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Da habe ich es einfach getan

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16.09.2002
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Da habe ich es einfach getan

Ich sitze auf der Rückbank des Wagens. Der Mann neben mir schaut konsequent auf seiner Seite aus dem Fenster. Er mag mich nicht, obwohl er nichts von mir weiß.
Menschlich!
Man erlebt jemanden in einer einzigen, bestimmten Situation, oder besser, man erlebt das Resultat einer bestimmten Situation, und schon sind die Würfel gefallen. Ich kann es ihm nicht verübeln, er hat Helga nicht gekannt.
Seine Uniform sieht nicht sehr bequem aus. Ob ich ihn anspreche?
Nein!
Von draußen starren mir die Betongesichter der Vorstadthäuser mit gleichgültiger Kälte entgegen. Nur Sekunden, nicht lange genug, um Charakterzüge an ihnen ausmachen zu können. Doch da, die rosafarbene Front. Die überbreite Haustür sieht aus wie ein lachender Mund. Fensteraugen darüber werfen mir unter den halb geschlossenen Lidern aus Gardinenstoff einen aufmunternden Blick zu. Freundlich, warm - unpassend.
Begleitet von Knacken und Rauschen höre ich im Sekundentakt Stimmen aus einem Lautsprecher irgendwo im vorderen Bereich des Wagens. Wie in weiter Ferne in einen Blecheimer gesprochen, unverständlich, nicht für meine Ohren bestimmt.
Die Häuserfronten verschwimmen vor meinen Augen. Ich ziehe mich zurück aus dieser Welt im Wageninneren, die nicht meine ist. Unwirklich, obwohl ich weiß, dass sie real ist.
Helga! Ich komme lieber zu dir. Du bist mir vertraut. Real, obwohl ich weiß, dass du nun unwirklich bist.
Meine leidende Helga. Wer hätte das gedacht? Fast dreißig Jahre waren wir verheiratet. Ziemlich genau die Hälfte meines Lebens habe ich mit dir verbracht. Wie sehr du mein Leben in diesen dreißig Jahren verändert hast! Nicht mit einem Paukenschlag! Eher schleichend, unterschwellig. Aber konsequent.
Du warst so anders als alle Frauen, die ich vor dir gekannt hatte.
‚Tiefgang’ habe ich damals dazu gesagt.
Es waren deine Augen! Ich habe mich verloren in deinen Augen.
In diesen endlosen, grünen Meeren aus Gefühlen! Wenn du mich ansahst, konnte ich darin Schiffe treiben sehen, deren Frachträume gefüllt waren mit Traurigkeit. Erst Jahre später ist mir aufgegangen, dass der Steuermann dieser Schiffe ‚Berechnung’ hieß. Ganz langsam nur war mir klar geworden, dass es nicht melancholische Traurigkeit war, die ich in deinen Augen sah, sondern Leiden.
Ja, Helga, du hast dein Leben lang gelitten. Nicht etwa, weil es dir schlecht ging. Oder weil dich ein körperliches oder seelisches Gebrechen quälte. Nein, du hast gelitten um des Leidens Willen.
Verdammt, Helga, hättest du mich nur ein einziges Mal angeschrien. Wärest du doch einmal keifend hinter mir hergelaufen, wenn ich spät in der Nacht von meinem Schachabend nach Hause kam - welch eine Befreiung wäre das gewesen.
Das hast du nie getan. Du hast gelitten und mein Leben infiziert mit diesem stummen Vorwurf in deinen Augen.
Wie oft habe ich dich gefragt, was mit dir los ist, ob dir etwas fehlt – ob ich etwas falsch gemacht habe? War es hundert Mal, tausend Mal?
Es ist alles gut, hast du mir immer geantwortet. Und dann hast du stets dieses Seufzen ausgestoßen. Dieses Geräusch, dessen Bedeutung du mir all die Jahre vorenthalten hast und das mir im Laufe der Zeit zur grausamen Folter geworden ist.
Ja, Helga, du hast mein Leben, du hast mich verändert. Hast mich in akribischer Feinarbeit zu einem wandelnden schlechten Gewissen werden lassen.
Dann, es ist erst ein paar Jahre her, hast du dich irgendwann dazu entschlossen, die Dosis zu erhöhen. Das Gift, das du mir täglich mit deinen Augen und deinem Seufzen verabreicht hast, genügte dir nicht mehr. Du brauchtest einen zusätzlichen Katalysator.
Welch treffender Vergleich! Ein Stoff, der chemische Reaktionen ermöglicht oder ihre Geschwindigkeit beeinflusst.
Ja, diese nach dem Seufzen hingeworfenen Worte oder auch nur Laute haben bei mir tatsächlich eine chemische Reaktion beschleunigt.
„Ach ja,“ war so ein Katalysator.
„Wie soll es mir schon gehen,“ ein anderer.
Ich habe die chemischen Reaktionen in meinem Körper förmlich gespürt, Helga. Was mich vorher zur Verzweiflung gebracht hat, fing an, mich wütend zu machen. Ich begann, dich anzuschreien nach deinem Seufzen und deinem ‚ach ja’.
Dann hast du mich nur stumm angesehen und noch mehr Schiffe auffahren lassen in deinen Augen. Schiffe, die aufbrachen und ihre ganze Ladung Leid in deine Augen ergossen.
Ich hatte mich isoliert von allem, was vielleicht der Auslöser für dein Leid hätte sein können. Ich bin nicht mehr zu meinem Schachabend gegangen. Das Singen im Kirchenchor, mein liebstes Hobby, hatte ich schon viel früher an den Nagel gehängt.
Ich war nur noch zu Hause bei dir.
Und du gabst mir immer mehr davon.
Heute morgen habe ich wieder einmal versucht, mit dir zu reden. Habe dich angefleht, endlich dein großes Geheimnis zu lüften.
Du hast nur da gestanden und - geseufzt. Und dann hast du gesagt: “Ich ertrage mein Schicksal ohne mich zu beklagen.“
Du hast dich umgedreht und wolltest gehen. Da habe ich dich angeschrien. Habe gebrüllt, dass ich merke, wie ich verrückt werde. Dass du mein Leben ruiniert hast mit deinem verdammten Schicksal.
Du hast mich angesehen und gesagt: “Ach ja, vielleicht wäre es für alle besser, ich wäre tot.“

Da habe ich es einfach getan.

 

Servus Arno !

Unglaublich was du alles ausdrückst in diesen Zeilen. Diese Frau die durch ihre vermeintliche Opferbereitschaft den Mann an sich zu binden sucht. Der Mann der jahre- oder jahrzehntelang wartet, dass sie Emotionen des Aufbegehrens zeigt. Dass sie endlich sagt was sie ihm eigentlich vorwirft. Denn dadurch bekäme er die Möglichkeit sich zu wehren, Dinge richtigzustellen.

Stattdessen gibt sie ihm durch ihr Verhalten ständig das Gefühl an all ihrem Leiden schuld zu sein. Ihre seufzende Mentalität der vom Schicksal Gequälten wird ihr Machtpotential. Er wird zur Marionette ihrer Duldsamkeit bis er die Fäden endlich durchtrennt. Der Weg den er dabei wählt wird ihr die Möglichkeit geben, noch über den Tod hinaus, dieses Schuldgefühl in ihm am Leben zu erhalten. Denn der Moment der Befreiung wird kippen und er bleibt ihr Gefangener.

So lese ich die Geschichte und sie hat mich begeistert, allein schon aufgrund der verwendeten Bildsprache.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

Hallo schnee.eule,

ja, du hast aus der Geschichte herausgelesen, was ich mir beim Schreiben gedacht habe.

Passive Macht über einen Menschen kann schlimmer, nachhängender und auch brutaler sein als eine offene Konfrontation.

Vielen Dank für deinen Kommentar!

Gruß

Arno

 

Hi Arno

Mir gefällt diese Geschichte nicht. Erstens ist sie langweilig, weil man schon nach wenigen Zeilen weiß, wie sie ausgehen wird.
Zweitens finde ich die Sprache nicht gut. Sie ist mit Bildern überladen und passt nicht zur emotionalen Verfassung des Verhafteten.

1. Inhalt:
Ein Mann sitzt in einem Polizeiwagen, weil er, wie der Leser schon nach wenigen Zeilen erkennt, seine Frau getötet hat. Er fängt an zu überlegen und nun wird im restlichen Teil die Beziehung aufgerollt.
Sicher ist es eine schwierige Aufgabe, sich in den Kopf eines Mannes hineinzuversetzen, der gerade zum ersten Mal in seinem Leben ein Verbrechen begangen hat, dazu noch einen Mord. Dass dir diese Aufgabe nicht gelingt, merkt man schon nach wenigen Zeilen:
"Seine Uniform sieht nicht sehr bequem aus. Ob ich ihn anspreche?" Das denkt der wegen Totschlags Verhaftete über den Polizisten neben ihm und verspielt damit jeden Anspruch auf Glaubwürdigkeit.
Unglaubwürdig auch der Mord am Schluss - denn was sollte ihn zu so einer Tat treiben? Er ist im Kirchenchor und Schachverein, also durchaus zu rationalem Denken in der Lage. Sie liebt ihn nicht, ihre Opferhaltung ist nur gespielt, das alles hat er schon lange erkannt - warum verlässt er sie nicht einfach? Er hatte ja immerhin 30 Jahre Zeit einen solchen Entschluss zun fassen. Solcherlei Ehen gibt es sicherlich viele, aber da bringt man sich nicht einfach um - ich erwarte für einen Mord auch eine handfeste Begründung.

2. Sprache:
Irritiert hat mich die Sprache. Sie strotzt vor schiefen Bildern, die dem Text eine gewisse Komik geben, welche aber nicht zur Ernsthaftigkeit des Themas passt.

Es waren deine Augen! Ich habe mich verloren in deinen Augen. In diesen endlosen, grünen Meeren aus Gefühlen! Wenn du mich ansahst, konnte ich darin Schiffe treiben sehen, deren Frachträume gefüllt waren mit Traurigkeit. Erst Jahre später ist mir aufgegangen, dass der Steuermann dieser Schiffe ‚Berechnung’ hieß.
Das ist ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch für ein Bild, das viel zu weit geführt wurde. In einer Satire oder einem hunmorvollen Text wäre es gut aufgehoben, aber hier passt es nicht.

Absurd auch der Vergleich menschlichen Verhaltens mit Begriffen aus der Naturwissenschaft:

Dann, es ist erst ein paar Jahre her, hast du dich irgendwann dazu entschlossen, die Dosis zu erhöhen. Das Gift, das du mir täglich mit deinen Augen und deinem Seufzen verabreicht hast, genügte dir nicht mehr. Du brauchtest einen zusätzlichen Katalysator. Welch treffender Vergleich! Ein Stoff, der chemische Reaktionen ermöglicht oder ihre Geschwindigkeit beeinflusst.
Lachen musste ich auch hier:
Dann hast du mich nur stumm angesehen und noch mehr Schiffe auffahren lassen in deinen Augen. Schiffe, die aufbrachen und ihre ganze Ladung Leid in deine Augen ergossen.
Wie gesagt, die Bilder sind nicht schlecht, ich finde sie sogar einfallsreich, aber sie passen nicht zum Thema. Weil es sich um einen Stilbruch handelt.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan

 

Hallo Quasimodo666,

ich danke dir für das ausführliche Feedback.

Es gibt einige Punkte, die ich anders sehe, aber das muß ja auch so sein, denn sonst hätte ich sie nicht so geschrieben.

Die Tatsache, dass du trotz der Langeweile nach den ersten Zeilen weitergelesen hast, führe ich darauf zurück, dass du an einigen Stellen lachen musstest und zeigt mir, dass die Geschichte ja dann doch auf die eine oder andere Art ihren Zweck erfüllt hat - zu unterhalten! ;)

Gruß

Arno

 

Hi Arno

Es gibt einige Punkte, die ich anders sehe, aber das muß ja auch so sein, denn sonst hätte ich sie nicht so geschrieben.
Diese Betrachtung hat eine gewisse Logik, der ich mich nicht verschließen kann.

Zum Konzept möchte ich noch sagen: Einschlägige Lehrbücher raten von Rückblenden generell ab; der Leser möchte immer wissen, wie es weitergeht, und langweilt sich bei Rückblenden schnell.
Niemals verwenden sollte man Rückblenden in Kurzgeschichten.

Bei dir scheint mir die Rückblende auch nicht Mittel erster Wahl um die Spannung aufrecht zu erhalten. Er hat seine Frau getötet, das weiß ich sofort, und nun möchte ich wissen, was sie mit ihm machen, und fange an schneller zu lesen, damit die Rückblende endlich aufhört - aber leider kommt da nichts mehr.

Die Tatsache, dass du trotz der Langeweile nach den ersten Zeilen weitergelesen hast, führe ich darauf zurück, dass du an einigen Stellen lachen musstest und zeigt mir, dass die Geschichte ja dann doch auf die eine oder andere Art ihren Zweck erfüllt hat - zu unterhalten!
Ja, der Anfang war spannend, wollte schon wissen, was jetzt mit ihm passiert, aber dann ... siehe oben.

mfg

Stefan

 

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