, gegen den Fallag zu bestehen. Er blickte zu Boden und schloss die Augen. Dann sagte er: „Weh euch, Geister! Mein letzter Wille soll es sein, euch zu Fall zu bringen. Da ich es selber jedoch nicht mehr vollenden kann, soll mein Sohn dafür Sorge tragen, dich Fallag, in das Loch zurückzustoßen, aus dem du gekommen bist.“ Dann ließ er das Schwert fallen und hob den Kopf, so das er dem Fallag direkt in seine schwarzen, tiefen Augen schauen konnte. Der Fallag erkannte nur noch Hoffnung, aber keine Willensstärke mehr in dem König, und so nahm er ihm auch den Rest, was den edlen König einst ausgemacht hatte.

Das ganze Land erfuhr schnell von der neuen Wendung im eigenen Land, und es brach das Chaos aus. Auf einmal, so schien es, war der Fallag in allen Teilen des Landes gleichzeitig gesehen worden. Das Volk machte sich auf in Richtung des Schlosses, um den jungen König um Hilfe zu bitten. Das Schloß befand sich in einer Stadt Namens Paderunitas. Paderunitas war zugleich der Ort, wo Robin und Olga lebten und studierten. Welch grausamer Gedanke, der Fallag könnte auch die Akademie in Paderunitas befallen. Dies war für Robin und Olga Grund genug, ebenfalls zum Marktplatz zu gehen, wo sich die aus dem Land zusammengekommenen versammelten. Der junge Prinz war ein vom Wesen her ebenfalls guter und geschickter Mann wie sein Vater, und die Menschen mochten ihn. Die Situation war jedoch nicht tragbar, und nun sollte er seine erste große Herausforderung bestehen. Die Masse rief, und schließlich zeigte sich der junge Prinz. Da sein Vater nicht verstorben war, gab es auch keinen Grund, den jungen Prinzen zum König zu machen. Es waren sich jedoch alle einig, dass er die Aufgaben bereits jetzt schon erledigen solle, da sein Vater offensichtlich nicht mehr in der Lage war, sein Land mit starker Hand zu führen. Zudem war es dem König auch egal. Er sehnte sich, wie alle anderen, die dem Fallag begegnet waren, nach einem Gerät, was ihn ablenken würde. Am besten in Farbe und mit Ton. Aber das gab es ja nicht. Der Prinz trat auf einen kleinen Balkon und die Menge verstummte. „Hört was ich zu sagen habe! Der Fallag geht in unserem Land herum, und er muss gestoppt werden. Leider fühle ich mich nicht im Stande, ihm selbst den Gar auszumachen. Aber wer von meinen Untertanen geht freiwillig in den Kampf, um Ehre und Anerkennung zu gewinnen?“ Eine unglaubliche Stille war zu vernehmen. Keiner wagte es auch nur zu atmen, damit das „glückliche Los“ nicht ihn selbst treffen würde. Olga war da jedoch aus einem anderen Holz geschnitzt. „Hier, ich!“ Alle drehten sich blitzschnell zu Olga und Robin. Robin verstand die Welt nicht mehr. Olga? Wieso? Und während er sie weiter ungläubig ansah, fragte er sie leise: „Bist du blöd? Warum willst ausgerechnet du gehen?“ Selbstsicher, als wäre es das normalste von der Welt drehte sie sich zu ihm und erwiderte: „Wieso? Ich meld' mich erst mal. Ich werde die Prüfung wohl schon bestehen, da bin ich guter Dinge.“

Verdutzt und immer noch nicht im Stande etwas zu sagen, schauten sich alle an. Der Prinz brach als erster das Schweigen. „So sei es! Aber sag: Willst du die Aufgabe ganz allein bestehen? Welche Qualifikationen hast du, um gegen den Fallag zu bestehen?“ >>Qualifikationen?<< Erwiderte sie, „weiß der Prinz, welche man dafür benötigt? Wusste es der König? Das Zusammentreffen wird es zeigen! Weiter wollt ihr wissen, ob ich es alleine mit der Gefahr auf mich nehmen möchte. Nun, ich will es wohl, aber böte sich noch ein Begleiter an, so will ich ihm das Geleit nicht verwehren!“
Der Gedanke, Olga allein ziehen zu lassen, war für Robin absurd – wie die ganze Situation – und so erhob er die Stimme zum Prinzen und rief: „ Hier, ich will es wagen“ – „Danke“, flüsterte sie, als ob sie darauf gewartet hätte.
Nun brach die Menge die Stille, und man verstand sein eigenes Wort nicht mehr. Eine Gasse wurde gebildet, und die beiden Freiwilligen gingen auf das Schloß zu, wo man sie mit der nötigen Ausrüstung versorgen würde.
Im Schloß angekommen begann man sofort mit den Vorbereitungen. Man wollte keine Zeit vergeuden. Bevor Robin und Olga aufbrachen, sollten sie noch ein Mahl zu sich nehmen. Der Prinz bat sie jedoch noch am Abend, ein Stück, vorgetragen von vorbeiziehenden Gauklern, mit ihm zu schauen, um dann anschließend, entspannt, die Reise zu beginnen. Olga und Robin nahmen das Angebot dankend an. Es hieß, der treue Moritz würde ebenfalls in dem Stück mitwirken. Das war schon was!

Das üppige Mahl zu sich genommen und das Stück geschaut, machten sich Olga und Robin auf den Weg. Paderunitas schlief bereits, und so konnten sie ungestört ihres Weges gehen. „Viel Glück“, rief der Prinz hinter ihnen her. – „Erfolg, nicht Glück benötigen wir!“ – antworteten zwei Stimmen, die bereits in das nächtliche Schwarz eingetaucht waren.
Sie entschieden sich für „Bu“, um sich tragen zu lassen. „Yamca“ wäre wohl ebenfalls eine gute Möglichkeit gewesen, aber seine störrische Art konnte im falschen Moment tödlich sein. „Bu“ war stark genug für beide und konnte obendrein noch ein wenig Gepäck tragen. Beizeiten stiegen sie ab und gingen neben Bu her, um ihm ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Die Zeit verkürzten sie sich mit alten Geschichten, Sagen und Selbsterlebtem.
Schon in vergangenen Tagen hatten sich die beiden gerne über das Buch des Lebens unterhalten. Sie rätselten, was es wohl für ein Wesen sein musste, alle Geschichten auf einmal niederzuschreiben. Außerdem waren sie sich nicht im klaren, ob das Wesen die Geschichten vor oder nach dem tatsächlich Geschehenen niederschrieb. Die größte Frage, die sie sich jedoch stellten war: wenn es dieses Buch wirklich gäbe, wie wohl der Teil über sie, Olga und Robin selbst, enden würde. Sie hatten ein gutes Stück des Weges hinter sich gebracht, als Robin sich umdrehte und Olga anbot. das nächtliche Lager aufzuschlagen. – „Lass uns hier den Rest der Nacht verbringen. Der Tag war lang und ich bin müde.“ – „Jetzt schon?“ antwortete Olga. „Ich bin noch gar nicht müde und könnte wohl noch einen guten Teil zurücklegen.“ – „Warum bist du denn noch nicht müde? Lässt dich die Aufregung des heutigen Tages denn nicht die Augen zufallen?“ – „Schon, aber ich muss gestehen, dass ich mir bereits eine Rast gegönnt habe. Während des Stückes mit dem treuen Moritz übernahm die Müdigkeit bei mir die Überhand. Deshalb konnte ich dem Prinzen auch keine rechte Meinung über das Stück geben. Peinlich, aber wie war es denn?“ – Schmunzelnd und ein wenig ungläubig, dass man beim treuen Moritz schlafen konnte, gab er eine kurze Zusammenfassung. – „Lass uns dennoch das Lager für die heutige Nacht hier aufstellen. Ich habe noch einige Flaschen vom edlen Prinzen. Der wird auch dich schläfrig machen. – Nie abgeneigt gegen einen guten Tropfen willigte Olga schließlich ein. Sie philosophierten noch ein wenig und schliefen dann endlich für den Rest der Nacht.

In den folgenden Wochen verfolgten sie die Spuren des Fallag. Sie kamen durch trostlose Teile des Landes, wo der Fallag bereits gewütet hatte. Je näher sie dem Feind kamen, umso ängstlicher und unsicherer wurde Olga über ihre Entscheidung, so heldenhaft und dazu freiwillig noch vor gar nicht allzu langer Zeit auf dem Marktplatz „ICH“ gerufen zu haben.

An einem regnerischen Spätsommertag kamen die beiden an einen recht großen See. In der Nähe der anderen Uferseite, so berichteten Augenzeugen, sei der Fallag als letztes gesehen worden. Olga und Robin blieben am Ufer stehen und beobachteten einige Kinder, wie sie am Strand spielten. Seltsam sah es aus. Sie standen am Strand, und der erste in der Reihe wurde wie von Geisterhand aufs Wasser gezogen. Das wollten sich die beiden genauer anschauen und gingen zu den Kindern hinüber. Aus der Nähe erkannten sie, dass das jeweils erste Kind in der Reihe zwei geschnitzte Bretter unter den Füßen hatte, und in den Händen hielt es einen alten Strick. Auf einmal gewann der Strick an Spannung, und das Kind wurde samt der Bretter aufs Wasser gezogen. Was die Spannung jedoch verursachte, konnten sie nicht erkennen. Robin ging auf die spielenden Kinder zu und fragte nach der Technik. „Ein Riesenzwoster“, antworteten sie und fingen an zu grölen. „Wie soll das denn sonst gehen?“ Ein Riesenzwoster ist ein unglaublich kluger und großer Fisch. Er ist vergleichbar mit Delphinen; nur das es sich bei einem Riesenzwoster um einen Süßwasserfisch handelt, und man ihn de facto nicht im Meer findet. Das Tier gehörte einem der spielenden Jungen, der ihn von klein auf darauf dressierte, ihn mit einem Strick in seinem Maul über den See zu ziehen. Olga und Robin gefiel die Bande ebenso gut wie die Idee. Und so öffneten sie eine Flasche Wein und beobachteten sie eine Weile. Nicht jedes der Kinder konnte gut auf den Brettern stehen, und einige lustige Stürze war zu sehen, die jedes Mal mit Beifall und Lachen begleitet wurden. Während Olga und Robin so dasaßen, kam Olga auf eine Idee. – „Wir würden viele Tage erschwerlichen Fußmarsch sparen, würden wir uns von dem Riesenzwoster über den See ziehen lassen. Was meinst du?“ Robin zögerte, denn das hieße, Bu zurückzulassen. Auf der andern Seite hatte Olga natürlich recht. Wenn der Fallag tatsächlich auf der anderen Uferseite ist, wäre der Auftrag schnell erledigt. Sie beschlossen, Bu bei den Kinder zu lassen und es mit dem Riesenzwoster zu versuchen.
Der Teil des Landes, in dem sie sich derzeit befanden, wurde von den Einheimischen nur Morrewa genannt. Morrewa kennzeichnete eine der Grenzen des Landes. Geschmückt mit zahlreichen Seen und verbunden mit ebenso viel Tradition bei den Menschen verlief im Norden die natürliche Grenze. Das Meer! Der See, an dem sich Olga und Robin aufhielten, sollte der letzte vor dem Meer sein. Unweit hinter dem anderen Ufer, getrennt durch ein kleines Wäldchen, sollte sich schon die große See auftun.

Robin versuchte es als erster. Er befestigte die Bretter an seinen Füßen, ergriff den alten Strick, und auf ein Zeichen des Jungen schoss der Fisch mit aller Kraft hinaus auf den See. Dreimal musste auch er nähere Bekanntschaft mit dem kühlen Nass machen. Dann, beim vierten Versuch, klappte es schließlich. Der Riesenzwoster ließ sich mit dem Strick führen wie ein Pferd, und so fiele es Robin nicht schwer, dem Fisch die Richtung anzuzeigen. Nach einigen kleinen Runden kam er zurück zum Strand und übergab Olga die Bretter und den Strick. Olga erwies sich als Naturtalent! Sicher und mit viel Freude glitt sie über den See, und es machte den Anschein, als wollte sie gar nicht zurückkommen. Am späten Nachmittag verabschiedeten sie sich von den Kindern, und Robin bat nochmals, gut auf Bu, sein treues Pferd, aufzupassen. Die Übungen zuvor erwiesen sich als klug, denn der Weg über den See war recht lang, und Fallen war denkbar schlecht. Keiner von beiden hätte gewusst, wie sie direkt aus dem Wasser die Fahrt auf den Brettern hätten beginnen sollen. Stehen bleiben war die Devise!
Am anderen Ufer angelangt brach auch der Abend über Morrewa ein. Beide hielten es für klüger, die Nacht am See zu verbringen. Hier hatten sie frisches Wasser, und etwas zu essen würde sich auch leicht finden lassen.
Es war ein wunderschöner Wald, und ein dazu passender, sonnigfrischer Morgen versetzte Olga und Robin, trotz der auf sie zukommenden Gefahr, in ein Hochgefühl der guten Laune. Die Bäume, so schien es, wollten dem warmen Licht der Sonne nicht durch ihr sattes, dickes Grün den Einfall verwehren; und so glitzerte der Tau und erhellte auch die kleinsten Ecken des Waldes. Den Tieren ging es wohl wie den beiden Wanderern. Überall hörte man sie fröhlich ihren täglichen Geschäften nachgehen. Sie sprachen wenig, sondern genossen diesen Teil des Weges. Die Herzen fühlten sich so leicht an, und beide wollten den Augenblick so lange hinauszögern, wie es nur ginge.

Nach einer guten Weile bemerkte Olga, wie Robin offensichtlich über etwas nachdachte. Irgendetwas beunruhigte ihn. Seine Stirn zog sich zusammen, und es ergaben sich Falten, die sich immer auf seinem Gesicht abzeichneten, dachte er angestrengt über etwas nach. – „Was hast du? Beunruhigt dich etwas?“ – „Ja!“ Sagte er prompt. „Ich verstehe nicht, warum sich der Fallag in diesen Teil des Landes aufmachte. Viele Menschen leben hier nicht, und viel Unheil kann er hier ebenso wenig anrichten. Verstehst du, was ich meine? Ich meine, vielleicht war der König gar nicht das eigentliche Opfer des Planes. Vielleicht planen die Geister ein viel größeres Unheil.“ – „Aber was für ein größeres Unheil als das bisher Geschehene könnte er wohl hier anrichten?“ entgegnete sie. – „Das weiß ich auch noch nicht, aber es ist mir unwohl bei dem Gedanken. Denk nach! Was für Sagen und Geschichten erzählt man sich über Morrewa?“ – „Natürlich“, entfuhr es Olga auf einmal. Das Tor des Schicksals! Warum sind wir nicht schon viel eher auf diesen Gedanken gekommen?“ – „Du hast recht! Wir müssen blind gewesen sein.“

Eine Geschichte, die den Alten gerne erzählt wird und von Generation zu Generation weiter getragen wird, wie das mit Geschichten nun mal so ist, berichtet über den Anbeginn der Zeit. Als das Dunkle über alles herrschte und es nicht erlaubte, das etwas an Existenz gewann, durchbrach Wärme und Licht die tote Hülle. Es war nicht der Gegensatz, auch wenn das den Anschein hatte. Es war mehr das fehlende Glied, und wenn man so will, die Stunde Null. Sonnen, Galaxien, Sterne, Quasare und Planeten, umgeben von Trabanten, waren es nun erlaubt, geboren zu werden. War ein Planet geboren, so wird weiter berichtet, gab es einen Ort, wo das Leben seinen Anfang nahm. Die Quelle! Von diesem Ort war weiter nichts bekannt. Selbst die Existenz wurde von den Weisen nur müde belächelt. Es war halt nur eine Geschichte, aber eine, die man sich gerne unter dem Sternenhimmel erzählte. Jeder konnte sie ausschmücken wie er wollte und genug Stoff für Diskussionen enthielt sie allemal. Und über Geschichten zu philosophieren und zu diskutieren war ein gern gesehener Zeitvertreib bei den Leuten im Land. Eine Abwandlung dieses Mythos sagt, dass sich diese Quelle in Morrewa befinden würde. Diese Quelle soll weiter der Aufenthaltsort des Wesens sein, welches das Buch des Lebens schreibt.

Klar! – Es handelt sich nur um eine Geschichte. Nichts fundiertes! – Olga und Robin wussten das. Aber in der Situation, in der sie sich befanden, wollten sie alles nur Denkbare in Betracht ziehen. Vorausgesetzt, das Tor des Schicksals und die damit verbundenen Geschichten seien wahr, so war nicht auszumalen, was ein Blick des Fallags in die Augen des Wesens auszulösen vermochte. Es bestand die Gefahr, dass die gesamte Menschheit samt ihrer Geschichte mit einem Blick nicht mehr weitergeschrieben würde, nur weil das Wesen dazu keine Lust mehr haben würde.
Die beiden nahmen die neue Gefahr als Ansporn, die Pausen auf das nötigste zu verkürzen. Sie wollten endlich den Fallag stellen, um so auch nur jede erdachte Gefahr im Keim zu ersticken. Es dauerte nicht lange, und sie erreichten das Ende des Waldes. Gleichmäßig und harmonisch brachen die Wellen kurz vor dem Strand und liefen dann den letzten Teil ihres Weges friedlich aus. Als Olga, noch weit im Wald, glaubte, das Meer hören zu können, zog sie das Tempo unweigerlich an. Jetzt erblickte sie es, und Olga strich sofort ihre Kleider vom Leib und rannte auf die Wellen zu. Robin tat es ihr gleich, um sich vom Dreck zu befreien.
Nach dieser kurzen Pause machten sie sich für die nächste Etappe bereit. Nicht weit entfernt zu ihrer Rechten erhob sich eine kleine Klippenlandschaft, und sie entschlossen sich, diese genauer anzuschauen. Sie waren gerade aufgebrochen, als Robin kurz vor dem ersten Felsen meinte, etwas gesehen zu haben. „Sieh genau hin! Zwischen den Bäumen und dem Felsen. Da bewegt sich doch etwas.“ – „Ich sehe nichts. Oder...? Warte. Dort hinter dem Baum. Doch! Du hast recht.“ Es war der Fallag! Olga und Robin wollten gerade rufen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber da drehte er sich auch schon um und ging auf sie zu. Jetzt also würde sich gleich zeigen, ob die beiden Auserwählten sich als würdig erweisen würden. Robin zog sein Schwert und Olga zögerte nicht, auch ihres aus der Scheide zu ziehen, um es dem Gegner entgegenzustrecken. Gemeinsam standen sie nun hier, um ihre Aufgabe zu erfüllen, für die sie sich berufen fühlten. Der Fallag blieb einige Meter vor ihnen stehen und sah sie an. Erst fiel sein Blick auf Robin, dann auf Olga. Ob es an deren Entschlossenheit lag, nicht allein, sondern gemeinsam gegen ihn anzutreten, war dem Fallag nicht so recht bewusst. Aber das war ihm auch gleich, denn er erkannte in diesem Moment keine Schwäche in den Blicken der beiden. Sie standen nach wie vor, die Waffen gezückt, vor ihm. Da ergriff auch er sein Schwert und der Kampf begann. Der erste Hieb sollte Olga treffen. Sie wich schnell aus und parierte den Schlag mit einer Gegenattacke. Robin kam hinzu, und so schafften sie es, den Fallag einige Meter nach hinten zu drängen. Olga zielte bei ihrem nächsten Schlag auf die Brust, und der Fallag schlug mit seinem Schwert gegen das ihre, so dass der Schlag das Ziel verfehlte. Durch Olgas Attacke war die Deckung des Fallags jedoch für eine Sekunde geöffnet, und Robin zögerte nicht, die scharfe Klinge seines Schwertes in das Herz des Fallags zu stoßen. Erst fiel er auf die Knie und nach einer Sekunde der Verwunderung in seinem Gesicht, vornüber in den Sand. Sie hatten gesiegt! Der Feind war tot! Sie fielen sich in die Arme und erschöpft sanken sie ebenfalls in den Sand.

Nachdem sie den Fallag begraben hatten und ihre sieben Sachen zusammensuchten, schaute Olga zu Robin auf. „Was wollte der Fallag an den Felsen? Wollen wir noch nachsehen, bevor wir den Heimweg antreten?“ – „Gute Idee, sagte Robin.“ Und so liefen sie zu den Felsen hinüber. Hier war jedoch nichts Auffälliges, und sie wollten schon den Rückweg antreten, als Robin mit dem Zeigefinger nach oben deutete. „Steht da nicht irgendwas? Über dem großen Stein in dem Felsen.“ Olga schaute auf und erkannte, was Robin meinte. „Ja, ich glaube du hast recht. Heb mich mal hoch, dann kann ich es vielleicht besser erkennen.“ Er nahm sie auf seine Schulter, und Olga fing an zu suchen. „Hier steht was in Talein!“ – Talein war eine alte ausgestorbene Sprache, die nur noch von Druiden oder stark Sprachinteressierten beherrscht wurde. – Olga zählte man wohl zu den letzteren. hic sciscitator suam responsionem, credens suam certitudinem, sciens suam confirmtionem invenitor. - quidem verba recti tantum tibi aditum parabunt. „Was heißt das?“ fragte Robin. – „Ich weiß es nicht so recht. Ich habe lange kein Talein mehr gelesen, aber ich glaube es heißt: „Der Suchende soll hier seine Antwort finden. Der Glaubende seine Gewissheit. Der Wissende die Bestätigung. – Doch nur die Losung wird dir den Eintritt verschaffen.“ Es war also wahr! Das Tor des Schicksals gab es tatsächlich. Beide wollten jetzt auch wissen, was sich dahinter verbirgt. – „Die Losung? Was konnte die Losung sein, murmelte Olga unentwegt, und auch Robin faselte vor lauter Aufregung irgendetwas vor sich hin. Robin schaute zu Olga und meinte: „Lass uns doch mal nachdenken! Der Fallag muss es gewusst haben, sonst wäre er wohl kaum hierher gekommen. Was macht ein Fallag? Er entreißt den Menschen die Entscheidungskraft, Motivation und den Mut. Vielleicht ist es das? Wie heißen diese Eigenschaften in der Sprache der Druiden?“ – „vis cernendi, motus, audacia“ – Kaum hatte sie die Worte gesprochen, glitt der Stein wie von Zauberhand, ohne auch nur ein Geräusch zu verursachen, in den Fels hinein und hinterließ ein großes, schwarzes Loch. Weiter hinten konnten sie ein gedämpftes Licht erkennen, und so traten beide ein.

Lautlos gingen sie einen kleinen Gang entlang in das Innere des Felsens. Es war nicht kalt, und im Hintergrund, ganz leise, konnten sie immer noch das Brechen der Wellen hören. Am Ende des Ganges tat sich ein Raum auf. Ein paar Meter entfernt im inneren des Raumes saß ein uralter Mann an einen alten Tisch. Auf dem Tisch befand sich nichts weiter als eine brennende Kerze, ein Tintenfass und direkt vor ihm ein Buch. In seiner Hand hielt er eine Feder, die er in gewissen Abständen in das Tintenfass eintauchte. Hinter dem Mann erkannten die beiden ein Geländer. Der Raum, in dem sich der Mann befand, war klein, aber hinter diesem Geländer erkannten die beiden eine tief in die Erde reichende Bibliothek. Es war so tief, dass sie den Boden nicht mehr sehen konnten. Ebenfalls waren keine Wände zu erkennen. Es schien, als sei diese Bibliothek unendlich groß, so groß wie der Abendhimmel. Und was die Sterne am Himmel waren, waren für diese Bibliothek die Bücher. Sie waren überwältigt! Leise gingen sie auf den Mann zu, um ihn sich näher anzuschauen. Bei genauerem Hinsehen erkannten sie die Feder in der Hand des Alten. Nicht er war es, der schrieb! Die Feder führte vielmehr die Hand als umgekehrt. Er schreibt also nicht vor. Er dokumentiert! Die Blicke von der Feder gelöst betrachteten sie nun das Buch. Sie blickten sich erschrocken an. Es war ihr Buch! Auf der letzten Seite konnten sie den Kampf mit dem Fallag nachlesen, und gerade schrieb der Alte, wie sie seinen Raum betreten und ihn anschauen. In diesem Moment blickte der Alte hoch und zwinkerte kurz. Sofort ließ er den Kopf wieder nach unten sinken und schrieb weiter. – Das war es also! Der Alte schreibt zwar, aber die Feder führt jeder selbst. Das Buch war noch nicht gebunden, und die Seiten, die er nahm, waren weiß und noch nicht beschrieben. – Sie gingen den Gang zurück und traten ins Freie. Dort angekommen schloss sich das Loch wieder mit dem Stein. Glücklich und zuversichtlich blickten sie nach vorn und traten den Heimweg an. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute. Ende!

 
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Hallo Lutz Smith!
Ich wunder mich, das Deine Geschichte noch nicht kommentiert worden ist (vielleicht liegt das an der Länge)

Eine grandiose Geschichte! Hat mir total gefallen und ich habe sie nur so verschlungen!
Sehr gut durchdacht und die Namen und Hintergründe, Umgebung etc. sehr bildhaft erzählt!

Ritter und Knappen hatten einfach keine Lust mehr, die Grenzen zu bewachen oder zu verteidigen.
(keine Lust, würde ich nicht schreiben, denn es geht ja nicht nach Lust sondern nach der Pflicht.)

Was mir aufgefallen ist, dass du so "altertümlich märchenhaft" erzählst und doch mMn zu "Neue" Worte gebrauchst:

Würde es doch nur eine Technik geben, die im Haus für ein wenig Unterhaltung sorgen würde. Am Besten in Farbe und mit Ton. Aber so etwas gab es natürlich nicht.
(Passt irgendwie nicht in die Geschichte...denn es scheint als spiele sie in einer so frühen Zeit, das den Leuten niemals sowas einfallen würde...)

Leider fühle ich mich nicht im Stande, ihm selbst den Gar auszumachen.
(Garaus)

Und während er sie weiter ungläubig ansah, fragte er sie leise: „Bist du blöd? Warum willst ausgerechnet du gehen?“ Selbstsicher, als wäre es mit einem Lottogewinn vergleichbar, drehte sie sich zu ihm und erwiderte: „Wieso? Ich meld' mich erst mal. Ich werde die Prüfung wohl schon bestehen, da bin ich guter Dinge.“
(blöd, Lottogewinn: passt auch nicht in die Form deiner Erzählung)

Wenn Du Absätze machen würdest, würde es leichter fallen, Deine Geschichte zu lesen!

So, genug gemeckert! :)

Habe ich sehr gerne gelesen und freue mich auf mehr von Dir!!!!

Guten Rutsch ins Neue Jahr!
LG Joker

 

Hey!

Danke für die Kritik! Nehme ich sehr gerne an. Wünsche Dir natürlich auch einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Bis bald....

der Lutz

 

Ach ja, hatte einen Kritikpunkt noch vergessen.
Und zwar am Ende erledigen die zwei den Fallag ja ziemlich schnell. Für mein Geschmack zu schnell, denn das hätte der König auch machen können, ihn einfach so erstechen :) ein wenig mehr Spannung in der Szene würde guttun..denn das ist ja das eigentliche Ziel der beiden, den Fallag zu töten. Vielleicht auch, das man mehr von dem Fallag erfährt, was er so für Kräfte bzw. Fähigkeiten besitzt und sie gegen die beiden einsetzt...einfach, das die beiden echt zu kämpfen haben...

LG Joker

 

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