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Das blaue Wunder
Hallo Leute, kommt alle mal schnell her, wenn ihr ein blaues Wunder erleben wollt“, rief Petz laut. Und schon kam der komplette Spatzenclan angeflattert. Da sahen sie das blaue Wunder. Sie lachten laut und zwitscherten wild durcheinander. Dann wandte sich Toppi, der Chef des Clans, glucksend an das blaue Wunder: „Was bist du denn für ein komischer Vogel? Bist du in einen Farbeimer gefallen? Oder warum bist du ganz blau?“
Flori wurde ganz klein. Sonst wurde er für seine schöne Färbung bewundert und gelobt. Dass ausgerechnet so unscheinbare, braune Vögel ihn auslachten. Trotzig antwortete er: „Ich bin ein Wellensittich und meine Farbe ist perfekt.“ „Perfekt für was?“, fragte einer der Jungspatzen. Eine richtige Antwort wusste Flori darauf auch nicht. Er war eben schön. Ein anderer Jungspatz fragte dann: „Und wohin willst du?“ Flori hatte sich hoffnungslos verflogen. Aber das musste man diesen Spaßvögeln ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Also sagte er einfach: „Ich bin Flori und ich möchte mich ein wenig in der Welt umsehen."
Die feinfühlige Pepsi spürte Floris Verlorenheit und bot ihm deshalb an: „Dann bleib doch ein Weilchen bei uns.“ Toppi, der Chef, fuhr herum und starrte Pepsi an, als hätte sie den Verstand verloren. So ein blauer Heini in seiner Gruppe, das war doch peinlich. Aber die Jungspatzen waren begeistert. „Au ja, das wird spaßig.“ Schließlich gab sich Toppi geschlagen und Flori durfte mit ihnen fliegen. Zuerst brauchten sie etwas zu futtern. Petz hatte schon vorhin eine frisch eingesäte Rasenfläche entdeckt. Er hatte es gerade den anderen melden wollen, als er Flori entdeckt hatte. Nun flog er voran über zwei Häuser und einen Garten zu dem eingesäten Rasenstück.
Nach diesem Langstreckenflug war Flori völlig aus der Puste. Solche Strecken war er nicht gewohnt. Während die anderen schon den Grassamen aufpickten, versuchte er noch, zu Atem zu kommen. Plötzlich flatterten alle auf und verteilten sich im Apfelbaum. Einer rief ihm noch zu: „Schnell, die Katze.“ Da sah Flori sie. Wunderschöne grüne Augen hatte sie. Nur wie sie ihn damit fixierte, als sie langsam näher kam, war ihm unheimlich. „Flieg!“, schrien jetzt alle Spatzen wie aus einem Schnabel. Die Katze hatte schon zum Sprung angesetzt. In allerletzter Sekunde flog Flori auf, doch seinen Schwanz erwischte sie noch. Zwei seiner langen Schwanzfedern blieben so auf der Strecke. Flori hockte nun zitternd auf dem Ast. Seine letzten Kraftreserven waren aufgebraucht und der Schreck saß ihm in den Gliedern. „Na dann eben beim nächsten Mal“, sagte die Katze zu ihm. „Dich findet man ja leicht wieder und der Schnellste bist du auch nicht.“
Toppi verdrehte die Augen. Er war für den Spatzenclan verantwortlich und dieser blaue Trottel gehörte nun irgendwie dazu. Er seufzte abgrundtief. Nicht mal gescheit fliegen konnte der. Andererseits war er das perfekte schlechte Beispiel. „Seht ihr“, meinte er deshalb zu den Jungspatzen, „man muss immer aufpassen. Sonst wird man ganz schnell gefressen. Merkt euch das gut. Niemals unachtsam sein.“
Ein paar Schwalben hatten sich das ganze Drama mit angesehen. „Hey Spatzenhäuptling. Was ist das den für ein komischer Vogel? Ist das mit der seltsamen Farbe ansteckend?“, stichelten sie. Wieder seufzte Toppi. Er hatte doch gewusst, dass die Sache peinlich werden würde.
So vergingen ein paar Tage und Toppi und seine Truppe durften sich noch einiges von den anderen Vögeln anhören wegen des blauen Floris. Nicht nur, dass dieser blaue Heini von nichts eine Ahnung hatte und man ihm alles erklären musste. Er war außerdem schwer satt zu bekommen. Denn im Gegensatz zu ihnen, fraß er ausschließlich Samen und Körner, und selbst da war er noch wählerisch. Sein krummer aber kräftiger Schnabel war für den Insektenfang auch völlig ungeeignet. Ach er war einfach anstrengend. Und doch fing Toppi an, Flori zu mögen. Denn trotz allem, war er ein wirklich netter Kerl und er lernte schnell dazu. Auch das mit dem Fliegen wurde von Tag zu Tag besser.
An diesem Vormittag flogen sie in einen Garten mit einem kleinen Goldfischteich. Flori hielt diesen für ein Vogelbad und flog mitten hinein. Aber was war das? Seine Füßchen fanden keinen Grund und er konnte nicht schwimmen. Verzweifelt versuchte er aufzufliegen, aber es ging nicht. Am Teichrand stand zwar ein Strauch und einer der dünnen Äste ragte direkt über ihm bis in die Teichmitte. Aber er war zu hoch. Flori konnte ihn einfach nicht erreichen. Er würde hier ertrinken. Er würde sterben, ohne seine Familie noch einmal gesehen zu haben. Die Spatzen hüpften aufgeregt am Rand des Goldfischteiches herum oder flogen über ihm hin und her. Nur helfen konnten sie nicht, denn schwimmen konnte keiner von ihnen. Da hatte Petz eine Idee. Er setzte sich auf den Ast, den Flori nicht erreichen konnte. „Los, kommt alle schnell her und setzt euch zu mir auf den Ast!“, rief er. Die anderen beeilten sich und flatterten zu ihm. Und mit jedem Spatz wurde der Ast schwerer und sank ein wenig tiefer. Schließlich konnte Flori ihn erreichen und kletterte hoch. Das war wirklich in letzter Sekunde.
Anstatt ihn für seinen rettenden Einfall zu loben, redeten alle nur auf Flori ein, wie das den passieren konnte, und ob es ihm gut ginge. Petz war beleidigt. Erst stürzte sich dieser blaue Vollpfosten grundlos in die Fluten, und dann wurde der auch noch verhätschelt.
Als seine Freundin Pepsi später zu ihm flog, um ihn doch noch gebührend für seine rettende Idee zu bewundern, war er schon wieder versöhnt. Sie sahen rüber zu Flori und bemerkten wie traurig er auf seinem Ast saß. Da flogen sie zu ihm rüber. „Was ist los mit dir?“, fragten sie. Unglücklich sah er sie an. „Ach, ich habe Heimweh. Hier bin und bleibe ich doch nur ein Außenseiter.“ Dann erzählte er den beiden von seiner Familie und seinen Freunden und auch, wie er ausgebüchst war. Sein Besitzer und dessen kleiner Sohn waren echte Vogelliebhaber und hatten eine wirklich große Voliere für ihre Lieblinge gebaut. Ein riesiges Außengehege und ein kleinerer Innenraum für schlechtes Wetter. Aber Flori hatte schon immer mal die Welt mal von ganz oben sehen wollen. Als sich dann eine Gelegenheit bot, ist er blitzschnell durch eine offene Klappe entwischt und losgeflogen. Vor lauter Aufregung hatte er gar nicht darauf geachtet, wohin er flog. Und so hatte er sich bereits rettungslos verirrt, als Petz ihn fand. Ja es war herrlich, fliegen zu können so hoch und weit, wie man wollte. Aber diese Freiheit hatte ihren Preis, das wusste er jetzt. Ständig musste man auf der Hut vor Gefahren sein. Verletzungen wurden nicht tierärztlich behandelt und konnten tödlich enden. Immer die anstrengende und unsichere Nahrungssuche. Und das alles, als blauer Sonderling.
Petz und seine Freundin überlegten, wie sie ihn aufmuntern könnten. Doch schon am nächsten Tag schien das nicht mehr nötig zu sein. Denn da trafen sie auf das Rotschwänzchen Karlchen. Und auch Karlchen lästerte: „Seid ihr verrückt? Die Sorte darf doch gar nicht frei herumfliegen. Die ist gefährlich. Würde man sie sonst in Käfige sperren?“ Toppi, der Spatzenchef, bezweifelte stark, das Flori gefährlich war. Nein, der stellte erwiesenermaßen nur eine Gefahr für sich selber dar. Gerade vorhin wäre er fast in ein vorbeifahrendes Auto geflogen. Der Fahrtwind hatte ihn noch mächtig durchgeschüttelt. „Quatsch“, meinte er deshalb nur.
„Glaubt ihr nicht? Dann zeige ich es euch!“ Neugierig geworden, folgte ihm Toppis gesamter Spatzenclan. Sie flogen zum Balkon eines Mietshauses. Dort stand auf einem Tischchen ein kleiner Vogelkäfig und darin saß das hübscheste Wellensittichmädchen, das Flori je gesehen hatte. Ganz weiß war sie und nur an ihren Flügeln hatten einige Federn dunkle Ränder. Ach, und so liebe Augen. Flori war hin und weg. Während er sie nur verträumt anschaute, prasselten lauter Fragen der Jungspatzen auf das Vogelmädchen herab. Was sie angestellt habe, dass sie in so einem winzigen Käfig saß. Warum sie weiß war und nicht blau wie Flori. Wie sie hieß und, und, und. Toppi musste sie zur Ordnung rufen, damit Sunny, so hieß das Sittichmädchen, überhaupt antworten konnte. Wie sich herausstellte, hatte ihre Besitzerin Gesellschaft gebraucht und sich deshalb einen Vogel angeschafft. Die ältere Dame versorgte Sunny gut. Der Käfig war immer sauber, das Wasser frisch und Futter reichlich vorhanden. Aber die ältere Dame bemerkte nicht, wie einsam und traurig Sunny in ihrem kleinen Käfig war. Jetzt wurde Flori klar, wie gut es ihm bisher in seiner großen Voliere, zusammen mit seiner Familie und seinen Freunden, ergangen war.
Von nun an verbrachte Flori die meiste Zeit bei Sunny. Er saß auf ihrem Käfig oder auf dem Tischchen, unterhielt sich mit ihr und erzählte von seinen Abenteuern. Sonderbarerweise kamen Pleiten, Pech und Pannen in seinen Geschichten nicht vor. Sie hörte gerne zu und genoß seine Gesellschaft. Bis zu dem Tag, als das Rotschwänzchen Karlchen aufgeregt angeflogen kam und schon von weitem rief: „Hey Blauer, schnell, einer deiner Freunde steckt in großen Schwierigkeiten. Beeil dich, bevor es zu spät ist!“ Besorgt verabschiedete sich Flori kurz von Sunny mit einem „bis später“, und folgte Karlchen.
Am Ort des Geschehens angekommen, erschrak er mächtig. Pepsi hatte sich in einem Netz verfangen, das irgend jemand einfach weggeworfen hatte. Im Gras hatte sie es nicht gesehen und sich mit einem Beinchen so darin verheddert, dass sie nicht mehr los kam. Und das schlimmste war, dass ein Bussard über ihr kreiste. Pepsi war so leichte Beute für ihn. Nur weil er mit seinen scharfen Augen das Netz gesehen hatte, hatte er sich noch nicht auf sie gestürzt. Er musste befürchten, sich ebenfalls zu verfangen. So überlegte der Bussard noch, wie er es am sichersten anstellte.
Jetzt kam Flori's große Stunde. Er flog zu Pepsi und schaffte, was die anderen mit ihren Schnäbelchen nicht geschafft hatten. Er zernagte mit seinem kräftigen Schnabel die Schnüre, die Pepsi am Boden festhielten. Und nun konnte sie sich in den sicheren Baum retten. Großer Jubel folgte und Spatzenchef Toppi war froh, dass er Flori, trotz aller Bedenken, in seiner Truppe aufgenommen hatte.
Es dämmerte schon. Aber gleich am nächsten Morgen flog Flori zu Sunny um Bericht zu erstatten. Doch was war das? Das Tischchen auf dem Balkon war leer. Kein Käfig, keine Sunny. Flori flog zum Fenster und schaute in die Wohnung. Aber nichts. Er flog zu allen Fenstern des Gebäudes und sah hinein. Finden konnte er sie nicht. Würde sie morgen wieder hier auf ihn warten? Oh, Flori hoffte es so sehr. Aber weder am nächsten, noch am übernächsten Tag, war sie da. Und auch nicht an den folgenden Tagen. Flori war völlig verzweifelt. Seine Herzallerliebste war und blieb verschwunden.
Nach einer Woche konnten es die Spatzen nicht mehr mit ansehen, wie sehr Flori litt. Sie schafften es einfach nicht, ihn zu trösten. Vielleicht gelang es seiner Familie. Aber wie finden? Flori selbst konnte nicht sagen, woher er gekommen war. Also meinte Spatzenchef Toppi: „Wir fangen an der Stelle an, wo wir Flori aufgegabelt haben. So schlecht, wie er damals fliegen konnte, kann er nicht von weit her gekommen sein. Also ziehen wir von dieser Stelle an immer größere Kreise.“ Alle machten mit. Es dauerte wirklich nicht lange und einer der älteren Spatzen hatte Erfolg. Zwölf von Flori's Art in einer riesigen Voliere. Das musste es sein. Er holte die anderen und Flori.
Flori's Besitzer traute seinen Augen nicht, als Flori mit einem Schwarm Spatzen angeflogen kam. Er hatte nicht daran geglaubt, seinen schönsten Wellensittich je wieder zu sehen. Als er seinen Finger ausstreckte, flog Flori sofort zu ihm und setzt sich darauf. Er wollte nur noch nach hause. Besorgt sah ihn sein Besitzer an. Abgemagert war sein Vogel nicht. Trotzdem sah er nicht gut aus. Irgendwie trübsinnig. Ob er krank war?
Er würde ihn erst mal ein paar Tage in Quarantäne stecken, auch wenn da bereits ein Neuzugang saß. Eine ältere Dame, die ins Seniorenheim ziehen wollte und den Vogel nicht mitnehmen konnte, hatte ihn gefragt, ob er noch ein Plätzchen für ihr Schätzchen frei hätte. Sie hatte die selbstgemachten Suchplakate seines Sohnes gesehen und dachte sich, dass er vielleicht als Ersatz und zum Trost, ihren Sittich nehmen würde. Nur zu gerne hatte er das schöne Sittichmädchen übernommen. Ganz weiß war sie und nur an ihren Flügeln hatten einige Federn dunkle Ränder.