- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Das alte Ehepaar
Es war leicht bewölkt und heiß. Am weißen Strand räkelten sich einige Pärchen auf breiten Tüchern und streckten ihre Bäuche in die Sonne.
Das alte Ehepaar blieb stehen und beobachtete die spielenden Kinder.
»Weißt du noch?«, fragte sie.
»Als sei es gestern gewesen«, entgegnete er.
»Unsere Kinder werden uns vermissen«, flüsterte sie.
»Sie sind erwachsen und werden es verstehen.«
Er streichelte ihr über den Rücken und küsste sie auf die eingefallene Wange.
»Komm«, sagte er und nahm ihre Hand.
»Ein schöner Tag zum Segeln«, sagte sie.
»Du hast recht. Die Brise kommt von Land und wird uns hinausbegleiten.«
»Wird es schaukeln?«
»Keine Angst mein Liebes. Die See empfängt dich sanft und ruhig."
Hand in Hand gingen sie am Leuchtturm vorbei, hinunter zum Steg. Die bunten Boote drängten sich dicht an dicht im schmalen Jachthafen. Kleine silberne Fische spielten im Schatten der Kaimauer.
Der alte Mann reichte ihr die Hand und half ihr in das elegante Segelboot, das ihm gehörte, jedoch ihren Namen trug. Er löste das Tau am Bug und stieß ab.
»Es entsteht eine Lücke«, sagte sie und deutete mit der Hand auf den Liegeplatz, den sie soeben verlassen hatte.
»Ja«, sagte er. »Es entsteht eine kleine Lücke.«
»Als wenn etwas fehlen würde«, setzte sie hinzu.
»Ja«, sagte er. »Es wird etwas fehlen.«
Der Mann schob seinen Hut in den Nacken und setzte das Segel. Dann nahm er auf der Bank am Heck Platz, fasste nach dem Ruder und steuerte hinaus aufs Meer.
Die Frau saß am Bug und das Boot neigte sich in der Brise leicht zur Seite, gerade so viel, dass ihren Fingern mit dem Wasser spielen konnte. Kleiner und kleiner wurde der Leuchtturm und es begegneten ihnen immer weniger Schiffe. Dann drehte die letzte Möwe ab und sie waren alleine.
»Wie still es hier draußen ist«, unterbrach die Frau das Schweigen.
»Ja. Es ist meistens so still, hier draußen.«
»Das habe ich noch nie so deutlich bemerkt.«
»Wir sind auch noch nie so weit hinausgefahren.«
»Hast du es dabei?«, fragte sie und zog ihre Hand aus dem Wasser.
»Ja, dort unter der Decke. Ich wollte es nicht offen herumliegen lassen.«
Die alte Frau nahm den Hut vom Kopf und strich sich mit der feuchten Hand über ihre nackte Kopfhaut.
»Ah. Das tut gut«, sagte sie. »Es ist heiß« und sie benetzt sich aufs Neue. Dann löste sie die Schleife an ihrer luftigen Sommerbluse. Der alte Mann sah traurig auf ihre Brüste. Früher hingen sie schwer an ihr, wie volle Trauben an einer gesunden Rebe. Drei Kinder hatten sie genährt und inzwischen glichen sie leeren Schläuchen. Der alte Mann schaute weg.
»Wie weit möchtest du fahren?«
»Bis ans Ende der Welt«, sagte sie.
»Möchtest du es dir nochmal überlegen?«, fragte er.
»Und du?«
»Ich bin mir sicher«, sagte er.
»Würdest du es ohne mich auch machen?«
»Ich kann es einfach nicht mehr ertragen«, sagte er und wischte sich mit dem Handrücken über seine feuchten Augen.
»Du brauchst mir nicht zu folgen. Der Tod keimt nur in meinem Busen.«
»Ich verspüre schon lange seine Hand auf meiner Schulter, mein Liebes. Ich bin bereit.«
Er stand auf und holte das Segel ein.
»Ich habe Angst«, sagte sie.
»Es geht schnell. Ich verspreche es dir.«
»Wird es weh tun?«
»Nein.«
»Und wenn doch.«
»Du musstest bereits größere Schmerzen ertragen mein Liebes.«
»Was wird mit dem Boot?«
Er lächelte. »Mach dir keine Sorgen, sie werden es finden.«
Er zog die Decke zur Seite und befestigte sich das Eisen am Fuß.
»Komm, mein Liebes, bevor die Sonne untergeht«, sagte er und hielt ihr auffordernd seine Hand entgegen.
Sie kam zögernd näher und schlang ihre dünnen Arme um seine Hüften.
»Du bist ein guter Mann. Ich war glücklich mit dir«, sagte sie, schloss die Augen und schmiegte sich an seine Schulter.
»Ohne dich, will ich nicht leben«, sagte er.
»Ich habe Angst.«
»Ich auch. Doch wir bleiben zusammen.«
Dann küsste er sie.