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Croissants und Kaffee
Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster, standen wieder auf und verließen mein Zimmer. Vom Bett aus gesehen, sah es wie ein Tor zu eine anderen Welt aus, einer Welt des Lichts, des Lebens, der Schönheit. Mein Zimmer war dagegen grau, kahl und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Eine Matratze, ein Tisch, ein Stuhl, mehr hatte ich nicht.
Vor zwei Wochen lebte ich noch in meinem Kinderzimmer, hatte täglich drei Mahlzeiten und musste mich um nichts kümmern. Das Leben war einfach, einfach und schön. Ich ging aus, bekam Geld, musste keinen Finger krumm machen. Ich führte das Leben eines Kindes. Erwachsenwerden tut weh, wie das Wachsen auch. Wachstum ist Veränderung, Veränderung ist Leben, Leben ist Schmerz – kann man das so sagen? Wahrscheinlich mache ich es mir wieder zu einfach. Man kann das Leben nicht auf flotten Sprüchen und Vergleichen aufbauen und nach ihnen leben. Pech gehabt. Leben ist…, Leben ist nichts, was man in Worte fassen kann, ohne dass es dabei vereinfacht und verfälscht wird. Jedenfalls war mein Leben ein Traum aus dem ich gerissen wurde und jetzt sah ich das erste mal in die kalte, vernarbte Visage dieser Bestie.
Die Uhr zeigte mir, dass ich mal wieder verschlafen hatte. Schon 12 Uhr. Disziplin war meine große Schwäche, ich konnte nicht wie ich wollte, weil ich nicht wollte was ich konnte. Wieder so ein Spruch, der wenig Sinn ergab. Mein Leben war voll davon. Leere Sprüche füllten meinen Kopf. Es war wie ein Fluch. Ich rappelte mich auf und ging zum Fenster. Der Tag war schon voll im Gange und das Leben auf den Straßen pulsierte. Die Autos schleppten sich über asphaltierte Wege und hupten fröhlich vor sich hin. Menschen beeilten sich. Sie rannten im Gehschritt – verhaltene Eile ist das Motto dieses Jahrhundert. Beeile dich, sonst verpasst du das Leben. Lauf, Forest, lauf. Jeder rannte irgendwohin. Jeder hatte Termine, Pflichten, Sorgen, nur Geld, das hatte nicht jeder. Geld war der Grund für alles. Geld war der Grund zu leben. Was ist der Sinn des Lebens? Geld ist der Sinn des Lebens, zumindest solange man kein Geld hat. Wenn man Geld hat, kann man sich einen anderen Sinn überlegen, aber solange man jeden Tag raus muss, um seine Rechnungen zu bezahlen, ist Geld Gott, und dein Arbeitgeber, Jesus Christus.
Ich bin Atheist und deswegen dauerpleite.
Als ich genug von dem Fensterausblick hatte, ging ich meiner morgendlichen Routine nach.
Einen Kühlschrank hatte ich nicht, also musste ich mir mein Essen irgendwo besorgen. Ich zog mir mein verwaschenes T-shirt an, meine Jeans, die wahrscheinlich älter als ich war und dazu noch ein paar schicke Turnschuhe, welche einem Sieb im nichts nachstanden. Der Tag war warm und die Sonne schien. An der Ecke spielte ein Straßenmusiker. Er plimperte an seiner Gitarre und wartete auf den Sinn des Lebens, der aber im Gehschritt rennend, an ihm vorbeizog. Die Gitarrentasche vor ihm war fast leer und beinhaltete nur ein Paar Moneten, die er wahrscheinlich selbst hineingeworfen hatte, um den Passanten klarzumachen, was zu tun war. Seine Musik erfüllte das hektische Treiben der Straße, passte aber nicht dazu. „When I was younger, I asked my mother what will I be… Hey Serra, serra, what ever will be, will be…“
Eine ältere Dame erbarmte sich und warf eine 50 Cent Münze in die Gitarrentasche. Die Leute schauten sie komisch an, aber sie lächelte den Musiker nur an und ging weiter. Ich tat es ihr gleich.
Seit dem ich nach Münster gezogen war, frühstückte ich im örtlichen Lidl. Die Croissants schmeckten wunderbar und wenn man es intelligent anstellte, konnte man sich problemlos bedienen. Dazu noch ein Käffchen - kostet ja nichts. War es moralisch vertretbar? Moral kommt nach Hunger und mein Magen war noch nie ein großer Fan ethischer Fragen.
Als ich so schlendernd durch den Laden ging und dabei genüsslich mein Frühstück vertilgte, überlegte ich mir, wie ich an Geld kommen könnte. Arbeiten? Ja, das ist der erste Gedanke, der einem Durchschnittsbürger in den Schädel schießt, wird er gefragt, wie man an Geld kommt. Aber ich war nicht Durchschnitt, ich war besser.
Ich war für Großes bestimmt, epochale Heldentaten standen noch auf meiner ToDo-Liste, ich würde die Welt verändern, irgendwann, ja, irgendwann bin ich die Nummer 1.
Bäh, der Kaffe ist heute aber eklig, was mischen die darein? Na egal, nehm ich mir halt eine andere Flasche. So, wo war ich, ah, genau, Nummer 1, der Beste, der Größte, irgendwann.
In meinen Gedanken vertieft merkte ich nicht, wie ich an der Kasse vorbeiging, in der Linken 2 Croissants, in der Rechten eine Flasche Kaffee. Die Kassiererin guckte mich an.
„Wollen Sie das nicht bezahlen?“
„Hää?“
„Sie haben da Croissants und Kaffe, dafür müssen Sie bezahlen“
„Ach, das, ja stimmt. Akzeptieren Sie auch selbstgemalte Bilder oder Gedichte, meine goldene Visa Card habe ich leider in meiner Residenz auf Maui vergessen, ich Dusel“
„Maui?“, fragte mich die Kassiererin verdutzt, „Gedichte?“
„Ja, gnädige Frau. Angesichts der horrenden Rohstoffkosten in meiner Metier, musste ich meinen Wohnsitz verlegen, und verweile nun die nächste Zeit in Ihrer bescheidenen Gegend. Nun, es war mir eine Freude mit Ihnen geplaudert zu haben, aber jetzt muss ich wirklich los, mein Morgenlauf läuft sich nicht von alleine.
Nichts für Ungut, vielleicht sieht man sich mal wieder, die Welt ist kleiner als man denkt. Bye Bye“
Mit diesen Worten rannte ich los.
„Hey, stopp, bleiben Sie stehen.“
Durch die Tür, über den Parkplatz und dann immer der Sonne entgegen. Nach ein paar Minuten drehte ich mich kurz um, um zu sehen, ob ich verfolgt wurde. Was ich sah war mehr als surreal: Eine Frau, mitte 30, in einem Lidl-Shirt, verfolgte mich.
Ihre Arme gingen kraftvoll von Seite zu Seite, ihr Schritt war kraftvoll und raumgreifend. Leider war ihr T-shirt ein wenig eng, so dass man nich umhin kam, ihre Wohlstandspfunde bewundern zu müssen. Es war wie bei Unfällen - man konnte einfach nicht weg schauen. Wie konnte man sich bei Lidl so viel Speck anfressen? Sie bediente sich wohl auch heimlich an der Croissantauslage. Das musste es sein!
Ich legte einen Zahn zu und bog um die nächste Ecke. 200 Meter weiter sah ich meine Chance: Ein Bahnübergang. Und was für ein Zufall; ein Zug kam gerade angerollt. Meine Verfolgerin war noch weit genug weg, so dass ich die Gleise überqueren konnte, sie aber nicht mehr. So hüpfte ich über die Schienen, drehte mich um und schaute ihr beim Rennen zu. Und es war knapp, verdammt knapp. 20 Meter weniger Vorsprung und sie wäre vor dem Zug bei mir gewesen.
Ich winkte ihr zu und schrie: “Gnädige Frau, wenn das Schicksal es so will, werden wir uns wiedersehen, dann lade ich sie auf einen Kaffee ein. Merci und aurevoir“
Der Zug trennte uns und ich lief weiter.