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Das blaue Portal
Das blaue Portal
Das wilde Schneetreiben war erst vor wenigen Minuten abgestorben und die dichte graue Wolkendecke war ein wenig aufgerissen. Sogar ein paar Sonnenstrahlen kämpften sich mühsam hindurch und ließen den frisch gefallenen Schnee hier und dort freundlich glitzern. Trotzdem war es noch immer schneidend kalt das Streufahrzeug der Stadt-das hässlich organgefarbene Auto mit dem gelben Warnlicht- drehte eine Runde nach der anderen.
Hier in der abgelegnen Seitengasse bedeckte der jungfräuliche Schnee den schmutzigen Boden und ließ das ganze freundlicher aussehen als es in Wirklichkeit war. Aber der stete Strom von Menschen, der auf der Hauptstraße auf und ab ging, ignorierte die unscheinbare Gasse, nicht viele Augen verirrten sich in die kleine Nebenstraße. Was auch besser so war. Den meisten Leuten hätte der Anblick sicherlich das bevorstehende Weihnachtsfest ruiniert. Sie gingen einfach vorüber und machten ihre Besorgungen, kauften Geschenke ein und niemand der auch nur einen Gedanken an den Mann verschwendete, der hier in der Gasse auf dem Boden kauerte. Den Schnee und die Kälte die durch seine Kleidung drang spürte er schon lange nicht mehr und auch das ihn alle seine Verwandten und Freunde aufgegeben hatten kümmerten ihn nicht.
Das Leben hatte tiefe Spuren in das Gesicht des Mannes gegraben; seine Wangen waren eingefallen und wirkten wie ausgehöhlt und seine Nase war ein einzig roter Knollen der von bläulich geplatzten Äderchen durchzogen war. Ein geübter Beobachter, der sich wirklich die Mühe machte und genauer hinschaute, hätte den Mann auf ungefähr zweiundvierzig geschätzt. Doch er wirkte älter und müder. So müde wie es nur schwer vorstellbar war, die Jahre auf der Straße hatten ihn erschöpft und ausgezehrt.
Mit zitternden Händen versuchte er das alte vergilbte Zeitungspapier etwas enger um sich zu schlingen. Es blieb bei dem Versuch. Es riss an zahlreichen Stellen und nicht zum ersten Mal verfluchte er seine Alkohol Abhängigkeit und die zittrigen Hände. Es gab einmal eine Zeit, da konnte er alles ruhig und sicher halten und sich sogar auf komplizierte Mathematische Formeln konzentrieren, doch jetzt konnte er fast nicht mehr einen vernünftigen Gedanken fassen. Die gute Zeit bei der ESA als Quantenphysiker war schon lange vorbei und die meisten seiner alten Kollegen würden ihn nicht mehr wieder erkennen. "Den alten Heinrich Bey der so viele Jahre mit ihnen zusammengearbeitet hatte". Vor einem Monat war er vor der Tür eines früheren Kollegen gestanden. Mit schaudern dachte Heinrich daran zurück wie er mit schimpf und Schande wieder hinaus in die finstere, kalte Nacht gejagt worden war.
Bey prüfte zum millionsten Mal den Inhalt seiner Schnapsflasche, doch die Flasche war leer, so leer und hohl wie er sich schon seit langem im inneren fühlte. In Heinrich flackerte sein altes Temperament auf, das bei Streitgesprächen so gefürchtet gewesen war. Aber es war nur noch ein Schatten von früher, ein schwaches Echo das ihn veranlasste die Flasche wütend an die Wand zu werfen. Sie brach und die Splitter fielen in einem glitzernden Gewitter auf den Boden. Als er die Scherben beobachtete die auf die Erde fielen kamen ihm wieder die alten Bilder in den Kopf geschossen, wie ein alter Schmerz: Zersplittertes Autoglas, verbogenes Metall, Geschrei und Blaulicht und Sirenen und der Polizist der vor seinem Krankenbett gestanden und ihm gesagt hatte das seine Frau und seine Tochter nicht mehr am Leben waren. Der junge Polizist mit dem freundlichen Lächeln und dem Blonden Haar. Bey dachte, er hätte die alten Bilder erfolgreich aus seinem Kopf gedrängt. Den Unfall, die Beerdigung und seinen Abstieg. Doch dieser Dämon würde ihn sein Leben lang quälen und foltern und ihn ständig an seine Schuld zu erinnern. Resigniert ließ er seinen Kopf auf seine Knie sinken, er versuchte seine Tränen zu unterdrücken, sein Vater hatte ihm immer eingetrichtert das ein Junge nicht weine.
Ein hellblaues Flackern, dass Heinrich Bey nur aus seinen Augenwinkel wahrnahm, veranlasste ihn seine Kopf zur Seite zu drehen. Er sah zum anderen ende der kleinen Gasse. Was er dort sah hätte ihn nicht mehr verwundern können, als wäre dort ein Engel gestanden. Dort vor der schmutzig grauen Häuserfassade schwebte ein dunkelblaues etwas, es hatte den Durchmesser einer normalen Tür und hing einfach in der Luft. Es sah fast so aus wie eines dieser alten Römischen Portale. Durch das was er da sah, wurde Heinrichs alter Forschungsgeist wieder wach. Er kannte dieses Gebilde und wusste entfernt um was es sich handelte. Es war ein Dimensions- Portal, ein Schwarzes Loch, das der Zugang zu fast allem sein konnte. Die Zukunft oder Vergangenheit. Aber was wahrscheinlicher war, zu einer alternativen Realität. Heinrich erinnerte sich an ein Zitat von Shakespeare: "Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer nur Spieler, sie treten auf und gehen wieder ab".
Was war, wenn das hier der Durchgang zu einer weiteren Bühne war, wo dasselbe Stück gespielt wurde, aber mit gänzlich anderen Rollenverteilungen und einem anderen Text. Heinrich stemmte sich schwerfällig in die Höhe und trat näher an das seltsame blaue Gebilde heran, er verspürten einen ganz leichten Sog. Prüfend ging er um das blaue Portal herum und betrachtete es sich von allen Seiten genau. Irgendwie traute er seinen sowieso schon angeschlagenen Sinnen nicht mehr. Er zwickte sich einer Eingebung folgend in den Arm. Als ihn der grausame Schmerz der Realität durchfuhr, wusste er zwar noch immer nicht genau ob er träumte, doch er war sich etwas sicherer wach zu sein. Heinrich fuhr sich noch einmal prüfend über sein schmutziges Gesicht und sah sich in der Gasse nach einem Gegenstand um, den er für ein Experiment nutzen konnte. Er wurde schnell fündig. Eine alte verbeulte Erbsendose sollte ausreichen. Er hob sie auf und warf die Büchse auf das Portal. Es sah für einen kurzen Moment so aus, als würde die Blechbüchse mitten vor dem blauen Portal schweben. Dann zuckte ein blauer Blitz und die Konservendose schien sich zu verzerren und um sich selbst zu winden, am ende war sie verschwunden. Bey sah schnell auf der Rückseite des Gebildes nach, um sich zu vergewissern, dass sein Experimentgegenstand nicht hier lag. Doch da war nichts zu entdecken, nur der unberührte Schnee.
Die Büchse hätte eigentlich das zarte Gebilde des Wurmlochs kollabieren lassen müssen doch das war nicht geschehen. War es vielleicht stabil? Aber so etwas konnte es eigentlich nicht geben, nach allen Theorien die Heinrich kannte, wurden diese Schwarzen Löcher als extrem Unstabil und als Gefährlich angesehen. Doch dieses Portal schien anderen Gesetzen zu unterliegen.
Heinrich überlegte hin und her wohin dieses schwarze Loch führen mochte, doch er kam zu keiner Antwort die ihm gefiel. Ihn ihm reifte ein Gedanke heran. Alles andere war eigentlich besser als hier zu bleiben, einen Selbstversuch wagen wäre eigentlich die richtige Entscheidung. Selbst wenn er bei dem Versuch ums Leben kommen sollte. Die Wahl war eigentlich schon getroffen worden als Bey vor drei Jahren im Krankenhaus aus dem Koma erwachte. Er trat näher an das Portal heran und der Sog wurde stärker, Heinrich machte noch einen Schritt darauf zu. Er fing sich an aufzulösen wie die Erbsendose und sich zu verzerren. Ein hellblauer Blitz zuckte und Heinrich Bey war verschwunden, nach einigen Sekunden verschwand auch das blaue Portal. Nur die Scherben, die Spuren im Schnee und das zerrissene Zeitungspapier, waren die einzigen Beweise die belegten dass hier ein Mensch gewesen war.