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Das Blaue vom Himmel
In der Morgendämmerung steht Angelo vor der von ihm gemalten Himmelsleinwand. In der Linken hält er noch die Palette und in der rechten Hand den Pinsel. Zufrieden schaut er zu, wie das gleißende Licht der aufgehenden Sonne seine Farben, das zarte Rosa, Gelborange bis Zinnoberrot, zum Leuchten bringt. Lächelnd dreht er sich um, senkt seinen Blick hinab auf die Erde.
Dort erscheint Magdalena auf ihrem Ostbalkon, wie immer zu dieser Stunde. Andächtig betrachtet sie sein Gemälde.
„Ach wenn du doch auch mich sehen könntest!“, ruft Angelo ihr zu.
Magdalena blinzelt und lauscht in die Stille. Jetzt schaut sie auf ihre Armbanduhr. Sie muss los, sonst schafft sie es nicht zu Fuß. U-Bahn-Tage sind selten zu retten. Magdalena mag dieses hektische Gedränge, die muffige Dunkelheit nicht. Lieber läuft sie die knappe halbe Stunde zu ihrer Arbeitsstelle, dem Stadtpark.
Angelo geleitet sie mit seinen Blicken. Er liebt es, wie sie mit funkelnden Augen seine Himmelsbilder betrachtet. Er mag ihr Lächeln, die Art, wie sie ihr geflochtenes blondes Haar über der rechten Schulter trägt. Und wie sie geht, als würden ihre Füße die Erde kaum berühren. Seine Hände bewegen sich von selbst, er malt nur für sie, malt sie.
Schon ist Magdalena im Stadtpark angekommen. Heute wird sie die Hecken schneiden und neu formen. Ihre Inspiration holt sie sich von den Wolkenbildern.
Angelo malt ohne Unterlass, entzückt, seine Bildnisse in den Hecken des Parks wiederzufinden.
Die Sonne steht im Zenit, als Magdalena ihr Werkzeug aus der Hand legt.
Auch Angelo hält inne. Versonnen betrachtet er Magdalena, wie sie bäuchlings im Gras ruht. Jäh wird er aus seinem Tagtraum gerissen. "Mein Bild, einfach zerschnitten!", schreit Angelo.
Magdalena schreckt hoch, dreht sich auf den Rücken. Kleine Wolken, wie Blumen, schweben über den Himmel. Kondensstreifen eines Düsenfliegers schneiden sie in Stücke. Eine riesige Wolke, ähnlich einer menschlichen Gestalt, bewegt sich auf sie zu. Das Weiß flattert wie ein Gewand, darüber ein Kopf. Sie starrt in Augen, gletscherblau oder doch himmelblau? Magdalenas Augen brennen, sie kneift sie zusammen, blinzelt die Tränen weg. Wo eben noch dieses Abbild war, schwebt nun ein kleines Herz heran. Sie lächelt, stützt sich mit den Ellenbogen hoch und schaut zu, wie das Herz über ihr immer größer wird. Langsam steht sie auf und beginnt, die nächste Hecke herzförmig zu stutzen.
Angelo beobachtet den hageren rothaarigen Mann, der sich von hinten an Magdalena heranschleicht. Er langt ihr an die Schulter, sie dreht sich um, er spricht sie an und lacht, sie schüttelt den Kopf. Er grinst, drängt sich an sie, sie stößt ihn fort, er landet im Gras. Mit beiden Händen fasst Angelo in den Farbtopf, schöpft das Schwarz und schleudert es gegen die Leinwand, wirft eine zweite Ladung nach, die beiden Schwärzen krachen zusammen. Es entladen sich Donner, Blitz und Regen direkt über dem Widerling. Der flitzt im Zickzack Richtung U-Bahn. Schaut sich nach Magdalena um, die im Trockenen steht. Angelo ruft den Wind, um den Rothaarigen mit dem Gewitter zu jagen, bis er im U-Bahnbereich verschwunden ist.
„Genug Wind“, spricht Angelo, wäscht das Schwarz weg und malt das Friedenssymbol quer über den Himmel.
Magdalena starrt nach oben, sucht diese Augen am Himmel. Doch sie findet nur einen Regenbogen, wo eben noch zwei Gewitterwolken tobten. Magdalena kann es kaum glauben, sie hat nicht einen Tropfen abbekommen. Die Sonne brennt, sie wischt sich den Schweiß von der Stirn und setzt ihre Arbeit fort.
Angelo malt große Wolkenbilder um die Hitze zu mildern.
Magdalena formt die letzten Hecken zu Elefanten, Löwen und Affen. Zufrieden betrachtet sie ihr Werk und tritt den Heimweg an. Diese Himmelaugen gehen ihr nicht aus dem Kopf.
Angelo hat auf Magdalena gewartet. Pünktlich zum Sonnenuntergang betritt sie ihren Westbalkon. Gleich einer Sinfonie komponiert er Nuancen von Bernstein bis Blutorange über Krapplackrot hin zum feurigen Magenta, durchwirkt sie mit einem warmen Gelbton, wie flüssiges Gold.
Magdalena kann sich nicht satt sehen an dieser Farbenpracht. Das angebissene Brot bleibt unverzehrt, ein Telefon klingelt und gibt endlich auf. Langsam werden Arme und Beine schwer, gleichzeitig wird ihr ganz leicht, die Augenlider schließen sich.
Das Licht geht aus. Er kann sie kaum noch sehen, doch klebt sein Blick an ihr. Angelo möchte sie so gern aufhalten, die alles verschlingende Nacht.
Magdalena schwebt durch unbekannte Dimensionen - Angelo ihr entgegen.