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Dahingeflossne

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18.02.2003
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Dahingeflossne

Dahingeflossene Zeit

Sie flüsterten ihr leise zu, dass es nun an der Zeit wäre, an der Zeit zu gehen, nach Hause, und sie streichelten ihr über die Haare und klopften ihr auf die Schulter.
Der Regen strömte vom Himmel hinunter und bildete Rinnsäle in der aufgeschütteten Erde, schwemmte kleine Bäche in den Boden.
Regen tropfte auch von ihren Haaren hinunter und wusch ihr die Tränen aus dem Gesicht.
Das Häufchen Erde in ihrer Hand wurde zu Matsch und rann ihr durch die Finger, sie schloss die Faust fester, so als versuche sie, etwas unaufhaltsam Entweichendes festzuhalten.
Sie wollte nicht loslassen, sie konnte nicht loslassen, noch nicht.
Es war noch nicht an der Zeit, nach Hause zu gehen, es war noch nicht soweit.
Der Regen durchdrang ihren schwarzen Mantel, feuchte Kälte auf ihrer Haut.
Sie durfte noch nicht aufgeben, es war noch nicht zu spät, es war nie zu spät, niemals! Es gab immer einen Weg, irgendwie ging es immer weiter. Das war noch nicht das Ende, das konnte es nicht sein.
Sie biss sich auf die Lippen, biss noch fester zu, bis sie Blut schmeckte.
Und wie die Zeit dahingeflossen war, so floss auch die Erde, vom Regen dahingespült, aus ihrer Hand, die eine feste Faust bildete.
Sekunden vergingen, Minuten, Stunden, vielleicht Tage, Zeit spielte keine Rolle.
Die Zeit hatte sich genommen, was sie wollte und nun zählte sie nicht mehr.
Zeit war vergangen, doch die vergangene Zeit zu registrieren war nicht nötig, es war nun nicht mehr wichtig, denn die zeit würde weiterhin vergehen, gezählt oder ungezählt, und sie würde sich weiterhin nehmen, wonach es ihr verlangte, ohne Fragen zu stellen oder zu bitten.
Niemals würden wir die Zeit kontrollieren, sie kontrollierte uns.
Die Erkenntnis brachte Klarheit. Sich zu fürchten war nicht nötig, weil alles kommen würde, wie es vorgesehen war, es hatte alles seinen Sinn.
Aber warum? Warum musste es so sein?
Weil es so war.
So war halt nun einmal das Leben.
Doch erst wenn man losließ, würde man auch selbst nicht mehr gebannt sein.
Sie streckte ihren Arm aus und öffnete ihre Hand, der Regen spülte sie sauber.
Sie neigte den Kopf und murmelte: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“
Dann ging sie nach Hause. Sie drehte sich nicht mehr um.

 

Guten Morgen!
Traurige Geschichte. Das Gefühl hast du aber gut rübergebracht. Bis auf ein paar Gross- und Kleinschreibefehler (etwas unaufhaltsam Entweichendes; Stunde)würde ich nichts mehr ändern!

Alles Gute,
Marana

 

Hallo Puddingbrumsel,

in klarer Sprache stellst Du eine Beerdigungsszene dar. Die Trauer wandelt sich zu Fatalismus („warum mußte es so sein? ... So war- eigentlich `ist´- nun mal das Leben“), doch dann wird Trost in der Religion gesucht („Denn er hat seinen Engeln“).
„weil alles kommen würde, wie es vorgegeben war“ - bezieht sich das nur auf den Tod, oder ist eine allgemeine Prädestination gemeint?
Ich denke, dies ist eine gut geschriebene Geschichte, natürlich findet Trauer auch bei Sonnenschein statt und „loslassen“ ist einfacher gefordert, als vollzogen. Die Beschreibung der Zeit, als diese schwer faßbare, aber alles umfassende Macht hat mir aufgrund der eindringlichen Darstellung besonders gefallen.

Tschüß... Woltochinon

 

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