- Beitritt
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Danny Screamer, Superstar
Danny Screamer, Superstar
Manchmal ist es schwierig, Menschen zu verstehen, welche für einen anderen durchs Höllenfeuer laufen und sich blind opfern. Nun stehe ich hier und vor mir liegen vierhundert Meter Abgrund, die ich in wenigen Minuten herabstürzen werde. Sie fragen sich warum? Glauben Sie mir, genau das frage ich mich auch gerade. Aber der Reihe nach.
Noch vor ein paar Tagen war ich ein normaler Mensch, abgesehen von Trinksucht, Drogenmißbrauch und Spielschulden in Höhe von einigen Tausendern war ich das auch. Jedenfalls wurde ich gerade von zwei Schlägertypen der lokalen Mafia bearbeitet. Sie ließen, glaube ich, ab von mir, als sie bemerkten, daß ich bewußtlos geworden war. Als ich wieder zu mir kam, sah ich als erstes diese knallgelben, absolut geschmacklosen Stiefel. Mit meinem einen halbwegs gesunden Auge blickte ich nach oben. So lernte ich Danny Screamer kennen. Er stand vor mir mit einer blauen Lederjacke, braunkarierter Hose, gelbe Stiefel und als Krönung einen Cowboyhut mit Superman vorne drauf. Und Danny lernte mich kennen. Zusammen geschlagen in einer dreckigen Pfütze liegend.
Er half mir auf. Es schien ihn nichts auszumachen, daß ich ihn mit Dreck und Blut besudelte. Ich glaube fast, es war normal für ihn, sich mit kaputten Typen einzulassen. „Danke.“ sagte ich zu ihm. Danny lächelte und antwortete: „Wir fahren jetzt zu mir. Okay?“. Ich war noch nicht ganz wieder bei Sinnen und ehrlich gesagt, fehlte mir auch die Kraft, diesen Vorschlag von ihm nicht anzunehmen. Also packte er mich auf die Rückbank seines alten Volvos und fuhr in seine Wohnung. Wir fuhren eine kleine Ewigkeit. Als wir endlich da waren und seine Wohnung betraten, fühlte ich mich an die städtische Müllkippe erinnert. Es stank erbärmlich nach verschimmelter Nahrung, Urin und Verwesung. Ich hatte Mühe, Luft zu bekommen. Erschwerend kam noch hinzu, daß die Schläger mir mehrere Rippen gebrochen hatten. Danny schien das nicht zu stören, er nahm meine Hand und wir gingen in sein Wohnzimmer. Dort stand als einziges ein alter Stuhl, umringt von mehrern Menschen, die noch kaputter aussahen als ich. Sie murmelten bedeutungslosen Schwachsinn, als Danny und ich den Raum betraten. Jedenfalls war das mein erster Eindruck. Hätte ich ahnen können, daß ich wenig später genau das selbe machen würde? Und endlich konnte ich mich trotz der ekelerregenden Luft überwinden, etwas zu sagen. Ich sah zu Danny hinüber, der er sich auf dem Stuhl bequem gemacht hatte. „Wer bist du?“ fragte ich ihn. Die anderen sahen mich entrüstet an, als ob ich nicht erkannte hätte, daß praktisch Gott dort auf dem Stuhl saß. Danny hob die Hand, um die anderen zu beschwichtigen. Dann sagte er zu mir: „Ich bin Danny Screamer. Ich bin ein Superstar!“. Trotz meiner Schmerzen konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. „Naja, ein Superstar würde wohl ein Domizil drüben auf der anderen Seite der Stadt haben, meinst du nicht?“. „Oh ich bin kein Superstar des Kommerz. Ich bin ein Superstar für Leute wie dich!“. Ich sah ihn fragend an. „Sieh dich doch an. Du bist am Ende. Und ich bin deine Rettung. Du hast Schmerzen. Komm her!“. Ich sträubte mich, ich wehrte mich, doch langsam näherte ich mich ihm. Und als ich in seiner Reichweite war, packten seine Hände meinen Kopf und drückten zu. Ich begann zu schreien, ich hörte schon, wie meine Schädeldecke zu knacken begann. Nun, heute weiß ich, daß dies Einbildung war. Plötzlich ließ er mich los und ich fiel auf den Boden. Meine Schmerzen waren weg, als ob ich nie verprügelt worden war. „Wie hast du das gemacht?“ keuchte ich ihm noch leicht benommen zu. Danny lachte mich nur an. Da bemerkte ich zum ersten Mal, daß Danny keine Zähne mehr hatte und seine Zunge eine unnatürliche Farbe hatte, vielleicht so etwas in Richtung braun. Genau kann ich das nicht beschreiben. „Verstehst du jetzt?“ fragte er mich. „Ich bin dein Superstar! Ich habe dich von deinen Schmerzen befreit. Und ich werde dich von allem befreien, was dich bedrückt!“. Die anderen kamen auf mich zu. Sie hatten jetzt nicht mehr diese abwehrende Haltung. Sie lächelten mich an und umarmten mich. Das war zuviel für mich. Ich fiel wieder in Ohnmacht.
Als ich wieder zu mir kam, befanden wir uns irgendwo in der Wildnis auf einem Berg. Ich hatte keine Ahnung, wo wir uns befanden. Ich wußte nur eins. Ich war inmitten der anderen Kaputten und redete dummes Zeug und sah immer wieder zu Danny, der es sich mit dem alten Stuhl aus seiner Wohnung unter einem Baum gemütlich gemacht hatte. Ich konzentrierte mich und konnte für einige Minuten klare und verständliche Worte formulieren. Immer wieder versuchte ich mit den anderen ins Gespräch zu kommen. Doch auf Fragen wie „Wo sind wir?“, „Wer bist du?“ oder „Wer ist dieser Danny Screamer?“ reagierten die anderen gar nicht. Je mehr ich mich zu konzentrieren begann, um so mehr begann mein Verstand wieder zu arbeiten. Ich wollte nur noch weg. Weg von den hirnlosen Menschen, die im Staub umherkrochen. Vor allem wollte ich weg von ihm, von Danny Screamer. Superstar. Ich tat so, als ob ich einer von ihnen wäre und redete dummes Zeug. Dabei bewegte ich mich langsam weg von ihnen. Und dann sah ich meine Gelegenheit gekommen. Ich stand auf und begann zu rennen. Hinter mir hörte ich wildes Geschrei. Ich drehte mich nicht um. Plötzlich fiel ich ziemlich unsanft auf den steinigen Boden. Langsam stand ich auf. Vor mir stand ein Typ mit gelben Stiefeln, blauer Lederjacke, braunkarierter Hose und einem Cowboyhut mit Superman vorne drauf. Danny Screamer hatte mir ein Bein gestellt.
„Wo willst du denn hin?“ fragte er mich und lächelte mich mit seinem zahnlosen Mund an. „Wer bist du? Was hast du mit mir vor?“. Er blickte in die Sonne, ohne ein einziges mal mit seinen Augen zu blinzeln. „Wie ich schon sagte. Ich bin dein Superstar, dein Erlöser. Für dich, für die anderen. Ich werde euch befreien!“. Er sah mir in die Augen und leise flüsterte er mir zu: „Du wirst schon an mich glauben, Poncher!“. In selben Moment hatten mich die anderen gepackt und zogen mich zurück. Wir gelangten an einen Abgrund. Ich schätzte die Tiefe auf ungefähr vierhundert Meter. Sie hielten mich noch immer fest, als Danny anfing, jene Worte zu uns zu sprechen, welche die letzten in meinem erbärmlichen Leben sein würden. „Freunde, Vertraute! Es ist der Tag der Befreiung gekommen. Wir haben lange warten müssen. Doch seht selbst!“. Er streckte seine Hand zu den Wolken und wie aus dem Nichts erschien über unseren Köpfen ein leuchtendes Etwas, welches sich schnell hin und her bewegte. „Sie sind da!“ schrie uns Danny zu. „Wer ist da?“ fragte ich ihn. Die anderen straften mich mit wildem Geschrei und harten Tritten. „Sie sind da, unsere Befreier!“ schrie Danny. „Springt! Springt meine Freunde. Sie erwarten euch!“. Und einer nach dem anderen von den Kaputten begann, sich in den Abgrund zu stürzen. Nach einigen Sekunden waren nur noch Danny und ich übrig. „Was ist, Poncher?“ fragte er mich. Ich sah hinunter. Ich sah die zerschmetterten Körper. Als ich nach oben blickte, war das Licht verschwunden. „Was für eine Show ziehst du hier ab, Danny?“ wollte ich wissen. „Es ist keine Show. Es ist die Wirklichkeit. Die anderen haben ihre Erlösung gefunden. Sie sind frei von Schmerz und Elend. Frei von Verpflichtungen und Ängsten. Sie haben die Grenze überschritten. Sie sind in einer Welt voller Freude und Liebe. Und jetzt laß uns springen!“.
Vielleicht waren es diese Worte, vielleicht hatte er mich hypnotisiert, aber er und ich sprangen. Vierhundert Meter tief in den Abgrund. Bemerkt habe ich den ganzen Beschiß, als Danny seinen Fallschirm öffnete. Ich Arschloch! Gleich bin ich tot. Und ich frage mich, wie hat er das mit den Schmerzen gemacht? Ich Arschloch!
Er war ganz unauffällig gekleidet, ganz in grau, als er in der Stadt ankam. Ungewöhnlich war nur, daß er einen Fallschirm bei sich trug. Diesen stopfte er in die erste Mülltonne die er sah. Dann besorgte er sich eine Wohnung und zahlte fünf Raten im voraus. Die erste Nacht schlief er noch. Doch schon am nächsten Tag war er auf der Suche nach kaputten Seelen, denen er Erlösung versprechen konnte...
Ende
copyright by Poncher / SV / 1999