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Dann war nichts mehr

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06.09.2012
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Dann war nichts mehr

Schon früher war sie ab und an mitten in der Nacht aufgewacht. Plötzlich, unvermittelt, mit pochendem Herzen. Doch heute Nacht hatte sie nicht damit gerechnet, zu sanft war der Schlaf gekommen. Vielleicht hatte sie ja geträumt? Konnte das sein? Träume konnten niederschmetternd sein, das wusste sie aus eigener, bitterer Erfahrung, und sie wünschte sich, auch dieses Mal schnell den Grund des Erwachens in langsam verblassenden Erinnerungen an grauenhafte Traumbilder zu finden. Sie suchte nach ihnen. Sie mussten da sein, diese Traumfetzen. Früher, als sie noch mit ihr zusammenlebte, ja damals hatte es auch andere Gründe gegeben. So war das eben, wenn man seine Wohnung mit einem anderen Menschen teilte. Doch nun lebte sie allein, die Beziehung hatte sich heimlich aufgelöst, wie das halt passierte mit der Liebe. Man passte nicht auf, und sie verging, verwandelte sich. Verlor sich irgendwo auf dem Weg, den man doch zusammen gehen wollte. Von dem der andere immer behauptet hatte, ihn gemeinsam gehen zu wollen. Ja, so war das eben. Aber sie hatte sich geschworen, mit diesen sinnlosen Gedanken an das, was hätte sein können, aufzuhören. Es brachte ja doch nichts. Alles, was zählte, war, dass sie nun allein lebte. Mit diesen Albträumen, die sie hochschrecken ließen, fast jede Nacht. So wie heute wieder, dachte sie. Und dieser Traum schien so schrecklich gewesen zu sein, dass ihr trauervernebeltes Hirn jede Erinnerung daran verweigerte. Selbstschutz, dachte sie.
Etwas setzte sich auf die Bettdecke.

Nun war es nicht so, dass sie etwas Vergleichbares noch nie erlebt hatte. Sie war Klarträumer gewesen, solange sie sich erinnern konnte. Und es war ihr schon immer schwer gefallen, diese irrationale Angst vor dem dunklen Grauen, die mit der Schlafstarre des Körpers kam, gezielt zu überwinden. Die Bücher, die sie sich zu dem Thema besorgt hatte, halfen auch nur dürftig. Kam der Schlaf und überwältigte den Körper vor dem Geist, dann verlor sie ihren Körper, war dem Unbeschreiblichen, was da kommen würde, hilflos ausgeliefert. Jede Nacht. Daran konnte auch halbesoterisches Geschreibsel nichts ändern, wie sie bald lernen musste. Manchmal fragte sie sich, ob diese „Experten“ überhaupt wussten, wovon sie da redeten. Klarträume begannen stets mit dem puren Grauen. Todesangst. Tonnenschwerer Körper. Ausgeliefertsein. So wie jetzt. Aber irgendetwas war anders…und dann begriff sie.

…das ist kein Traum! Sie war der Ohnmacht nahe. Panik und Schockstarre. Ihr Herz raste, ihre Angst wuchs mit jedem Atemzug, den sie zu unterdrücken versuchte. Es bewegte sich. Oh Gott, es bewegte sich und - kam näher. Berührte ihr Knie. Zu allem Überfluss gewöhnten sich ihre Augen nun langsam an die Dunkelheit. Bewegung. Abartige, surreale Bewegungen. Hatte es gerade ihren Oberschenkel berührt? Sie konnte nicht klar denken. Nicht viel. Außer Angst. Und einen kurzen, glasklaren Wunsch, der die metallene Angst in einer eisigen Explosion durchstieß. Bitte…bitte mach, dass es schnell vorbei ist!

Ohnmacht hatte sie immer geängstigt. Der normale Mensch war im Laufe seines Lebens vielleicht ein, zwei Male das, was man „der Ohnmacht nahe“ nannte; sie jedoch kannte das Gefühl nur zu gut. Die Angstattacken, die das plötzliche Alleingelassenwerden mit sich brachte, kulminierten jedes einzelne verdammte Mal in einem Fast-Abgleiten in Bewußtlosigkeit, ein Umstand, der ihre Hausärztin faszinierte, denn: sie selbst war es, die ihren Herzschlag quasi zum Stillstand atmen konnte. Herzfrequenzmodulation durch Atmung. So nannte das ihre Ärztin, und als diese es damals das erste Mal erwähnt hatte, da legte sich der Glanz der wissenschaftlichen Faszination auf ihre Augen. Diesen Ausdruck würde sie nie vergessen. Aber an all das dachte sie jetzt nicht, alles, was sie wollte, war: weg hier. Und sei es in die Ohnmacht.
Es atmete. War es Atmen? Was war das für ein Geräusch? War es vielleicht ihr Blut, das ihr Herz einer Pressluftpumpe gleich in den Kopf jagte? Nein…nein, das war etwas wie Atmen. Röcheln. Röchelndes Atmen. Oh mein Gott! Sie schloss die Augen; die zuckenden, surrealen Bewegungen verursachten ihr Übelkeit. So konnte sich doch niemand bewegen! Sie würde sich übergeben müssen. Sie wollte das nicht länger sehen. Sie wollte nicht noch mehr sehen. Sie wollte gar nichts mehr sehen. Wäre sie doch nur nicht alleine. Das würde doch alles nicht passieren, würde sie jetzt neben ihr liegen. Sie würde ihr vergeben. Alles. Wäre sie doch nur hier. Sie war immer wie ein Schutzengel gewesen; in den Jahren, die sie gemeinsam einschliefen, war die Starre nicht ein einziges Mal gekommen. Sie hatte dem Grauen ein Ende gesetzt. Wieso war ihr das vorher nie aufgefallen? Wieso hatte sie sie verstoßen?

Den unaussprechlichen Träumen - den dunklen Gedanken-, die sie auch am Tag beherrscht hatten, war vor drei Jahren ein jähes Endes gesetzt worden, in einer Form, die sie so nie erwartet, deren bloße Existenzmöglichkeit sie stets verlacht hatte. Wie viele Stunden hatte sie auf irgendwelchen Partys verbracht, die anderen Frauen beobachtend, wie sie an etwas hingen, das sie selbst stets müde belächelt hatte. Liebe des Lebens. Dass sie nicht lachte. So etwas gab es nicht, und jeder, der seine Zeit damit vergeudete, sich für einen anderen selbst zu beschneiden, dem war nicht mehr zu helfen. Punkt. - Und dann ging die Tür auf, und es kam eine Frau herein, die sie eines Besseren belehren sollte. Wie das halt ist im Leben, dachte sie. Die Erinnerung schmerzte. Erinnerung an plötzliches Licht und Glück und stilles Miteinandersein. Erinnerung an das laute Lachen, das sie manchmal überkam, diese Explosion der Lebensfreude, die sie jedes Mal wieder total umwarf, eine Freude, die sie schon bald mitnahm, wie ein wundervolles Segelboot, das plötzlich aufgetaucht war mitten im Ozean und sie gerettet hatte von ihrem Floß, auf dem sie getrieben war, so viele Jahre. Nun schwamm sie in diesem Erinnern. Sie schwamm, als sei es das letzte Mal. Es war so warm und schön. Und wie sehr sie sich wünschte, alles rückgängig machen zu können. Denn nun kamen die Bilder des Betrugs und Mißtrauens. Man hatte sie verletzt; der Mensch, der sie gerettet hatte aus dem Grauen, war schwach geworden, und plötzlich war sie wieder da gewesen, die Dunkelheit. So schwarz. Keine Hoffnung mehr. Damals war sie sich sicher: vergeben könnte sie es ihr nie, sie brauchte sie nicht mehr; zu tief saß der Schmerz.

Und nun lag sie hier in Todesangst und wünschte sich nichts mehr, als dieser Frau, der Frau ihres Lebens, sagen zu können, dass sie falsch gelegen hatte. Denn sie brauchte sie. Immer noch. Immer. Und sie wünschte sich, dass dieser Spuk bitte endlich! ein Ende hatte, und sie würde zum Telefon gehen, sie würde sie anrufen und ihr vergeben, ihr endlich sagen, dass sie sie liebte, sie würde die Worte endlich sagen können, denn sie waren wahr, sie waren es immer gewesen, sie war nur blind gewesen vor Selbstverliebtheit, zu groß ihre Angst, Verletzlichkeit zu zeigen. Die Gedanken beruhigten sie, und sie dachte, Ich werde nicht bis morgen warten, ich werde es jetzt tun, sie wartet doch, sie sagt mir immer, sie warte auf mich, und ich werde sie um Verzeihung bitten dafür, dass ich so blind war, ich muß es tun, jetzt, oh…Gott…was habe ich getan…-
Es ist zu spät“, sagte die Stimme. Es war das letzte, was sie hörte.
Und dann war nichts mehr.

Zwei Tage vergingen. Der Mann, der nun in ihrem Schlafzimmer stand, arbeitete konzentriert, öffnete diese Schublade, dann jene. Der Stapel Fotos, der noch einige Stunden vorher über das ganze Bett verstreut gelegen hatte, war längst ordentlich gestapelt, verpackt und beschriftet. Er überprüfte noch einmal, ob man auch nichts übersehen hatte. Alles schien in Ordnung, auf seinem Platz. Nur mit den Flecken würde man noch seine Mühe haben. Oh Gott, die arme Mutter. Er schluckte.
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Ein junger, blonder Mann warf einen stechend blauen Blick in den Raum, sein Blick wanderte, bis er seinen Kollegen fand, der nun am Fenster stand und etwas in seinen Notizblock schrieb. Dieser schien den Blick zu spüren und schaute auf.
„Und? Was war’s?“ fragte er, den Blick wieder auf sein Notizbuch senkend.
„Klassisch. Barbiturate und Alk. Keine Auffälligkeiten soweit“, erwiderte der junge Kollege. „Hast du noch was gefunden?“ Sein Blick fing wieder an zu wandern.
„Nein.“ Er unterbrach seine Notizen und atmete hörbar aus. „Kein Anruf, kein Brief, nichts. Sie hat es wirklich ernst gemeint.“ Ihre Blicke trafen sich. Er schluckte. Es war das erste Mal für ihn.
„Damals an der Uni kannte ich mal eine“, erzählte der junge Mann, der nun am Bett stand, „die hat das Gleiche gemacht, auch Schlaftabletten. Beziehungsstress. Vorher hat sie aber noch ihren Freund in Schönefelde angerufen. Den Wenger von der Bereitschaft, kennste doch. Alles noch rechtzeitig, Magen ausgepumpt und so. Ihre Schwester hat mir später erzählt, der Psychologe hätte gesagt, es wäre eine Art Hilferuf gewesen. Dass sie gefunden werden wollte. Dass sie gar nicht wirklich sterben wollte. Dann hat sie ‘ne Therapie gemacht, und es ging aufwärts. Haben sie letztens getroffen, bei der Weihnachtsfeier der K11. Ist alles noch mal gut ausgegangen.“
„Ja“, erwiderte der Mann am Fenster. Er erinnerte sich an die junge Frau, die die ganze Feier über nicht von Wenger gewichen war. Er folgte seinem Kollegen zur Tür. Mit einem letzten Blick in den Raum seufzte er: „Für manche Menschen gibt es wohl tatsächlich keine Hoffnung mehr.“

 

Hallo Purersternenstaub

Wie mir aufgefallen war, ist deine Erste im Sternschnuppenregen von neuen Geschichten anscheinend von den Kommentatoren bisher unentdeckt geblieben. Also betrachte ich es mir und vertraue dir meine Meinung als Leser an.

Du machst hier einen Sprung über die Esoterik, denn um nichts anderes handelt es sich bei solcherart behauptete Formen luziden Träumens meines Erachtens, um einen Suizid zu begründen. Ich ziehe mal den Rückschluss daraus, dass du damit die Orientierungslosigkeit und auch das mögliche Gefahrenpotential welches von abstrusen Glaubensvorstellungen ausgehen kann, aufgreifen willst. Ganz glücklich finde ich diese Thematik aber nicht, ist es doch eher schwierig solches zu verarbeiten, und zugleich die notwendige Distanz zu wahren. Dennoch halte ich dir zugute, dass du es nicht zu sehr übertreibst in der Darstellung.

Was mir auch weniger gelungen scheint, ist die Erzählform. Es ist da lediglich eine auktoriale Erzählstimme, die spricht, die Prota. und ihre ehemalige Geliebte treten nur indirekt auf.

Teilweise sind unpräzise Formulierungen vorhanden, die ich nachfolgend jedoch nur punktuell festhielt. Du solltest den Text auf solche Schwächen nochmals durchsehen.

Doch heute Nacht hatte sie nicht damit gerechnet, zu sanft war der Schlaf gekommen.

Der Einstieg gefällt mir an sich, er lenkt gleich auf ihre innere Unruhe hin, kommt direkt zur Sache. Doch bei obenstehendem Satz zögerte ich, obwohl er sympathisch klingt. Wenn sie ausnahmsweise ohne hin und her wälzen eingeschlafen war, konnte sie den Gedanken erst nach dem Erwachen haben. Dies müsste klarer zum Ausdruck kommen.

und sie wünschte sich, auch dieses Mal schnell den Grund des Erwachens in langsam verblassenden Erinnerungen an grauenhafte Traumbilder zu finden. Sie suchte nach ihnen. Sie mussten da sein, diese Traumfetzen.

Das ist ja furchtbar, die Prota. will schreckliche Traumbilder aufleben lassen? Normalerweise bemüht ein Mensch sich, solche zu vergessen. Es schiene mir da glaubhafter, dass eben Erinnerungsfetzen durchdringen.

Früher, als sie noch mit ihr zusammenlebte, ja damals hatte es auch andere Gründe gegeben.

Das ihr ist mir zu unpersönlich, zumindest einen Namen wünschte ich mir da. Dies gilt auch für die Prota. selbst.

Doch nun lebte sie allein, die Beziehung hatte sich heimlich aufgelöst, wie das halt passierte mit der Liebe.

Wie kann das passieren, dass sich eine Liebe heimlich auflöst? Erfährt niemand anders davon, denke alle Bekannten sie sind noch ein Paar? Normalerweise ist es doch eher so, dass Liebe sich als illusorisch erweist oder langsam davonschleicht, wodurch die Beziehung in die Binsen geht?

Ein junger, blonder Mann warf einen stechend blauen Blick in den Raum, sein Blick wanderte, bis er seinen Kollegen fand, der nun am Fenster stand und etwas in seinen Notizblock schrieb.

Ich hatte zwischendurch nicht mehr festgehalten, was mir an den Sätzen nicht so glücklich formuliert schien. Doch hier, war es mir doch zu absonderlich, zumindest das Blaue würde ich streichen.

„Klassisch. Barbiturate und Alk. Keine Auffälligkeiten soweit.“, erwiderte der junge Kollege.

Barbiturate sind seit Jahrzehnten aus frei zugänglichen Schlafmitteln verbannt. In welchem Jahr soll denn die Geschichte spielen?
Und nach soweit kannst du den Punkt löschen, da der Satz nach Schlusszeichen für die direkte Rede und dem Komma ja weitergeht.

Rückblickend finde ich es mutig, ein Thema so zu verarbeiten. Wobei Geschichten über Suizid, sind nicht das, was die Leser besonders anspricht, wobei du durchaus einen nicht alltäglichen Hintergrund dazu geschaffen hast.

Ich habe es nicht ungern gelesen, doch vermag es mich durch das zu Abgehobene auch nicht zu begeistern.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber Anakreon,

ich danke dir sehr für deine Anmerkungen.
Und: so wie es aussieht, scheine ich einen unglückliche Hang zu eben solchen Formulierungen zu haben.

Du machst hier einen Sprung über die Esoterik, denn um nichts anderes handelt es sich bei solcherart behauptete Formen luziden Träumens meines Erachtens, um einen Suizid zu begründen. Ich ziehe mal den Rückschluss daraus, dass du damit die Orientierungslosigkeit und auch das mögliche Gefahrenpotential welches von abstrusen Glaubensvorstellungen ausgehen kann, aufgreifen willst.

Das ist interessant, denn das wollte ich überhaupt nicht. Es ist mir bewußt, daß die Mehrheit der Menschen keinerlei Erfahrung mit hypnagoger Schlafstarre und den entsprechenden Halluzinationen haben. Auch Klartäume werden - wenn - esoterisch verzerrt. Es ging mir gar nicht darum, meiner namenlosen Prota. abstruse Glaubensvorstellungen zu unterstellen, im Gegenteil. Es sollte ihre depressive Art hervorgehoben werden, die durch die selbst herbeigeführte Trennung wieder unvermittelt zuschlägt. Die Prota. tötet sich nicht etwa wegen der Träume und den damit verbundenen Bildern/Gefühlen, sondern einzig und allein der Trennung wegen.
Vielleicht sollte ich die Schlafstarren-Passage ganz heraus nehmen? Ich will jeden Eso-Geschmack verhindern.

Das ihr ist mir zu unpersönlich, zumindest einen Namen wünschte ich mir da. Dies gilt auch für die Prota. selbst.

Da war ich mir auch unsicher. Ich werde der Freundin dann lieber doch einen Namen geben.

Meine Antwort muß leider sehr kurz bleiben, da ich eigentlich schon längst auf dem Weg in den schönen Westerwald sein sollte. :-/
Ich werde die Geschichte aber noch einige Male durchgehen und deine Anmerkungen beherzigen.
Etwas Wichtiges habe ich aber schon jetzt gelernt:
Schließe niemals induktiv von dir selbst auf alle Anderen. Das führt nur zu Mißverständnissen.

Ich danke dir, Anakreon.

Liebe Grüße,
Purersternenstaub

 

Hallo Purersternenstaub,

und Willkommen im Forum!

Aus meiner Sicht, hat Dein Erstling hier zwei Schwächen, die man sehr oft bei Erstgeschichten liest.

1. Themenwahl - Selbstmord
2. einen sehr präsenten Erzähler

Zur Themenwahl. Irgendwie scheint Selbstmord eine Faszination auszuüben, so dass sich jeder Zweite in seinen Erstlingen daran versucht. Deshalb ist man hier nach einiger Zeit auch ziemlich übersättigt von diesem Thema. Im Gegenteil zu den Vorbildern, die man so aus der Literatur hat, da gibt es kaum Autoren, die sich diesem Thema heute noch widmen. Das hat seinen Grund, weil, einen Selbstmord literarisch interessant zu verpacken und ihn für den Leser als einzigen Ausweg für eine Person zuzulassen, da sind schon eine Menge Können und Psychologie gefragt. Das ist super schwer.

Viel wichtiger erscheint mir aber Punkt zwei, wenn ich Deinem Profil glauben schenken kann und Du Dich hier angemeldet hast, um zu lernen.
Eine Faustregel beim Schreiben besagt: zeigen, nicht erzählen. Wenn Du Dir deine Lieblingsbücher mal zur Hand nimmst, wirst Du schnell erkennen, das kein wertender, beschreibender Erzähler darin auftaucht. Das es keinen Erklärer gibt, sondern, dass man all diese Aufgaben heutzutage dem Leser überlässt. Die Autoren zeigen ihre Figuren durch Handlung, Dialoge, Gedanken, was auch immer. Und der Leser wird dann aktiv eingebunden, weil er sich selbst ein Urteil dazu machen muss. Er wird sozusagen aktiv mit in die Geschichte eingebunden und dadurch erlebt er sie.
Szenische Darstellung, Kopfkino erzeugen. Das ist weitaus schwieriger, als einen Erzähler die Geschichte erzählen lassen. Aber es ist das Grundwerkzeug, was man heutzutage benötigt.
Das klingt jetzt sehr theoretisch, ich versuch es mal, anhand Deiner Geschichte zu erklären.

Schon früher war sie ab und an mitten in der Nacht aufgewacht. Plötzlich, unvermittelt, mit pochendem Herzen. Doch heute Nacht hatte sie nicht damit gerechnet, zu sanft war der Schlaf gekommen. Vielleicht hatte sie ja geträumt? Konnte das sein?

Könnte im show so aussehen:

Sie saß im Bett. Die Hände feucht und ihr Herz schlug im Techno-Beat. Schnell und flach ihre Atmung. Geträumt, dachte sie. Ich hab doch nur geträumt, wollte sie sich beruhigen.

Träume konnten niederschmetternd sein, das wusste sie aus eigener, bitterer Erfahrung, und sie wünschte sich, auch dieses Mal schnell den Grund des Erwachens in langsam verblassenden Erinnerungen an grauenhafte Traumbilder zu finden. Sie suchte nach ihnen. Sie mussten da sein, diese Traumfetzen.

Das kennt jeder Leser. Solche Einschübe, in denen dem Leser nix Neues aufgetischt wird und die nur ihrerselbstwillen im Text stehen, weil sie auch die Handlung nicht vorantreiben - da liest man fix drüber und sucht mit den Augen die Stelle, wo es weiter geht. Also, wenn sie vielleicht auch schön und wahr sind, der Leser geht drüber weg. Könnte man auch gut drauf verzichten ;).

Früher, als sie noch mit ihr zusammenlebte, ja damals hatte es auch andere Gründe gegeben. So war das eben, wenn man seine Wohnung mit einem anderen Menschen teilte. Doch nun lebte sie allein, die Beziehung hatte sich heimlich aufgelöst, wie das halt passierte mit der Liebe. Man passte nicht auf, und sie verging, verwandelte sich. Verlor sich irgendwo auf dem Weg, den man doch zusammen gehen wollte. Von dem der andere immer behauptet hatte, ihn gemeinsam gehen zu wollen.

Und hier fängt die Arbeit des Autors an. Leser wollen genau die Geschichte hören. Das zu Verallgemeinern hat keinen Wert. Aber - die Geschichte der beiden Frauen, wie sie zusammen kamen und sich wieder auseinanderlebten, das ist individuell. Das unterscheidet die beiden von Tausend anderen. Das würde Deine Geschichte von tausend anderen unterscheiden. Und das ganze eben szenisch anlegen. Nur die Figuren handeln und reden lassen. Das ist viel Arbeit - aber der Leser liebt es. Achte mal darauf, wenn Du demnächst ein Buch liest.

Und so weiter und so fort. Ich denke, die Geschichte hier zu überarbeiten, das ist ne Menge Arbeit und am Ende wäre es eine ganz andere Geschichte.
Ganz ehrlich, ich würde mir ein neues, dankbares Thema nehmen und es daran versuchen.
Um aber nicht nur Kritik zu üben:
Dieses abstrakte Etwas, was da über ihr Bett kriecht, die Stelle mochte ich. Ich hätte nur gern eine genauere Vorstellung davon bekommen, ein genaues Bild, wie es sich für sie anfühlt, was sie da glaubt zu sehen, als das auch der Erzähler sich in abstrakten Andeutungen aus der Affäre zieht.

Sprachlich finde ich den Text nicht schlecht. Und ich denke auch, dass Du eine Stimme gefunden hast, mit der man toll erzählen kann. Ich glaube, hier lohnt sich Mühe und Ehrgeiz. Und Zeit. Aber die müssen sich alle ans Bein binden. Ich sag Dir, ich will nicht wissen, wie viele Strümpfe ich schon hätte stricken können :D.

Und noch ein bisschen off-topic:

Du hast ja meine Geschichte kommentiert und das war jetzt für mich auch der Grund, hier bei Dir vorbeizuschauen. So halten es viele der Aktiven. Wer bekommen will, sollte auch geben wollen. Von daher, guter Einstand :).

Liebe Grüße und bis zur nächsten Geschchte
Fliege

 

Liebe Fliege,

vielen Dank für die lieben Willkommensworte. :-)

Ja, du kannst dem, was in meinem Profil steht, ruhig Glauben schenken. Ich bin hier, um ehrlich und offen kritisiert zu werden. Und das hast du getan, wofür ich dir danken möchte.

In diesem ersten Text habe ich sehr viele Fehler gemacht. Das wird mir nun sehr deutlich bewußt.
Ich darf nie erwarten, daß der Leser meine Erfahrungen teilt. Ich darf nie erwarten, daß der Leser gewisse Dinge weiß.
Ich habe den Fehler gemacht, mich über den Leser zu stellen. Ich glaube, das kann verheerend sein.
War es ja auch.

Ich bin deinem Rat gefolgt und habe eine neue Geschichte geschrieben. Diese alte hier werde ich jedoch aufbewahren - als (ein) Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. :-)

Und nun auch hier off-topic:
Daß du deinen Text nach meinem Kommentar geändert hast - das hat mich wirklich sehr überrascht. Weißt du, ich komme mir hier vor wie der frischeste aller Frischlinge, habe auch ein wenig gezögert, dir das zu schreiben...und dann änderst du den Wortlaut. Das war wirklich die Überraschung des Tages. :-)
Du hast mir Mut gemacht.
Danke.

Liebe Grüße
PSS

 

Hallo & herzlich willkommen auch von mir,
liebe(r) Purersternenstaub!

Als ich die Geschichte las, schätzte ich Dich allein wegen des Themas als sehr jungen Menschen ein und war dann über den Irrtum durch Dein Profil eines bessern belehrt worden, denn es ist weniger ein Thema für die mittlere Generation als für die ganz jungen und die Älteren.

Aber nicht nur die ungefähre Altersangabe hat mich überrascht, sondern auch der Migrationshintergrund, wobei ich nicht raten will, ob Deutsch als Fremdsprache erlernt werden musste und Deutsch als Muttersprache unbedingt auszuschließen wäre. Und selbst unter der Prämisse, dass Du Deutsch nicht als Fremdsprache lernen durftest, ist die Fehlerquote vernachlässigbar gering.

Und weil meine Vorredner schon alles gesagt haben, kann ich mich auf das Wenige beschränken. Es sind nämlich exakt zwei Dinge: der gelegentliche Gebrauch des „ß“ – als folgtestu noch der Rechtschreibung des vergangenen Jahrtausends (ich übertreib mal, ’s ist ja kein Mittelhochdeutsch, und das „ß“ wurde erst im 17. Jh. eingeführt) und die Zeichensetzung im Anschluss an die wörtliche Rede – aber allein beim Aussagesatz (ich zeig die drei Fälle an, dann findestu die Stellen gegen Ende des Textes schneller):

„Es ist zu spät.“ sagte die Stimme.
„Klassisch. Barbiturate und Alk. Keine Auffälligkeiten soweit.“, erwiderte der junge Kollege
„Ja.“, erwiderte der Mann am Fenster.

Hier wird der Begleitsatz („sagte/erwiderte …“) der wörtlichen Rede übergeordnet (der Deutsche hat’s halt mit Hierarchien, die sich im Kopf widerspiegeln und somit in die Grammatik gelangen).
Wenn nun nach dem wörtlich wiedergegebenen Text zwischen den Anführungszeichen der übergeordnete Satz folgt oder weitergeführt wird, wird in jedem Fall nach dem abschließenden Anführungszeichen ein Komma gesetzt (was auch, bis aufs erste Zitat, bei Dir erfolgt, also oben ist’s m. E. Flüchtigkeit, wie sie bei jedem vorkommt, auch bei mir).
Träfen nun Frage- oder Ausrufezeichen auf die abschl. Anführungszeichen, werden sie vor dieses gesetzt (was Du auch grundsätzlich getan hast). Dabei hastu nun die Regel dreimal auf Aussageätze angewendet, und gerade beim Aussagesatz fällt der abschließende Punkt unter der Prämisse, dass ein übergeordneter Satz folgt oder folgt, weg.
Endet also die wörtl. Rede mit einem Aussagesatz, wird der Punkt nur gesetzt, wenn kein übergeordneter Satz mehr folgt oder fortgesetzt wird.

Dass Du an sich die Verwendung von s, doppel-s und ß beherrscht, zeigen genug Beispiele in Deiner Geschichte. Vermeiden kannstu diese gelegentlichen Schnitzer, indem Du das Wort sprichst: Silben mit ß am Ende werden lang, mit doppel-s werden kurz gesprochen. Nehmen wir – weil’s so am einfachsten ist – das Verb „müssen“. Steht dort, wie bei Dir

…, ich muß es tun, …,
so wäre das wie ein Regieanweisung, muss wie Mus auszusprechen (Beweis: der Fluss, aber der Fuß). Bei einem weiteren Beleg sprächestu vom Miestrauen
Denn nun kamen die Bilder des Betrugs und Mißtrauens.
was uns in einer gewissen
Bewußtlosigkeit
bewusst zurückließe, aber keineswegs in Hoffnungslosgkeit,

meint der

Friedel

 

Lieber Friedel,

ich danke dir für deine Hinweise, habe sie auch umgesetzt - bis auf...ja, bis auf die (gar nicht mehr sooo) neue Rechtschreibung.
Da wehr' ich mich. Ich halt' gern am Alten fest und geb' nicht viel auf Vereinfachung. Da bin ich sehr Französisch. :-)

Das Thema. Ich weiß.
Manchmal hat man ein gutes Gespräch. Und der Gedanke, der sich hinter dem Gesagten formt (denn er war vorher ja oft noch gar nicht da), der muß dann in eine Geschichte. Heraus kommen dann wohl auch thematische Fehlgriffe, wie mir geschehen.
Und wenn man dann auch noch so selbstverliebt bei sich selbst bleibt, wenn man schreibt - wie ich es tat - dann rauscht man gerne auch volle Kanne am Leser vorbei.

Nun ja.
Ist passiert, geschieht mir hoffentlich kein zweites Mal.
Eure wunderbare Kritik hilft, solche Fehler überhaupt sehen zu können.
Dafür bin ich hier.

Ich danke dir!

PSS

 

Ich halt' gern am Alten fest und geb' nicht viel auf Vereinfachung,
was mir ungemein gefällt,

liebe PSS,

vor allem auch hinsichtlich des "ß", dass man auch schon einmal abschaffen wollte, weil es eines der seltener, wenn nicht sogar das seltenst verwendete Zeichen ist. dabei stilisiert es doch wunderbar das mit dem z schwanger gehende s. Gott sei dank kam dann das SMS-Pidgin mit den 140 Zeichen - und da nimmt das ß halt nur den halben Platz des doppel-s ein.

Aber wegen des Themas brauchstu Dir keine Gedanken machen. Es wird halt bei überwiegend jungen Leuten inflationär gewählt und erreicht eine gewisse Sättigung beim Publikum.

Bis bald sagt der

Friedel

 

Hallo PSS,

ganz abgesehen davon, dass viele glaube, Freitod als Thema sei ausgelutscht oder Ähnliches; ich mag die Geschichte, und ich mag auch das Thema. Ich habe soeben ein Buch von Jean Amery gelesen, "Hand an sich legen", aus den späten 70ern, welches sich ausgiebig mit dem Thema auseinandersetzt, auf jeder erdenklichen Ebene.

Sprachlich gefällt mir das: Bedacht, nicht abgehoben, klar und nüchtern. Diese Phasen der Hypnagogie, die sind gut, und die sollten auch, meiner Meinung nach, drinnen bleiben. Viele Suizidäre sind ja von solchen Phänomene betroffen, ich finde, dann gehört das auch in eine solche Story.

Gerne gelesen.

Gruss, Jimmy

 

jimmysalaryman schrieb:
Diese Phasen der Hypnagogie, die sind gut, und die sollten auch, meiner Meinung nach, drinnen bleiben. Viele Suizidäre sind ja von solchen Phänomene betroffen, ich finde, dann gehört das auch in eine solche Story.

Komisch. Hat doch niemand geraten, die rauszunehmen. Ich bin verwirrt.

 

"Vielleicht sollte ich die Schlafstarren-Passage ganz heraus nehmen? Ich will jeden Eso-Geschmack verhindern"

Deswegen dachte ich, ich erwähne es mal.

Gruss, Jimmy.

 

jimmysalaryman schrieb:
"Vielleicht sollte ich die Schlafstarren-Passage ganz heraus nehmen? Ich will jeden Eso-Geschmack verhindern"

Deswegen dachte ich, ich erwähne es mal.


:idee: Das hast Du gut gemacht!

 

Lieber Jimmy,

ich glaube inzwischen schon, dass der Leser Anknüpfpunkte braucht. Das gilt ja bei jeder Geschichte. Und beim Thema "Suizid" ist eben eine Grenze erreicht, wo ein sogenannter "Gesunder" vielleicht auch gar nicht hindenken will. Das Thema ist grundsätzlich schwer, denk ich.

Als ich damals in meiner ersten Anthropologie-Vorlesung saß, kam mein Prof herein und begann sofort und auf der Stelle alle möglichen Arten und Weisen abzuhandeln, auf die man sich das Leben nehmen kann. Was ist erfolgversprechend, was nicht. Untermalt hat er das Ganze mit entsprechenden pantomimischen Einlagen am Fensterknauf etc.
Bis heute habe ich nicht verstanden, weshalb er das tat. Aber ich erinnere mich an die Gesichter meiner Kommilitonen. Und diese Schockstarre, in die er uns damals versetzt hat. Diese Mischung aus Nein, hör' auf, ich will das doch alles gar nicht hören und Red bloß weiter!
Drei Jahre später haben wir alle mit der größten Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit über die verschiedensten Arten zu sterben geredet. Auch im Privaten. Und das kann auch verstörend wirken. Als Erklärung meiner Art muss ich bis heute Andeutungen in Richtung Eindeutig suizidgefährdet! über mich ergehen lassen.

Ich hatte keine Ahnung, dass dieses Thema ein typisches Anfängerthema ist. Aber damit ja nicht genug. Die Tatsache, dass ich hypnagoge Halluzinationen eingebaut habe, scheint das alles nur noch zu verstärken, der Begriff "suizidgefährdet" steht nur noch größer im Raum.
Und das verstehe ich nun wirklich nicht. Das hat nichts mit Suizid zu tun, es handelt sich einfach um ein hormonelles Ungleichgewicht bei der Einleitung der Schlafphase. Mehr nicht. Ich kenne das, solange ich denken kann. Das hat nichts mit Esoterik zu tun, nichts mit Todessehnsucht. Es nervt oft einfach nur.

Diese Geschichte hier werde ich nicht mehr verändern. Nicht, weil sie es nicht bräuchte, sondern weil ich einfach zu viel ändern müsste, um sie verdaulich zu machen - und am Ende käme dann wirklich eine ganz andere Geschichte dabei raus. :)

Dann lieber direkt 'ne Neue. :)

Freut mich, dass sie dir gefallen hat. :anstoss:

Liebe Grüße,
PSS

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo liebe/r (?!) pss,

deine andere geschichte gefiel mir besser, da spannender. aber auch diese ist nicht ohne reiz. das thema selbstmord empfinde ich nicht als "ausgelutscht". wie kann überhaupt eins der großen themen wie liebe, tod jemals unwichtig werden?! vielleicht ist es gut, ihm etwas völlig neues abzugewinnen. oder zumindest stilistisch zu überzeugen. ob formal oder inhaltlich - etwas muss überraschen.

für mich war das in diesem text eine stelle wie diese

kulminierten jedes einzelne verdammte Mal in einem Fast-Abgleiten in Bewußtlosigkeit, ein Umstand, der ihre Hausärztin faszinierte, denn: sie selbst war es, die ihren Herzschlag quasi zum Stillstand atmen konnte. Herzfrequenzmodulation durch Atmung. So nannte das ihre Ärztin, und als diese es damals das erste Mal erwähnt hatte

diese kleine, spannende erkenntnis hat für manches, was "man vorher irgendwo ähnlich gelesen hat" entschädigt.

ich lerne auch gerne dinge dazu, am liebsten jeden tag und wenn es eine geschichte gibt, in der sich etwas lernfutter versteckt, um so lieber. :)

pe

 

Liebe petdays,

vielen Dank für deinen Kommentar, den ich wirklich und tatsächlich jetzt erst entdeckt habe.

Vielleicht braucht man gewisse Ankbüpfungspunkte und damit einen ebensolchen -willen, um diesem Thema etwas abgewinnen zu können. Ich weiß es nicht. Deswegen freue ich mich, dass du eine Stelle nennst, die dich "entschädigt" hat für all das schon mal Dagewesene. :)
Und du hast Recht, die Themen Liebe und Tod werden niemals ausgelutscht sein - Tod jedoch nur in Hinblick auf die Beschreibung und das Erleben des Todes Anderer, niemals des "eigenen". Ich denke, da ist schon ein großer Unterschied.

Vielen Dank für deine Zeit - und sorry noch mal für die späte Antwort. :shy:

PSS

 

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