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Das Armageddon im Toys ´R´ us Himmel

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24.04.2003
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Das Armageddon im Toys ´R´ us Himmel

Das Glas leerte sich...langsam.
Der alte Mann hatte die Vorhänge zur Seite gezogen und beobachtete die kleinen Männchen auf der Straße.
Es waren seine Plastikfigürchen, die umherstriffen und Krieg in die Welt brachten.
Die aufgemalten Krawatten legitimierten sie zu Göttern einer neuen Zeit; der Zeit der stumpfen Playmobil BörsenCrash-Auseinandersetzungen.
Wie gerne hätte er einen Ritter erblickt; einen mit Plastikschwert und Kunststoffschild in den winzigen, fingerlosen Klauen, der diesen ganzen Yuppi-Kreaturen und möchtegern Weltraum Abenteurern - mit Vorliebe zu bunt bemalten pseudo Forschungsterminals - das Herz aus dem verfluchten TradeMark Körper heraus gestoßen hätte.
Aber wahre Helden standen längst nicht mehr in der Gunst der lieben Kleinen.
Seinem Enkel hatte er zum zwölften Geburtstag ordentlich den rosanen Hintern versohlt. Solange, bis sich das junge Fleisch ledrig und verbraucht angefühlt hatte.
Danach war auch dieser zu einem Spielzeuggeschöpf variiert.
Ein totaler Verlierer, der von dem gift-grünen Drachen - Produktionsreihe 1973 - früher oder später noch ganz schön Feuer bekommen würde. Gerade dann, wenn der edle Blechkumpane im Dienste des Königs sich zu dem Versteck des Glutspeihers aufmachte, um jede Menge Gold, Reliquien und - ganz nebenbei - noch die verschleppte Prinzessin zurück ins zusammengesteckte Fertigteil-Schloss zu verfrachten.
Es gab eine Menge KrimsKrams in dieser Abteilung, den die meisten Kinder mit leuchtenden Augen gerne als "geil" betitelten. Fernab der unzähligen, blutrünstigen Computerspiele existierte in diesen geheiligten Hallen zumindest noch ein Rest von Anstand, aber wenn der alte Mann auf die unzähligen Dragon Ball Z und Pokemon Dämonen schielte, welche mittlerweile einen Großteil seines Zuständigkeitsbereiches ausmachten, dann wurde ihm dennoch schlecht. Wie sehr er sich doch He-Man und Captain Future zurückwünschte; die waren wenigstens noch nicht ganz so tuntig aufgetreten. Sie beschwörten auch nicht irgendwelche Djins aus dem Anime-Buntseits herauf, um anschließend in lächerlichen Weiber-Arenakämpfen Erfahrungspunkte zu sammeln.
Er hatte lange darüber nachgedacht und war sich inzwischen völlig sicher; sein Enkel war zu einem Konsumzombie geworden und hatte sich ganz den fröhlich lächelnden Raumfahrt Pionieren der LEGO-Industrie ausgeliefert.
So ein Kind konnte nicht gesund sein und musste mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden; wenn nötig auch mit der hochgelevelten Mana-Magiestufe eines Pikachus.
"Jetzt sei doch nicht so aufgeregt", drangen die Worte einer nervösen Mutter in seine prophetischen Gedankenvernetzungen.
"Ich suche das neue Kampfspiel für Playstation. Ist heute gekommen!", sabberte ihm der verwöhnte Sprössling wie ein der Gravitation strotzender Wasserfall entgegen.
´Seh ich aus wie ein beschissener Computerchip?´ - dachte der Alte.
"Damit kenn ich mich nicht aus. Da musst du nach hinten durch den breiten Gang gehen", sagte er, "da ist so ein dünner Mann mit blauem Hemd, der kann dir bestimmt weiterhelfen." - Florian...der Inbegriff der hässlichen Sünde, vermutlich noch mit Vibrationsmotor am Penis ausgestattet, der ihn täglich an die Zeichentrickzeit in RTL 2 erinnert.
´Du kleiner Zombie! Spiel lieber an deinen Eiern herum, damit mal ein richtiger Mann aus dir wird - oder frag gleich Florian ob er mit dir "Böser Doktor" spielt´
"Hier...nehm dir noch ein Pokemon-Kaugummi mit", ergänzte sich der Alte, der wiedergeborene Messiahs; der neue Herrscher der beinahe gelenklosen Grinsgesicht- Aufständigen; der Gott des unschuldigen Spielzeuges und oberster Befehlshaber der amerikanischen GI-Plastiksoldaten mit aufrüstbarem Granatwerferzusatz.
`Ersticke doch an dem billigen Chemieallerlei, ich werde Deinesgleichen bald lehren, worin die wahre Kunst der Vergnügung besteht!´
Das Glas hatte sich inzwischen gänzlich geleert und der Alte verspürte einen unbezwingbaren Drang danach, alles Fehlgeschlagene wieder ins Reine zu bringen.
Er zog den Vorhang des schmalen Fensters zu, welches ihm den grausigen Anblick auf den Parkplatz bot. Von dort kamen all die Besucher, die sich für teures Geld mit sämtlichen Arten der hochglanz verpackten Freveleien eindeckten.
Er benötigte jetzt die 73er Baureihe und einen edlen Ritter. Ein paar Laserwaffen und MGs konnten auch nicht schaden. Ebensowenig Zaubersprüche; er überlegte, ob er sich für "Das Schwarze Auge" oder "Space Hulk" entscheiden sollte.
Er nahm von beidem etwas.
"Information Spielwaren, bitte besetzen", hauchte er vom Wahnsinn ergriffen ins Mikrophon und machte sich dann auf seinen Kreuzzug.
Zwei Zukunftssoldaten - der Feind eigentlich, aber für seine Zwecke dienlich -, eine Magierin, ein Kleriker, ein Barbar, zwei Aliens, eine Wunden heilende Fee, zwanzig GIs, drei Pikachus und dreißig bunt, sowie Genre vermischte Playmobil-Figuren später, stand seine Armee. Inmitten des Ganges Nummer vier, aufgestellt auf den unbefleckten Kacheln der Toy´s R´us Hölle und in absolute Formation zueinander gebracht, vorbereitet auf jedwege Konfrontation mit wiederspenstigen Kleinkindern.
Jetzt konnte ihn niemand mehr stoppen.
"Seit fünfzehn Jahren arbeite ich hier! Hat es mir jemand gedankt? Nein! Ich werde jetzt in den Krieg ziehen, und keiner von euch vorpubertären Fachverkäufern wird mich mehr dabei aufhalten!" - Eine Gruppe von schaulustigen Kunden hatte sich um den knieenden Alten versammelt. Einige grinsten, andere blickten erschüttert. Ein kleines Mädchen verrückte neugierig einen von den hastig aus der Packung gerissenen und in Reih und Glied aufgestellten Pikachus an vorderster Front.
"Was machst du da?", rief der Alte empört, "Keiner vergreift sich an meiner Einheit!".
Florian hatte sich inzwischen zu dem aufgelaufenen Pöbel gesellt und trat behutsam auf den Alten zu.
"Kommen Sie. Ganz ruhig. Ich bringe Sie nach Hause", flüsterte er behutsam in das haarige Ohr.
Der alte Mann stand vorsichtig vom Boden auf. - "Alles ist so schlecht geworden. Verprügeln sollte man sie alle. Du bist auch so ein schwuler Hinterwäldler...Florian. Lass mich doch zufrieden."
Es dauerte einige Augenblicke, bis er sich etwas beruhigt hatte; Florian führte ihn unauffällig zu einem der Notausgänge.
"Damals haben wir uns mit Holzspielzeug die Zeit vertrieben. Damals...als die Besatzer auf den Straßen waren. Das ist nicht mehr meine Welt", hauchte der alte Mann schwach und wurde dann kraftlos.
Er war einfach so gestorben; inmitten seiner letzten, entscheidenden Schlacht.
Einige Mitarbeiter hatten - nachdem die Sanitäter seinen Tod bestätigt hatten und die dunkle Limousine abgefahren war - das aufgestellte Regiment beiseite geschafft.
Nur den Drachen - Produktionsreihe 73 - der dieses Jahr zum Jubiläum der Playmobil Ritterfiguren neu aufgelegt worden war, konnten sie nicht wiederfinden.
Sie schmissen die leere Verpackung zusammen mit der eines billigen Ritters - welcher ebenfalls verschwunden war, vermutlich von irgendeinem Kunden im Moment der Abwesenheit eingesteckt - in den Mülleimer.

 

Hallo Cerberus,

ich halt mich mal an den Inhalt deiner Geschichte.
Ich finde sie sehr traurig. Wahrscheinlich weil sie war ist. Nicht unbedingt das was geschehen ist, sondern die Gefühle die der alte Mann haben muss.

Wir hatten damals in meinem Heimatstädtchen einen alten kleinen Spielzeugladen. Der Mann war viel netter als der Besitzer des Vedes. Irgendwann hatte er den Laden zumachen müssen. Wahrscheinlich war er auch gestorben. Wer weiß was in ihm vorging als ich damals meine He-Man Kassetten bei ihm gekauft habe?

Lange Rede kurzer Sinn.

An einigen Stellen würde ich noch die ein oder andere Umfoormulierung tätigen,

"Hier...nehm dir noch ein Pokemon-Kaugummi mit", ergänzte sich der Alte, der wiedergeborene Messiahs; der neue Herrscher der beinahe gelenklosen Grinsgesicht- Aufständigen; der Gott des unschuldigen Spielzeuges und oberster Befehlshaber der amerikanischen GI-Plastiksoldaten mit aufrüstbarem Granatwerferzusatz.
`Ersticke doch an dem billigen Chemieallerlei, ich werde Deinesgleichen bald lehren, worin die wahre Kunst der Vergnügung besteht!´

Das ist etwas unübersichtlich, man muss es mindestens ein zweites Mal lesen, bevor man versteht wer jtzt grad gemeint ist.

Ich finde die Gestalt des Drachen und des Ritters sehr schön. Kann aber keinen genauen Sinn darin entdecken warum sie auf einmal weg sein sollten. Die GEschichte ist zu real als das die beiden Playmobil Figuren auf einmal abhauen könnten. Der Alte hat sie auch nicht genommen und das ein Kunde sie eingestckt hat, na ja. Ich weiß nicht so recht. Das ist ein bißchen unausgegoren.

Vom grundgedanken her aber eine sehr schöne, wenn auch traurige Geschichte.

Liederwurm :-)

 

Hallo Liederwurm,

sorry für die so späte Antwort.
Normalerweise poste ich größtenteils in der Horror Sparte.
Hatte diese Story hier fast schon ein wenig vergessen.
Die Idee ist mir ziemlich plötzlich gekommen und im Nachhinein gefällt sie mir wirklich sehr gut; daher bereue ich auch, nicht mehr aus der Geschichte herausgeholt zu haben.
Der von dir angesprochene Dialog erschien mir - im Mischverhältnis mit den eingestreuten Gedankengängen - von Anfang an zu unübersichtlich. Hier werde ich auf jedenfall noch nachbessern.
Vielen Dank für deine ausführliche Kritik mitsamt Analyse. Die Wirkung, die ich mit dem Text erzeugen wollte, liegt zwischen Satire und Gesellschaftskritik; scheint deinem Kommentar nach ja auch ganz gut geklappt zu haben.

Ich wünsche noch einen schönen Abend und
viele Grüße

Cerberus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Blackwood!

Räusper Räusper ... Woher wusste ich bloß, dass es diese Geschichte sein würde, der dein ausführliches Statement zuteil kommt?

Tu’s! Es würde sich jedenfalls lohnen.

Da du ja extra meines Einflusses wegen eine weitere Horror Story gepostet hast und ich nicht der größte Fan von Nachbesserungen bin, entscheide ich mich jetzt einfach mal ganz spontan dafür, den gesamten Text nocheinmal neu zu schreiben.

Schöner Gedankengang – aber furchtbar geschrieben.

Ach Mensch! Gerade diese Stelle hat mir persönlich so gut gefallen.

Eher mutiert als variiert. Und warum? Weil er ihn verprügelt hat? Der Zusammenhang erschliesst sich mir nicht.

Der Alte betrachtet ihn anschließend als Spielzeug. Er hat keinen Wert mehr für ihn; aber du hast schon Recht. Da er die alten Figuren ja so schätzt, hätte ich aus dem Enkel besser einen Pokemon gemacht :D

Im Ernst: Was hat der totale Verlierer mit dem edlen Blechkumpanen zu tun? Auch hier verstehe ich den Zusammenhang nicht.

Der Neffe ist in den Augen des alten Mannes ein völliger Verlierer und der edle Ritter von damals kümmert sich nicht um ihn; eher lässt er es zu, dass er von dem Drachen verbrannt wird.

Bekämpft’ ist ein unpassendes Wort. Diszipliniert werden?

Fand ich im Zusammenhang mit den aggressiven Gedanken des Alten eigentlich ganz passend. Er will ja alles bekämpfen, was nicht in sein Weltbild gehört.

DAS ist jetzt doch ein wenig zu dick aufgetragen.

Du vernichtest der Reihe nach meine Lieblingsstellen :D Ist aber okay, manchmal (oft) übertreibe ich wohl tatsächlich zu sehr. Wenn ich einmal dem Schreibwahn verfallen bin, übersehe ich einige Dinge.

Und plötzlich ist das Glas wieder leer und der Vorhang wird zugezogen. Befindet sich das Fenster im Laden? Dann hat er einen recht toleranten Chef, der ihn selbst während Gesprächen der Kunden aus dem Fenster schauen lässt. Sitzt er an der Information? Die ist meistens direkt am Eingang – mit riesigen Fenstern ohne Vorhänge. Und ehrlich: die Vorhänge brauchen wir hier gar nicht.

Okay okay. Wie gesagt, ich schreib den Text nochmal völlig neu.

Nimmt zu viel vorweg. Den Wahnsinn würde ich weglassen, den Kreuzzug irgendwie eleganter rüberbringen. Das Wort selbst (Kreuzzug) könntest Du für später aufbewahren.

Sorry, aber diese Stelle liebe ich! Ich werde sie auch in der Neufassung wieder mit einbringen. Wenn ich auch noch so viel Wert auf deine Meinung lege (tue ich ganz ehrlich), dieser Satz ist einfach Sinnbild meines persönlichen Stils (oh je, klingt das eingebildet).

Statt der schrecklichen Rede ‚Seit fünfzehn Jahren arbeite ich…’ würde ich ihn eher eine Schlachtrede an seine Armee, nicht an seine kleinen 'Gegner' führen lassen.

DER Vorschlag gefällt mir!

Das ‚Das ist nicht mehr meine Welt’ hat echt Kraft!
Statt ‚wurde dann kraftlos’ würde ein ‚und brach dann zusammen’ besser passen.

Gefällt mir ebenfalls.

Der Epilog (=verschwundenes Spielzeug) stört mich nicht im Geringsten, aber das wird Dich nicht weiter überraschen…

Wie könnte es? :D

Dieser Plot hätte jedoch weit mehr zu bieten. Das soll nicht heißen, dass die Geschichte an Seitenzahlen wachsen muss, aber Du schaffst es ja manchmal gekonnt, ganze Stimmungsbilder in kurzen Formulierungen zu vermitteln (Stichwort „Die aufgemalten Krawatten legitimierten sie zu Götter einer neuen Zeit…“)
Das ist Deine Stärke! Bau sie aus!

Hach! Sowas motiviert! Danke! (Wirklich ernst gemeint, auch wenns vielleicht ironisch klingt)

Dich jetzt noch um mehr Sorgfalt bei der Rechtschreibung, bei Satzbau und Gliederung zu bitten, wäre fast zweitrangig.

Und wohl auch rausgeschmissen Geld...

So, das sollte nun aber wirklich reichen. Hoffe, ich habe Dir mein Anliegen etwas verständlich machen können.

Lass dich von der Zweitfassung überraschen. Cerberus macht diesesmal keine halben Sachen :D

Ansonsten vielen Dank für dein sehr ausführliches Statement. Da du Captain Future so in Schutz nimmst und Baureihe 73 bist (ist übrigens Zufall *g*) erinnerst du mich ja fast schon richtig an meinen Bruder, der ist auch so ein fanatischer Captain Futur´le. Ist übrigens auch hier angemeldet, unter dem Namen KlatuVerataNectu. Ansonsten...HAPPY NEW YEAR! :D und brilliante Grüße

Cerberus

P.S.
Du hast mir immer noch nicht die Anspielung mit dem SMILE erklärt.

 

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