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Das Agreement
Sergei Koslov griff nach seiner Waffe, aber es war zu spät. Mit einem Krachen sprang die Tür auf, und die Mündung einer zwölfkalibrigen Schrotflinte spuckte einen Feuerstoß in den Raum.
Nachdem sich der Pulverdampf verzogen hatte, stöhnte Sergei: »Du … kapierst es einfach nicht …« Er wälzte sich in seinem Blut auf die Seite.
»Bleib liegen«, sagte Adam und lud die Flinte durch.
»Das sind nicht … die Neunziger. Heute ballern wir nicht mehr … so ohne Sinn und Verstand …«
Adam trat in die Wohnung. Er ließ die Waffe sinken und schaute sich um.
»Heute …«, sagte Sergei und hustete, »heute treffen wir Agreements.«
Ein Moment der Stille folgte.
»Kein Interesse«, sagte Adam schließlich.
Sergei lachte. Mühsam hob er den Kopf. »Siehst gut aus. Schicker Anzug. Und die Schuhe …«
Adam hockte sich zu ihm. »Du weißt, weshalb ich hier bin.« In seinen Augen lag ein kalter Glanz.
»Immer noch der Alte, wie? Und was jetzt?«
Adam schwieg.
»Naja, egal, was du hier versuchst …« Sergei hustete wieder und wischte mit dem Handrücken über die blutverschmierten Lippen. »Du wirst sie nicht retten.«
Tasha streckte den Arm und betrachtete angewidert seine rechte Hand.
»Gib mir die Serviette«, sagte er zu Warodin. Er trat ans Fenster, wischte sich das Blut von den Knöcheln und richtete sein Jackett.
Warodins Blick fiel auf Dimitri Semjon, der bewusstlos am Boden lag.
»Wir müssen ihn finden, Nikolai«, sagte Tasha. Noch immer zitterte seine Stimme vor Wut. »Ich dulde keine weiteren Fehler. Hab es satt, mich vor ihm zu verkriechen.«
Warodin strich sich über das Kinn. »Dimitri hat die Augen offen gehalten«, sagte er. »Wie du es angeordnet hast.«
Tasha fuhr herum. »Das reicht nicht. Ihr müsst ihn suchen.«
Warodin atmete schwer aus. Er hob die Hand und deutete auf das nackte Mädchen, das zitternd in einem dunklen Winkel des Zimmers kauerte.
»Das war ein Fehler, Tasha.«
»Wirklich?« Tasha lächelte und machte ein paar Schritte durch den Raum. Er trat zu dem Mädchen. »Und sagst du mir auch, warum?«
Warodin öffnete den Mund, doch dann schüttelte er den Kopf und schwieg.
Tasha öffnete das Jackett, löste seinen Gürtel und zog ihn aus der Hose.
»Klär mich bitte auf, Nikolai. Ich dachte, ich wäre hier der Boss.«
»Natürlich, Tasha.«
»Ich dachte, ich hätte zu entscheiden, wie wir mit Nutten verfahren …«, Tasha wandte sich dem Mädchen zu, das die Arme schützend über den Kopf gehoben hatte, »die uns erpressen wollen.«
»Klar, aber …«
Tasha holte aus und schlug zu. Das Mädchen schrie auf und Tasha brüllte los: »Nutten, die es wagen, mich zu erpressen!«
Tashas Schläge fuhren jetzt herab wie Peitschenhiebe. Das Mädchen schrie und wimmerte, und Tasha, Schaum auf den Lippen, kreischte: »Ich - bin - hier - der - Boss!«
Alica Radak trat das Gaspedal durch, doch der schwarze Ford hatte sie beinahe eingeholt. Ihre Limousine schlingerte über die vereiste Straße. Bremsen quietschen und Funken sprühten auf, als Adam ihren Kotflügel rammte.
Irgendwo in den Kronen der gewaltigen Buchen zeterte ein Häher, im Osten dunkelte bereits der Himmel. Adam stieg aus dem Wagen, schlug den Mantelkragen hoch und betrachtete den Mercedes, der jetzt qualmend auf der Seite lag.
Seine Schritte knirschten über den Asphalt, als er sich Alica näherte. Sie hatte es geschafft, sich aus dem Wrack zu befreien und wankte benommen durch den Schnee. In der Hand hielt sie einen ihrer Schuhe, der andere an ihrem Fuß zog den zerbrochenen Absatz hinterher.
Adam strich das Sakko zurück, zog die Pistole aus dem Gürtelholster und sagte: »Bleib stehen.«
Doch Alica begann zu traben, und schließlich lief sie los. Ihr cremefarbener Mantel flatterte in der Dämmerung. Adam zielte ohne Hast. Der Schuss hallte im Wald wider.
»Spielt keine Rolle, dass sie deine Tochter ist«, sagte Alica. Adam beugte sich über sie. Eine Strähne seines Haars bewegte sich sanft im Wind, hinter ihm trieben Wolkenfetzen über dem bleiernen Himmel niedrig dahin.
»Sie heißt Elena«, sagte er.
»Tasha wird sie töten.«
»Wo ist sie?«
»Jetzt fickt er sie natürlich erst …«
Adam setzte die Mündung des Pistolenlaufs auf Alicas Stirn.
»Und wenn er genug hat, erledigt er sie.«
Tasha schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser und Flaschen klirrten. »Koslov und Radak?«, brüllte er. »Beide?«
Warodin nickte. »Er hat sie vor zwei Tagen erwischt. Koslov in seiner Wohnung und Alica auf einer Landstraße irgendwo in Hessen.«
»Verdammte Scheiße!«
Warodin räusperte sich. »Du solltest sie gehen lassen.«
Tasha sah ihn scharf an. »Das denkst du?«, sagte er schließlich und drehte sich zu Elena herum, die auf dem Bett lag. Warodin betrachtete die Blutergüsse und Prellungen auf dem Körper des Mädchens.
Tasha zuckte die Schultern. »Na, die hat es bald hinter sich.«
»Wenn sie stirbt …«, sagte Warodin.
»Was dann?«
»Wir haben dann keine Verhandlungsgrundlage mehr.«
»Verhandlungsgrundlage?« Tasha stützte die Fäuste in die Seiten. »Diese Fotze wollte …«
»Sie ist sechszehn, Tasha. Sie wollte ihren Vater …«
»Ihr Vater arbeitet für mich! Ich entscheide, wann er gehen darf.«
Warodin fuhr sich durchs Haar. »Ich befürchte, das sieht er jetzt anders.«
Das Hämmern der schweren 45er Automatik ließ die Gäste des Paradise-Clubs zusammenfahren. Eine Hülse nach der anderen spritzte seitlich aus dem zuckenden Verschluss von Adams Waffe. Ganz hinten bei den kolossalen Aquarien stieß Dimitri Semjon seinen Tisch um und feuerte blind über die Deckung hinweg in den Raum.
Durch den Tumult der jetzt einsetzte – die Gäste des Clubs stürzten panisch in Richtung des Ausgangs – bahnte sich Adam seinen Weg. In der Reflexion eines Wandspiegels sah Semjon, wie er sich näherte, sah das bleiche Gesicht, die zusammengepressten Lippen, sah das blitzende Mündungsfeuer.
»Adam! Ich weiß nicht, wo sie ist«, schrie er und wechselte das Magazin. Als sein Blick wieder auf die Spiegelfläche fiel, ging ein Ruck durch seinen Körper. Gerade noch hatte er Adams Armbewegung gesehen und die Handgranate, die jetzt irgendwo hinter ihm klirrend über die Bodenfliesen sprang.
Die Detonation schleuderte ein paar Möbel durch den Raum. Glassplitter prasselten herab und das Wasser eines der zerstörten Aquarien schwappte in einer gewaltigen Woge über das Parkett der Tanzfläche.
Adam packte Semjon an der Krawatte. Er betrachtete das von der Explosion zerrissene Gesicht. »Ich werde euch alle töten«, sagte er. »Einen nach dem anderen.«
»Zwecklos«, röchelte Semjon. »Er wechselt jede Nacht die Wohnung. Niemand weiß … wo er gerade ist.«
Ernst Brendler hob die Hände. »Ich werde Ihnen nicht helfen.«
Adam starrte ihn über den Verschluss seiner Pistole hinweg an. »Sie wissen noch gar nicht, was ich will.«
Brendler zuckte die Schultern. »Ich weiß, wer Sie sind. Ihre Organisation kann von mir keine Hilfe erwarten.«
Adam sah sich im Flur der schäbigen Wohnung um.
»Genau«, sagte Brendler. »So lebt ein Bulle, der nicht die Hand aufhält.«
»Der letzte ehrliche Cop, wie?«
Brendler lächelte. »Ich hoffe nicht.«
»Gute Antwort.« Adam ließ die Waffe sinken und schob sie ins Holster. »Ich werde mich stellen.«
Brendler hob die Augenbrauen. »Okay«, sagte er unsicher.
»Ich vermute, dass Sie Tasha observieren. Falls ja, biete ich Ihnen einen Deal an.«
»Ich höre.«
Adam machte mit dem Kinn eine Bewegung in Richtung des Wohnzimmers. »Wollen wir reden?«
Warodin legte den Finger auf die Lippen und deutete mit seiner Waffe auf die Wohnungstür. »Er ist da«, flüsterte er.
Tasha zog seine Pistole und schüttelte den Kopf. »Unmöglich«, erwiderte er tonlos. »Niemand weiß, dass wir hier sind.«
Sie starrten durch das Halbdunkel des Flurs und wagten kaum zu atmen.
Eine Schrotgarbe zerfetzte die Tür. Holzsplitter zischten durch den Korridor. Warodin und Tasha feuerten einfach drauflos, aber sie hatten kaum fünf Schüsse abgegeben, als Warodin umkippte, während ein Teil seines Gehirns hinter ihm die Wand herab schmierte.
Adam stürzte herein, schoss zwei Mal, doch er verfehlte. Tasha hingegen traf. Adam ging zu Boden. Einen Moment lang rührte er sich nicht, doch dann hob er die blutige Hand.
»Bitte«, sagte er schwer atmend. »Sie ist meine Tochter.«
Tasha spuckte auf den Boden, hob seine Waffe und feuerte das Magazin leer.
Nachdem der letzte Hall der Schüsse verklungen war - Tasha stand, noch immer einen Arm erhoben, über Adams leblosen Körper gebeugt - rief Brendlers Stimme: »Waffe fallen lassen, Penner!«
Der Polizist stieß Tasha zu Boden, fesselte seine Handgelenke auf dem Rücken und ging hinüber ins Schlafzimmer.
»Komm«, sagte er und half Elena, aufzustehen. Er zog seinen Mantel aus, legte ihn dem Mädchen über die Schultern und drückte eine Taste seine Telefons.
»Brauche sofort eine Ambulanz bei meiner Position. Ja, checken Sie das GPS. Die Wohnung liegt im Vorderhaus, Nummer zehn, zweiter Stock. Beeilen Sie sich.«