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Das Bücherregal

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02.02.2002
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Das Bücherregal

Herr M. kam eines Nachmittags früher von seiner Arbeit nach Hause. Frau M., seine Gattin, empfing ihn gut gelaunt inmitten der gerade oberhalb der Wahrnehmungsschwelle angesiedelten Unordnung, die sich seines Hauses bemächtigt hatte, seit sie ihm M. junior, seinen kleinen Sohn, den er über alles liebte, geboren hatte und ihr Leben der Erziehung eben dieses M. junior und – wie ihm manchmal scheinen wollte – auch des M. senior gewidmet hatte. M. nahm also seinen Sohn hoch, begrüßte ihn freudig, tollte mit ihm eine kleine Weile herum, bevor er M. junior wieder der Obhut seiner Gattin anvertraute, küsste auch sie und fragte ohne große Hoffnung nach, ob es bereits Kaffee gäbe oder mit Kaffee in nächster Zukunft wohl zu rechnen sei. Indem er die Antwort selbst vorwegnahm, machte er sich auf den Weg in die Küche, fand zu seiner Verwunderung die Kaffeekanne abgewaschen vor und ging daran, Kaffee zu kochen.

„Liebling?“, hörte er die Stimme Frau M.s aus dem Nachbarzimmer schallen. Zehn Jahre eheliches Glück hatten Herrn M. gelehrt, dass es keinesfalls ratsam war, sofort zu antworten. Er beobachtete stattdessen intensiv, wie der Kaffee langsam in die Kanne tropfte. „Liebling, hast du eigentlich schon einmal darüber nachgedacht ...?“

Den Rest des Satzes konnte er nicht verstehen, da er im Geschrei des M. junior untergegangen war. Das spielte aber keine Rolle. Zum ersten würde er sehr bald wiederholt werden, und zum zweiten handelte es sich bei dieser scheinbaren Frage ohnehin nur um die Feststellung, dass sie, Frau M., über irgend etwas nachgedacht hatte. Worüber, würde sich bald herausstellen. Sie konnte aber nur zweierlei bedeuten: Entweder eine größere Ausgabe oder eine lästige Arbeit. Wenn er Pech hatte, dann beides.

Herr M. versuchte, zwischen den auf Tisch und Sofa aufgetürmten zusammengelegten Wäschestücken einen Platz für Kaffeekanne und zwei Tassen zu finden. In dieser Angelegenheit herrschte zwischen den M.s schon seit Jahren eine Pattstellung: Sie wusste, dass er zusammengelegte Wäsche im Wohnzimmer nicht leiden konnte, und er würde sie unter keinen Umständen zusammenlegen oder wegräumen. Ohne also ein unnötiges Wort zu verlieren, schenkte sich M. eine Tasse Kaffee ein, nahm einen Schluck und wartete ohne besonderen Enthusiasmus auf die unvermeidliche Enthüllung, worüber er hätte nachdenken sollen und sie nachgedacht hatte.

Sie ließ nicht lange auf sich warten. „Hast du eigentlich schon darüber nachgedacht, wohin all die Bücher sollen, die im Bücherregal im Zimmer deines Sohnes stehen?“.

M. antwortete nicht sofort. Nein, er hatte noch nicht darüber nachgedacht. Das Problem hatte zwar schon einmal an seinem Bewusstsein gekratzt, doch wie üblich hatte er es nicht eingelassen in der vagen Hoffnung, es würde schon wieder verschwinden oder sich irgendwie von selber lösen, wenn er es nur lange genug ignorierte. Es war auch nicht das erste Mal, dass Frau M. davon anfing, also war die Diskussion schon über „Warum können sie nicht bleiben, wo sie sind?“ und „Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, werde ich deine Bücher alle wegwerfen“ hinaus. Er vermutete also, dass er diesmal nicht mit einem billigen Geplänkel davonkommen würde.

So war es auch. Sie war in einem Möbelhaus gewesen, hatte bereits ein konkretes Angebot eingeholt und sich offenbar schon den ganzen Tag darauf gefreut, es ihm zu zeigen. Ohne es auch nur eines Blickes zu würdigen, fragte er nur „Wieviel?“. Das war nun nicht nett gewesen, so viel verstand selbst M. von der weiblichen Psyche. Da er im Grunde ein gutes Herz hatte, nahm er, nachdem er die unvermeidliche Antwort „Willst du dir nicht erst ansehen, was ich für uns ausgesucht habe?“ abgewartet hatte, geduldig den Plan zur Hand und betrachtete den Entwurf des „Einrichtungsberaters“, wie sich Möbelverkäufer neuerdings zu nennen gefielen. Die Sache schien ihm nach oberflächlicher Prüfung vernünftig, also beschloss er, nur ein halbherziges Rückzugsgefecht zu führen und letztendlich zuzustimmen, wenn der Preis einigermaßen im Rahmen blieb. Herr M. verdiente nicht schlecht, sodass er nur seine Abneigung gegen Ausgaben jeglicher Art zu überwinden brauchte, das Geld für ein derartiges Bücherregal war sicher verfügbar.

Während er versuchte, eine einigermaßen intelligente Frage zu finden – „Wozu braucht ein Bücherregal Glastüren?“, fragte er schließlich in der völlig irrationalen Hoffnung, vielleicht den Kaufpreis noch reduzieren zu können – dachte er darüber nach, ob es ihr vielleicht einmal einfallen würde, ihn hier im Wohnzimmer inmitten der zusammengelegten Wäsche aus heiterem Himmel zu verführen, eine Idee, die seinen Sinn für das Skurrile angenehm stimulierte. Nun, ausgeschlossen war das nicht, obwohl die Zeit, in der sie jung verliebt gewesen waren und allerhand unvernünftige Dinge miteinander angestellt hatten, schon eine Weile zurücklag. Ein Lächeln umspielte seinen Mund.

Auf die Frage war sie offenbar vorbereitet, die Antwort kam schlagfertig. „Glaubst du, ich will deine Bücher alle vierzehn Tage abstauben?“. Herr M. beschloss, die Angelegenheit nicht durch logische Einwände unnötig zu komplizieren – der Plan zeigte unter dem umlaufenden Gesims auf einer Länge von über drei Metern untereinander zwei offene Bücherborde, die wohl den größten Teil seiner Bücher aufzunehmen bestimmt waren – und konzentrierte sich stattdessen darauf, den Kaufpreis in Erfahrung zu bringen. Die Antwort war psychologisch geschickt aufgebaut. „So, wie du es da siehst, würde es dreitausendfünfhundert Euro kosten.“. Bevor Herr M. seine Stirn runzeln und seinen Mund öffnen konnte, sprach sie weiter. „Aber, da es sich um ein Auslaufmodell handelt, das im Möbelhaus gerade abverkauft wird, können wir es um nicht einmal zweitausendachthundert bekommen“. M. junior quietschte dazu begeistert, was M. senior mit einem Lächeln in Richtung seines Sohnes quittierte. „Wir müssen allerdings bis nächsten Montag bestellen“. In Gedanken beschäftigte sich M. bereits mit der gegenüber einer Verführung zwischen den Wäschebergen realistischeren Frage, ob es ihm wohl gelingen werde, sie später am Abend zu einer Stunde ehelicher Intimität zu überreden. Er vermied es allerdings, ein Junktim zwischen dieser und der Frage des Erwerbs des Bücherregals herzustellen, in der sicher grundvernünftigen Annahme, eine solche Strategie werde ihn langfristig teuer zu stehen kommen.

Also warf er noch das Problem der Stromzuleitungen zu den geplanten Lichtleisten auf, nicht ohne sich insgeheim schon davon überzeugt zu haben, dass es dem Grunde nach leicht zu lösen war. Nach einigem Geplänkel ließ er sich schließlich dazu erweichen, die wenigen dazu erforderlichen Handgriffe selbst zu erledigen, um das Engagieren eines Elektrikers einzusparen – ein Gedanke, der ihm, der den Umgang mit Handwerkern verabscheute, nicht nur aus finanziellen Gründen noch widerlicher war als der an einen Samstagvormittag mit Stemmeisen, Bohrmaschine, Einziehfeder und Schnellzement.

„Also kann ich das Bücherregal jetzt bestellen?“, fragte Frau M. mit leuchtenden Augen. „Also gut, Schatz“, lächelte M. sie an. Er ergriff ihre Hand und küsste sie zärtlich. Sie verstand, dass die Debatte damit beendet war. Sie legte Plan und Prospekte in einem Stoß oben auf die zusammengelegte Wäsche, zufrieden mit dem Erreichten, wenn auch ein wenig enttäuscht, dass sie ihm ihren Plan nicht ausführlicher hatte erläutern können. Er warf zwar einen strafenden Blick auf diesen neuen Beitrag zur Unordnung, beschloss aber, deswegen den ehelichen Frieden nicht zu stören, und begann stattdessen den ebenfalls in der Nähe liegenden Stapel Post durchzusehen.

„Wann wird denn der Junior heute schlafen gehen?“, fragte er etwas später mit dem gewissen Unterton, den sie – wenn sie in der Laune war – wohl zu verstehen in der Lage war. „Ich hoffe, bald, er müsste hundemüde sein, so, wie er heute im Möbelhaus herumgetollt ist“. Ihre Augen blitzten schelmisch. Vielleicht würde der Abend doch noch besser laufen als erwartet, dachte Herr M., während er erst ihr und dann sich selbst eine zweite Tasse Kaffee einschenkte.

[Beitrag editiert von: Strider am 05.02.2002 um 19:52]

 

Hallo Strider,

wenn das ganze Eheglück und die Wahrung ehelicher Intimitäten nur von dem Kauf eines solchen Bücherregals abhängt, sollten vielleicht mehr Ehepaare auf diese Methode zurückgreifen... <img src="graemlins/eek2.gif" border="0" alt="[eek2]" /> :D

Die Geschichte ist flüssig geschrieben und die endlos langen Satzbauten seien dir ohne Weiteres als Stilmittel unterzustellen.
Falls dieses Stilmittel eine Art Humor beabsichtigt haben sollte, die den komplizierten Satzbauten eine untermauernde Stellung zuweisen sollte, so ist diese bei mir nicht auf Gehör gestoßen, doch dies stellt keine Barriere in Hinsicht auf den Zugang zum Geschriebenen dar. ;)


Gruß, Hendek

 

Danke Hendek für deine Kritik!

Humor? Nun, so würde ich es nicht nennen, eher eine Art bitteren Sarkasmus. Der Satzbau soll den schon unterstreichen, ja durchaus.

 

"Sie war bereits in einem Möbelhaus gewesen", " ... das war nun nicht nett gewesen ..." und "... in der sie jung gewesen waren ...": Balina Rotzjöre, wa?
"... um das Engagieren eines Elektrikers einzusparen...": nur Elektriker.

Die Schachtelsätze passen wunderbar. Davon will ich mehr lesen.

Gruß
Der Zensor ;)

 

Berlina Rotzjöre? Nein, eigentlich im Gegenteil, männlich und aus Ostösterreich ;)

Ich denke, die normale Zeitenfolge fordert bei Erzählungen im Imperfekt das Plusquamperfekt für Vergangenes. Mein Deutschlehrer hat(!, hier schreib ich im Präsens) das immer so gesehen.

 

Erwischt, hmmmm?

Ich geb es ja zu, der urpsrüngliche Anlass, das ganze in deiner Geschichte anzumeckern, war nur, dass es für mich persönlich die Sprachmelodie gestört hat.

Aber du hast Recht: das Gefühl ist immer noch der beste Gradmesser.

Ich korrigiere normalerweise überhaupt keine Rechtschreib- und Grammatikfehler, wenn ich etwas lese. Mich interessieren stilistische Fragen viel mehr.

Vielen Dank für deine Kritik übrigens!

[Beitrag editiert von: Strider am 15.02.2002 um 14:52]

 

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