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"Danke Kätzchen"
Ich bin jetzt schon fünfzehn Jahre in diesem Job. Ich gehe jeden Tag um sieben Uhr los, damit ich pünktlich um acht Uhr im Büro sein kann. Pünktlichkeit ist mein zweiter Vorname.
Ich heiße Katherine oder Kath, wie mich meine Familie nennt. Freunde habe ich keine, weil der Job all meine Aufmerksamkeit von mir verlangt. So ist das eben, wenn man erfolgreich sein möchte. Vor fünfzehn Jahren habe ich also diesen Job bekommen, weil ich die Beste war. Ich habe einen Master in Management und habe als Beste die Universität verlassen. Damals war ich erst zwanzig Jahre alt. Ich war eine Überfliegerin. Immer fleißig. Immer pünktlich. Ich habe mich dann bei dem größten Unternehmen in meiner Stadt beworben und wurde aufgrund meiner hervorragenden Ausbildung angenommen.
Heute ist ein sehr trüber Tag, als ich in die Bahn steige, um zum Büro zu fahren. Zum Glück finde ich noch einen freien Platz neben einer alten Dame. Überall husten und kröcheln die Menschen um mich herum und ich wünsche, dass die Bahn ein bisschen schneller fahren würde.
Um viertel vor acht hält sie an der Schmiedestraße und ich steige aus. Eisige Luft peitscht mir ins Gesicht und ich ziehe den Schal etwas fester. Um acht Uhr sitze ich an meinem Schreibtisch und mache meinen Laptop an.
"Guten Morgen Frau Rey". Ich schaue hoch und erblicke meinen Chef. Ein großgewachsener Mann mit leichtem Bartwuchs und einer schwarz umrandeten Brille auf der Nase. Die Haare hat er streng nach hinten gegelt und sein Anzug sieht immer aus wie geleckt.
"Guten Morgen Doktor Walter", sage ich und stehe auf.
"Sie können sich gleich wieder hinsetzen", sagt er und wirft einen dicken Ordner auf meinen Tisch. "Das arbeiten Sie in einer Stunde durch. Ohne Fehler, aber machen Sie sich nur keinen Druck". Er geht mit einem gehässigen Grinsen aus meinem verglasten Büro.
Ich verdrehe die Augen und lache über seine dumme Bemerkung. Ehrlich gesagt versuche ich nur so den Druck von meinen Schultern zu lachen, doch das funktioniert überhaupt nicht. Ich werde nervös und packe den Ordner mit meinen zittrigen Händen. Als ich all die neuen Bestellungen und Aufträge auf den Papieren erblicke, packt mich der Ehrgeiz. Öffne einfach deinen Exel Ordner auf deinem Laptop, rechne alles aus und mach keine Fehler! Ich tippe alle Zahlen nacheinander ein und konzentriere mich darauf, nichts falsch zu machen. Bis jetzt ist mir das noch nie passiert, aber ich weiß, was der Chef mit denen anstellt, die schon einmal Fehler gemacht haben. Nach 45 Minuten bin ich fertig und sichtlich stolz. Du hast es noch vor dem Abgabetermin geschafft.. guck nochmal alles durch... hinterher ist ein Fehler drin. Meine Gedanken machen mich verrückt. Ständig stehe ich unter Druck. Um mich zu beruhigen sehe ich kurz aus dem dick verglasten Fenster und beobachte eine Taube, die durch die Luft segelt.
"Na, was gibt's denn da draußen zu gucken ? Hier spielt die Musik!", sagt Dr. Walter laut und tippt auf den Stapel Papier. "Ich bin fertig, Sir", sage ich und versuche meinen Stolz zu verbergen. Offenbar hat er es trotzdem bemerkt. "Kein Grund so aus dem Häuschen zu sein. Wenn Sie nach oben kommen wollen, dann müssen Sie das Doppelte in einer halben Stunde schaffen. Meine Liebe... Sie sind eine ganz kleine Maus". Er lächelt mich mit einem teuflisch herablassendem Lächeln an und sagt im Hinausgehen: "Schauen Sie auf Ihren Laptop".
Ich bin ein bisschen weggetreten von seiner Bemerkung eben, doch die löst nur noch einen größeren Ehrgeiz aus und ich beginne mit der Arbeit, die er mir auf meinen Laptop geschickt hat.
Komm schon Kath, du packst auch das.
Am nächsten Morgen wache ich vom Klingeln meines Weckers auf und erhebe mich ruckartig. Meine Augen sind geschwollen und rot, weil ich gestern noch bis spät in die Nacht gearbeitet habe. Ich mache mich fertig und gehe los.
Die Bahn ist pünktlich und ich steige mit neuer Motivation ein. Heute wirst du es ihm zeigen. Du weißt, dass du das kannst.
Ich steige wieder an der Schmiedestraße aus und laufe die Straße entlang. In meinem Kopf toben meine Gedanken und Ideen und sie vermischen sich mit dem Druck, nicht rechtzeitig fertig zu sein oder Fehler zu machen. Die Kunden warten nicht und das Unternehmen braucht die Aufträge. Schlamperei wird nicht geduldet. Die Gedankenblase schottet mich von dem Leben um mich herum ab. Meine Beine scheinen zu wissen wo es lang geht.
Mein trüber Blick wird von etwas Orangenem durchbrochen. Die Blase löst sich auf und ich kann klar sehen. Ein kleines Kätzchen sitzt in der Mitte der Menschenmasse. Um es herum laufen tausende Menschen hin und her, während sie mit all möglichen Dingen beschäftigt sind. Ich bleibe stehen. Das Kätzchen sieht traurig zu Boden und kauert sich zusammen.
Ein Mann tritt gegen ihren Kopf und das Kätzchen fällt zu Seite. Unbeholfen versucht es sich aufzurappeln. Der Mann hat es gar nicht bemerkt. Ich knie mich hin und helfe dem Kätzchen auf. Bevor ich es berühre, reißt es seinen Kopf herum und sieht mich mit den gelben Augen an. Etwas regt sich in meiner Brust. Ein ganz fremdes Gefühl breitet sich aus und übernimmt die Kontrolle. Ich nehme es auf den Arm und es schmiegt sich an meine Brust. "Na meine Süße.. was machst du denn hier so alleine ?", flüstere ich ihr zu. Ich beschließe es mit ins Büro zu nehmen, auch wenn mein Chef davon wahrscheinlich überhaupt nicht begeistert ist, aber ich kann es auch nicht hier so einfach sitzen lassen. Wie viel Uhr ist es eigentlich ? Ich gehe zügig weiter.
Oben angekommen gehe ich zu meinen Büro und verschließe die Tür. Nur zu dumm, dass hier alles aus Glas ist. Schon kommt mein Chef reingestürmt und das Kätzchen vergräbt sich tiefer in meiner Jacke.
"Frau Rey! Wo waren Sie bitte ? Sie sind fünf Minuten zu spät! Was fällt Ihnen eigentlich ein ? Ich erwarte Pünktlichkeit. Abmahnung!", poltert er und schlägt die Tür hinter sich zu, sodass die Gläser klirren. Ich starre auf die Uhr: 8.05 Uhr.
Ich bin zum ersten Mal zu spät.
Was macht der eigentlich für einen Aufstand ?
Meine Gedanken überraschen mich selbst. Sonst wäre ich sofort hinterher gelaufen und hätte mich entschuldigt. Ich setze das Kätzchen auf den Tisch und stelle meine Tasche auf den Boden. Es schaut mich ehrfürchtig an und tippelt dann über meinen Schreibtisch, bis auf meinen Schoß. Und schon wieder geht die Tür auf.
"Was ist das ?", schreit Dr. Walter und hüpft herum, wie ein aufgeregtes Känguru.
"Eine Katze ?", sage ich und ziehe eine Augenbraue hoch.
"Ja das sehe ich selbst, aber was macht dieses Vieh hier ?", schreit er weiter und tritt näher an mich heran.
"Sie saß unten auf der Straße ganz allein und ich kann sie doch nicht einfach dort sitzen lassen, also habe ich sie mit rauf genommen", sage ich und streichle das Kätzchen, das sich inzwischen auf meinem Schoß eingerollt hat.
"Sie bringen ernsthaft irgendwelche verpesteten Viecher mit hier rauf, nachdem sie zu spät gekommen sind ? Entweder Sie entfernen dieses Vieh oder es landet im Müll. Ein Jammer, dass man im 20igsten Stock nicht die Fenster aufmachen kann!", schreit er weiter und stürmt wieder einmal aus meinem Büro.
Wieso kommt er eigentlich ständig hier rein gelatscht ? Meine Gedanken verwirren mich. Es ist, als wäre ich jemand anderes. Ich schaue es dem Fenster. Das Wetter ist heute ein wenig besser. Wieder fliegt eine Taube vorbei und ich verfolge sie mit meinen Augen.
War ich jemals frei ? Habe ich jemals gelebt ? Was mache ich überhaupt in diesem Büro hier, wo es doch ein Leben außerhalb dieses Raumes gibt ?
Ich schaue mich im Raum um und fühle mich plötzlich unheimlich eingeengt. Kein Fenster geht auf. Keine Blume blüht hier. Und unten.. unten sind Menschen, die in ihrer Blase stecken und nichts bemerken. Ich blicke auf das Kätzchen, das genüsslich schnurrt.
"Du kleines Wunder. Du hast mir mein Leben geschenkt. Du gibst mir die Freude zurück, die ich als Kind verloren habe". Das Kätzchen macht ein Auge auf und es sieht so aus, als würde es mir zuzwinkern.
Ich habe für ein 'Leben' gearbeitet, das gar nicht existiert. Das wahre Leben findet draußen statt. Was bringt mir mein Geld, wenn ich in meiner Blase stecke und alles um mich herum vergesse. Wenn ich die Freude vergesse, wenn ich die Freunde verliere, wenn ich keinen Regen mehr spüre und die Sonne nicht mehr sehe.
Ich packe meine Tasche und nehme das Kätzchen vorsichtig in den Arm. Es ist so klein, dass es in meinem geknickten Arm weiterschlafen kann. Ich reiße die Bürotür meines Chefs auf und bäume mich vor ihm auf. Er beugt sich gerade über den Mülleimer.
"So Sie kleines Arschloch. Nach was suchen Sie da in ihrem Mülleimer hm ? Nach Ihrer Würde ? Nach Ihrem Glück ? Das finden Sie hier nicht! Nicht in diesem Drecksunternehmen! Mir ist alles klar geworden. Sie nutzen die Menschen aus! Sie nutzen die Motivation und den Ehrgeiz junger Leute, um sie runter zu machen und die jungen Menschen machen sich kaputt! Wissen Sie was ? Ich kündige! Das hätte ich schon lange machen müssen!", schreie ich wutentbrannt und besprühe ihn dabei mit Spucke. Er reißt völlig perplex den Mund auf und bringt kein Wort raus.
"Und noch was... das 'Vieh' hat mir die Augen geöffnet und wissen Sie was erbärmlich ist ? Sie. Sie werden nie ein Kätzchen finden, weil Sie herzlos sind und Ihre Blase so dick ist wie diese Fenster hier!". Das Kätzchen regt sich, hüpft von meinem Arm auf den Schreibtisch und setzt sich auf ein Blattpapier. Nach ein paar Sekunden hüpft es wieder herunter und tippelt mir nach. Dr. Walter sitzt jetzt mit immer noch offenem Mund und einem gelben Fleck auf den Papieren vor seinem Schreibtisch. Es hat ihm die Arbeit vollgepinkelt. Ich schmeiße die Tür hinter mir zu und kann nicht mehr an mich halten. Das Kätzchen scheint mit zu lachen und wir beide steigen in den Aufzug nach unten. Unten, dort wo das Leben wartet.
"Danke Kätzchen, dass du mir mein Leben zurückgegeben hast".