Danach
Ich bin tot.
Ich weiß nicht genau wie lange schon. Zeit spielt hier keine Rolle. Es gibt weder Tag und Nacht, noch irgendeine Zeitrechnung. Aber wenn ich schätzen müsste, während ich zurückschaue wo ich eigentlich herkomme, dann denk ich dass es etwa 200 Jahre, vielleicht auch 250 Jahre sein müssten.
Das mag für manche lang sein. Aber wie schon gesagt, Zeit gibt es hier nicht. Mein einziger Anhaltspunkt, zu sehen dass Zeit vergangen ist, ist wenn ich „Angeln“ gehe. Sie nennen es angeln. Die, die schon vor mir da waren. Warum sie das so nennen weiß niemand mehr. Die die es wüssten, die sind nicht mehr hier.
Nein, das hier ist nicht der Himmel.
Ich weiß nicht ob es einen Himmel gibt, das weiß hier niemand. Aber das ist keineswegs die Ewigkeit, nein. Auch hier gibt es Anfang und Ende. Mit dem ersten Tod (wenn es der Erste ist, auch das weiß niemand) kommt hier der Anfang. Auch hiernach wird es etwas geben. Es ist aber kein Tod. Es ist ein Ankommen.
Wir sind auf Wanderschaft. Ich, und viele andere. Wohin weiß niemand. Aber wenn wir unser Ziel erreicht haben werden wir es wissen. Wahrscheinlich werden wir dann aber vergessen, dass wir gewandert sind. So wie alle ihr vorheriges Leben vergessen haben. Nur ich erinnere mich daran. Warum weiß ich nicht. Vielleicht werde ich es irgendwann wissen.
Ich habe es den anderen einmal mitgeteilt. Aber sie interessieren sich nicht dafür. Warum sollten sie auch?
Ich interessiere mich ja selbst nicht dafür.
Das mag sie verwundern, aber ich möchte es ihnen gerne erklären.
Ich habe keinen Körper mehr. Zumindest keinen menschlichen. Alles das, was einen Mensch ausmacht, habe ich nicht mehr. Ich habe niemals Schmerzen. Ich habe keine Emotionen. Das heißt ich spüre weder Freude noch Trauer. Und das ist auch gar nicht schlimm. Es vermisse nichts.
Als ich noch gelebt habe, hatte ich eine Freundin. Ich war noch jung, ich glaube 25. Wenn ich damals daran gedacht habe, einmal ohne sie sein zu müssen, wurde mir Angst davor. Ich wollte so etwas nie erleben. Dann war da dieser Brand. Ich glaube wir hatten eine Tochter. Das Haus brannte, und ich konnte sie und meine Freundin (den Namen habe ich vergessen) noch irgendwie heraus bringen. Ich selbst bin noch einmal zurückgegangen. Fragen sie mich nicht warum, ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls bin ich verbrannt. Dann hab ich meinen Körper verlassen, bin durch einen seltsamen Tunnel geflogen, der voller seltsamer Stimmen und Geräusche war. Schon hier war mir alles egal. Schon hier, habe ich jegliche Menschliche Eigenschaften verloren. Ich sah zurück, und sah meine Freundin und meine Tochter (oder war es ein Sohn?) dort stehen und weinen.
Es war mir egal.
Ich dachte nicht mehr an sie.
Jedenfalls nicht mehr so wie ich es als Mensch getan hab.
Ich bedauere auch nicht den Verlust meiner menschlichen Eigenschaften. Wer braucht die? Der Körper blockiert. Ich bin nicht mehr auf störende Dinge wie Sprache, oder Bewegungen angewiesen. Die Kommunikation verläuft auf anderen Ebenen. Sie ist einfach da. Ohne dass man etwas dafür tun muss. In ihrer Sprache würde man es vielleicht mit Telepathie vergleichen. Obwohl das nicht ganz zutrifft.
Wir haben auch keine Namen. Die brauchen wir auch nicht.
Und wie viele wir sind, kann ich auch nicht sagen.
Vielleicht Millionen. Ich habe keine Ahnung, und es interessiert mich auch nicht. Wir haben alle dasselbe Ziel. Das ist das einzige das etwas bedeutet, irgendetwas zählt. Das Ziel.
Das Ziel ist es immer. Durch den Verlust meines Körpers, durch meinen „Tod“ kann ich auch viel klarer sehen. Verdammt, ich kann überhaupt erst jetzt sehen. Was hab ich mir doch damals alles Gedanken gemacht. Familie, Beruf, Freude, Spaß, weiß der Teufel was noch.
Ich sag ihnen was. Das alles ist völlig irrelevant, völlig egal! Es geht nur um das eine. Nur um das Ziel. Das gilt es zu erreichen.
Und das erste (zweite? Dritte? Hundertste?) Ziel des Menschen, ist der Tod. Punktum. Mehr gibt es nicht. Genauso wie hier. Alles was zählt ist das Ziel.
So, und nun muss ich weiter.
Die anderen warten nicht auf mich.
Sie warten auf niemanden. Sie würden nicht mal auf sich selbst warten.