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Das bittere Ende
Er wendete sich ab. Es war wieder einer dieser Tage, an denen er lange in die Ferne blickte. Einer dieser Tage, an denen er den Anblick nicht ertragen konnte. So wendete er sich ab. Erneut. Er fühlte sich schwach. Tränen flossen aus seinen Augen, über seine Wangen, bis sie letztendlich auf den kalten, leblosen Boden tropften. Sie versickerten nicht. Jede Träne hinterließ eine kleine Pfütze. Er blickte hinunter. Sein Spiegelbild, klein und verschwommen. Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und fiel auf die Knie. Er sah sein Spiegelbild deutlicher. Er konnte es nicht ertragen. Er wendete sich ab. Ein Mörder. Er sah einen Mörder, mal um mal wenn er in den kleinen Tränenteich blickte. Er schämte sich. Ein sich immer wiederholendes Szenario. Je länger und intensiver er in die Ferne blickte, umso schlechter und schuldiger fühlte er sich. Doch er konnte nichts mehr ändern. Dort in der Ferne, umhüllt von Dunkelheit, sah er sie. Eine kleine graue Kugel, die in Mitten der Finsternis schwebte. Sie sah leer aus. Kalt. Leblos. Ihre Oberfläche war grau und uneben. Noch immer kniete er vor dem immer größer werdenden See aus Tränen. Er drehte sich ein weiteres Mal um zu diesem kleinen Himmelskörper, der farblos durch die Atmosphäre schwebte. Sofort senkte er seinen Kopf. Der Schmerz den er fühlte war unerträglich. Ihm blieb nur noch die Erinnerung, doch auch diese verblasste von Stunde zu Stunde immer mehr. Er verlor das Gefühl in seinen Beinen. In seinen Armen. Kopf und Oberkörper wurden schwer. Er kippte. Die Kälte des fremden Bodens schoss durch seine Adern. Schwerelos schien er durch das Meer seiner eigenen Tränen zu treiben. Es war, als würde er in seiner Schwäche ertrinken. Er konnte sich nicht wehren. Sein Blick fiel ungewollt erneut in die Ferne. Dort erblickte er ihn wieder, den grauen, farblosen, leeren Himmelskörper. Der Schmerz erschütterte ihn bis in die tiefste Zelle seines Körpers, doch er war nicht mehr in der Lage sich zu wehren. Bewegungslos lag er auf dem kalten Untergrund. Die Erinnerungen überkamen ihn. Sie bröckelten. Die graue Kugel tat es ihnen gleich. Sie verlor ein kleines Stück ihrer Oberfläche. Es verpuffte in der unendlichen Finsternis. Es fühlte sich an wie eine Explosion im Inneren seines Herzens. Er schloss die Augen. Sein Gehirn projizierte Fetzen seiner Erinnerungen an das Innere seiner Augenlider.
Die graue Kugel erstrahlt dort in einem angenehmen blau. Er saß auf einer Schaukel, wippte langsam vor und zurück. Um ihn herum Blumen. Blaue, grüne, rote, gelbe Blumen. Sie saß auf der Schaukel neben ihm. Er hielt ihre Hand. Ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen tollten über die grüne Wiese. Die Sonne brannte vom Himmel, über der Wiese flackerte die Luft. Der Himmel war wolkenlos, er erstrahlte in einem wunderschönen tiefgängigen blau. Noch immer hielt er ihre Hand. Sie trug einen Ring, in ihm schimmerte ein grüner Edelstein. In diesem Ring sah er sein ganzes Lebenswerk. Ihre Augen funkelten ihm im gleichen, wundervollen smaragdgrün entgegen. Er küsste sie. Wärme durchströmte seinen Körper, umschloss sein Herz. Vor seinem geistigen Auge verschwamm ihr Gesicht immer mehr, so konnte er sich kaum noch an sie erinnern. Er blickte ihr tief in die Augen. Sie öffnete ihren Mund, warf ihm Wörter entgegen, doch sie kamen nicht an. Zu lang hatte er ihre Stimme nicht mehr gehört. Noch immer blickte er ihr in die Augen, tiefer und tiefer. Die Blicke schienen ihn zu durchbohren. Er begann sich unwohl zu fühlen. Je länger er sie anblickte, umso mehr veränderte sie sich. Mehr und mehr sah er in ihr den gleichen Mörder wie in sich selbst. Nein, so wollte er sie nicht in Erinnerung behalten. Er versuchte sich zu wehren, die Erinnerung zu verdrängen, doch seine Augen öffneten sich nichtmehr. Je mehr er es versuchte, umso schwächer wurde er. Der Film im Inneren seiner Augenlider verblasste langsam. Die grüne Wiese, der blaue Himmel, die bunten Blumen, die beiden Kinder, alles verlor an Farbe. Was blieb war ein einheitliches Grau. Daraus entwickelte sich ein weiteres Bild.
Er sah die Startbahn, die Rakete. Wie ein weißer Pfeil ragte sie in den Himmel. Ein letztes Mal drehte er sich um. Sie stand hinter der Absperrung. Tränen strömten ihre Wangen hinunter. Der grüne Edelstein funkelte in der Sonne. Er warf ihr einen letzten Blick zu, dann stieg er in den weißen Koloss. Dieser stieg immer höher und höher. Wenn er aus dem Fenster blickte sah er die Erde immer kleiner werden. Es blieb eine blaue, farbenfrohe, belebte Kugel zurück, die durch die Atmosphäre schwebte. Von der Raumstation aus blickte er immer wieder hinunter. Der Anblick war atemberaubend. Millionen von Kilometern über der Erde fühlte er sich, als hätte er den Höhepunkt seines Lebens erreicht. Der Moment schien unvergänglich zu sein. Eine Freudenträne huschte über sein Gesicht. Doch die Freude erlosch. Er bekam es mit als der Kontakt zur Erde abbrach. Schreie schallten durch das Funkgerät. Markerschütternde Schreie. Er blickte auch danach noch oft zur kleinen blauen Kugel herab, doch sie verlor an Farbe. Die Ozonschicht war zerstört, das Klima brach zusammen, die blau glänzenden Ozeane schwanden, die Grünflächen verblassten. Übrig blieb nur die graue Kugel. Er wusste, dass er den smaragdenen grünen Edelstein an ihrer Hand nie wieder glänzen sehen würde. Und als die Raumstation zerfiel, saß er allein in der Rettungskapsel. Allein auf dem Weg in die Ungewissheit. Es war dieser Moment, als auch sein Leben an Glanz verlor. Als er zurück schaute wurden seine Blicke leer. Es war dieser Moment, als ihn die Schuldgefühle überkamen. Ein Planet, einst der schönste von Allen, welcher verschiedensten Spezies das Leben ermöglicht hatte, zerstört. Nicht durch höhere Naturgewalt, nicht durch die Tiere, nicht durch die Insekten. Es war der Mensch. Die Krankheit Mensch. Parasiten. Und er war ein Teil dieser Krankheit. Ein Parasit. Ein Mörder. Der Planet, der sie einst mit dem Leben beschenkte, zerstört. Und durch ihn breitet sich der Parasit in die Weiten des Universums aus!
Er zitterte am ganzen Körper als er die Augen wieder öffnete. Sie waren blass und leblos. So waren es er und seine Rasse, die die graue Kugel zu dem formten, was sie jetzt ist. Mit seinem Ableben würde diese schreckliche Krankheit besiegt werden, so dass sie keinem weiteren wundervollen Planeten je wieder Schaden zufügen könnte. Er allein konnte es beenden. Er schloss seine Augen. Für Immer.