Darf’s ein bißchen mehr sein?
Der erste sonnige Tag in diesem Jahr.
Samstag mittag stehe ich, nachdem ich mir beim Wochenendeinkauf die Beine an der langen Schlange vor der Kasse bei Aldi in den Bauch gestanden habe und mit dem einräumen der von mir erstanden Waren in den Einkaufswagen mal wieder nicht so schnell nachgekommen bin, wie die Kassiererin beim einhämmern der Artiklelnummern in die Kasse.
So stehe ich also, nachdem ich den Einkaufswagen zurückgebracht habe, mit der Mark noch in der Hand vor der Metzgerei, die sich gleich neben Aldi befindend auch eines regen Andrangs erfreut.
Ich schaue gen Himmel; strahlend, hellblau mit einigen kleinen Wölkchen betupft, die sich in der Sonne aalend wie in Zeitlupe langsam über die Markise über der Eingangstür der Metzgerei schieben. Welch ein Frühlingstag!
Also los, kurz entschlossen ich rein zum Metzger, ca. fünfzehn Leute vor mir und wieder warten bis man dran ist. Doch jetzt ist das nicht so schlimm, läßt doch die Vorfreude auf heute abend mein Gemüt gelassen.
„Darf’s ein bißchen mehr sein?“
„Ja, danke!“
„... und außerdem? ...“
Bei jedem Kunden immer der gleiche Satz der leicht untersetzten Fleischfachverkäuferin im ärmellosen, weißen Kittel mit der Einwegschürze aus Polyethylen vor dem Bauch.
Während ich so warte bis ich dran bin und die Schlange hinter mir schon fast so lang geworden ist wie vor mir, was mich freudig stimmt, habe ich doch dann bald die Hälfte der Wartezeit überstanden, sinniere ich darüber nach, wie oft die Frau hinter der Fleischtheke diesen Satz vom „bißchen mehr sein - und außerdem?“ in ihrem Leben wohl schon gesagt hat, oder erst mal innerhalb einer Woche.
Ich überschlage im Kopf die Kunden die noch vor mir sind, schaue auf die Uhr. Nach etwa zehn Minuten sind weitere drei Käufer mit Plastiktüten und einem, meiner Meinung nach etwas übertrieben freundlichen, „Vielen Dank und ein schönes Wochenende!“ verabschiedet.
Gut drei mal „darf’s etwas mehr sein?“ in zehn Minuten!
Wenn durchschnittlich vielleicht halbsoviel Kunden, also über den ganzen Tag verteilt hier einkaufen, so wären das pro Stunde, äh, neun „Darf’s-etwas-mehr-sein’s“. Multipliziert mit --- wielange hat der Laden eigentlich offen?
Nehmen wir mal an montags bis freitags von neun bis halb sieben, macht ohne Mittagszeit, ähm, --- siebeneinhalb Stunden, plus samstags von neun bis zwei --- sind zusammen 42,5 Stunden!
Halt, mittwochs nachmittags ist bestimmt zu, also von drei bis halb sieben abziehen sind dann: 39 Sunden die Wochen, macht --- mal 9 --- 351 mal „Darf’s ein bißchen mehr sein, also rund ...
„Haalllo, Sie wünschen bitte?“
Wie aus einem Traum erwachend höre ich die Stimme der Verkäuferin mit den bepackten Oberarmen ... ich bin d’ran.
Beinahe hätte ich gesagt: „350 marinierte Nackensteaks“, doch ich konnte mich so eben noch bremsen!
„Vier marinierte Nackensteak und ein Pfund Rinderhack, bitte!“
Hmmm, denke ich, daraus werde ich für heute abend die leckeren Cevapcici machen und während die Metzgersfrau zählt und abwiegt, drehe ich mich entschuldigend für meine Trödelei zu der direkt hinter mir Wartenden um.
Und nun bekomme ich auch mein: „darf’s etwas mehr sein?“ - „Ja“ sage ich und „außerdem nichts mehr, danke!“
Verpackt. Bezahlt. Das meiner Meinung nach etwas übertriebene „Vielen Dank und schönes Wochenende“ begleitet mich hinaus.
Im rausgehen fällt mein Blick auf das Schild mit den Öffnungszeiten:
„Mo - Fr durchgehend von 9:00 - 18:30 geöffnet“
Das wirft meine ganze Kalkulation durcheinander, ach was, egal!
Ab nach hause, es gibt viel zu tun. Lebensmittel verstauen, die Gartenstühle aus dem Keller, abgewaschen und bepolstert, nebst Tisch und Sonnenschirm auf die sonnenüberflutete Terrasse. Und nun zum Grill, der auseinandergebaut und verpackt in der Garage steht, noch dreckig vom letzten Jahr - aufgebaut, geschrubbt und gewienert von der Schale bis zum Rost.
Das Wetter hält sich, zwar sind ein paar mehr Wölkchen am Himmel, doch jetzt, halb vier, pünktlich vorm Fernseher breitgemacht, mit dem alkoholfreien Bier griffbereit: das Topspiel der Woche! In froher Erwartung auf neunzig Minuten spannende Bundesliga und das anschließende Grillen zum ersten Mal in diesem Jahr.
Das Fußballspiel plätschert so vor sich hin und als es zu ende ist denke ich „es hätten ein bißchen mehr Torszenen sein dürfen und außerdem nützt das 0:0 keinem etwas.
Jetzt aber aus der Bundesligaalltagslethargie erwacht und frisch ans Werk die Cevapcici gerollt und Kräuterbutter gemacht für auf die gegrillten Toasts, Salat gibt’s nicht, nichts im Haus.
Als die Hackröllchen fertig sind, die Holzkohle die ersten Funken versprüht fallen auch die ersten Tropfen vom Himmel. Mein Blick gen Osten verheißt nichts gutes, auch wenn ja ansonsten alles Gute von oben kommen soll.
Mist! Doch, kein Problem, ab das Ganze unter den Sonnenschirm und nicht beeindrucken lassen von den Launen der Natur.
So sitze ich denn, doch irgendwie gemütlich am Grill, notdürftig beschützt vor dem regelrechten Wolkenbruch, der seinem Namen alle Ehre macht unterm Schirm und lege auf, drehe um und guck’ ob’s gut ist, während der Rest der Familie drinnen den Tisch deckt, bei elektrisch Licht.
So hatte ich mir das nicht vorgestellt, heute mittag, nach Aldi, mit der Mark aus dem Einkaufswagen noch in der Hand, aber was soll’s!
Kurze Zeit später, nachdem ich das Grillgut ohne nennenswerte Abkühlung durch Regen und Wind, sicher ins Haus gerettet habe, klingelt es an der Tür, vor der leicht durchnäßt ein befreundetes Ehepaar steht.
„Welch eine Überraschung! Kommt rein, wir grillen grade!“
Erstaunte Minen, die ein oder andere Bemerkung, allseitiges Gelächter und ran an den Tisch.
Es war ein sehr schöner Abend! Wir haben gemütlich beieinander gesessen, ausgelassen erzählt, gegessen und getrunken.
Bis kurz vor zwölf, als sich unser Besuch, leicht schwankend und selig lächelnd mit einem „bis bald, dann grillen wir bei uns“ ins Taxi zwängte.
Wir räumen die Gläser und Flaschen noch notdürftig weg und dabei geht’s mir leicht lallend durch den Kopf, daß ich gut daran getan hatte, heute mittag die Frage der Fleischverkäuferin, ob es ein bißchen mehr sein dürfe zu bejahen, denn sonst hätte es vielleicht nicht für alle gereicht. „Woran so eine Verkäuferin alles denkt!“, denke ich.
„... und außerdem?“ Und außerdem will ich jetzt ins Bett.
„Vielen Dank und schönes Wochenende“ Gute Nacht und ...
Glück auf!