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Darbelley
Lautlos glitten die Türflügel hinter mir ins Schloss, nachdem ich die Kabine betreten hatte. Mein Blick fiel auf das Bett, wo Anand auf seinen glatten grünen Laken lag und schlief. Nicht einmal im Schlaf waren seine Züge entspannt, die Last der Verantwortung hatte sich unabänderlich in die Linien seines Gesichtes gegraben.
Ich ging näher zu ihm, um mir diese Linien einzuprägen und mich umspülte eine Welle von Zärtlichkeit, als ich die Stirn mit der Denkerfalte betrachtete, die markanten Augenbrauen, die schmalen Lippen und das energische Kinn mit dem Grübchen.
Wieder wunderte ich mich, wie dieser Mann, der mein Vater hätte sein können, mit seiner Glatze und seiner unerträglichen Selbstdisziplin, es geschafft hatte, mich so zu fesseln.
Im Gegensatz zu allen anderen Männern, die ich hatte schlafen sehen, hatte er nichts von einem Jungen an sich, wie er da lag. Sein Atem hob und senkte kaum die Decke, sein schlanker Körper zeichnete sich sanft unter dem Stoff ab.
Als ich vor fast fünf Jahren auf die Research versetzt wurde, konnte ich mein Glück kaum fassen. Nicht einmal zwei Monate waren vergangen, seit ich meinen Antrag auf Versetzung gestellt hatte, doch Admiral Cox und Captain Darbelley waren sich schnell einig gewesen, dass ich, als interdisziplinäre Wissenschaftlerin mit ausgezeichnetem Renommee eine wertvolle Ergänzung für das Wissenschaftsteam des Forschungsschiffes wäre.
Ich befand mich gerade auf Geuron, als ich erfuhr, dass meine Versetzung unmittelbar bevorstand. Dort hatte ich ein Team geleitet, das sich mit der Erforschung Jahrtausende alter technischer Fundstücke beschäftigte, die man vor kurzem, neben den Fossilien einer offensichtlich humanoiden Lebensform, auf der Oberfläche des Planeten entdeckt hatte.
Admiral Cox teilte mir mit, dass die Research bereits Kurs auf Geuron genommen hatte und mich in zwei Wochen an Bord nehmen würde.
Captain Darbelley begrüßte mich mit einem freundlichen, aber distanzierten Lächeln auf dem Raumschiff und reichte mir die Hand. Sie war warm und trocken und der Händedruck angenehm fest.
"Willkommen an Bord der Research, Lieutenant Vandell", sagte er, "ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit ihnen. Man hat mir viel Gutes über sie berichtet und wie Admiral Cox mir sagte, sind Sie eine Kapazität auf dem Gebiet der Exobiologie. Allerdings hatte ich eine etwas...reifere Person erwartet", fügte er schmunzelnd hinzu.
Ich behielt für mich, dass ich ihn mir ebenfalls anders vorgestellt hatte, größer, kräftiger, derber. Diese sanfte, schlanke Erscheinung wollte nicht recht zu den Geschichten vom furchtlosen Helden passen, die man sich erzählte, dennoch stand ich sofort unter seinem Bann.
Schon bald stellte ich fest, dass nur weniges von dem, was ich über ihn gehört hatte, übertrieben gewesen war. Er war energisch und entschlossen, eine echte Führungspersönlichkeit, kaum jemand hatte je gesehen, dass er seine Selbstbeherrschung verlor. Schon jetzt war er eine lebende Legende, hatte Schlachten geschlagen, Frieden zwischen Planeten gestiftet, millionenfach Leben gerettet, und Freund wie Feind sprach seinen Namen mit Ehrfurcht aus.
Captain Darbelley war der Mittelpunkt, um den das Leben an Bord der Research sich drehte, und er hätte wohl ohne zu zögern jederzeit sein Leben für jedes Mitglied der Besatzung gegeben.
Die Crew arbeitete wie ein Uhrwerk, jeder erfüllte seine Pflicht im vollsten Vertrauen auf den anderen. Selbst in den kritischsten Situationen lag Gelassenheit in jeder Bewegung.
Ich arbeitete so hart ich konnte, gab alles und noch mehr, um mich ebenfalls dieses Vertrauens würdig zu erweisen, und es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass ich dazugehörte. Ich war ein unverzichtbarer Teil der Mannschaft geworden und trug die schlichte Uniform mit Stolz.
Die Grenze zwischen meinem Aufgabenbereich als Wissenschaftsoffizier und meinem Privatleben verschmolz immer mehr. Bald hatte ich mich an das Fehlen natürlicher Tages- und Nachtzeiten gewöhnt, fand meinen eigenen Rhythmus und lernte, mit dieser neuen Freiheit umzugehen. Ich liebte meine Arbeit, und der Dienst auf der Research ermöglichte es mir, mehr zu lernen, als ich es mir jemals erträumt hatte.
Das Schiff glitt lautlos durch die Dunkelheit, der weiche Schein eines kleinen Nachtlichtes erhellte den Raum nur wenig. Ich setzte mich auf die Kante des Bettes und streichelte sanft über Anands Stirn. In dem Moment öffnete er seine Augen und sah mich an. Liebe lag in seinem Blick und ich konnte nicht anders, als vor Freude zu lächeln.
Sein Blick wanderte zärtlich über mein Gesicht, so wie mein Blick eben über das seine gewandert war, blieb an meinen Augen hängen und schien durch sie direkt in meine Seele zu schauen.
Er hob die Decke etwas an, ich schlüpfte darunter und schmiegte mich in seine Umarmung. Sein Geruch war beruhigend und vertraueneinflössend, leichte Bartstoppeln kratzten meine Stirn, als er sie sanft küsste.
"Schön, dass Du hier bist", murmelte er schläfrig und lächelte dieses Lächeln, das nur mir vorbehalten war. Er zog mich noch näher an sich und ich küsste die Kuhle über seinem Schlüsselbein.
"Ich habe von Dir geträumt", flüsterte er und strich zart mit seinen Fingern über meinen Nacken.
In den ersten Monaten meiner Dienstzeit sah ich Captain Darbelley nur selten. Ich war zu vertieft in meine Arbeit und die wenigen freien Stunden, die ich mir gönnte, verbrachte ich meistens in der Bar, wo der Captain nur selten anzutreffen war.
Mit der Zeit entstanden dort einige tiefe Freundschaften; meine engste Vertraute wurde Sheena Paris, aber vor allem mit Leroy Garnet, dem Chefingenieur, verbanden mich viele Gemeinsamkeiten. Erst später erfuhr ich, dass Leroy ein romantisches Interesse an mir hatte, was unserer Freundschaft jedoch keinen Abbruch tat.
Nach dem Zwischenfall auf Orex4 begann eine ruhige Zeit, da wir mehr als 3 Wochen brauchten, bis wir wieder auf unserem ursprünglichen Kurs waren. Ich verbrachte viel Zeit in den großen künstlich angelegten Gärten mit den saftigen grünen Wiesen, den Bächen und Teichen und den schönen Blüten, die ihren eigenartig betörenden Duft verströmten.
Dort sah ich eines Tages zum ersten Mal den Captain ohne seine Uniform.
Ich trat gerade hinter einem Baum hervor, als ich ihn am Ufer eines kleinen Seerosenteiches sitzen sah.
Er trug eine schlichte braune Hose, dunkle Stiefel und ein weites weißes Hemd, das den Blick auf seine glatte Brust freigab. Sein Blick ging ins Leere, schien abwesend und grüblerisch.
Irgendwie fühlte es sich verboten an, ihn so zu beobachten, doch ich blieb stehen wo ich war und sah zu, wie er kleine Steinchen ins Wasser schnippte und wie aus weiter Ferne die kreisförmigen Wellen beobachtete, die sich auf der Oberfläche ausbreiteten.
Obwohl er sich offensichtlich unbeobachtet fühlte, ließen seine Bewegungen nichts von der gewohnten Autorität und Steifheit missen. Er wirkte angespannt und schien gequält von den Sorgen und Nöten, die die Verantwortung über Leben und Wohlergehen von mehr als 1700 Menschen mit sich brachte.
Unwillkürlich fragte ich mich, ob es diesem Mann jemals möglich war, sich völlig zu entspannen und die große Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete, für einen Moment hinter sich zu lassen.
Ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn so ungeniert beobachtete und wollte mich unauffällig davonschleichen. Doch als ich einen Schritt rückwärts machte, trat ich auf einen Zweig, der knackend zerbrach.
Als Captain Darbelley zu mir herübersah, muss mir das Schuldgefühl auf der Stirn gestanden haben, denn er warf mir einen langen, vorwurfsvollen Blick zu.
"Captain", murmelte ich verlegen.
"Lieutenant", antwortete er knapp und sah mir mit einem eigenartigen Blick nach, als ich beschämt davonschlich.
In der folgenden Zeit wich der Captain meinem Blick aus, wann immer wir uns begegneten. Mein Interesse an ihm wuchs nichtsdestotrotz, ich fragte unauffällig Mannschaftsmitglieder über ihn aus und forschte mit Hilfe des Bordcomputers nach persönlichen Informationen, aber die Ausbeute meiner Nachforschungen blieb entnervend unbefriedigend.
Ein paar Mal ergaben sich Situationen, in denen ich versuchte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, aber er blieb immer reserviert und wortkarg.
Doch dann kam der Tag, als ich wegen eines unangenehmen, aber relativ harmlosen außerirdischen Virus behandelt werden musste. Dr. Brever, der Schiffsarzt, befahl mich zur Krankenstation, wo er mir eine Dosis Intervirin und ein Konstitutionsmittel verabreichte. Anschließend brachte er mich in den angrenzenden Ruheraum, wo ich einen etwas grünlich aussehenden Captain Darbelley erblickte.
Mit einer großen Portion lurianischer Muscheln, die er während unseres dreitägigen Aufenthaltes auf Ct`O`Pura gegessen hatte, hatte er sich eine Lebensmittelvergiftung eingehandelt. Trotz seines bemitleidenswerten Zustandes strahlte er noch immer Autorität aus, allerdings fehlte ihm die Energie, mich weiter zu ignorieren, so dass sich nach einigen zähen Anläufen ein angeregtes Gespräch ergab.
Wir verbrachten den ganzen Nachmittag zusammen auf der Krankenstation, und als Dr. Brever uns schließlich wieder in die Freiheit entließ, fasste ich mir ein Herz und lud den Captain zu einem Abendessen in meine Kabine ein. Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht und für einen kurzen Moment sah ich ihn mit sich selbst ringen. Dann wurde sein Gesicht wieder ernst, er straffte seine Schultern und stellte mit dieser Bewegung augenblicklich dieselbe Distanz her, wie sie vor unserem gemeinsamen Nachmittag bestanden hatte. Ich meinte leises Bedauern in seiner Stimme zu hören, als er antwortete:
"Es tut mir leid, Lieutenant, aber die Pflicht ruft, ich muss die Einladung ablehnen. Vielleicht können wir das Abendessen ein andermal nachholen."
Es sollte mehr als zwei Jahre dauern, bis es soweit war.
Anand stützte den Kopf in seine Hand und fragte lächelnd:
"Schläfst Du jetzt mit mir?"
"Ja", antwortete ich, und wir liebten uns in seinem schönen Bett mit den glänzenden dunkelgrünen Laken.
Er war ein wunderbarer Liebhaber, seine Bewegungen waren geschmeidig, keine Steifheit lag darin und sie ließen nichts von dem alten Mann erahnen, als den er sich manchmal bezeichnete.
Danach legte er seinen Kopf auf meine Brust und zog mit einem Finger Kreise um meinen Bauchnabel. Ich streichelte seinen kahlen Kopf und bemerkte, dass er völlig entspannt war, wie er da auf meiner Brust lag.
"Wer bist du?" fragte ich ihn.
"Ich bin dein Geliebter", antwortete er.
Er küsste mich voller Leidenschaft und dann liebten wir uns noch einmal, während das Raumschiff lautlos durch die Dunkelheit glitt, mit 1732 Seelen an Bord, die schliefen, arbeiteten, redeten, lachten, weinten, alle vereint im völligen Vertrauen darauf, dass Captain Anand Darbelley sie sicher durch die Nacht bringen würde.