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Custos
Es war mal wieder an der Zeit, sich die Hände schmutzig zu machen.
Sigurd ritt den Weg entlang. Raus aus dem Wald, Richtung Stadt. Er hatte seinen Lederrucksack ans Pferd gezurrt, und schnaufte unter den Platten seiner Rüstung.
Der, verglichen mit einem durchschnittlichen Mann, hoch aufragende Riese, hob sein Visier, um einen genaueren Blick auf die Stadt zu erlangen, die sich vor seinen Augen auftat. Gerüchte über einen Drachenhort hatten den Söldner in diese Gegend gebracht. Sein Durst nach Gold war unstillbar. Augen spähten an Fensterläden und durch Türspalten in Richtung des Rüstungsberges. Langsam schritt er auf dem Rücken seines Pferdes in die Stadt hinein. Das Klimpern und Klirren, welches durch den Zusammenstoß seiner am Körper befindlichen Rüstung und seiner restlichen Ausrüstung entstand, füllte die sonstige Totenstille in der Luft. Da sein Ruf ihm vorauseilte, empfanden es die Bürger als ratsam, dem Mann aus dem Weg zu gehen. Die übermäßig prunkvolle schwarz-goldene Rüstung mit passend dunklem Schwert aus Stahl, hätte jeden noch so fähigen Abenteurer vorsichtig werden lassen.
„Wo ist der Bürgermeister dieser Stadt?"
Eine tiefdröhnende Stimme zerschlug die Stille und stieg die Luft empor. Zu seiner Rechten erschien ein kleiner, dunkelhäutiger Mann, nur durch ein einfaches Hemd und eine zerrissene Hose bekleidet, an welcher er seine leere Schwertscheide trug. Seine offenen Handteller dem berüchtigten Söldner zugewandt, lies er ein schwaches Lächeln aufblitzen, wohl um den bedrohlich wirkenden Gegenüber zu besänftigen. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, während er langsam in Richtung seiner schmutzigen Lederstiefel griff, um den Schlüssel der Stadt herauszuholen.
„Das wäre dann wohl ich.“
Der Bürgermeister versuchte, den Augenkontakt aufrecht zu halten, doch der stählern nach unten gerichtete Blick Sigurds zwang seine Augen Richtung Boden.
„Gold, ich will es.“
„Wir werden dir alles geben was wir haben, solang du uns in Ruhe lässt.“
Der Schweiß floss ihm nun als eine unzählige Perlenkette das Gesicht herunter, tropfte auf den Boden, und bildete eine Schweißlache. Sigurds Gelächter hallte von den hölzernen Wänden wider.
„Nein, kleiner dummer Mann. Wo ist der Drache? Ich bin hier um die Stadt von diesem Fluch zu befreien, und meine Belohnung zu beanspruchen.“
Ein weiteres Mal legte sich Schweigen über die Stadt. Der Bürgermeister zögerte, dem Riesen zu antworten.
„Also…“, es wurde noch stiller.
Von einem auf den anderen Augenblick schoss Sigurds Klinge aus der Scheide, und verfehlte den Bürgermeister nur knapp. Der verängstigte Mann unterdrückte jeden Aufschrei, während er nach hinten stolpernd zu Boden viel.
„Also?“, sprach Sigurd mit bedrohlicher Stimme.
Es wanderten Tränen das Gesicht des Mannes hinunter, als er sein Mund öffnete.
„Unter dem Naiwich… nordwestlich von hier.“
Ein böses Grinsen durchzog Sigurds Gesicht, als er die Ausrüstung auf seine Schultern schwang, und seinen Blick in Richtung der vereisten Spitz des Berges richtete.
Zwei Tage hatte seine Reise gedauert, bis Sigurd den Fuß des Berges erreichte. Ein riesiges steinernes Tor ragte vor ihm auf, mindestens fünfzig Mann hoch. Er sah sich nach einer Möglichkeit um, den Berg zu betreten, um zum Drachen zu gelangen. Nach einer Weile wollte er bereits aufgeben, und lehnte sich mit seinem Körper gegen das Tor. Zu seiner Verwunderung öffnete sich die Steinplatte, ohne einen Ton von sich zugeben, noch ohne große Anstrengung.
„Ah, Zwergentüfftlerei, welch feine Handwerkskunst.“, murmelte er vor sich hin, als er den ersten Schritt in die unerwartet gut beleuchtete Höhle wagte. Licht strömte durch Risse in der Decke in den Innenraum, und erhellte eine massive Wendeltreppe direkt vor seinen Augen. Er begann den Weg nach unten zu steigen, welcher ihn tiefer und tiefer in die Höhle führte. Die Dunkelheit umhüllte ihn langsam, als er zu seiner Fackel griff. Bevor er die Fackel anzünden konnte, drang der beißende Geruch von Schwefel in seine Nasenlöcher und zwang ihn, die Fackel wieder einzupacken. Seinen Mund bedeckend, erreichte der Söldner eine weitere Tür. Er drückte gegen den kalten Stein, welcher sich mühelos öffnen ließ, als eine Wolke aus Rauch an ihm vorbei zog, ihn umgab, und es ihm beinah unmöglich machte, sein eigenes Schwert zu sehen, welches er nun schützend vor sich trug. Er ließ sich bei jedem Schritt von seinen restlichen Sinnen leiten, als er sich, beinahe in Zeitlupe, seinen Weg durch den dichten Nebel bahnte. Er fand sich selbst einen Abhang herunterlaufend wieder, der dazu führte, dass er bald wieder klarer sehen konnte, da sich der Nebel nun wie ein Umhang über ihm erstreckte. Er hustete so leise, wie es nur jemand mit brennendem Rauch in Hals und Lunge tun konnte, als sich seine Augen vor Freude weit öffneten. Direkt vor ihm, tat sich der Fuß eines Berges aus purem Gold auf. Das Gold glänzte, der Gipfel gänzlich in Rauch gehüllt. Wo war der Drache?
Sigurd umkreiste den Berg aus Gold, und erspähte die smaragdgrünen Schuppen des Monsters, welches den Hort bewachte. Er machte einen Schritt Richtung Schwanz des Monsters, als er mit seinem metallenen Stiefel auf etwas Hartes auf dem Boden trat. Den Blick nach unten schweifend sah Sigurd, dass er eine kleine hölzerne Figur eines Drachen zertreten hatte. Er verschaffte sich rasch einen zweiten Überblick seiner Umgebung, und vernahm, dass es nicht der einzige Schmuck war, der um das Gold herum verstreut lag. Dabei erblickte er ein hölzernes Schild, welches das Wappen der Stadt trug, aus der er hierher aufgebrochen war. Unbeeindruckt, schlich er sich näher an das Biest heran. Der Drache lag auf dem Bauch, den Blick vom gepanzerten Schatzjäger abgewandt. Seine Schuppen glanzlos und verblichen, die Krallen gelblich, Dampf aus jedem kleinen Riss seiner Haut strömend.
„Kinderspiel.“, murmelte Sigurd erneut.
Gerade als der Riese zum Schlag ausholen wollte, brachen Schritte, aus derselben Richtung kommend wie der Riese zuvor, die unheimliche Stille. Schnell drehte sich Sigurd um, und traf dabei auf die flammend und wütend wirkenden Blicke des Bürgermeisters und der Stadtbewohner, alle bis an die Zähne mit selbstgebauten Waffen bestückt, und in spärlicher Lederrüstung gekleidet.
„Custos hat dir nichts getan, lass ihn in Ruhe!“.
Der Bürgermeister stand nun, aufrecht in die Augen des Mörders blickend, vor ihm.
Erneut erfüllte ein böses Grinsen Sigurds Gesicht, als es ihn wie ein Blitz traf. Das war ein sterbender alter Drache, und die Stadt interessierte sich auch noch für ihn. Süß, dass sie glaubten, dass das Leben eines Drachen etwas wert sei, süß, dass sein Tod sie berühren würde und süß, dass sie glaubten, sie könnten ihn aufhalten, denn nichts stellt sich zwischen ihn und seine Beute. Er schmunzelte und gluckste, und entschied sich, die Bewohner zu ignorieren. Als er sich wieder zum Drachen umdrehte, fand er sich, in das riesige geöffnete Maul des Drachen blickend wieder. Säure tropfte von den sich vor ihm aufbäumenden Fangzähnen des Drachen, bereit, den Eindringling auszulöschen.