Daniel
Er war müde. Resigniert. Wollte nicht mehr sehen. Wankend irrte er durch die illuminierten Gassen. Während er wieder einmal gesenkten Hauptes, die Fragmente eines Tages Revue passieren lies, beschloss er sich all dieser leeren Fratzen für immer zu entledigen. Als die Schemen der vorbeiziehenden Herden sich lichteten umspielte ein zaghaftes lächeln sein ansonsten eiskaltes Antlitz. Der laute Knall wies auf das Ende des einsamen Argonauten hin. Ein weiterer Leib, aus dem der Geist gefahren und etwaig in höhere Sphären aufgestiegen ist. Das einzig äußergewöhnliche daran bleibt die Tatsache, das nicht unmotivierte Depression oder Liebe, sondern er selbst die Eskalation verursacht hatte. Dies erklärt auch warum eine Beschreibung seiner selbst von Widersprüchlichkeiten durchzogen ist. Dennoch will ich diesen Schritt wagen. Und berichten das sein Geist von Anbeginn an unfähig war sich der Apathie und Präpotenz einer konsumorientierten Gesellschaft anzupassen. Schon früh, in der als schönsten Zeit des Lebens proklamierten Kindheit, verlor sich sein Sinnen und Streben in gar wunderlichen Phantasmagorien. Doch waren diese, so will man glauben, nicht Ausflüge in ein berauschendes Utopia, sondern ins Purgatorium der Seelen. Er war schlicht unfähig abzuschalten, sich treiben zu lassen, seine begrenzte Zeit in gelenkte Bahnen zu führen um, zumindest vor sich selbst, irgendetwas vorweisen zu können. Weder politische noch persönliche Ambitionen waren der Grund dieses Denkens, ja nicht einmal Emotionen die so vielen Menschen anhaften. Hypothesen im nach hinein zu stellen mag sinnlos erscheinen aber vielleicht hätte man ihm helfen können. Um den Pathos und ein gewisses maß an Subjektivät zu wahren sei sein Name, Daniel erwähnt. Für Daniel war Gott nicht grausam, nicht tot wie Nietzsche meinte, hell und dunkel in allen damit assoziierten Facetten waren ihm unbekannt. Darüber zu stehen war seine Ambition. Allein der als Beispiel herangezogene Polytheismus bestärkte ihn darin. Denn wie sollten 100 und ein Gott existieren können. Eher war all dies ein geglückter Versuch mächtiger Potentaten dem gewöhnlichen Menschen Hoffnung zu geben. Nicht um ihm zu helfen, nein, um die Arbeitseffektivität zu steigern. Wenn sie glauben sie kämen ins Elysium spielen höhere Steuern eine untergeordnete Rolle. Und was wäre schöner als den Fanatismus in ihren Herzen zu erwecken, damit sie mit den Bannern des Krieges in ferne Länder einfallen um territoriale Ansprüche stellen zu können. Er verurteilte sie nicht, es amüsierte ihn eher und, was ihn sicher noch früher in den Suizid getrieben hätte, dadurch das er sich über sie stellte machte er sich zu Gott. Welch Farce. Das einzige was ihn neben solch freigeistlichen Ergüssen befriedigte war die Observation. Wie Alkohol und Hormone, Geld und dessen Macht, Macht und Liebe, all die schönen Dinge, für ihn nur Worte, Schicksal spielten. Da fanden sich Herzen, wurden zerrissen, implantiert oder schlichtweg nicht benutzt. Hier flehte jemand um Verständnis, dort wurde ein grauenhaftes Verbrechen verübt und anschließend gesühnt oder vergeben. Je nach persönlichem Kalkül. Auch die Tatsache das eine kleine, ehemals flache, dann runde Plattform als Theater mit menschlichen Requisiten dient, lies ihn in seinen schwachen Momenten schallend auflachen. „Das“ prustete er, „auch noch jedes Atom im Leib eines jeden auf diesem Planeten in der Milchstraße aus dem Teil einer Galaxie im Universum auch noch die Keckheit besitzt positiv oder negativ zu sein“, war eine seiner liebsten Überlegungen. Nun liegt es nahe zu glauben er wäre einsam, allein, von der Welt verlassen gewesen, doch nein, nein so stereotyp konnte Daniel einfach nicht sein. Er hatte Freunde, ja sogar Sex, nur, ja, er betrachtete es nicht als solches. Er sah es eher als angewandtes lernen, die Praxis auf Unmengen von Theorien. Beispielsweise war da dieses eine Mädchen das ihn fast seine Contenance hätte verlieren lassen. Beschämt würde er jetzt bestimmt sagen sie wäre erlogen, doch sie war Realität. So niedlich und intelligent, anschmiegsam und liebevoll, eben eine kleine Rose aus deren Augen der jungfräuliche Morgentau glitzert und deren bloße Präsenz jede noch so harte Patina durchbricht. Schade dass sie keine hatte. Denn solche Menschen tendieren dazu sich durch ihre Menschlichkeit selbst zugrunde zu richten da andere dies perfide ausnutzen. Die inneren Werte zählen, glauben manche. Nur war die zugegebene Attraktivität des aalglatten jungen Mannes der ihre Bande brach, auch eine seiner besten Qualitäten. Innerlich zerfraß es Daniel, die Tatsache das er sich darauf eingelassen hatte, das er nun verletzt und sein Weltbild schwer im wanken begriffen war. Vielleicht war es auch der Anstoß der ihn letztlich den Abzug drücken lies. Alles hatte er begriffen, kategorisiert, in sich aufgesogen. Und eine der gewöhnlichsten, leichtesten und doch zugleich schwierigsten Emotionen hatte Daniels Welt zum Einsturz gebracht.