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Dämonen Im Kopf
Es ist dunkel. Dämonen kreisen um meine Gedanken, hungrig und bereit dazu, meinen Verstand vollends zu vernichten. Ich will handeln, doch kann nur denken. Ich weiß weder was zu tun noch was nicht zu tun ist. So gut wie alles verschwimmt in Anarchie, die versucht, mich in den Wahnsinn zu treiben - mein Körper und mein Geist sind blutrünstige Kontrahenten.
Ich sitze zusammengekauert in einem Hauseingang. Das Haus steht in einer dunklen, abgelegenen Gasse - keiner sieht mich. Die schwarzen Schatten der Häuserfronten, die sich an der Hauptstraße wie Kettenglieder aufreihen, tauchen die Gasse in ein tristes Schimmern. Der Kampf, der zwischen Körper und Geist tobt, lässt mich schwitzen, sodass ich mir immer wieder das Gesicht trocken tupfen muss. Schweißausbrüche sind in solchen Situationen häufig – nicht nur bei mir. Meine Glieder schmerzen, mein Kopf brennt. Das Straßenpflaster bebt, die schnellen Schritte der Menge hallen durch die Gassen wie ein Schrei durchs Gebirge. Der Stein reflektiert den Lärm, die Ruhe, sogar meine Angst. Ich keuche und schluchze, doch niemand hört mich. Sie flüstern in meinem Kopf – so laut, dass die Schritte im Nichts verschwinden.
Erst jetzt fällt mir die Frau auf der anderen Seite der düster schimmernden Gasse auf. Sie schaut mich an, ihre Augen funkeln – ängstlich und stark. Beim Aufstehen fällt ihr ihre Thermoskanne aus der Hand und rollt auf den dreckigen, mit Taubenkot verschmutzten Pflasterstein. Gemächlich hebt sie jene auf, schaut auf ihren ausgefransten Teppich, dreht sich um und kommt in meine Richtung. Ich will hier nicht bleiben. Die leicht humpelnde, alte Frau steht nun vor mir. die Thermoskanne in ihrer rechten Hand haltend, schaut sie mich an. Sie reicht mir die Kanne. Ich nehme einen Schluck. Es ist kalt. Eiskalt. Sie lächelt – ich kann nicht. Sie nimmt mir die Kanne wieder aus der Hand und trinkt auch „Fabelhaft das Zeug!“, sagt sie mit leicht kratzender, aber angenehmer Stimme. Ich rutsche ein wenig zur Seite, damit sie sich setzen kann. Sie soll sich setzen. Die Frau stinkt nach Alkohol, Zigaretten und Urin. Sie ist nett und macht alles mit beunruhigend hastiger Gelassenheit, die mich verunsichert. Ich will nochmal aus ihrer Kanne trinken. Wir sitzen lange Zeit nebeneinander, ohne irgendetwas zu sagen, und doch hilft es, nicht allein zu sein. Ich frage mich, ob sie dasselbe denkt – der Sturm in meinem Schädel beginnt erneut doch meine Dämonen verwehren mir die Frage.
„Frag‘ ruhig. Was bedrückt dich?“
Ich muss schmunzeln. Sie lacht. Ich erzähle ihr nicht viel. Sie dreht sich nicht weg, obwohl sie weiß, dass ich es gesehen habe. Sie weint. Alle anderen verstecken ihre Dämonen - im Gegensatz zu dieser Frau „Du bist nicht der Erste“, flüstert sie schluchzend. Ihre Worte beruhigen den tobenden Sturm in meinem Kopf. Mein Augenlid zuckt. Ich entscheide mich dafür, alles zu erzählen, lasse keine Details aus, sogar von meiner Tochter erzähle ich – sie starb vor vier Jahren. Ich kenne diese Frau nicht – ich habe noch nie irgendjemandem von meiner Tochter erzählt – doch diese Frau bändigt meinen Sturm. Als ich fertig bin, nimmt sie mich in ihre Arme, die fast noch schlimmer als der Rest an ihr riechen. Mein Lid zuckt nicht mehr. Die Schritte sind auch weg. Sie entschuldigt sich nicht. Ich schon. Sie lacht. Ich hole mein Portemonnaie heraus und gebe ihr einen meiner Scheine. Die Alte schaut mich angewidert an, nimmt den Schein, zerreißt ihn in tausend Fetzen und lacht mich gehässig an. Ich verstehe nicht. Sie erzählt von sich. Hatte einen Sohn, einen Mann, einen Hund und ein Haus – ein Leben. Das Haus ist niedergebrannt, die Familie gestorben, der Hund weggelaufen.
Meine Füße fangen an zu jucken und ich trinke noch einmal aus ihrer Kanne. Als Frau fand sie keine Arbeit mehr, hatte kein Haus, kein Geld, kein Leben. Sie schaut mich durch ihre dunklen, nassen und doch frohen, grünen Augen an: „Das ist nicht alles, mein Junge. Das hier, das ist stärker. Du und ich, wir sind wichtiger. Zusammen. Wir sind, was zählt.“ Die Frau steht auf und gibt mir ihre Kanne. Sie geht langsam zu ihrem ursprünglichen Platz zurück, rollt ihren Teppich zusammen und läuft humpelnd auf die hell erleuchtete, Menschen überströmte Straße zu. Sie schaut nicht zurück. Ich kauere immer noch in dem Hauseingang, die Kanne in meiner linken Hand haltend, mit der rechten vergebens nach meinem Schlüssel suchend. Vor mir liegen die kleinen, wertlosen Fetzen Geld. Ich entscheide mich, als sie gerade im Licht der Straße verschwindet. Ich springe auf, ziehe mein Sakko aus und werfe es auf die Gasse. Ich renne der Frau hinterher. An der Kreuzung sind viele Leute. Sie hasten von einer Ecke zur anderen, ohne auch nur auf irgendwas und irgendwen zu achten – haben nur ihr Ziel im Blick. Ich schaue mich um, in alle möglichen Richtungen – ich sehe sie nicht. Die Frau ist im Sturm der Anderen verschwunden. Ich laufe los. Irgendwohin. Die alte, rostige Thermoskanne fest umklammert, in der Hand.
Er sitzt alleine, zusammengekauert am Straßenrand. Ich setze mich neben ihn und gebe ihm die Kanne. Er freut sich. Ich stehe auf und gehe. Keine Dämonen mehr.