Dämonengeschichten - Einfache Beschwörung, faire Konditionen
Einfache Beschwörung, faire Konditionen
Vielleicht war es Fügung, dass Ralf Dierer ausgerechnet diese Strasse entlang ging und ausgerechnet vor diesem Laden mit der schmutzigen Scheibe und dem kaum ausgeleuchteten Schaufenster stehen blieb, vielleicht war es bloss das, was man Zufall nennt. Vielleicht hatte eine Schicksalsmacht ihre Hand im Spiel, als sein Blick auf dieses orangene Buch mit den metallisch grünen Kreisen fiel, fünf grössere, die um einen kleineren in der Mitte angeordnet waren. Wie auch immer, er war stehen geblieben, sah dieses Buch und war sofort neugierig, er betrat den Laden, der staubig roch, nach etlichen Zentnern feuchtem Papier und den Pilzen, die sich darin eingenistet hatten. Der Inhaber kam aus einem Hinterzimmer, ein älterer Mann, der einen verwahrlosten Eindruck machte und von einem sauren Geruch umgeben war, seiner Stimme hörte man an, dass er nicht oft mit Kunden sprechen musste. Er wollte 50 Cent für das Buch, Ralf Dierer gab sie ihm und bekam das Bucht, er trug es hinaus, ohne hinein zu schauen. Er verkniff es sich hinein zu schauen und ging nachhause. Er war nicht nur neugierig, er hatte dieses Gefühl, dass jeder Sammler kennt, die Ahnung einer Verheissung, diese seltsame Gewissheit, dass er etwas besonderes gefunden hatte.
Das Buch hatte keinen Titel, nirgends stand der Name des Autors, es gab nicht mal einen Hinweis auf den Verlag. Auf der ersten Seite schimmerten die gleichen Punkte wie auf dem Umschlag. Seite drei las sich wie ein Vorwort. Der Autor liess sich über die abendländische Tradition der Dämonenbeschwörung aus und verwies auf vereinfachte Techniken, die jeder Mensch anwenden könnte.
Ralf mochte auf Horror- und Science Fiction-Stories, aber das war offenbar etwas anderes. Es war eine praktische Anleitung zum Beschwören von Dämonen, eine Liste der Regeln, die beide Seite zu befolgen hatten, und die abschliessende Versicherung des Autors, sehr genau zu wissen über was er da schrieb.
Ralf Dierer glaubte nicht an Dämonen. Überhaupt nicht. Er hatte schon allein deshalb nicht vor, sich mit einem einzulassen. Er las titellosen Buch trotzdem, dazu brauchte er nicht mal eine Stunde. In den nächsten Tagen wollte er nicht mehr daran zu denken. Es gibt natürlich Bücher, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen, aber dies sollte nicht dazugehören, fand Ralf. Trotzdem dachte er immer wieder daran, und am Ende der Woche kaufte er Kreide und Kerzen. Den Eisenbarren liess er sich in einer Hinterhofgiesserei am anderen Ende der Stadt anfertigen, diese Anschaffung war recht kostspielig. Als der den Teppich einrollte versicherte er sich, dass er trotz allem nicht an Dämonen glaubte. Er tat das alles nur, um zu wissen, dass dieses Ritual schwachsinnig war.
Mit dem Pentagramm gab er sich grosse Mühe. Er kopierte die Symbole aus dem Buch an die Aussenseite der Linien. Zum Schluss stellte er eine Kerze vor jede Spitze und zündete sie an, dann blätterte er zurück.
Hätte Ralf Dierer sich gestattet, wenigstens ein bisschen an Dämonen zu glauben, währen seinen Vorbereitungen auch gewisse Überlegungen vorausgegangen. So entschied er sich einfach dafür, die Sache jetzt durchzuziehen und entschied sich für eine Beschwörungsformel, die an keinen bestimmten Dämon gebunden war. Als er anfing laut zu lesen kam er sich albern vor, aber er tat es trotzdem. Irgendwie machte es sogar Spass.
Die phonetisch geschriebenen Worte waren nicht leicht auszusprechen, aber er glaubte, irgendwie ein Gefühl dafür zu haben, wie die Silben klingen sollten. Er sprach die Formel dreimal aus, wie es verlangt wurde. Danach fühlte er sich noch alberner. Es passierte genau das, was er erwartet hatte: gar nichts, abgesehen davon, dass er ein dümmliches Grinsen im Gesicht hatte. Er wollte schon aufstehen und die Kreide wegwischen, als doch etwas geschah. Jetzt machte er ein noch dümmeres Gesicht.
Die Luft im Inneren des Pentagramms war irgendwie in Bewegung geraten. Es sah aus, als wäre sie dichter geworden, aber Ralf hatte nicht die geringste Ahnung, wie dicht gewordene Luft auszusehen hatte. Dann begann die Kreide zu leuchten. Erst nur ein wenig, sie war eben ein wenig weisser als sie eigentlich sein sollte, aber dann strömte regelrecht Licht aus den Linien des Pentagramms und der Schriftzeichen, die Ralf aus dem Buch kopiert hatte.
Irgendwas wirbelte innerhalb des Pentagramms herum, etwas, das keine Gestalt hatte, ein Schemen, der sich ausdehnte und dabei ein dumpfes Grollen von sich gab, das langsam lauter wurde. Ein Kreischen kam dazu, das ihm in den Ohren schmerzte, aber sonst passierte nichts. Das Grollen klang ungeduldig. Das Kreischen klang wütend.
Erst jetzt merkte Ralf, dass er etwas vergessen hatte. Er hob den Eisenbarren auf und hielt ihn eine Weile in den Händen. Das Ding war schwer. Er machte einen vorsichtigen Schritt nach vorn und warf den Barren in das Pentagramm. Es hätte hart auf den Boden aufschlagen und die Nachbarn auf den Plan rufen müssen, aber das tat es nicht. Es verschwand einfach. Der Boden zwischen den Kreidelinien war weg.
Im nächsten Moment strömten orangenen und grünen Schlieren in den Raum innerhalb des Pentagramms. Es gab ein unappetitliches Geräusch, dann verwehten die Schwaden und da, wo sonst Ralfs handgewebter Schafwollteppich lag, stand nun ein ausgewachsener Dämon. Ralf vermutete jedenfalls, dass es sich um ein ausgewachsenes Exemplar handelte. Wie die meisten Menschen seiner Zeit hatte Ralf niemals einen Dämon zu Gesicht gekriegt. Die Erscheinung war so hässlich, wie es von einem Dämon zu erwarten war. Sie war abstossend, widerwärtig und beängstigend. Und sie war real, wie sehr Ralf auch an Sinnestäuschungen, Wahnvorstellungen oder Delirium glauben wollte. Die Erscheinung starrte Ralf mit eitergelben Augen an, die gross wie Suppenteller waren. Ralf starrte die gewaltigen Zähne an, von denen scheusslicher Geifer tropfte, dann die Klauen, die gegen die unsichtbare Barriere schlugen, die Ralf vor der Kreatur schützte.
„Mensch!“ donnerte der Dämon in einem Ton, der vermuten liess, dass nun der halbe Häuserblock zusammenstürzte.
Ralf war auch ohne das Gebrüll schon hinreichend eingeschüchtert. Er wich vor dem Ding in dem Pentagramm zurück, bis er mit dem Rücken an der Wand stand. Er murmelte ein paar mal aus tiefster Überzeugung >das kann nicht sein<Das>Café<Nach>Louvre<stand>das Wetter<und>Café<neben>Café<entledigte>Café<. Das war ein guter Platz, um wieder zu sich zu kommen. Dort gab es Kaffee. Frühstück. Wasser. Dort traf er auf Klaus Werner, falls der schon auf den Beinen war…
Alles konnte wieder gut werden. Er bekam seinen Kaffee und Croissants. Er blätterte die Zeitung durch und lächelte über eine Meldung auf Seite sieben. Dann wurde ihm klar, dass er absolut keinen Grund hatte zu lächeln. PANIK BEI ROCKKONZERT lautete die Schlagzeile, und darunter stand: DÄMONISCHE SHOW VERSTÖRTE FANS. LETZTER AUFTRITT FÜR SLAYER? Ralf las die elf Zeilen des Artikels zweimal. Dann legte er die Zeitung zusammen und winkte dem Kellner.
Auf dem Heimweg wechselte seine Gemütsverfassung von Wut zu Niedergeschlagenheit zu Resignation zu Bedauern und wieder zu Wut. Zuhause zitierte er Hermochonde sofort ins Bad.
„Du magst Heavy Metal, was?“ fragte er den Dämon.
„Und ob“, antwortete Hermie grinsend. „Du hättest dabei sein sollen, die Jungs haben echt was drauf. Die sind wahrscheinlich das Beste an diesem Zeitalter…“
„Wer hat dir erlaubt dich in London herum zu treiben?“ fragte Ralf.
„Wer hat es mir denn verboten?“ hielt Hermie dagegen. „Ich sollte den Sachbearbeiterwurm zurückbringen, mehr hast du nicht verlangt.“
Ralf seufzte. Es hatte keinen Sinn sich mit dem Dämon zu streiten. Es reichte ihm einfach zu sagen was Sache war.
„Ich hab’ die Nase voll“, sagte Ralf. „Mit dir habe ich nichts als Ärger.“
„Weil du nicht weißt was du willst“, meinte Hermie. „Und wenn du’s weißt, dann sagst du’s nicht. Man kann dir nichts recht machen, aber das ist nicht meine Schuld.“
„Das ist mir egal“, sagte Ralf. „Ich schicke dich zurück.“
„Nein, das kannst du nicht machen!“ rief Hermochonde verstört.
Ralf war da anderer Meinung, und er sah nicht so aus, als würde er den Dämon bedauern. Er schlug das Buch auf.
„Warte doch einfach ab, bis ich gerufen werde“, bettelte Hermie und schrumpfte dabei derart, dass Ralf auf ihn herabblickte.
„Wie lange soll das denn noch dauern?“
„Das weiss ich nicht“, gestand Hermie. „Was hast du denn geopfert?“
„Eisen. Einen Barren. Wie es im Buch steht.“
„Eisen?“ schnaubte Hermie. „Gusseisen? Jetzt wird mir einiges klar.“
„Was wird dir klar?“ wollte Ralf wissen.
„Sei einfach froh, dass du keinen Werkzeugstahl geopfert hast“, sagte Hermie. „Oder eine Uranleggierung.“
„Wie soll ich denn an so was kommen?“
Hermochonde winkte ab und sagte: „Sie werden mich bestimmt bald abberufen. Heutzutage übergibt kein Mensch mehr gewöhnliches Gusseisen. Das ist vielleicht Tradition, aber eigentlich schon eine Beleidigung.“
„Verstehe“, sagte Ralf und verstand wirklich. „Deshalb hab’ ich dich am Hals.“
Das klang verächtlich, aber er war tatsächlich froh, dass er gewöhnliches Gusseisen aus der Giesserei geholt hatte. Er hatte daran gedacht, stattdessen ein paar Hammerköpfe oder dergleichen zu verwenden… Später sollte er feststellen, dass eine Seite in dem orangenen Buch mit den metallisch grünen Kreisen fehlte. Die letzte. Das war wohl die Aufstellung der für ein Opfer geeigneten Materialien, von Gusseisen bis zu Uranleggierungen.
Es war so einfach, sich dämonischen Beistand zu erkaufen: gnadenlose Mörder, fürchterliche Folterknechte, jenseitige Kidnapper, unsichtbare Spione. Mit Hilfe der Tagesproduktion eines Stahlwerks konnte man die Pforten der Hölle vielleicht so weit öffnen, dass die Welt unterging. Das war kein tröstlicher Gedanke.
Ralf dachte nach. Auch über Hermochonde. Es lag auf der Hand, dass er kein wirklich schreckliches Exemplar seiner Art war. Aber der Dämon konnte sich doch noch als nützlich erweisen. Ralf wollte lernen. Er wollte wissen, wer sonst noch Dämonen beschwor und zu welchem Zweck. Er wollte wissen, welche Dämonen er mit welchen Opfermetallen beschwören konnte. Er fragte, was die Dämonen mit den Metallen taten.
Hermochonde weder bereit noch befugt über höllische Angelegenheiten zu plaudern, die Antwort auf die letzte Frage verweigerte er. Das war eine rein interne Angelegenheit, die nicht mal einen richtigen Magier etwas anging. Ralf drohte, aber Hermie blieb hartnäckig. Interna durfte er nicht preisgeben, unter gar keinen Umständen.
Ralf kam nicht mehr dazu, Hermie zu zwingen. Plötzlich puffte eine grün-braune Gestankwolke in den Raum. Sie drängte Ralf unwillkürlich an die Wand und übertraf alles, was Hermie ihm bisher angetan hatte. In den Schwaden wurde eine Gestalt sichtbar, die den lebensfeindlichen Ausdünstungen der Manifestation in jeder Hinsicht gerecht wurde.
Der Dämon, der nun im Raum stand, war gewaltig. Er war abscheulich. Er war beides, in Superlative. Ralf war froh, dass er nur einen Teil davon sehen konnte, den oberen, um genau zu sein. Der Rest steckte im Boden – oder irgendwo anders, jedenfalls ragte der obere Teil aus dem Boden von Ralfs Wohnzimmer. Der Rest schien bei Reusers zu stehen, vielleicht sogar noch bei den Cizeks im Parterre. So sah es aus. Da aus der Wohnung unter ihm kein irrsinniges Kreischen kam, sah es wohl nur so aus.
In dem Buch stand nichts davon, dass derartige Wesen auftauchten, um den Pakt entweder zu verlängern oder zu beenden. Der Autor hatte es auch nicht für nötig gehalten zu erwähnen, wie sich der Beschwörer bei einem derartigen Besuch verhalten sollte. Mit keinem Wort bereitete er den Leser auf solche Begegnungen vor.
„Ich hole Hermochonde“, sagte der Monsterdämon.
„Tu das“, kiekste Ralf.
„Hast du Beschwerden?“
Ralf schüttelte den Kopf. „Wie kommst du denn darauf? Nein, keine Beschwerden, keine Beschwerden, wirklich nicht.“
„Du hast uns einen Gussbarren übergeben, sonst hätten wir dir einen anderen geschickt“, verriet der Dämon, der im Boden steckte.
„Hermochonde war genau richtig“, versicherte Ralf. „Ich werde ihn weiter empfehlen.“
„Das freut mich zu hören. Und es wundert mich. Darf ich dir unsere Broschüre überreichen? Sie erfreut sich okkulten Kreisen grösster Beliebtheit und gibt einen umfassenden Überblick über unseren zeitgemässen Service.“
Ralf bedankte sich und hielt im nächsten Moment das höllische Druckwerk in Händen. Auf dem Titel war ein zufriedener Geistlicher abgebildet. Er lautete EINFACHE BESCHWÖRUNG, FAIRE KONDITIONEN. Als er wieder aufschaute, nickte Hermie ihm dankbar zu. In der nächsten Sekunde war Ralf Dierers Wohnung dämonenfrei. Der Gestank des Beschwörungsfinales raubte Ralf allerdings das Bewusstsein.
Irgendwann kam er wieder zu sich. Draussen war es dunkel. Er lag am Boden. Ein penetranter Ton hämmerte in seinem Nervensystem. Die Türklingel. Wer immer sie derart unverschämt traktierte hörte damit bestimmt nicht auf, ehe Ralf in der Tür stand.
Vor der Tür stand Klaus Werner. Er hielt zwei Umschläge in der Hand. Der eine war braun und recht gross. Der andere war kleiner und weiss. Der grosse enthielt die Baugenehmigung für die Garage. Der Sachbearbeiter hatte sie ihm am Nachmittag persönlich nachhause gebracht. Klaus Werner war davon überzeugt, dass er im ganzen Leben kein Wort über den Vorfall verlieren würde.
Der zweite Umschlag war für Ralf. Er steckte an der Tür und enthielt einen von allen Hausbewohnern unterschriebenen Brief, in dem sich die Nachbarn über den Gestank beklagten, der aus dieser Wohnung ins ganze Haus gedrungen war. Ralf überflog ihn und legte ihn zur Seite.
„Was ist mit Hermie?“ fragte Klaus Werner.
„Der ist weg.“
„Was heisst weg?“
„Er ist da, wo er hin gehört. Zum Glück. Mit Dämonen hat man nur Ärger.“
„Und das Buch?“ forschte Klaus Werner.
„Verbrannt.“
„Gut.“
Klaus Werner hätte lieber eine andere Antwort gehört, aber er gab sich damit zufrieden. Um die Form zu wahren bedankte er sich für Hermies Hilfe in der Garagenangelegenheit, aber Ralf wusste genau, warum Klaus Werner gekommen war.
Er dachte gar nicht daran, das Beschwörungsbuch zu verbrennen. Von nun an interessierte er sich sehr für den Okkultismus. Er interessierte sich auch für gewisse Vorkommnisse, die irgendwie mit dem Verschwinden eines Kelches aus einem Museum zu vergleichen waren.
Ralf Dierer machte sich nicht vor, dass er der einzige war, der bescheid wusste. Andere hatten dagegen bestimmt weniger Vorbehalte als er. Die Höllenbroschüre liess keinen Zweifel daran, dass es auf der Erde einen wirklich teuflischen Dienstleistungsservice gab. Ralf kannte nun die Tarife für die unterschiedlichen Leistungen. Er kannte die Honorare dämonischer Spezialisten. Es konnte wirklich nicht schaden, ein paar Barren guten Stahl, etwas Kupfer, Messing und, für alle Fälle, eine hochwertige Uranleggierung im Keller liegen zu haben.