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Das Auge des Sturms
Der grüne Atem des Himmels, aus dem ich entspringe. Ich erwache aus einem Traum und finde mich in einem anderen Traum wieder, die Welt strahlt hinter einem Schleier aus Regen und atmet dunkle Rauchwolken aus, die sich über den Bäumen sammeln und die rosaroten Schimmer des Abendlichts hinter die gesprenkelte Linie des Horizonts jagen. Aufplatzende Adern. Aufplatzender Himmel wie eine einzige eitrige Wunde, aus der die Tropfen hinausfließen und unseren Eiter fortwischen. Odins Sperma bedeckt meinen ganzen Körper, bis auch ich zerplatze, ich, ein Blitz des eigenen Untergangs, der dem Donner meiner Gedanken folgt. Das eisige Licht schlägt ein und wird zu Feuer, verbrennt die Städte und die Herzen derer, die dem Sturm ins Auge sehen.
Die scharfen Blicke der Leere treffen mich und reißen mich zurück auf den grauen Asphalt. Sie hat sich in ihnen eingenistet - in denen, die vor den Regentropfen flüchten wie vor Tränen der eigenen Seele. Das Buch in meinen Händen weint und Esther schluckt 50 Schlaftabletten unter ihrer Glasglocke, während die meine in tausend Scherben zerspringt, als meine roten Haare mir ins Gesicht schlagen und der Wind unter meine Haut fährt und meine Angst aus mir hinausweht.
Die Schatten der stöhnenden toten Bäume erwachen zum Leben und streicheln mich, umschmeicheln meine Panik und ich stehe aufrecht, umgeben von blitzender Liebe und donnernder Selbstsucht, die in Sehnsucht zerspringt wie der Regen in den leuchtenden Pfützen auf dem Boden.
Die Leitungsmäste verwandeln sich in Spinnweben, die Zweige auf dem Boden in zischende Spinnen und ich höre Alexander Kaschtes Stimme in meinem Kopf, die davon spricht, dass die Antwort auf den Tod der Tod allein ist. Ich möchte im Fall zerplatzen, zu eitrigem Fleisch werden zwischen der S1 und den nassen Gleisen, nur um zu wissen, warum. Mein Mund öffnet sich in einem fortlaufenden Orgasmus, ich starre Gott an, der sich hinter der Regenschwärze versteckt und an den ich nicht glaube - und ich schreie in meinem Kopf, so laut ich kann: Töte mich! Töte mich, wenn du willst!
Meine Seele stöhnt auf und alles in mir will leben, so sehr, dass es wehtut, so sehr, dass ich an meinem Wunsch zu leben sterbe - ganz langsam wie die tickende Uhr in meinem Badezimmer, wo ich versuche, unter heißem Wasser die Zeit zu vergessen.
Und ich lebe tatsächlich, immer noch, lebe weiter, bin Gegenwart und Leben, das sich bewusst ist, zu leben. Der Unterschied zwischen Leben und Tod verschwimmt, wenn man weiß, dass man von diesem einen Augenblick an, wo man blutverkrustet und mit weißem Staub bedeckt aus einer behaarten Vagina herauskriecht, nur noch sterben wird.
Ich schreie Gott noch einmal an, bevor ich verstehe, dass ich ihm dadurch erst Leben einhauche. Schnell und im Takt der lauten Musik, die aus den Kopfhörern strömt wie der Regen aus meinen Haaren, gehe ich zurück zu den anderen wartenden Menschen. Warten, worauf? Auf den Tod? Den scharfen Curry-Reis und den Sex, den zu genießen sie nicht in der Lage sind?
Ich blicke hinunter auf die Tropfen, die auf den Gleisen aufschlagen und von meinen bleichen Armen zurückprallen. Hoch in die Luft, die jede Sekunde ihre Farbe wechselt, den Himmel, der mich an das stürmische Meer erinnert, mit dessen Wellen ich als Kind gespielt habe, der Gefahr bewusst und doch zu lebendig, um zu glauben, dass diese Ewigkeit hier und jetzt ein Ende nehmen kann.
Am Rande des Bahnsteigs fliege ich zwischen Gegensätzen. Auf der Grenze, zwischen allem, für immer.