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Das Baby
Der Raum ist einfach und zweckmäßig eingerichtet, metallische Verstrebung mit ein bisschen Farbe an den Wänden. Die Luft ist heiß und stickig, erfüllt vom leisen aber penetranten Brummen der Apparaturen. Die Männer unterhalten sich, wenn überhaupt, nur über ein Thema. Das Baby. Ständig wandern Werte, auf Lochpapier gedruckt, durch den Raum und jeder fügt etwas hinzu, liest, unterstreicht oder wertet aus. Daten über das Baby. Schritte hallen über den Gang und kündigen den Mann in Grün an, kurz bevor er in der Tür steht. Ein kurzer Gruss „Wie geht es dem Baby?“ „Es schläft noch und es geht ihm soweit gut.“ Noch. Die Anspannung der Männer liegt in der Luft und ist in den Gesichtern zu lesen. „Wie geht es dem Boten?“ „Wir haben den Boten vor 2 Minuten gesprochen. Soweit alles in Ordnung. Noch 10 Minuten.“ „Achten Sie darauf, dass auch weiterhin alles so läuft wie geplant. Dem Baby darf nichts zustoßen!“ Der Mann in Grün macht auf dem Absatz kehrt, verschwindet und hinterlässt jene angespannte Stille im Raum, nur unterbrochen vom Brummen der Apparaturen. Einer der Männer wendet sich an seinen Kollegen. „Hast Du das Baby mal gesehen?“ Der Angesprochene löst den Blick von dem Bildschirm, auf dem sich nichts tut. In seiner Stimme liegt ein wenig Bedauern. „Nein, und so wie es aussieht, wird es dazu auch nicht mehr kommen. Ich dachte, sie würden keinen dranlassen.“ „Tun Sie auch nicht, aber ich habe vom Turm aus zugesehen, wie sie das Baby vorbereitet haben...“
In diesem Moment tut sich etwas auf dem Bildschirm. „Wir haben Kontakt. 2 Minuten zu früh!“ „Sag ihm Bescheid!“ Hektik kommt auf, noch mehr Werte auf Lochstreifenpapier machen die Runde. Lesen, unterstreichen, auswerten. Der Mann in Grün, vor wenigen Sekunden erst gerufen, steht erneut in der Tür, diesmal mit einem weiteren Mann, auch in Grün. Kein kurzer Gruß. „Was ist passiert?“ Der Mann vor dem Bildschirm, der sich gerade mit dem Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht gewischt hat, reißt wie ertappt seinen Arm nach unten und springt auf: „Wir haben Kontakt. 2 Minuten zu früh.“ Während die Männer in Grün sich bedeutungsvolle Blicke zuwerfen, lässt sich die Anspannung im Raum förmlich greifen. „Kontaktieren sie den Boten!“ Der andere Mann, der bis jetzt geschwiegen hat, schaltet sich ein. „Dem Baby darf Nichts zustoßen!“ War dieser Satz vorher allen schon eine Doktrin gewesen, scheint er die Leute noch mehr anzuspornen. Ein Warnton aus der anderen Ecke des Raumes. „Der Kontakt lässt sich nicht herstellen!“ Alle Augen sind gespannt auf die Apparaturen gerichtet. Die Linie wandert; kein Signal vom Baby.
Einer der Männer murmelt etwas das klingt wie ein Gebet. Zwei stimmen ein. „Kümmern sie sich darum!“ Die Stimme ist lauter geworden, eindringlicher. Schwaches Nicken die Antwort, die Männer sind allesamt übermüdet und am Ende ihrer Kräfte. Das Baby muss ankommen. Das Baby muss unversehrt bleiben. Die Hoffnung alles zu Ende zu bringen liegt auf ihm. Hektischer Wechsel der Frequenzen, sicherheitshalber. Der Datenschreiber bleibt stumm: Kein Signal.
Wieder bedeutungsvolle Blicke. Die Stimme schwankend: „Haben wir es verloren?“ „Noch können wir das nicht sagen...“,der Angesprochene blickt zu Boden und senkt die Stimme ,“aber wir können es nicht mehr ausschliessen.“ Der Mann in Grün ballt die Fäuste so dass die Knöchel weiß hervortreten. Die Stimme gepresst und heiser. „Versuchen sie es weiter.“ Alle Augen sind auf den Monitor gerichtet. Alles hält den Atem an, die Zeit scheint stillzustehen. Eine Minute. Frequenz eins tot. Die Stille ohrenbetäubend. Zwei Minuten. Frequenz zwei ohne Antwort. Die Hoffnung schwindet. Hände an den Schläfen, vor dem Gesicht. Drei Minuten. Immer wieder Kontaktfrequenz. Immer wieder ohne Antwort. Gott hilf! Es darf nicht alles umsonst gewesen sein! Vier Minuten. Der Datenschreiber bleibt stumm. Verzweiflung in den Gesichtern. Das Baby!
Plötzlich fäng der Datenschreiber an zu arbeiten. Das Signal. Mit dem Signal der Kontakt. Erstes Aufatmen, doch noch ist es nicht ausgestanden, es gibt noch genug, was hätte schief laufen können in der Zeit. Zwei falten die Hände, wie zum Gebet. „Bote, wie ist die Lage?“ Die Antwort kommt verzögert, unterbrochen von Rauschen. „All Systems OK“ „Bote, wie ist ihr Status ?“ Die Zeit zwischen Frage und Antwort scheint sich über eine Unendlichkeit auszudehnen. Dann kommt die Antwort.
„The baby has been born well!”
Für eine Sekunde Stille im Raum. Alle versuchen, das Gehörte zu verarbeiten. Dann bricht die Spannung. Niemanden hält es mehr auf seinem Sitz. Alles springt mit erhobenen Armen auf. Alle klatschen, jubeln. Zwei fallen sich in die Arme. Der angespannte Ausdruck der Männer in Grün verwandelt sich in strahlende Freude. Das Baby ist am Ziel. Das Baby ist in Sicherheit. Monatelange Arbeit ein Erfolg. Es ist zu schön um wahr zu sein. „Bote, Sie sind ein Held!“ säuselt einer in das Mikrophon. „Wir alle sind Helden.“ Der Datenschreiber notiert:
12.45.30 Hiroshima Pos. 25/40 - Abwurf erfolgreich - The Baby has been born well.