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Dachgeheimnisse

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14.12.2002
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Dachgeheimnisse

Etwas atemlos erreichte ich die Treppe. Dann blieb ich kurz stehen. Das war wohl ein Fehler. Es griff mir jemand um die Taille. „Ich hab dich, du kleine Schlange“
Ich kicherte. So viel Ausdauer hätte ich Tim gar nicht zugetraut.
Ich versuchte mich wieder loszureißen, aber das lies er nicht zu. Stattdessen fing er an, mich zu kitzeln. Ich wand mich unter lachen.
Dann ließ er wieder etwas locker und ich ergriff spielerisch die Flucht.
Fangespielen im Büro- das konnte man sich wirklich nur leisten, wenn der Chef persönlich mit von der Partie war.
Tim war mein bester Freund, etwas pummelich aber furchtbar nett und romantisch. Ein Homosexueller wie aus dem Bilderbuch.
„Süße ich muss zurück. Was soll ich denn den Kunden sagen?“
„Nennen wir es Mitarbeiter-Motivationstraining. Das wird deine Kunden von dir überzeugen.“ Antwortete ich forsch.
Ich rannte die Treppe ein Stück weiter hoch.
Tim winkte ab.
„Muss los, bis dann!“
Er warf mir einen Luftkuss zu und verschwand im Fahrstuhl.
Ich guckte ich mich um. Ich war schon Jahre in dem Bürogebäude angestellt, aber noch nie bis so weit oben gekommen. Eine Kollegin hatte mir mal verraten, es gäbe einen Zugang direkt auf das Dach. Ich hatte bisher nicht die Zeit gefunden nachzuforschen.
Ich lief die Treppen bis zum Ende herauf und landete an einer Tür. Sie war tatsächlich offen und führte geradewegs auf den Dachboden des Hauses. Die Situation erinnerte mich an meine Kindheit und den „gefährlichen“ Expeditionen auf den Schuldachboden.
Eine etwas klapprige Leiter führte zu einer Luke.
Von Abenteuerlust besetzt kletterte ich herauf und zwängte mich durch die Luke auf das Dach.
Ich war von der Höhe berauscht. Man konnte beinahe die ganze Stadt überblicken. Eine leichte Brise wehte mir um die Nase. Das war es wirklich wert gewesen, hier herauf zu kommen.
Dann sah ich jemanden am Rand des Daches stehen. Ich bekam eine Gänsehaut. War da wirklich ein Mensch, oder täuschten mich meine Sinne?
Ich kam ein Stück näher.
Soweit ich aus der Entfernung erkennen konnte, war es eine Frau. Eine zierliche Person mit längeren, grauen Haaren.
Ich schauderte wieder.
Die Alte auf dem Dach - Das klang wie ein guter Psychothriller.
Die Frau guckte gedankenverloren in die Tiefe. Hatte sie etwa vor zu springen?
Ich stellte mich neben sie.
„Hallo“ flüsterte ich. Meine Stimme schien zu versagen.
„ich weiß, was Sie jetzt denken.“ Antwortete sie mit einer ebenso leisen und gebrechlichen Stimme.
„Ja, ich werde springen. Und Sie können mich nicht aufhalten. Ich habe in meinem Leben nur schlechtes getan. Ich habe beinahe ein anderes Leben verpfuscht. Ich bin es nicht Wert, weiter zu leben“
Ich zitterte. Die Frau wollte sich vor meinen Augen da herunterstürzen. In mir zog sich alles zusammen. Das konnte doch nur ein schlechter Traum sein.
Ich versuchte, sie zum weiterreden zu bringen. Wer erzählt, kann nicht springen. Und irgendwie musste ich Hilfe holen.
„Jeder Mensch ist es Wert zu leben.“ Versuchte ich ihr ins Gewissen zu reden.
Die alte Frau drehte sich nicht um. Sie guckte nur weiter nach unten. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen.
Ich habe nichts mehr zu verlieren, ich habe bereits alles verloren. Meine Tochter, meine Familie und mich selbst. Sie wissen nicht, was ich getan habe. Ich fühle mich so schuldig.“
Erleichtert stellte ich fest, dass sie anscheinend Vertrauen zu mir gefasst hatte und ich hakte weiter nach.
„Was haben sie denn so schreckliches getan?“
„Ich war 23“ sie stockte.
Erwartend guckte ich auf, aber sie wendete ihren Blick nicht von der Tiefe.
„Ich war ganz am Anfang einer Modellkarriere. Ich hatte das, was die Männer sehen wollten und ich genoss ihre Blicke. Um weiter zu kommen musste ich Leistung zeigen. Die Branche war knallhart.
Von einer dieser Leistungen wurde ich dann schwanger. Es war zu spät zum Abtreiben. Ich hasste dieses Kind, welches in mir wuchs. Ich wollte verdammt noch mal berühmt werden. Da war kein Platz für ein Kind in meinem Leben.
Irgendwann bekam ich das Kind zu Hause. Obwohl ich alleine war, meisterte ich die Geburt ohne weitere Probleme.
Am liebsten hätte ich dieses schleimige Ding von mir gestoßen. Aber ich wickelte das Baby in ein paar Decken und versteckte es in dem Gästezimmer.
Dort blieb es auch einige Tage und manchmal wurde mir die Brust zu schwer und ich holte das Kind aus dem Zimmer, um es zu stillen. Dann legte ich es schnell wieder ab.
Ich wollte keine Gefühle für das Baby kriegen oder zeigen. Irgendwann wurden meine Nachbarn auf das Geschrei aufmerksam und ich erzählte ihnen etwas von dem Kind einer Freundin, die öfters zum Besuch war.“
Sie stockte wieder. Mein Herz pochte laut vor Aufregung.
„Sie blieben misstrauisch und dann stand die Polizei vor der Tür.
Sie durchsuchten meine Wohnung und fanden das unterernährte Kind in meinem Schlafzimmer. Ich wurde sofort verhaftet, aber ich war erleichtert. Das Kind war jetzt in guten Händen, das wusste ich.
Ich war zehn Jahre lang im Knast. Zehn ganze Jahre, in denen ich mir ausmalte wie ich es wieder gut machen könnte.
Als ich wieder frei kam, fand ich heraus, dass das Kind in eine Pflegefamilie kam. Ich wusste, ich hatte mir sämtliche Chancen verbaut, das Sorgerecht noch einmal zu bekommen. Ich habe es verloren.
Ich habe alles verloren, was einer Mutter wichtig sein könnte. Damals war ich so jung und so dumm-
Wären die Nachbarn nicht so aufmerksam gewesen, dann wäre ich jetzt ein Mörderin.“
Sie schluckte.
In mir kamen Bilder hoch.
Bilder von einer trügerischen Familienidylle.
„Mama?“ Flüsterte ich.
Sie drehte sich um.
Ich konnte zum ersten Mal in ihr Gesicht gucken. Es waren meine Augen.
Dann sprang sie.

 
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Hi Fanny!

Ich finde Deine Geschichte ganz nett und unterhaltsam - aber defintiv noch ausbaufähig. So wie sie jetzt ist wirkt sie auf mich eher noch wie eine Rohform, die es jetzt zu verfeinern gilt. Die Grundlage dafür hast Du gelegt.
Der Anfang ist gut, er erinnert mich an den typischen Beginn dieser Thriller oder Krimis, wo der Zuschauer im ersten Moment glaubt es passiere etwas Schlimmes, das sich aber dann schnell als harmlos herausstellt. Hier vermutet man leicht eine Verfolgungsjagd o.ä., aber Tim stellt sich als Freund der Protagonistin heraus. Das gefiel mir schonmal.
Die Beziehung zwischen der Erzählerin und Tim fand ich interessant, leider taucht er dann gar nicht mehr auf und sie wird nicht vertieft. Irgendwie erscheint mit Tim somit nur als "Staffage" um nicht sofort zum Kernpunkt der Story vorzudringen. Naja, das ist vielleicht rein subjektive Nörgelei von mir, weil ich angenommen hatte, dass er vielleicht nochmal eine Rolle spielt. ;) Gerade weil er kein 0815-Charakter ist, sondern so hervorgehoben wurde, dass er homosexuell und womöglich genau deshalb so ein guter Kumpel für die Protagonistin ist.

Dann kommt der Höhepunkt mit der Frau auf dem Dach. Die Überleitung ist mir noch zu kurz und zu hastig. Auch alles was danach kommt erscheint vor meinem geistigen Auge wie in einem Zeitraffer; innerhalb von wenigen Augenblicken trifft die Erzählerin diese Frau und lässt sich von ihr ihr verkorkstes Leben erzählen. Vielleicht noch einige Details an dieser Stelle, z.B. die Gedankengänge der Protagonistin, wie verirrt und erschrocken sie ist. Sie könnte an Tim denken und hoffen dass er ihr zur Hilfe eilt, usw. Ich würde diese Situation noch etwas mehr ausschmücken, damit der Leser sich richtig hineinversetzt in diese beängstigende Lage.

Und jetzt zur Pointe: Die ist gut, aber ich steige nicht dahinter, wie die junge Frau so schnell ihre leibliche Mutter erkennt? Sie hat sie zuletzt als Baby "gesehen", oder als sehr kleine Kind, richtig? Danach kam die Muter ins Gefängnis und als sie rauskam war das Mädchen bei einer Pflegefamilie untergekommen.
Mir ist nicht ganz schlüssig, dass die junge Frau so leicht merkt, wer da vor ihr steht. Einzige Erklärung ist für mich: Ihre Pflegeeltern haben ihr erzählt, dass ihre Mutter einst wegen Vernachlässigung zehn Jahre ins Gefängnis kam. Da läge dann auf der Hand, wer die Person sein muss.
Mir fehlen gegen Ende hin einfach noch ein paar Gedankengänge, die zeigen, welche Ahnungen in der Erzählungen aufsteigen, wie sie letztendlich darauf kommt wer dise fremde Frau ist: Intuition, erkennt sie ihre Stimme wieder, erinnert sie sich an die Geschichte was mit ihrer Mutter war - es gibt mehrere Möglichkeiten, was sie schließlich darauf kommen lassen könnte. :-)

Zwei, drei kleine Anmerkungen noch:


etwas pummelig
Das wird deine Kunden von dir überzeugen“, antwortete ich forsch.
Die wörtliche Rede machst Du durchgehend falsch; wenn der Satz noch weitergeht kommt kein Punkt vor die Anführungszeichen, dafür aber dahinter ein Komma und es geht kein weiter. Also z.B.: "Hallo", sagte ich.

Ich plädiere also dafür die Geschichte noch auszubauen. Der Plot an sich ist eine gute Idee für eine Story mit psychischem Horror. :-)

 

Deine Flüchtigkeitsfehler habe ich jetzt mal ganz bewußt überlesen (da sind ein paar, aber die kannst Du ja rauseditieren), denn um auf die einzugehen, war Deine Geschichte von der Wirkung her zu gut. Ich hatte voll das kalte Kribbeln im Nacken, als Du mich mit dem Schluß überrascht hast, und insgesamt hast Du auch echt gut erzählt.
Also gleich mal ein dickes Lob von mir!

LG!
Tanja

 

So, den Tipp hab ich jetzt mal von meiner Prinzessin bekommen, und ich muß sagen: Hut ab!
Als Horrorgeschichte funktioniert dein Text, und bei allen Kleinigkeiten, die noch zu verbessern sind, sind das seit "Das berühmt-berüchtigte erste Mal" schon mal zwei Schritte mit Siebenmeilenstiefeln in die richtige Richtung. Du wirst besser, erzählst schon ganz geschickt, und wenn du weiter so dranbleibst, dann fesselst du demnächst nicht nur ein paar Dutzend Leser :).

Ich bin jetzt jedenfalls neugierig geworden auf weitere Geschichten von dir.

Gruß,
Bo

 

Hallo Fanny!

Die Pointe ist dir gelungen – hätte ich so nicht erwartet. Und daher gefällt mir die Idee, die der Geschichte zugrunde liegt, gut.
Ich stimme zwar Ginny zu, dass man die Story noch ausbauen könnte; unterhaltsam war sie aber wirklich, und das ist ja schon mal was.
Den Titel finde ich gut gewählt; er macht neugierig, und trotzdem ist alles bis zum Schluss hin offen.

Viele Grüße,

Michael :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Fanny,
ich bin der selben Meinung wie Ginny, was die Geschwindigkeit der Geschichte angeht. Die könntest du deutlich verlangsamen und durch mehr Informationen interessanter gestalten.

Die Pointe hat mir auch nicht sonderlich gefallen und wirklich überascht hat sie mich nicht. Auf die Lösung bin ich schon gekommen, als die Frau auf dem Dach plötzlich von einem Kind erzählt hat.
Und es ist wirklich nicht schlüssig, wie die Prog. darauf kommt, dass sie ihre Mutter vor sich stehen sieht.

Und in HORROR finde ich deine Geschichte irgendwie falsch aufgehoben.

Zum Abschluss noch etwas Positives: Deine Sätze sind wirklich klasse formuliert.

Gruß Kev2

 

HAllo Fanny,

Bis "ich war 23", finde ich deine Geschichte sehr gut erzählt. Viel Handlung, es geht spannend und zügig voran, auch der Dialog mit dem Chef überzeugt durch seine Leichtigkeit.

Das Geständnis der alten Mutter ist wie ein Monolog-Klotz, der unbedingt durch andere Dinge (Handlung, eine bestimmte Art zu schauen, sich der Fassadenkante nähern,) unterbrochen werden sollte. So lange Monologe haben immer etwas Unnatürliches, etwas Schwerfälliges, was die Geschichte zu konstruiert wirken läßt. Dass deine Protagonistin am Schluss glaubt, es handelte sich um ihre eigene Mutter kommt zu überraschend. Es gibt vorher nicht den geringsten Anhaltspunkt. Du solltest vorher schon erwähnen, dass sie bei Pflegeeltern aufgewachsen ist und gerne wüsste, wer ihre Mutter ist. So kommt für den Leser alles zu unerwartet.

Auch solltest du unbedingt noch einmal Korrektur lesen, es sind zu viele Fehler noch drin, selbst ein doppeltes Wort an einer Stelle.

Insgesamt gesehen, schreibst du allerdings unterhaltsam und hast eine "angenehme Schreibe".

PE

 

Hallo!
Danke für die ausführlichen kritiken und Lobe.
Habe jetzt den Dialog soweit ausgearbeitet, dass die junge Frau etwas merkt, aer es wird erstmal nicht verraten was.
mfg
Fanny

 

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