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darling
Der Tag ist für mich wie folgt aufgeteilt: fünf bis sieben Uhr sind mögliche, wenn auch unwahrscheinliche, weil übertrieben frühe, Aufstehzeiten. Von acht bis neun Uhr ist die ideale Aufstehzeit, auch wenn ich sie selten bis nie einhalten kann, was ich sehr bedaure, denn dann würde ich mir ein wenig professioneller vorkommen. Und auch generell besser als Mensch. Von neun bis elf, das ist die Zeitspanne in der ich tatsächlich meist aufstehe. Wenn ich eine Angsattacke oder einen Schub habe, dann wache ich oft früher auf, bleibe aber bis mindestens zwölf Uhr liegen. Eigentlich hasse ich es nach elf Uhr aufzustehen. Ich fühle mich dann ekelhaft, klebrig, matschig und als ein von Grund auf schlechter Mensch.
Um zwölf Uhr ist für mich Mittag und da ich das Prinzip, sogar schon alleine die Worte, des „Vor- und Nachmittags“ sehr mag, fällt der Mittag meist sehr kurz aus. Genauer gesagt ist der „Mittag“ rein logisch gesehen nur diese eine Sekunde auf der die Zeiger auf zwölf stehen. Alles davor ist doch Vormittag und alles danach Nachmittag? Für mich ist es bis zwölf dennoch der Morgen, von zwölf bis Zwei ist es Vormittags, von da ab bis vier ist es Mittag, von vier bis sechs Nachmittag und ab sechs beginnt der Abend. Ab acht Uhr beginnt der zweite Teil des Abends. Das ist so eine gefühlmäßige Sache, denn dieses „viertel nach Acht“, die Zeit wenn die Spielfilme im deutschen Fernsehen anfangen, hat sich wie ein scharfer, gespannter Faden in meine Zeit geschnitten und dort eine kleine Marke hinterlassen über die ich nun jeden Abend stolpere.
Wenn ich die Augen aufschlage sehe ich direkt diesen verhangenen Himmel, der sich wie ein riesen Tuch über das Blau des Himmels streift, wie ein riesiger Diffusor.
Wenn man ehrlich ist, dann ist die Anzahl der Tage im Jahr, in dem man den Himmel wolkenverhangen sieht doch viel größer? Mir kommt es grade so vor. Und warum geht man dann davon aus, dass die „normale“ Farbe, die Basis des Himmels quasi, Blau ist? Warum empfinden wir dieses Grau nicht als Basis, als „Normalzustand“ anstatt dem klaren blauen Himmel, der doch eher ein netter Sonderfall ist, wenn man ihn dann einmal zu Gesicht bekommt.
Ich höre schon die Stimmen der Leute, die es besser wissen und sagen: „Fiona, da liegst du falsch. Das kommt dir vielleicht nur so vor, aber das ist doch Schwachsinn. Es gibt viel öfters blauen Himmel, als den grauen wolkenverhangenen.“
Und schon fühle ich mich dumm und weiß, dass ich das niemals jemandem erzählen sollte, auch wenn ich damit nur eine Empfindung von mir auszudrücken versuche. Ich hasse es wenn man mir dann verbal einen drüberhaut, weil mein Gesprächspartner es wohl tatsächlich besser weiß und mich dann verbessern und aufzuklären versucht.
Es fühlt sich demütigend an, wenn man jemanden etwas erzählt das eine Metaebene besitzt, auf der man dadurch versucht seinen Seelenzustand irgendwie mitzuteilen, und derjenige kommt einem mit der vollen Keule der realen Tatsachen.
So können sich Menschen mich sehr auf Distanz bringen, denn in dem Augenblick bin ich so verletzt und in meinem fadenscheinigem Selbstwert erschüttert, dass ich mich hüten werde ihnen noch einmal etwas wichtiges zu erzählen.
Ein weiterer Grund warum ich diesen Himmel verabscheue ist, dass es Nachts dann nie richtig dunkel wird. Immer reflektiert diese Wolkendecke die Lichtverschmutzung der ganzen Stadt. Es gehört mit zu den widernatürlichsten Dingen, wenn in der Nacht Vögel singen, weil es nichts dunkel genug ist. Das sollte nicht sein.
Über all das sind mir schon jetzt meine Gesichtszüge entglitten, ich merke plötzlich dass ich meine Zähne fest aufeinanderbeiße, dass mein Kiefer anfängt zu schmerzen. Und es ist noch nichtmal zwölf.
Meine Schwester sagt mir dann immer ich solle nicht so böse gucken und die Augenbrauen nicht so zusammenziehen, sonst bekomme ich dort hässliche Sorgenfalten. Sofort entspannen sich die Muskeln in meinem Gesicht und ich versuche möglichst ausdruckslos zu gucken. Ich gähne, reibe mit beiden Händen mein Gesicht- die Japanerinnen massieren sich ja die gefährdeten Stellen um den Falten vorzubeugen. Ob reiben auch reicht? Jetzt kribbelt meine Haut, sie fühlt sich rau an und brennt.
Ich wälze meinen Kopf im Kopfkissen von rechts nach links und wieder zurück. Es macht nur trockene Geräusche und nichts passiert. Ich brauche noch nichtmal an die Decke zu gucken, das ist schon völlig überholt.
Es sind Winterferien und es gibt für mich die nächsten anderthalb Wochen keinen Grund einen normalen Tagesrhythmus zu führen. Meine Hand gräbt sich wühlend unter ein Kissen, gräbt sich nach hinten durch, ertastet das Handy. Der Zeigefinger drückt auf den Homebutton und die harte, glatte Fläche des Smartphones wechselt die Farbe von schwarz zu bunt und hell. Es ist 09:12. 09:13. Der Satz „>Zum Entsperren streichen“ lässt sein Lichtchen von vorne nach hinten über sich gleiten. Immer und immer und immer und immer und immer wieder. Das Display ist schmandig von meinen ganzen Fingerabdrücken. Ich sollte es mit einem Tuch getränkt in Desinfektionsmittel sauber machen. Niemand hat mir geschrieben. Keiner heute Morgen, so wie: „Frohes neues Jahr“ oder „gut ins neue Jahr gerutscht?“ und auch keiner in der vergangenen Nacht. Alle waren feiern, nur ich war zuHause. Ganz ganz allein. Das klingt ein bisschen melodramatisch. War es auch. Irgendwie. Doch schon. Das drückt mir wieder so auf die Stimmung, dass ich das Handy böse und bestimmt wieder an seinen dunklen Platz unter dem Kissen zurückverbanne, da wo es hingehört, diese böse, hoffnungszerstörende Maschine!
Ich drehe mich unter meinen vier Bettdecken und meiner einen Zimmerdecke zur Wand hin und schließe die Augen wieder.
Ich träume, dass ich wieder mit meinem Exfreund zusammen bin, obwohl ich weiß, dass es eine ziemlich unbefriedigende Sache zwischen uns beiden ist. Aber ich bin einsam. Dann fahre ich durch einen Tunnel, der im Berg steil hochgeht und genau so steil wieder abfällt. An der linken Seite der Strasse ist ein Fussgängerweg (der so steil ist, dass in der Realität ihn niemand wirklich hochlaufen könnte, man müsste schon klettern) abgetrennt, durch Gitterzäune bis zur Tunneldecke und extrem viel Maschendrahtzaun. Es beklemmt mich schon genug nur mit dem Auto durch den Tunnel zu müssen, beim Blick auf den Fussgängerweg schaudert es mich. Nach dem Tunnel kommen nur kleine spießige Dörfer. Ich muss zum Zahnarzt. In meinem Mund habe ich meine obere Zahnreihe mit Nylonfaden angenäht, jeden einzelnen Zahn, unten sind die Zähne in ein Metallgerüst, was mit meinem Zahnfleisch verbunden ist, eingehakt und mit Plastikstreifen von Einkaufstüten, die durch den ganzen Mundraum gespannt sind, festgebunden. Ein Zahn hat sich gelöst. Ich halte ihn in der Hand. Es ist gigantisch groß und unförmig. Ich versuche ihn selbst wieder einzuklemmen, aber es klappt nicht.
Dann habe ich Sex mit meinem Exfreund, der ein und versuche ihm zu erklären wie er es besser machen soll. Er versteht es nicht, oder ist just unfähig dazu sich da rein zu fühlen. Es deprimiert mich wie er mit seinem Penis an mir rumreibt, ihn rumschwenkt, seinen Körper schwerfällig auf meinem Körper entlangreibt.
Alles in meinen Träumen deprimiert mich. Immer. Die einzigen guten Träume die ich habe sind Wunschträume von wirklich netten jungen Männern, die mich bedingungslos lieben und gut sind zu mir, aber meistens können wir zu späteren Zeitpunkten des Traumes aus irgendwelchen Gründen dann doch nicht zusammen sein. Und wenn wir es können, nunja, dann wache ich auf und... das ist wohl selbsterklärend.
Mein Exfreund und ich haben also nun endlich Sex. Er hat ein olivfarbenes T-shirt an und der Raum in dem wir liegen ist lichtdurchflutet. Man sieht alles, es gibt keine Geheimnisse. Es bedrückt mich, dass wir jetzt wieder miteinander schlafen. Er erklärt mir irgendwas, ich stimme zu, jetzt ist eh nichts mehr dran zu ändern. Ich weiß mir nicht zu helfen, versuche also es mir irgendwie gutzudenken und warte bis er fertig ist. Laut rechtfertige ich mich in einen leeren Raum hinein, vor irgendwelchen Leuten, von denen ich mich verurteilt fühle. Aber es ändert nichts an ihrer Meinung. Tut es nie. Selbst im realen Leben nicht. Dann träume ich noch irgendwas von einem Supermarkt (ich träume häufig von Supermärkten, meist sogar von immer den selben) und anderen sozialen Kontakten mit denen ich nicht zurecht komme.
Ich wache schweißgebadet unter meinen vier Bettdecken auf. Als Teenager habe ich direkt unterm Dach gewohnt. Ich mochte es, wenn sich das Zimmer im Sommer bis zur Unerträglichkeit aufgehitzt hat, mich ins Bett zu legen unter die Bettdecke und den Nachmittag zu verschlafen, um
dann völlig verschwitzt aufzuwachen.
Es ist leise. Noch nicht einmal die Autobahn ist zu hören. Mein Tagesrhythmus ist seit Beginn der Weihnachtsferien so beschissen! Ausserdem war ich die letzten fünf Tage krank und habe das meiste der Tage verschlafen, sodass ich Nachts dass ich Nachts vor ein Uhr von selbst nicht mehr einschlafen kann. Dann liege ich wach, Ewigkeiten und meine Selbstmordgedanken nehmen überhand. Also greife ich zu unmöglichen Zeiten zu den Schlaftabletten die man mir in der Klinik, letzten Sommer verschrieben hat. Quetiapin. Diese kleinen rosa Tabletten, mir reicht schon eine Halbe, schluckt man, dann wartet man zwanzig Minuten und sie machen in deinem Kopf alle Klappen dicht. Man hat mehrere Schlafmittel an mir probiert, aber durch das Duloxetin, ein Antidepressivum mit Noradrenalin, war ich ständig so gepusht, dass nichts herkömmliches geholfen hat. Erst die kleine Rosa Pille, die in höheren Dosen Schizophrenen verabreicht wird, hat mich wieder in den Tiefschlaf geholt. Aber nicht sinken lassen. Sie holt dich. Packt dich, reisst dich herunter in einen tiefen, langen Schlaf. Anfangs war ich besorgt, weil sie auch starke Heißhungerattacken hervorruft und ich in meiner Depression am liebsten verschwindend dünn sein möchte (In solchen Phasen kann ich erstaunliche Selbstdisziplin aufbauen um meinen Körper zu quälen). Seit ein paar Wochen stopfe ich einfach alles in mich hinein, was ich sehe.
Wenn ich also jetzt aufwache, nach einer ordentlichen Portion Quetiapinschlafes fühle ich mich als ob eine Dampfwalze über mich gefahren ist.
Draussen dämmert es schon. Ich schaue auf die Uhr des Handys. 16:00 Uhr. Meine Güte.
So lang habe ich im gesunden Zustand noch nie geschlafen. Ich rede mir ein, dass das nur gut sein kann. Immerhin war ich fünf Tage krank. Dann ist es gut.
Ich schlage die Decken auf, die sich feucht von meinem Körper pellen.
Die Einsamkeit springt Huckepack auf meinen Rücken. Die Küche ist ein ekelhafter, dreckiger Ort, kalt, damit die Heizkosten niedrig bleiben. Ich wische ein bisschen über den Herd, aber die Lust fehlt mir und das dreckige Geschirrtuch hänge ich wieder über den Stuhl. Ich esse etwas Müsli, schlucke meine neuen Antidepressiva. Jetzt ist es Escitalopram. Ich fühle mich wesentlich entspannter, seitdem ich den anderen Mist los bin. Meine Träume haben auch nicht mehr dieses aggressiven Ton. Jetzt sind sie, wie gesagt, wieder nur noch deprimierend. An meinem miniatur- Küchentisch löffele ich das Müsli aus und lasse die Glasschale stehen. Dann verlasse ich die Küche wieder.
Meine Füsse sind kalt. Sonst fühle ich nichts. Ich mache den Laptop an. Eigentlich habe ich ihn aus Faulheit nie ausgeschaltet, aber vor zwei Wochen hab ich mich in einen polyamoren Typen verknallt, so einen hübschen, großen, blonden, der bei mir auf dem Sofa in der Küche saß, asiatische Suppe löffelte, die ich ihm gekocht hatte, mit wahnwitzig teuren Zutaten (von der ich nichts essen konnte, weil ich vor lauter Verknalltheit keinen Hunger hatte und die ich später wegkippen musste) und mir ernst erklärte, dass es schlecht ist den Computer so lange anzulassen. Denn einige Viren setzten sich wohl nur in dieser Zeit ab, aber wenn man den Computer zwischendurch ausmache, dann verschwinden diese Viren.
Viele Dinge gewöhne ich mir nur an, weil es Typen, in die ich verliebt war es mir geraten haben, oder selbst so gemacht haben und ich mir dachte es wäre eine gute Eigenschaft, die demjenigen dann zeigt, dass ich auch vernünftig sein kann und auf seiner Wellenlänge bin. Wie zum Beispiel das zweimalige Zähneputzen. Morgens, ja natürlich immer, aber Abends habe ich mir eigentlich nie die Zähne geputzt. Ich war schlichtweg zu faul dazu. Bis ich Phillip kennenlernte, der sich natürlich auch Abends die Zähne putzte, wie es ein braver Medizinstudent halt tut. Also habe ich es auch angefangen. Ich habe gelesen Gewohnheiten muss man sich über lange Zeiten hinweg antrainieren. Das geht nicht in ein paar Tagen oder Wochen. Oft dauert es Monate wenn nicht sogar Jahre. Das Gehirn muss es vollkommen adaptieren und in seine Tiefen aufnehmen, bis sich ein Automatismus entwickelt hat. Deswegen darf man nicht verzagen. Ich kämpfe nach zehn Monaten immer noch damit, aber es ist besser geworden. Manchmal wenn ich zu bestimmten Dingen keine Lust habe, die aber durchaus ihre Notwendigkeit haben (wie zu Beispiel auch noch einmal die Blase leeren bevor man einschläft, weil man merkt, dass es in ein paar Stunden so weit sein könnte, dass man dann ganz dringend muss, aber man schon im Bett liegt in der richtigen Position zum Einschlafen) mache
ich mir leicht zwanghafte Gedanken. Ich denke dann: wenn du es jetzt nicht tust, dann wirst du es niemals tun. Ich stelle es mir bildlich vor. „Jetzt einfach aufstehen, du bist schwach wenn du es nicht tust“. So lange bis ich mich so schlecht fühle, dass ich aufstehen muss. Die Unerträglichkeit der verpassten Chance wird riesig. Ich mache mich oft schlecht, damit ich Dinge tue.
Jungs haben diesen stoischen Blick, wenn sie von den Sachen reden die sie machen. Kunst, Musik, Literatur, Film, Politik... Es ist gradezu gruselig. Und wenn sie dir davon erzählen, mit diesem unfassbarem Ernst. Wenn man nur versucht etwas kritisches anzumerken wird man oft gleich an Ort und Stelle auseinandergenommen, in seine Einzelteile zerlegt und zurecht gewiesen.
Dann fühle ich mich dumm, es nährt meinen Selbsthass. Ich hasse es zuzugeben, dass meine Mutter recht hat wenn sie sagt, dass alle Frauen in unserer Familie unter einem Mangel an Selbstwert leiden.
Nachdem ich mir stundenlang die Weltsicht von dem jeweiligen Jungen angehört habe, in den ich in diesem Moment verknallt bin, picke ich mir alles raus was er sagt, beobachte, was er liest, was für Filme er guckt, was für Musik er hört, was für Kunst er gut findet. Vorher war ich ich, mit meiner Meinung und meiner Lebensweise, aber von da an bin ich ein leeres Blatt Papier, ohne besondere eigene Meinung und adaptiere von diesem Moment alles, was mein Objekt der Begierde gut findet. Ich gucke mir Wochenlang Filme an, von denen er geredet hat und die er auf Facebook geliked hat höre Monatelang die Musik die er hört, abonniere die Zeitung, gehe in den Museen in die Austellungen von denen er sprach, lese die Bücher die ich ihn lesen sah, setzte mich mich mit seiner politischen Sichtweise auseinander, mit seinem Lebensstil (wenn er polyamorös ist, wenn er bi ist, wenn er totalitär monogam ist, wenn er vegan ist, wenn er linkspolitisch aktiv ist, wenn er arbeiten hasst, wenn er arbeiten liebt etc.), nehme die Drogen die er nimmt, trinke den Alkohol den er trinkt, ich färbe mir die Haare, je nachdem ob er erwähnt welche Haarfarbe er bevorzugt, ich würde meine Hautfarbe ändern (momentan wäre ich so gerne Türkin! Denn die Exfreundin von dem grossen blonden Hünen war Türkin), ich koche für ihn, ich adaptiere meinen Kleidungsstil. Mag er es gerne abgerissen, punkig, oder doch sauber und gepflegt, ist er der Hipstertyp, der Hiphoper, mag er es geschminkt, dunkle Augenbrauen, oder ungefärbt, rasiert, unrasiert? Egal, ich werde mich danach richten und habe doch immer das Gefühl nicht genug zu sein. Warum kann ich nicht polyamorös sein, warum kann ich nicht Bass spielen, warum bin ich keine Südländerin, oder schwarz, oder Finnin, oder Amerikanerin, warum heiße ich nicht Lisa, oder Lena , oder Victoria, oder Hanna, oder Natalie... Ich will sie sein.
Der Computer braucht eine Ewigkeit um hochzufahren. Ich mache Musik an, checke meine Mails, nichts von Bedeutung. Ich starre auf den Bildschirm. Mache Facebook auf. So sitze ich einige Minuten in Unterwäsche auf meinem Schreibtischstuhl, es ist kalt, meine Heizung funktioniert nicht richtig. Meine Katze meldet sich. Sie schaut mich von der Fensterbank erwartungsvoll an. Ich öffne ihr das Fenster. Sie denkt kurz nach, springt dann hinaus in den Betongarten.
Ich entsinne mich, dass es gut wäre zu wissen wie es auf meinem Konto aussieht. 180 Euro im Minus. Ich habe keinen Dispo, aber meine Bank macht es aus mir unerfindlichen Gründen mit. Das geht schon seit Monaten so. Die einzige Aktivität die mir ein wenig Befriedigung hin und wieder verschafft ist, mir etwas zu bestellen und mein Geld für Unmengen an Büchern auszugeben, die ich dann in mein Bücherregal stelle, damit die Jungs beeindruckt sind (und ich selbst auch), wenn sie mich in meiner Wohnung besuchen kommen und sich vielleicht irgendwann, wenn so eine Entscheidung anstehen könnte, für mich entscheiden, denn ihnen fällt in ihrer langen Grübelei, ob mit mir eine Beziehung anzufangen eine gute Idee ist oder nicht, der kleine Fakt ein, dass dieses Mädchen, also ich, wirklich viele Bücher hatte, und da bedeutet, dass sie belesen ist, was heißt dass sie viel weiß und viel nachdenkt, was wiederum bedeutet, dass sie Tiefgang hat und mit einem solchen Menschen kann man gut leben. Ich habe mir auch schon Brillen gekauft aus dem selben Grund. Oder CDs. Endlos viele CDs. Und einen Plattenspieler und Platten, die ich fast nie höre. Natürlich lese ich auch so gerne und viel. Aber es spielt immer auch ein bisschen der Gedanke mit zu gefallen.
Auch meine Obsession für ausgefallene Kleidungsstücke ist so entstanden. Und irgendwie wohl auch die Entscheidung Vegetarierin zu werden. Ich wollte auch für etwas Gutes einstehen, ganz von
selbst, um es dann in einer Konversation gegebenenfalls verteidigen und erklären zu können. Ich bin diesen Monat also pleite weil ich dreimal im Museum war, mir einundzwanzig Bücher gekauft habe und ein Abo für „die Zeit“ abgeschlossen habe. Ausserdem habe ich mir eine Super 8 Kamera gekauft, mir zu teure Lebensmittel geleistet (siehe die asiatische Suppe für meinen Schwarm), Kondome gekauft und Vitamin D Komplex, damit ich es aushalte mit den zwei Stunden Tageslicht die ich täglich abbekomme, aufgrund von zu viel Schlaf.
Ganz davon abgesehen, dass ich in einer für mich eigentlich zu teuren Wohnung wohne, für mich ganz alleine, damit ich keine Mitbewohner aushalten muss, die ein normal funktionierendes Gehirn haben und ihr Leben mehr auf die Reihe bekommen, während ich im Nebenzimmer wochenlang vegetiere und mich schlecht fühle und dann laut kreischend heule.
Aber mein Vermieter ist nett. Er hat eine nette Frau, zwei Jahre älter als ich und drei kleine Kinder, die mit der Grund sind, warum ich den Plan mich in dieser Wohnung umzubringen immer wieder verschiebe. Und die fehlende Badewanne. Sie sollen nicht komplett Verstört werden, wenn die nette Untermieterin, die ihnen Janosch vorliest und sie ihre Katze füttern lässt und mit ihnen im Garten spielt, die Pulsadern aufschneidet und dann womöglich von ihnen irgendwann gefunden wird. Denn diese Kinder sind die einzigen Menschen die mich je in meiner Wohnung besuchen kommen. Abgesehen von den Jungs die mich ficken wollen.
Niemand schreibt mir auf Facebook, während ich also frierend auf meinem Sessel sitze. Es ist Dienstag und ich habe eine Hausarbeit zu schreiben und ein Referath vorzubereiten, aber ich kann mich keine zehn Minuten konzentrieren. Ich kann noch nicht einmal Filme gucken. Dann lege ich mich wieder ins Bett. Mir geht es furchtbar. Ich kann niemanden kontaktieren.
Der polyamoröse blonde Hüne von Komilitone hat mich zwei Tage nachdem wir miteinander geschlafen haben (und er meinen Kühlschrank reparieren wollte und diesen dabei kaputt gemacht hat) abserviert, indem er sich einfach nicht meldet, geschweigedenn grüsst er mich in der Uni. Meine längste und älteste Freundin, naja quasi auch beste Freundin, schreibt mir nur Floskeln so wie: „Fühl dich gedrückt und umarmt und gestreichelt, wenn du konkret Hilfe brauchst melde dich.“ während sie dabei in den Armen ihres Freundes liegt (in meiner boshaften Phantasie). Ich rufe sie an, niemand hebt ab. Ich werde es kein zweites mal versuchen.
Ich gehe im Kopf die Menschen durch die ich kenne, viele Menschen sind das. Aber kein einziger ist dabei, der mir zuhören würde, es aushalten würde wenn ich ihm oder ihr von meinem Gefühlen der Unzulänglichkeit und Bedrückung erzähle (ausser meine Mutter, die würde mir helfen, aber die ertrage ich einfach nicht). Dann gibt es nur betretenes Geschweige, oder sie versuchen ihr Bestes und sagen Dinge wie: „Etwas zu tun würde dir gut tun. Nimm ein Bad, oder eine kalte Dusche, du brauchst eine Aufgabe, koch dir was leckeres, mach dir einen Wohlfühlkakao, guck dir einen Film an, ruf bei der Seelennothilfe an...“ Vielleicht würden sie sogar versuchen mir durch engagierte Auseinandersetzung und Spiegelung meines Zustandes Antrieb geben zu wollen, das ich einsähe, dass ich nur ein bisschen Einsatz meinerseits bräuchte und schon ginge alles viel leichter von der Hand. Dann fühle ich mich unter Druck gesetzt, ein Nein von meiner Seite aus kann nicht gelten und ich kann nur brav zustimmen und hoffen, dass sie bald aufhören mir zu erklären wie sehr sie mich doch verstünden. Als ob das ein Grund wäre aufzustehen.
Ich gleite unter meine vier Bettdecken. Je länger ich darüber nachdenke wen ich kontaktieren könnte und je mehr mir dabei bewusst wird, dass es keinen Menschen gibt, desto schlechter wird mir. Druck baut sich in meinem Nacken auf, meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen, ich muss aufstöhnen und ein paar Tränen fliessen aus meinen Augen, tropfen auf das pinke Bettlaken, was vollgesogen ist mit Schweiß vom Sex. Das Skalpell liegt auf einem leeren Notizheft auf meinem Nachtschränkchen. Soll ich ausprobieren wie tief ich komme?
Aber ich habe grade keine Lust. Ein Therapeut würde jetzt in einem ruhigen Therapeutenton sagen: „Na, das ist doch schonmal gut, wenn sie keine Lust mehr verspüren sich zu schneiden, das ist doch gut.“ Aber nichts ist gut.
Also höre ich auf zu denken, starre an die Wand, während die Musik dröhnt. Ich habe lange nichts getrunken, mein Mund ist komplett ausgetrocknet.
Wasser schmeckt ekelhaft, wenn der Mund so trocken ist. Ich habe sogar vom trinken geträumt.
Sprudelwasser wäre toll. Noch hat der Supermarkt auf. Aber ich werde es heute nicht mehr dort hin schaffen. Als ich siebzehn war, waren wir alle, meine jüngere Schwester, meine Mutter und ihr Freund in Belgien auf einem Festival, auf dem meine Schwester und ich das erste mal Radiohead und Sigur Ros live sehen sollten. Es war toll, ein bisschen kühl und regnerisch, aber die Sonne ist so schön hinter der Bühne untergegangen. Nur hatten wir Wasser vergessen, deswegen waren wir nach den Konzerten so durstig wie noch nie. Als wir am Abend zum Auto kamen und den ersten Schluck Wasser tranken, war es entsetzlich ekelhaft. Ich vermisse meine Schwester, sie ist in Japan, ganz weit weg. So wie alle anderen.
Ein Miauen weckt mich aus meinem Schlaf. Dascha war die ganze Nacht weg, draussen ist es schon hell. Wintermorgenhell. Ich ziehe die durchschwitzten Decken von meiner nackten Haut, mache das Fenster auf und lasse hinein. Wie das kleine Jesusbaby nehme ich sie in den Arm und wiege sie sanft hin und her. Sie schnurrt. Sie liebt mich. Das rede ich mir zumindest ein. Wenn nicht sie, wer dann. Hm? Ich schaue auf mein Handy, es ist ziemlich perfekt neun Uhr. Vielleicht kann ich ein paar lebendige Stunden diesem Tag abringen. Die Katze bekommt ihr Frühstück, Nassfutter, aus einer im Kühlschrank gekühlten Dose. Die Kühlschranktür quietscht, seitdem der blonde, Poly- Komilitonenhüne davon überzeugt war, dass es eine gute Idee wäre wenn man die Kühlschranktür in die andere Richtung aufmachen könnte, daraufhin meine Küche verwüstete und Stundenlang die Tür kaputtreparierte. Ganz davon zu schweigen, dass er es ohne meine Hilfe nie geschafft hätte die Tür wieder einzuhängen. Nun ist die Tür leicht locker und mein Kühlschrank ständig nass.
Er kam noch einmal vorbei und „reparierte“ das Dilemma (dann hat er mich gefickt), aber richtig zu ist die Tür immer noch nicht. Also muss ich den Kühlschrankinnenraum alle paar Tage mit einem Handtuch trocknen. Ich habe einfach nicht den Schneid ihm das nochmal zu sagen, weil ich dann dastehen würde, als ob ich einfach wollte, dass er zu mir kommt und mich in den Arm nimmt und anfängt mich zu lieben. Vielleicht stiege Sanftmut in ihm auf, gepaart mit ein wenig Mitgefühl oder wenisgtens Mitleid, das ihn dazu veranlasst mich neu zu sehen. Bindungshormone würden seine Gehirnbahnen ausfüllen, vielleicht verliebt er sich dann in mich, so wie er sich in die anderen Mädchen auch schon verliebt hat. Er hat gesagt er würde eh nie etwas ernsthaftes anfangen mit Mädchen mit denen er „noch nie was hatte“. Das beflügelte meine Entscheidung ihn an diesem Abend zwischen meine Beine zu lassen.
Doch ich sehe schon die Unlust die sich in seinem Gesicht breit macht, wenn er daran denkt, dass er sich auf den Weg raus aus der Stadt machen muss, in eine Gegend die ihm keine Ausflucht bietet, von mir. Seine angestrengte Stimme klingelt mir in den Ohren, wie er notgedrungen nach einem Termin sucht an dem er vielleicht bei mir mal vorbeigucken könnte. Aber eine schnelle Sache wäre das ganze nicht, immerhin wohne ich ein Stück ausserhalb der Stadt. Dann der Ton des Erbarmens welches er mir doch schließlich angedeihen lässt und für das ich dann ganz brav und ganz oft Danke sagen muss. Und das schlechte Gewissen was ich haben werde und weswegen ich mich dann tausendmal entschuldige, was er aber abwinken wird und dann sowas sagt wie: „Klar komm ich her, ich hab es dir ja schließlich eingebrockt.“ Aber in Wahrheit wird er denken: „Kannst du nicht einfach mit dieser kleinen Scheiße leben?“ und wir beide wissen es und ich werde noch weniger von ihm gemocht werden, als ich es ohnehin schon nicht wurde. Ich bin furchtbar harmoniesüchtig und halte es nur sehr schwer aus wenn man mich nicht leiden kann. Oder vor allem nicht mehr. Wenn ich eine Zeit lang toll gefunden wurde, weil ich überdurchschnittlich hübsch bin und ganz nett, etwas eigenartig, witzig und man mit mir gut plaudern kann. Wenn man mich dann erobert, ich dann schnell zu viel werde. Das passiert mir jedes mal mit Jungs. Meine Freundinnen sagen mir ich soll es langsam angehen, aber ich bin so verhungert, ich kann dieses Spielchen nichtmehr spielen. Bei der kleinsten Berührung, verbal wie physisch, explodiere ich wie eine Supernova, ich übertreibe es direkt und nach spätestens einer Woche kann mich kein Mann mehr ertragen, weil ich wieder zu schnell war. Dann brenne ich, reisse alles mit, erleuchte, erlische und falle zusammen in mich wie ein schwarzes Loch, dass alles will, nie satt wird, nie voll werden kann.
Man gibt mir den kleinen Finger und ich nehme die ganze Hand. Aber dort ist nicht Schluss. Ich will auch noch den Arm und den ganzen restlichen Körper der daran hängt, ich möchte in den Kopf
des Jungen, in seinen Geist, sein Ein und Alles werden.
Aber bevor es jemals so weit käme, werde ich abgesägt.
Es ist mir peinlich. Ich bin so ekelhaft nahbar, aufdringlich, Grenzüberschreitend. Dann: die totale Entäuschung.
Ich bin einsam. Niemand ist da, niemand redet mit mir. Alle Kommunikation ist zusammengeschrumpft auf kleine kurze Texte die über Facebook oder Whatsapp ausgetauscht werden, wie kleine Zettelchen im Klassenzimmer. Komprimierter Kontakt ist das einzige an Menschlichkeit was ich dieser Tage bekomme. Alle sind in ihren Beziehungen zuHause, bei ihren Partnern. Also versetzte ich mich in ein künstliches Koma, über Tage hinweg werde ich meine Schlaftabletten missbrauchen. Ich bin nur wenige Stunden wach, um etwas zu essen und meine Antidepressiva zu schlucken, etwas zu trinken, ein Lebenszeichen in die Welt zu schicken, ein kleines kurzes Leuchten. Ich bin wie das Licht am anderen Ufer im großen Gatsby, mit dem Unterschied, dass ich niemandes Metapher für unerfüllte Sehnsucht bin. So schlucke ich meinen rosa Traum und versuche es auch von der praktischen Seite zu sehen. Ich werde etwas Heizkosten, Lebensmittel, Strom, Wasser, soziale Kräfte sparen. Ich gehe niemanden auf die Nerven, ergehe mich nicht in klammerhaften Anfällen von Liebessucht.
Ab dem Augenblick der Pubertät wo die Mädchen, mit denen man in eine Klasse geht, langsam jede nach und nach einen Freund bekommt und dieses Verlangen nach einer anderen Liebe wächst, als die der Mutter, bin ich Single. Natürlich ist man vorher schon alleine, aber vorher ist man einfach ein Kind. Wenn der Wunsch nach romantischer Liebe und Sex entsteht – das ist der Punkt ab dem man sich als Single bezeichnen darf.
Das war ungefähr am Ende meines sechzehnten Lebensjahres. Plötzlich kam dieser Wunsch auf. Und auch meine erste depressive Phase entwickelte sich. In den Herbstferien. Das weiß ich noch ziemlich genau. Gut zugegeben. Zweimal hatte ich eine Beziehung. Schnittblumenbeziehungen nenne ich diese beiden Episoden. Ich war verliebt, der jeweilige Junge empfand eine Art Faszination (so wurde es mir später mitgeteilt: „Ich war eigentlich nicht richtig in dich verliebt. Du warst nur so interessant und hast mich fasziniert“) für mich, aber innerhalb von Monaten waren sie von mir überfordert, fingen an mich in eine Ecke zu drücken, sich mir gegenüber ungehalten zu verhalten, überfordert von meiner Art und meinen Erwartungen, dann machten sie komplett dicht, sperrten mich aus, überließen mich mir selbst, und ich erging mich fluchtartig in einem Dutzend von Dates, Affären, One-Night Stands... „Erfahrungen“ von denen mir die meisten zu viel abverlangten.
Man weint sich oft nächtelang dramatisch in den Schlaf, zum ersten mal spürt man den kalten Stich der Einsamkeit. Doch man ist erst am Anfang einer Straße, wie Bilbo, der das erste mal die Straße aus seinem Tal beschreitet. Das erste was üblicherweise kommt sind die Sprüche. Ich denke jeder kennt sie: „Du bist doch noch so jung, da kommt schon einer.“ „Geniesse es doch single zu sein.“ „Erst muss man lernen mit sich selbst klarzukommen und vor allem muss man sich zuerst selbst lieben, bevor jemand anderes sich in einen verlieben kann.“ „Es kommt wenn man es am wenigsten erwartet.“ „Bei mir kam er als ich es gar nicht wollte.“ „Stell dir vor er ist schon geboren und existiert jetzt grade schon.“ (einer meiner Lieblinge übrigens. Alle Männer die irgendwann in mir waren und in mir sein werden sind schon geboren und existieren irgendwo. Überall besser gesagt. Die Welt ist mit ihnen vollgestopft.) „Du musst dich entspannen.“ „Du bist noch jung, bald kommt „ER““. Aber es gibt IHN überhaupt nicht. Es gibt so viele von denen.
Ja man muss sich selbst lieben. Und sich selbst kennenlernen. Das passiert wohl so oder so. Immerhin lebt man ja, man kann dem wohl nicht aus dem Weg gehen, außer man greift zu Drogen, oder ist dumm, was vielleicht aufs Gleiche rauskommt.
Nun ich bin Single und wenn ich mit sechzehn gewusst hätte, dass ich mit sechsundzwanzig immer noch Single sein werde, hätte ich mich wohl selbst aufgeknöpft.
Es geht weniger darum, dass ich unbedingt eine Beziehung brauche, die dann mein Leben besser macht. Eine Beziehung um der Beziehung zu führen ist immer ein Fehler. Langsam weiß ich aber nicht mehr wie ich mit meinem Zustand umgehen soll. Die meisten erleben das Single-Sein in ihren zwanzigern, als eine wilde, freie Phase, in der man sich ausprobieren kann und Scheiße baut und
gute Dinge lernt. Aber es ist meist temporär. Zwei, drei Jahre, manchmal fünf, sechs. Aber dann trifft man irgendwen und es geht wieder los. Das passiert mir nicht.
Es hat auch viele Vorteile. Ich kann so ziemlich alles alleine machen. Sofas und Schränke schleppen, Küchen aufbauen, streichen, mich betrinken, Böden verlegen, tapezieren, reisen, Lampen aufhängen... ich sehe das als definitive Stärke.
Aber wenn es mir schlecht geht ist nie jemand direkt da. Dann bin ich auf den unbedingten Kontakt zu meinen engstens Freunden angewiesen. Und wenn sie dann aber lieber alleine sein wollen mit ihren Partnern, oder ihre Kapazitäten ausgereizt sind, weil ich ihnen seit fünf Jahren schon mit meinem Unglück in den Ohren liege, dann komme ich an den Punkt der absoluten Einsamkeit, der oft genug erreicht wird. Niemand wird für mich spontan alles stehen und liegen lassen und zu mir nachhause kommen um sich um mich zu kümmern, wenn es mir schlecht geht, wenn ich Fieber habe, Herzschmerz, Angstattacken, mich anfange zu schneiden, meinen Kopf gegen die Wand haue, mir nichts mehr zu Essen machen kann, ich krampfend, weinend auf dem Küchenboden liege, ich es für zwei Wochen nicht unter die Dusche schaffe, ich Angst habe vor die Tür zu gehen, wenn ich google wie ich mir die Pulsadern aufschneide oder wie man sich am besten stranguliert.
Keiner wird mir Tee machen, Suppe kochen, mich streicheln, meine Hand halten, Termine absagen, mich zum Arzt bringen.... Es ist immer ich selbst, der mir hilft, soweit ich es für mich selbst leisten kann.
Und wenn nicht, dann liege ich schonmal im Bett wie jetzt.
Ein Tag Schlafmittelmissbrauch, Gott sei Dank, dass sie rosa sind, da kommt es einem fast wie eine Wohltat vor, die man sich tut. Es werden drei Tage, und fünf. An manchen Tagen sehe ich ein paar Sonnenstrahlen auf meine braunen Pflanzen fallen, füttere die Katze, lasse sie raus, lasse sie wieder rein, esse Bohnen aus der Dose, schlucke das Escitalopram, gehe wieder ins Bett. Eine Woche? Was ist heute für ein Tag? Mama hat angerufen. Ein Anruf von Anonym. Keine Nachricht von meinem polyamoren Jungen, der mir Freundschaft versprach vor... ein paar Tagen, ein paar Ewigkeiten, nachdem er mit mir geschlafen hat. Am achten Tag wache ich auf. Es ist wirklich sonnig draussen. Und kalt. Eine Schnee -und Eisschicht hat sich auf alles gelegt und in meinem Zimmer ist es unverschämt kalt.
Ich möchte wissen wie spät es ist. In meinem Kopf spiele ich das Spielchen der Erwartungen, denn ich hoffe, dass es noch vor 12 ist, genau so gut könnte es aber auch schon drei sein. Also stelle ich mich auf den worst case ein. Doch es ist erst kurz vor zehn. Davon beflügelt drehe ich die Heizungen in der gesamten Wohnung hoch, auf gemütliche 28 Grad.
Was stelle ich mit diesem tollen Tag an?
Ich schaue auf mein Handy, mehrere verpasste Anrufe von meine Freundin und meinem besten Freund. Die Gesellschaft hat ihren Arm nach mir ausgestreckt. Da steht was von „Treffen“ und „sorry, hatte viel zu tun letzte Woche.“ Plötzlich schäme ich mich etwas...
Meine einenhalb Wochen alleine zuHause sind komplett psychsich ausgeufert. Ich fühle mich ganz.... Okay! Gut ich hatte auch eine Tablettenumstellung. Ich fühle mich wie aus einem Loch gekrochen, welches ich in verwirrtem Zustand kurz für die ganze Welt gehalten hab.
Hoppla.