Das Blitzwesen
Hallo,
mein Name ist Tommy. Ich bin 8 Jahre alt und habe Angst. Wenn ihr das lest, dann werde ich wahrscheinlich schon verschwunden sein. Lest sehr genau und haltet euch an die Regeln, so seid ihr sicher. Gebt Acht bei Tag und Nacht!
Alles begann als wir von unserer 5 Zimmer Stadtwohnung in das alte Pfarrhaus in einen kleinen Ort zogen. Die Gemeinde hatte sich entschlossen das Gebäude für einen Spottpreis zu verkaufen. Es war über die Jahre einfach zu teuer geworden das Gebäude für nur 2 Personen weiter mit Geld zu versorgen. Der Geistliche hatte mit einer älteren Dame, die seine Hauswirtschaftlerin war, alleine in dem großen Haus gelebt. Die alte Frau hatte für den alten Pfarrer den gesamten Haushalt geführt. Den größten Teil ihrer Freizeit allerdings hatte sie im Rosengarten verbracht. Fast alle Frauen in Neuhausen waren neidisch auf diese Rosen. Der Garten ist hinter dem Pfarrhaus und dennoch gelangt man über einen kleinen Weg auch von außerhalb in ihn oder man nimmt den Weg durch die Küche. Ein kleiner Kiesweg bahnt sich seinen Pfad durch das satte Grün. Als die Haushälterinnen vor mehr als 230 Jahren angefangen hatten den Haushalt der Pfarrer zu übernehmen, hatten sie anscheinend den Plan gefasst, den Neid aller Frauen aus der Gemeinde auf sich zu ziehen. Denn den Rosengarten des Pfarrers wollte jeder sein eigen nennen.
Meine Eltern brauchten sehr lange um die nette alte Dame zu beschwichtigen und mussten ihr Versprechen, dass sie gerne auch weiter im Rosengarten arbeiten könne. Sie versprach uns jeden Nachmittag in der Woche um den Rosengarten zu kümmern, unentgeltlich natürlich, denn sie hatte sehr große Angst den Rosengarten zu verlieren. Sie wirkte sehr zerbrechlich, fast wie eine Porzellanfigur. Ihr schneeweißes Haar rahmte ihr Gesicht ein wie ein Bilderrahmen ein Bild von unschätzbarem Wert. Nur ein paar einzelne Strähnen fielen ihr immer wieder ins Gesicht und erst als meine Eltern ihr geschworen hatten, das sie den Rosengarten weiter pflegen würden, wenn sie nicht mehr da ist, umspielte ein leichtes Lächeln ihre faltigen Mundwinkel.
Ich habe meistens das Haus für mich allein, denn meine Mutter arbeitet in einem Altenpflegeheim in der Stadt und mein Vater in einem großen Molkereibetrieb. Wenn ich nachmittags nach Hause komme, dann ist meistens keiner da oder sie schlafen noch, weil sie Nachtschicht hatten.
Wenn keiner von beiden abends da ist, dann passt meine Tante auf mich auf, da meine Omas und Opas weiter außerhalb in anderen Städten wohnen.
Als es eines Abends gewitterte fuhr meine Mutter meine Tante nach Hause. Ich lag schon im Bett und versuchte zu schlafen.
Der Schlaf wollte mich schon übermannen, als ein Blitz mein Zimmer erhellte. In diesem Augenblick sah ich zum ersten Mal das Blitzwesen. Ich schrie laut auf, aber es war ja niemand da, der meine Schreie hätte hören können. Ich hatte zwar panische Angst, aber ich hoffte es war nur eine Einbildung gewesen. Dennoch hörte ich Schritte, also irgendwas kam auf mich zu und obwohl ich das Licht eingeschaltet hatte, konnte ich nichts sehen. Als das Donnergrollen verklungen war und ich nichts mehr hörte, dachte ich es war nur eine Einbildung gewesen. Es war totenstill. Bis ein zweiter Blitz den Nachthimmel zerriss und ich am Ende meines Bettes eine widerliche Fratze erblickte. Die Augen glühten wie blutrote Diamanten und ich roch den fauligen Atem der Verwesung. Ich verstecke meinen Kopf unter der Bettdecke und hoffte, dass es so verschwinden würde, aber ich hörte immer noch sein schwarzes und tiefes Lachen.
Es war dunkel und erneut schaltete ich das Licht an und sah nichts. Dann hörte ich eine dunkle Stimme in mein Ohr flüstern. „Nur weil du mich nicht siehst, heißt das nicht, dass ich nicht da bin. Ich werde dich heute noch nicht holen, denn du bist noch nicht reif genug. Aber merke dir meine Worte. Ich hole dich und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst.“
Nach dieser Erfahrung versuchte ich einzuschlafen, aber so richtig gelang es mir nicht.
Am nächsten Morgen erzählte ich meinen Eltern davon, aber sie wollten mir nicht glauben.
Als die alte Haushälterin hörte, wie ich die Geschichte meinen Eltern erzählt hielt sie kurz mit ihrer Arbeit inne. Als meine Eltern gegangen waren, kam sie leise zu mir getippelt und bat mich am Küchentisch Platz zu nehmen. Mit zitternder Stimme wendete sie sich an mich.
„Vor 300 Jahren lebte hier im Ort ein sehr böser Mann, von dem man sagte, dass er mit dem Teufel im Bunde sei. Er lebte etwas außerhalb, auf dem Hügel vor dem Dorfeingang. Keiner aus dem Dorf traute sich zu ihm zu gehen. Als der neue Priester sein Amt antrat, begann er jedem Mitglied der Gemeinde an seinen Geburtstag einen Besuch abzustatten.
Als Pater Brown nun dem Einsiedler einen Geburtstagsbesuch abstattete, sah er viele Totenschädel um das Haus verstreut liegen.
Schockiert kehrte er zum Pfarrhaus zurück und fragte eine Dame aus dem Dorf, ob in letzter Zeit viele Kinder verschwunden waren. Sie sagte, dass in den letzten Jahren über 20 Kinder aus dem Dorf und aus den umliegenden Nachbardörfern verschwunden waren. Alarmiert informierte der Pfarrer den Dorfsheriff und gemeinsam machten sie sich auf zum Haus des Mannes. Als sie durch die verschmierten Fenster schauten, sahen sie Berge von Kindersachen in der Wohnstube liegen. Sie klopften danach mehrmals an die Tür, aber niemand öffnete ihnen. Darum brachen sie die Tür auf und riefen im ganzen Haus den Namen des Übeltäters. Sie durchsuchten zuerst die oberen Geschosse. Als sie ihn da nicht fanden, wagten sie sich in den Keller. Dort fanden sie ihn auf einem Stuhl sitzend, mit dem Rücken zu ihnen. Seine Hände waren mit Binden umwickelt und er streichelte über den abgetrennten Kopf eines Kindes. Der Schopf schien noch sehr frisch zu sein, denn er war noch vollständig mit Augen, Haaren und Haut. Die Augen des Kindes waren vor Entsetzen weit aufgerissen und schienen nach einen Grund zu fragen. Der Pfarrer fing bei diesem Anblick an, dass „Vater unser“ zu beten und sich zu bekreuzigen. Zitternd erhob der Dorfhautmann seine Stimme. „Herr Sullywine, Sie sind festgenommen wegen mehrfachen Kindsmordes.“ Da drehte er sich zu ihnen um. Seine Augen leuchteten bedrohlich. „Ihr könnt mich nicht aufhalten, denn ich werde wieder kommen.“ Er griff mit seiner linken Hand nach einem alten, nassen Jutesack und stülpte ihn sich über seinen Kopf. Nun waren nur noch seine funkelnden Augen zu sehen. Mit der rechten Hand hatte er schon nach der Öllampe gegriffen und zerbrach sie. Er musste es alles schon sehr lange geplant haben, denn er stand innerhalb von Sekunden in Flammen, wie eine brennende menschliche Fackel. Er lachte abermals und dann sagte er: „Ihr könnt mich nicht aufhalten. Sagt euren Kindern, das ich sie wie ein Blitz holen werde, wenn sie reif sind.“
Angsterfüllt verließen der Pfarrer und der Scheriff das Haus. Als sie wieder draußen waren, stand es schon in Flammen und vernichtete alles, was in ihm war.
Seit diesem Tage sind die Kinder dem Tode geweiht, die sein Gesicht bei einem Gewitter sehen. Einige Familien versuchten durch Umzug diesen Fluch zu entgehen, aber auch ihre Kinder verschwanden.“ Sie endete erschöpft die Geschichte.
Ängstlich fragte ich sie: „Gibt es denn keinen Weg ich aufzuhalten?“
„Denn gibt es. Was glaubst du, warum dieser Rosengarten seit Jahrhunderten von den Haushälterinnen der Priester so gepflegt wird? Die Haushälterin, die den Rosengarten begonnen hat, war eine weiße Hexe gewesen und hat alle Rosen des Gartens mit einem speziellen Zauber belegt, die das Ungeheuer davon abhält, die Kinder zu entführen. Allerdings müssen die Rosen dazu in voller Blüte stehen. Leider schaffte sie es nicht, dass der Lebenszyklus der Rose sich nur auf das Blühen beschränkte, denn auch die Rose ist vergänglich. Und somit verschwinden die Kinder nur im Zeitraum des Herbstes bis zum nächsten Frühling.“
Besorgt fragte ich sie: „Woher wissen sie das alles?“
„Nun ja, als ich hier her zog, wusste ich nichts von dieser Geschichte. Erst als mein Sohn mir von einem Monster berichtete, wurde ich hellhörig. Ich fragte im Dorf herum und erfuhr so die ganze Geschichte. Im Frühling war ich eine Nacht nicht zu Hause und an diesem Tag verschwand er für immer.“
Stille trat ein und ich wagte nicht sie zu durchbrechen, aus Angst, was danach kommen würde. Wie ein verwirrter Vogel suchte ich den Himmel ab, ob er nicht ein Zeichen für mich bereithalten würde. Aber ich sah nichts. Sie sah müde und erschöpft aus. Sie schaute mich aufmerksam an und sagte: „Gib Acht bei Tag und Nacht. Das Böse ist immer und überall. Trage so lange es geht immer eine Rose bei dir, egal was die anderen sagen. Ihre Eltern werden es wissen und dich in Schutz nehmen.“
Seitdem stelle ich immer eine Rose neben mein Bett und trage eine Blüte an einem Band um meinen Hals, natürlich unter meinem T-Shirt, damit es nicht alle sofort sehen.
Als das nächste Gewitter kam, sah ich ihn wieder. Er stand zwar an meinem Bett, aber diesmal konnte ich lächeln.
„Glaubst du wirklich, dass diese Rosen für immer blühen? Das Einzige was diese Hexen nicht geschafft haben ist, das die Rosen das gesamte Jahr über blühen. Schade oder?
Ach und wenn du glaubst, dass die alte Frau dich ewig beschützen kann, dann irrst du dich. Ich werde sie nicht holen, aber ich kann auch ihr Erscheinen, genauso wie ihrem Sohn. Auch sie wird unsere Begegnung nicht überleben. Ich werde ihr Lebenslicht auslöschen wie eine Kerze im Wind. Sie hat schon zu viele Kinder versucht zu beschützen. Aber der Herbst ist mein Freund.“ Mit einem Lachen verschwand die Stimme.
Am nächsten Morgen schauten mich meine Eltern ganz traurig an. „Du musst jetzt stark sein, Kleiner. Die alte Frau Mildner ist letzte Nacht gestorben. Aber keine Angst sie ist jetzt im Himmel und passt von dort auf dich auf.“
In der Schule machten schon die ersten Gerüchte die Runde. Zum einen soll das Gesicht der alten Frau vor Angst verzerrt gewesen sein und die Nachbarn wollen ein lautes Lachen gehört haben.
Als es wieder einmal gewitterte und ich die Rose zu erneuern vergessen hatte, streichelte mir eine mit Binden umwickelte Hand über meine Wange und eine tiefe Stimme flüsterte: „Es wird langsam Zeit, noch nicht heute, aber bald. Der Herbst klopft schon langsam an die Tür. Pflücke deine letzten Rosen.“
Als die nächsten Gewitter kamen, versteckte ich mich im Schrank, in der Kleiderkiste oder in anderen Räumen, aber immer fand er mich. Es war als ob es kein Entrinnen vor ihm gab. Egal was ich machte, er stand in meiner Nähe. Die letzten Rosen verblühten und meine Angst wuchs. Lächelnd sagte er zu mir: „Fürchte dich nicht zu sehr, das macht dich nur zäh.“
Ich liege nun meistens, bei Gewittern, mit aufgerissenen Augen im Bett und starre auf seine roten Augen, wie ein Kaninchen eine Schlage anstarrt.
Er sagt immer das Selbe. „Du kannst und wirst mir nicht entkommen.“
Wenn ihr das hier lest, dann flieht noch vor dem ersten Gewitter. Sucht einen Ort, wo es weiße Hexen gibt. Wo Rosen das gesamte Jahr blühen. Findet Wege die euch vor dem Schicksal beschützen, was mir wiederfahren wird.
Ich höre schon seine Stimme und die ersten Regentropfen klopfen schon an die Fensterscheinen. Meine Eltern sind noch auf Arbeit, also wird er mich heute holen, beschützt euch, solange ihr könnt. Heute singt er ein altes Lied und immer wieder die Worte:“Heute ist Erntetag. Hilfe!!!“
9 Jähriger Junge vermisst
Seit dem gestrigen Gewitter wird der neunjährige Tommy vermisst. Er ist einfach aus dem Haus verschwunden. Seine Eltern können sich sein Verschwinden nicht erklären. Die Polizei geht davon aus, dass Kindesentführer sich als Monster verkleiden und dann den Kindern auflauern. Vermutlich nutzen sie dafür die Legende vom alten Kindermörder Sullywine. Nach Angaben der Eltern hat der Junge mehrfach von einem Monster gesprochen, allerdings hielten sie es für ein Phantasiewesen.
Es wird davon ausgegangen, dass der Junge noch in der Gegend ist. Falls sie ihn von dem Foto erkennen, informieren die sofort die Polizei. Vermutlich sind die Entführer bewaffnet und auf jeden Fall sehr gefährlich.