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Crescendo in d-moll

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07.10.2003
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Crescendo in d-moll

Crescendo in d-moll

Sie lief am Fluss entlang. Die Nacht war warm und klar, und die Sterne zwinkerten ihr zu. Es roch nach frisch gemähtem Gras, Blumen und nach dem Fluss, der sich träge durch die Stadt zog. Die Grillen zirpten ihre kleine Nachtmusik, ein sanfter Wind strich ihr durch das Haar, und von fern hörte sie den Lärm der Kerb. Sie lief jetzt schon beinahe drei Stunden nur am Fluss entlang, ohne ein genaues Ziel zu haben.
Sie kam aus der Innenstadt. An der alten Stadtmauer hatte sie ihre Schuhe in ein Gebüsch geworfen, weil sie sie zu sehr an den Füßen drückten. Es waren neue Schuhe gewesen, aber sie hatten ihr ohnehin nicht so gefallen. Sie war barfuss weiter gelaufen, und jetzt kam sie allmählich in die Vororte, wo es nur wenig oder sogar keine Laternen an der Uferpromenade gab.
Ein Boot der Wasserschutzpolizei schoss an ihr vorbei, und der Fluss warf seine schmatzenden Wellen an die Ufermauer zu ihrer Rechten. Zu ihrer Linken wuchsen Fliederbüsche. Sie sah sie nicht; sie erkannte es an diesem schweren, betörenden Duft. Flieder war ihr unter allen blühenden Pflanzen die liebste, und jetzt pflückte sie sich im Dunkeln ein paar große Dolden ab. Träumend lief sie weiter, sah gelegentlich zum sternenübersäten Himmel auf, von wo Orion auf sie herabsah und die Sichel des abnehmenden Mondes sanft strahlte. Leise summte sie ein Lied aus ihrer Kinderzeit.
Vor ihr hoppelte ein Kaninchen langsam über den sandigen Weg. Es setzte sich vor einen Strauch, bereit, sofort wegzurennen, und sah die junge Frau an. Sie hockte sich in den Sand und fing an, leise mit dem kleinen Tier zu reden. Das Kaninchen spitze die Ohren und kam langsam, Hüpfer für Hüpfer, näher, wie verzaubert.
Vorsichtig streckte sie die Hand aus und streichelte das Kaninchen. Das sandbraune Fell war seidig weich, und die schwarzen Knopfaugen waren klug und wachsam. Ein unermessliches Glücksgefühl durchströmte sie, und sie fühlte sich, als würde sie schweben.

Auf einmal erklang Gesang, klar und rein, doch ohne Worte, nur eine fließende Melodie, ruhig wie der Fluss. Das Kaninchen rannte verschreckt weg, und die Grillen verstummten verschämt. Die junge Frau stand auf und sah sich um. Sie konnte niemanden entdecken, und doch war da dieser Gesang...
’Das müssen Engel sein’, dachte sie wie betäubt. Es erschien ihr die einzige Möglichkeit. Kein Mensch konnte so eine wundervolle Stimme haben, klar und rein wie kristallenes Glas.
Jemand trat aus dem Schatten eines Fliederbusches. Es war ein alter Mann mit langen, weißen Haaren, einem schwarzen Anzug mit schneeweißem Hemd und seltsam grünen Augen, die im Dunkel der Nacht zu leuchten schienen. Seine Lippen waren leicht geöffnet, und aus seinem Mund kamen diese wunderschönen, überirdischen Klänge. Langsam trat er auf die junge Frau zu, die ihn wie hypnotisiert ansah.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Ein Teil von ihr wollte diesen Mann, der sie da so unverwandt ansah, begehren; der andere Teil wollte so schnell wie möglich wegrennen.
Doch sie konnte sich nicht rühren. Was hatte dieser Mann an sich, dass sie sich ihm am liebsten in die Arme geworfen hätte? Noch immer hörte sie diesen seltsamen Gesang, und jetzt schien er direkt in ihrem Kopf zu entspringen. Es gab nichts mehr auf der Welt - nur noch sie, den Mann vor ihr und den Gesang in ihrem Kopf.

Er kam Schritt für Schritt näher, ohne seinen Blick von ihr zu wenden. Der Wind zog leicht an ihrem Kleid, so dass ihre schlanken Formen sichtbar wurden. Unverhohlen begutachtete er ihren geschmeidigen Körper, der sich unter dem dünnen Stoff abzeichnete.
Sie war wie elektrisiert. Sie spürte, wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten und hart wurden. Eine plötzliche Panik überfiel sie. In letzter Zeit hatte man wieder öfter von Vergewaltigungen in der Zeitung lesen können. Doch nur kurz, sofort fiel wieder der Zauber dieser schönen Stimme über sie, und sie wurde ganz ruhig. Sie betrachtete den Fremden nun ebenfalls, während seine Blicke über ihre Haut streichelten.
Er war etwas größer als sie, schlank und muskulös, soweit sie das unter dem Anzug erkennen konnte, und hatte feingliedrige Hände mit langen Fingern. Das weiße Haar war glatt und gepflegt, aber trotz der sanften Frühlingsbrise hing es unbewegt über seine Schultern herab. Seine Gesichtszüge waren markant, doch sehr fein, und einige Falten hatten sich bereits in das blasse Antlitz eingegraben. Zwar lächelte er, seine Augen wurden jedoch nicht davon berührt.
Er ergriff ihren Arm und führte sie fort von dem Sandweg, auf dem sie standen. Sie folgte ihm ohne nachzudenken, während in ihrem Unterbewusstsein eine unbestimmte Angst um Aufmerksamkeit bettelte. Doch sie begehrte diesen Fremden, wollte ihn, um jeden Preis.

Er führte sie in ein kleines Gehölz. Sie blieb stehen, sobald er sie losließ. Sie sah nichts, sie dachte nichts; sie war nur noch flammende Begierde, die so stark war, dass sie sich nicht rühren konnte.
Behutsam löste er die Schleifen an ihren Schultern, die das Kleid zusammenhielten. Das Oberteil fiel herunter, und sie war vom Hals bis zur Taille nackt. Zärtlich strich er über ihren kleinen, festen Busen, über ihren Bauch und ihre Hüften. Sie erzitterte. Dann zog er mit einer einzigen Bewegung den Rest des Kleides herunter und ließ es zu Boden fallen.
Sie stand da, der warme Nachtwind streichelte ihre weiche Haut und feuchte Wärme breitete sich in ihrem Höschen aus. Sie legte den Kopf in den Nacken und wartete. Doch der Fremde ließ sich Zeit.
Er trat einen Schritt zurück und betrachtete sie genüsslich, einen Finger an die schmalen Lippen gelegt. Ihre langen, geraden Beine, ihre sanften Rundungen, ihren schlanken Hals. Sie hatte die Augen geschlossen, doch fühlte sie seine Blicke auf ihrer Haut.
Der überirdische Gesang schwoll in ihrem Kopf zu einem himmlischen Chor an, als er ihre Schulter berührte und sie sacht in das trockene Laub auf dem Boden drückte. Er streichelte, küsste ihren Körper, und feurige Schauer der Erregung durchzuckten sie bei jeder Berührung. Während seine Zunge mit den Knospen ihrer Brüste spielte, streichelte er ihre Schenkel, und ihr Becken hob sich ihm voller Begierde entgegen. Als sein Mund ihren Nabel erforschte und seine Hände überall zugleich zu sein schienen, wand sie sich vor Lust. Sie wollte ihn, mehr, als irgendjemanden je zuvor, doch wenn sie ihn berühren, seine Kleidung zerreißen wollte, hielt er sie sacht, aber bestimmt davon ab. Nicht einmal berührte sie seine Haut.
Seine schwarzen Haare strichen über ihren Bauch, während die schlanken Hände wie kleine Vögel über ihre Haut flatterten, sie mal sanft betupften, mal fordernd drückten. Seine Finger fanden ihr Zentrum der Wollust und spielten mit dem kleinen Knopf, und sie schrie und stöhnte ihre Erregung in die Nacht hinaus. Der Chor in ihrem Kopf stimmte ein unirdisches Crescendo an.
Er liebkoste sie eine Ewigkeit lang, und sie erlebte einen Höhepunkt nach dem anderen, ohne dass er jedoch einmal in sie eindrang.

Mit der Zeit wurde sie schwächer, die Farbe wich aus ihrem Gesicht und die Erregung verflog, als er schließlich von ihr ließ. Das war nicht die wohlige Mattigkeit nach einem Orgasmus. Sie fühlte sich schrecklich alt, kam sich vor wie vertrocknetes Herbstlaub.
Als sie sich ihren fremden Liebhaber ansah, kam er ihr verändert vor.
Er sah sie an, und ihr fiel seine makellos glatte Haut auf. Waren da nicht vorhin noch Falten gewesen? Es war ihr gleichgültig. Nie gekannte Müdigkeit hüllte sie ein und machte das Denken schwer.
Der Fremde stand auf. Der Morgen dämmerte bereits, und die ersten Sonnenstrahlen fielen auf seine jugendlichen Züge. Er lächelte ihr noch einmal zu, dann ging er schweigend davon.
Sie war zu schwach, um ihm noch hinterher zusehen. Er war fort, und mit ihm auch der wundervolle Gesang, der sie die Nacht hindurch begleitet hatte. Als ihre letzten Kräfte sie verließen, schloss sie die Augen, und sie erinnerte sich an das kleine Kaninchen mit den klugen schwarzen Augen. Es war noch so jung gewesen...

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Frankfurt.dpa Am Morgen des 17.Mai wurde von Spaziergängern am Schwanheimer Mainufer eine Frauenleiche gefunden. Die Tote ist etwa 80 Jahre alt und hatte keine Personalien bei sich. Nach ersten Untersuchungen wird ein Sexualvergehen ausgeschlossen; vermutliche Todesursache war Herzversagen. Sachdienliche Hinweise zur Identität der Toten werden unter der Rufnummer 069/121-54XX und in jeder Polizeidienststelle entgegengenommen.

 

Hallo Oile,

ein bisschen erinnert mich deine Geschichte daran, dass ich oft solche dpa Pressemeldungen als Übung verwende, um mir daraus eine Geschichte zu formen. Du hast es, denke ich, anders rum gemacht.
Die Geschichte hat mir in ihrer seltsamen Erotik gut gefallen, auch wenn ich die dpa Meldung am Ende nicht wirklich gut finde. Dadurch verliert das Altern deiner Protagonistin an romantischem Reiz. Die metaphysiche Botschaft, dass Sex befreiend und verändernd wirkt, dass der Tod auch erotisch ist und viele sich ihm lustvoll hingeben, verliert.
Also lasse den letzten Absatz weg. ;)
Der Tod deiner Protagonistin war klar, ihre Alterung musst du nicht beziffern. Es reicht aus, wenn die Frau in ihren letzten Atemzügen noch mal an sich runterschaut. Eine achzigjährige nackte Tote, bei der die Polizei ein Sexualverbechen ausschließt lässt eine "verwirrte Person" assoziieren und damit wist du deinen Figuren nicht gerecht.

So, wie immer nimmt die Kritik mehr Platz ein, als das Lob, deshalb noch einmal deutlich. Die Geschichte hat mri gefallen.

Ein paar Anmerkungen habe ich noch:

Sie sah sie nicht; sie erkannte es diesem schweren, betörenden Duft.
erkannte es an
Flieder war ihre Lieblingsblume
Hier würde ich anstelle Blume Pflanze schreiben. Erscheint mir botanisch richtiger.
von wo ihr Sternzeichen auf sie herabsah
wenn du das Sternzeichen hier beim Namnen nenntst vermeidest du die Doppelung von Stern, machst eine persönliche Angabe über ihren Geburtsmonat und für Astrologen sogar noch eine Charaktererfassung. ;)
’Das müssen Engel sein’, dachte sie wie betäubt, und es erschien ihr das einzig Mögliche.
würde ich rein vom Gefühl her auch umstellen.
’Das müssen Engel sein’, dachte sie wie betäubt. Es erschien ihr als einzige Möglichkeit.
sie fühlte nichts; sie war nur noch flammende Begierde
Das ist leider ein auf Effekt zielender Satz, auchwenn du ihn nicht so gemeint hast. Da Begierde auch ein Gefühl ist, ist der Satz aber in sich unlogisch.

 

Hallo sim,

danke für Kritik und Lob, freut mich immer, wenn eine Geschichte ankommt. :D
Die Fehler habe ich korrigiert, den Flieder-Staz umgebaut -okay, mir haben sich da auch die Haare aufgestellt, aber als ich das geschrieben habe war ich 16 und wußte noch nicht, daß ich mal Gärtner werden würde, ;)-, das Sternzeichen habe ich ersetzt und auch den anderen Satz geändert.
Danke soweit für die Hinweise.

Die Pressemitteilung lasse ich stehen, habe sie aber noch einmal abgegrenzt. Grund: Genau was du gesagt hat, man gewinnt durch die Nachricht den Eindruck einer verwirrten Frau - der Leser weiß aber bereits, was wirklich geschehen ist. Der Zeitungsleser wird aber nie erfahren, wer die Faru ist oder was ihr zugestoßen ist - und ist es nicht bei vielen Zeitungsmeldungen so, daß wir nie die wahre Geschichte dahinter erfahren?

so far,
greetz, Oile

 

Schön Oile,

die Änderungen zahlen sich aus. ;)
Ich würde allerdings, wenn du die Zeitungsnotiz stehen lässt, den Vermerk "unbekleidet" weglassen. Dadurch entsteht ja genau der Eindruck der Verwirrung.
Ja, es ist oft so, dass wir die Geschiche hinter den Notizen nie erfahren, deshalb reizen sie ja so sehr zu Stilübungen. ;)

Lieben Gruß, sim

 

ello Oile,

da ist Dir aber wirklich eine sehr hübsche Geschichte aus der Feder geflossen. Kann man sich einen netteren Tod wünschen?
Manche mögen das kitschig finden, aber ich finde besonders solche Sachen wie 'Die Grillen zirpten ihre kleine Nachtmusik' sehr ansprechend. Dafür wirkt auf mich der 'überirdische Gesang' ein wenig dick aufgetragen.
Die Idee mit der dpa-meldung finde ich gelungen, weil man solche kurzen Notizen sehr oft liest - überliest.

Viele Grüsse vom gox

 

Hallo Oile,

Deine Geschichte ist ordentlich geschrieben und gut aufgebaut. Die Erwähnung der weißen, dann der schwarzen Haare ist gut gelungen, auch die Szene mit dem Kaninchen, ein Abbild für die hypnotische Wirkung der die Frau später selbst erliegt.
Der Plot ist nicht neu, aber neuartig verpackt, auch der Wechsel des Blickwinkels (Zeitungsmeldung) ist ein gut gewähltes erzählerisches Mittel.
Bei der Schilderung der erotischen Begegnung hatte ich manchmal den Eindruck der bereich der Persiflage wird erreicht, alles geht so glatt und sprachlich könnte der Text aus einer Veröffentlichung stammen, die die typische Männerfantasie (Frau trifft Mann, verfällt ihm sofort) kolportiert. „Flammende Begierde“, „Sie zittert“, „fühlt seine Blicke auf ihrer Haut“ - „Sie wollte ihn.“ Da könntest Du sprachlich andere Wege beschreiten.

Zitat:
„Zentrum der Wollust und spielten mit dem kleinen Knopf,“

- der „Knopf“ hat mich doch an ein technisches Gerät erinnert, bzw. an den Kleidungsknopf.

Ansonsten habe ich die Geschichte gerne gelesen, sie ist flüssig geschrieben und hat einen gewissen Unterhaltungswert.


Zitat:
„weil sie sie zu sehr an“

- vielleicht kannst Du die Wortdoppelung vermeiden.

LG,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo gox!

Freut mich, daß du meine geschichte gefunden und für gut befunden hast! :kuss:
Den "überirdischen Gesang" fandest du zu dick aufgetragen? Da kann ich ja froh sein, daß ich den ordentlich zusammengestrichen habe, da lag vorher noch weit mehr Betonung drauf... *g*

LG, Oile

 

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