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Das andere Internet
"Guten Tag, dürfte ich mal an Ihren Computer?"
"Guten Tag. Nein, dürften Sie nicht."
"Warum das denn nicht?"
"Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Zum einen ist es mein Computer..."
"Wer sagt das?"
"Der Mann, von dem ich ihn gekauft habe."
"Sie haben Ihren Computer also von einem Mann gekauft?"
"Das geht Sie gar nichts an."
"Aber es interessiert mich."
"Was notieren Sie da?"
"Das geht Sie gar nichts an."
"Touché."
"Also?"
"Also was?"
"Der Computer. Ich müsste da mal eben kurz ran."
"Wie gesagt, es ist mein Computer. Und ich kenne Sie gar nicht."
"Würden Sie mich reinlassen, wenn Sie mich kennen würden?"
"Kommt drauf an."
"Worauf?"
"Wer Sie sind."
"Ja, da ist was dran. Bitte, meine Karte."
"Ministerium für Informationsintegrität?"
"Haben Sie etwa noch nie von uns gehört?"
"Ich fürchte, nein."
"Dann bin ich beruhigt."
"Was wollen Sie eigentlich von meinem Computer?"
"Ich muss da etwas einstellen."
"An meinem Computer?"
"An jedem Computer."
"Muss eine große Einstellung sein."
"In der Tat. Sonst wäre ich nicht hier."
"Und sie ist geheim, nehme ich an."
"Sonst wäre ich nicht hier."
"Kann ich das an meinem Computer nicht selbst einstellen?"
"Sonst wäre ich..."
"Ja, schon klar. An jedem Computer, sagten Sie?"
"Ich habe einen langen Tag vor mir. Wenn ich jetzt also reinkommen dürfte..."
"Nein, lieber nicht."
"Sie möchten mich also nicht reinlassen? Interessant."
"Sie notieren da ja schon wieder etwas."
"Natürlich."
"Ich sag Ihnen was... Sie sagen mir, was Sie an meinem Computer einstellen wollen und ich mache es dann selber. So gewinnen wir beide. Klingt das nach einem Kompromiss?"
"Selbstverständlich nicht. Wenn ich es Ihnen einfach so sagen würde, würde das gegen die Prinzipien verstoßen."
"Welche Prinzipien?"
"Die des Ministeriums für Informationsintegrität. Sie passen ja gar nicht auf."
"Tut mir Leid, ich war verwirrt."
"Was verwirrt Sie denn? Die Lage ist doch relativ klar, oder nicht?"
"Ich gebe zu, daß es mich irritiert, daß sie da ständig Sachen aufschreiben."
"Was? Ach so, das... nein... nein, das braucht Sie nicht... nur ein Protokoll. Für die Akten. Papierkram, Sie wissen schon."
"Nein, weiß ich nicht. Gerade das irritiert mich ja."
"Interessant."
"Jetzt hören Sie doch mal auf damit!"
"Ich mache hier nur meinen Job. Meinen Job, bei dem Sie, wenn ich das anfügen darf, mir gerade keine Hilfe sind."
"Jetzt werden Sie mal nicht pampig. Ist doch normal, daß ich nicht einfach so fremde Menschen an meinen Computer lasse, ohne wenigstens einen Grund zu erfahren."
"Ach, das ist normal?"
"Natürlich."
"Oh... oh, das tut mir Leid. Wirklich. Das hat mir niemand gesagt."
"Dann wissen Sie ja jetzt Bescheid."
"Würde es Ihnen besser gehen, wenn Sie einen Grund wüssten?"
"Es würde mir besser gehen, wenn ich den richtigen Grund wüsste."
"Sehr ausgefuchst von Ihnen."
"Danke. Also?"
"Äh... ach, na gut. Es ist das Internet."
"Mein Internet funktioniert."
"Das ist es ja."
"Sie möchten es ausschalten?"
"Nein, keinesfalls. Aber es gibt da ein Problem."
"Ich höre."
"Gestern Nacht hat irgendjemand, und ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, wer, einen falschen Knopf gedrückt oder was weiß ich und jetzt... naja, also... Sie haben das falsche Internet. Jeder hat das falsche Internet."
"Ach, es gibt zwei?"
"Natürlich."
"Warum wurde ich darüber nicht informiert?"
"Möchten Sie noch einen Blick auf meine Karte werfen?"
"Verstehe. Aber welches ist das richtige Internet?"
"Das werden Sie sehen, wenn ich an Ihren Computer dürfte."
"Was aber, wenn mein jetziges Internet viel besser ist?"
"Was wäre dann?"
"Vielleicht würde ich es gerne behalten wollen."
"Glauben Sie mir, das möchten Sie nicht."
"Sie scheinen sich sehr sicher zu sein."
"Selbstverständlich. Ich wurde genauestens instruiert."
"Da haben Sie mir einiges voraus. Ich nämlich nicht."
"Dann müssen Sie mir wohl vertrauen."
"Das wäre einfacher, wenn Sie mir sagen würden, was ich verpasse."
"Ich... ach... also. Okay. Es ist ein Text."
"Ein Text?"
"Endlich passen Sie auf. Genau. In Ihrem Internet kursiert ein Text und den sollte lieber niemand lesen."
"Ich nehme an, Sie werden mir nicht sagen, wovon er handelt, oder?"
"Jetzt ist es sowieso zu spät. Sie stecken schon viel zu tief drin. Der Text bestätigt die Existenz eines anderen Internets."
"Wie bitte?"
"Der Text bestätigt die Exi..."
"Ja. Es gibt also ein zweites Internet, das sich vom ersten nur dadurch unterscheidet, daß man in ihm den Beweis für die Existenz eines zweiten Internets findet?"
"Wenn Sie es so laienhaft ausdrücken möchten."
"Möchte ich."
"Dann ja."
"Und Sie möchten verhindern, daß das jemand bemerkt?"
"Das sagte ich bereits. Haben Sie schon wieder den Faden verloren?"
"Und warum löschen Sie dann nicht einfach diesen Text?"
"Sind Sie verrückt? Wir reden hier vom Internet! Da kann man nicht einfach... löschen."
"Ach so. Das wusste ich nicht."
"Wussten Sie nicht. Interessant."
"Sie schreiben ja schon wieder."
"Nur für die Akten. Ich sag Ihnen was... Warum fangen wir nicht nochmal von vorne an? Sehen Sie, wenn Sie mich gleich reingelassen hätten, hätte diese Diskussion niemals stattgefunden und ich hätte mir gar keine Notizen machen können. Wenn Sie verstehen."
"Ich glaube schon."
"Könnte ich also nun an Ihren Computer?"
"Eine Frage habe ich noch."
"Ja?"
"Was ist, wenn ich den Text bereits gelesen hätte?"
"Das möchten Sie nicht wissen. Glauben Sie mir, Sie möchten es nicht wissen..."