Darf's noch etwas mehr sein?
„Nein, es darf nicht etwas mehr sein!“ So langsam begann Sven echt Spaß an der Sache zu finden. Torben hatte die Meinung vertreten, dass Menschen grundsätzlich viel weniger sagten, als sie sagen wollten, da sie Angst hätten, sich unbeliebt zu machen. 'Soziale Erwünschtheit' nannte er diesen hemmenden Faktor in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sven hatte darauf erwidert, dass Individualität der wichtigste Faktor für gesellschaftliche Akzeptanz sei. Und wenn andere zögerten, bestimmte Dinge auszusprechen, so würde er sich ab jetzt durch bedingungslose Ehrlichkeit hervorheben. Heute morgen hatte er bereits einer Gruppe Halbstarker gesagt, dass Muskelshirts und Goldkettchen einfach nur scheiße und alles andere als cool aussähen und war dafür beleidigt und angespuckt worden. Aber das war es ihm absolut wert gewesen. Jetzt, an der Fleischtheke im Supermarkt, bekam er nur einen leicht verwirrten Blick entgegengeworfen. Nicht, dass es ein großes Problem dargestellt hätte, 20 Gramm Hackfleisch mehr in seine Bolognesesoße zu tun, aber Sven bestimmte doch lieber selber wie genau er sich an Kochrezepte hielt. „3 Koteletts und 4 Scheiben Bauchspeck“ bestellte die kräftige Mitfünfzigerin hinter ihm gerade. „So sehen sie auch aus!“ kommentierte Sven auf die ihm eigene, trockene Art. Irgendjemand lachte. Während er sich langsam entfernte, keifte die Frau noch laut vor sich hin. Die Wörter „Beleidigung“ und „Anzeige“ konnte Sven noch heraushören, interessierte sich aber nicht mehr weiter dafür. Ehrlichkeit wurde halt nicht von allen positiv aufgenommen. Schon gestern Abend hatte Torben ihn wutentbrannt aus seiner Wohnung geschmissen, nachdem Sven ihn zum wiederholten mal mit 'Hurensohn' angeredet hatte.